Freitag, 4. März 2011

Sicherungsverwahrung

Für immer Knast fürs Kiffen?

Seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) über die „nachträgliche Sicherungsverwahrung“ wird viel über Sinn und Unsinn des „für immer Wegsperrens“ diskutiert. Die sogenannte Sicherungsverwahrung gilt als schärfstes Schwert im deutschen Strafrecht – Zum Schutz der Bevölkerung können besonders gefährliche Täter auch nach Ende ihrer Haft eingesperrt bleiben. Wer allerdings dachte, „ewig wegsperren“ beträfe nur Kinderschänder, Mörder und andere Schwerstverbrecher, der irrt. Am 21. Januar verurteilte das Essener Landgericht einen 62-Jährigen wegen Einfuhr und Handel mit Marihuana zu einem Leben hinter Gitter. Droht inzwischen selbst „harmlosen Hänflingen“ lebenslange Haft?
Das deutsche Strafrecht und damit auch das Betäubungsmittelgesetz folgen bei der Verurteilung zwei Zielen. Primär soll Strafe dazu dienen, die gemeinschaftswidrige Tat zu sühnen und den Täter mit dem Opfer zu versöhnen (Schuldprinzip). Sie soll den Täter darüber hinaus mit Resozialisierungsmaßnahmen zurück in die Gesellschaft gesetzestreuer Bürger bringen (positive Spezialprävention) sowie von der Begehung weiterer Straftaten abschrecken (negative Spezialprävention). Die moralische Grundlage dieses Strafrechtsverständnisses ist der Wunsch, jedem Täter das Recht und die Chance einzuräumen, wieder zum Normalbürger zu werden und so den „Rechtsfrieden“ für die Zukunft zu sichern. Haftstrafen sind in unserem Strafrechtssystem das letzte Mittel (ultima ratio) und stets zeitlich begrenzt. Dies soll dem Täter eine Perspektive für den Wiedereintritt in die Gesellschaft bieten. Erst die „Hoffnung auf Freiheit“ macht Haft zu einem sinnvollen Werkzeug der Regelung von Rechtsverstößen.

Sicherungsverwahrung ist anders – Die Betroffenen gelten gemeinhin (wenn auch nicht nach den Buchstaben des Gesetzen) als „nicht resozialisierbar“. Sie in Freiheit zu entlassen, würde beinahe zwangsweise zu neuen „erheblichen Verstößen gegen den Rechtsfrieden“ führen. Primäres Ziel der „Unterbringung“ ist in diesen Fällen der Schutz der Allgemeinheit (§ 129 S. 1 StVollzG). Sühne und Resozialisierung sind bei Sicherungsverwahrten nur geringwertigere Interessen.

Die Sicherungsverwahrung kann vom Gericht
1.bei Erwachsenen (>21 Jahre)
a. im Urteil angeordnet werden (§ 66 StGB),
b. im Urteil vorbehalten werden (§ 66a StGB),
nachträglich angeordnet werden (§ 66b StGB und Art. 316e EGStGB i.V.m. § 66b StGB i.d.F.v. 18. April 2007),
2. bei Heranwachsenden (18-21 Jahre)
a. im Urteil vorbehalten werden (§ 106 Abs. 3 und 4 JGG),
b. nachträglich angeordnet werden (§ 106 Abs. 5 und 6 JGG),
3. bei Jugendlichen (14-18 Jahre) nachträglich angeordnet werden (§ 7 Abs. 2 bis 4 JGG).

Die Sicherungsverwahrung wird neben einer Freiheitsstrafe (Haft) angeordnet, die stets zuerst verbüßt wird. Sie schließt an die Regelhaft an und gilt grundsätzlich unbefristet. Zwar haben Betroffene das Recht, die Maßnahme alle zwei Jahre prüfen zu lassen, in der Praxis wird von der Möglichkeit, die Sicherungsverwahrung aufzuheben, nur zögerlich Gebrauch gemacht. Kein Richter möchte in der Zeitung lesen, dass er „Schuld daran sei“, dass der Entlassene wieder zuschlagen konnte, obwohl ein anderer Richter den Täter für immer hinter Gitter brachte. Die wenigen entlassenen Sicherungsverwahrten waren denn auch laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt mehr als 15 Jahre in Haft, bevor es ihnen aus Alters- oder Krankheitsgründen unmöglich wurde „gefährlich“ zu sein. Wie lange diejenigen saßen, die bis zu ihrem Tod nie wieder freikamen, wird selbst im sonst so bürokratieversessenen Deutschland nicht statistisch erfasst. Sicherungsverwahrung ist zum Glück selten. Lediglich 448 Verwahrte saßen im Jahr 2008 in deutschen Gefängnissen. ABER – Sicherungsverwahrung wird immer „beliebter“. Seit 1984 steigt die Zahl der Betroffenen kontinuierlich. Damals waren lediglich 182 Deutsche in Dauerhaft. Es scheint, als sei diese Entwicklung unumkehrbar – Je häufiger Gerichte Sicherungsverwahrungen aussprechen, umso niedriger ist die Hemmschwelle des nächsten Richters ebenso zu entscheiden. Mit dem Anstieg der Fallzahlen geht so auch eine Ausweitung des Tatkatalogs einher. Immer mehr Delikte „reichen“ für die unbefristete Inhaftierung.

