Montag, 5. Mai 2008

Warum Cannabis bei Migräne hilft

Es gibt eine Anzahl von Erkrankungen, bei denen das natürliche Cannabinoidsystem des Körpers gestört ist. Eine solche Störung kann entweder die Entstehung der Krankheit selbst begünstigt haben oder aber eine Reaktion des Organismus auf die Erkrankung im Sinne eines Selbstheilungsversuchs darstellen. Bei der Migräne und anderen Kopfschmerzformen ist vermutlich beides der Fall.

Die Migräne wird als Erkrankung häufig unterschätzt, sie kann jedoch das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.

Etwa 14 Prozent der weiblichen und 8 Prozent der männlichen Erwachsenen sind von der Erkrankung betroffen, in einem unterschiedlichen Ausmaß. Neben oft halbseitigen Kopfschmerzen kann die Migräne mit Übelkeit und Erbrechen sowie Sehstörungen und anderen Symptomen einhergehen. Die meisten Betroffenen sprechen auf verfügbare Medikamente an, häufig jedoch nur unzureichend.

Die Verwendung von Cannabisprodukten bei der Migräne hat eine lange Geschichte. So gibt es entsprechende mehr als 1000 Jahre alte Berichte aus der ayurvedischen (indischen) und der arabischen Medizin. Erste Berichte von europäischen Ärzten stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zu den Ärzten, die von einer erfolgreichen Verwendung berichteten, zählte beispielsweise der Leibarzt von Königin Victoria, Sir Russel Reynolds. Cannabis wurde in dieser Zeit vor allem als oraler Extrakt verwendet und als „hervorragendes Mittel“ bezeichnet. Cannabis wurde sowohl prophylaktisch als auch akut zur Kupierung von Anfällen verwendet. Mit dem Einzug der chemischen Medikamente in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam auch die Verwendung von Cannabis bei Migräne aus der Mode. Auch in der jüngeren Zeit wurden keine klinischen Studien mit Cannabisprodukten bei dieser Erkrankung durchgeführt, sodass Kenntnisse über ihre Wirksamkeit weiterhin auf einzelnen Fallberichten bzw. Erfahrungen von Patienten beruhen.

Die moderne Grundlagenforschung liefert eine Anzahl von Hinweisen auf mögliche Mechanismen, die diese Wirksamkeit erklären können. Beispielsweise untersuchte eine Studie aus dem Jahr 2004 die mögliche Rolle des Cannabinoid-1-Rezeptors bei der Regulierung der Spannung bestimmter Blutgefäße im Gehirn. Das Endocannabinoid Anandamid war in der Lage die durch verschiedene Substanzen verursachte Weitung der Blutgefäße in der harten Hirnhaut zu hemmen. Die Forscher schlossen daraus, dass dieser Cannabinoidrezeptor an Prozessen beteiligt ist, die Kopfschmerzen und eine Weitung der Blutgefäße in der harten Hirnhaut verursachen. Die gleiche Arbeitsgruppe des neurologischen Instituts in London fand im Jahr 2006 heraus, dass die Aktivierung von Cannabinoid-1-Rezeptoren eine Hemmung der Aktivität der Nervenzellen für die Blutgefäße im Bereich des Trigeminusnerven (ein Nerv im Kopfbereich) bewirkt. Es ist bekannt, dass Migräne mit einer Aktivierung oder einer Wahrnehmung der Aktivierung dieses Blutgefäßsystems einhergeht. Sie schlossen daraus, dass Cannabinoidrezeptoren „ein therapeutisches Potenzial bei Migräne, Cluster-Kopfschmerzen und anderen primären Kopfschmerzen haben könnte“.

Eine italienische Arbeitsgruppe fand heraus, dass das Endocannabinoidsystem bei chronischer Migräne gestört zu sein scheint. So waren die Konzentrationen von Endocannabinoiden in der Hirnflüssigkeit von Migränepatienten im Vergleich zu Gesunden deutlich erniedrigt. Sie vermuten, dass diese Störung zu „chronischen Kopfschmerzen beitragen kann“. Auch die Endocannabinoid-Konzentrationen in den