Tragischer Höhepunkt dieses für die deutsche Justiz wenig schmeichelhaften Trends ist die Verurteilung des 62-jährigen Esseners Ewald N. Ende Januar. Im noch nicht rechtskräftigen Urteil (der Betroffene hat Revision beantragt) erklärte der Richter den mehrfach wegen Drogenhandels vorbestraften als „mit Haft nicht zu beeindrucken“. Der von der Staatsanwaltschaft bestellte Psychiater bezeichnete ihn Pressvertretern gegenüber gar als „Berufsverbrecher“.
Richter Bernd Koß verurteilte Ewald N. daraufhin zu sechs Jahren Haft und ordnete die Unterbringung in Sicherungsverwahrung an. Für die meisten Medien, die den Fall überhaupt zur Kenntnis nahmen, war die Sache klar: Rund ein Dutzend einschlägige Verurteilungen + aktuell fünfmal mehr als ein Kilo Marihuana aus den Niederlanden besorgt = einsperren und Schlüssel wegwerfen!
Für die Hanfszene war die Sache ebenso klar. In vielen Foren und Kommentaren war zu lesen: Wer diesen alten, herzkranken Mann wegen ein bisschen Gras für immer wegsperrt, kann nicht mehr alle Tassen im Schrank haben. Für einen 62-Jährigen sei das wie „Todesstrafe auf Raten“.
Eine objektive Bewertung fällt angesichts des Gewichts des Urteils schwer. Auch der Vergleich mit ähnlich gelagerten Fällen bringt keine Aufklärung – zu eng hängt die Betrachtung der Entscheidung von der privaten Einstellung zu Cannabis ab.
Die einen sehen im Hanfhandel allenfalls ein Kavaliersdelikt und verweisen darauf, dass Ewald N. kein „besonders gefährlicher Straftäter“ sei. Immerhin werden selbst notorische Diebe nicht für immer weggesperrt. Cannabisgegner werfen ihm vor, tausendfaches Leid verursacht und sich daran bereichert zu haben. Wer wie er darüber hinaus unbelehrbar sei, müsse die Konsequenzen tragen, immerhin stehe Drogenhandel im Strafrecht „auf einer Stufe“ mit Taten wie Vergewaltigung. Beide können mit maximal 15 Jahren Haft geahndet werden. Auch die Führungsaufsicht (jahrelange Überwachung und Betreuung in Freiheit zur Vermeidung weiterer Taten) kann für beide Delikte ausgesprochen werden. Und einen dutzendfachen Vergewaltiger würde doch niemand auf der Straße haben wollen …
Welcher dieser Argumentationen des Hessischen Oberlandesgerichts folgen wird, weiß derzeit niemand. Es ist jedoch zu befürchten, dass das Urteil bestand hat. Zur Panik besteht trotzdem kein Grund: Für Hanffachhändler und -anbauer wäre selbst eine verlorene Revision keine ernstzunehmende Bedrohung. Den bereits absurd hohen Strafandrohungen würde zwar formal eine weitere hinzugefügt, die Anordnung der Sicherungsverwahrung für Hanfdelikte wird jedoch auf absehbare Zeit eine extreme Ausnahme bleiben.
Im täglichen Leben werden uns der Kampf mit Polizeikontrollen und Führerscheinstellen auch in Zukunft weit häufiger beschäftigen.

Freiheit allen Hanfgefangenen
Kein Knast für meinen Fachhändler!

Mehr Informationen auf:

derwesten.de”Sicherungsverwahrung für Berufsverbrecher”

tagesschau.de

www.gruene-hilfe.de

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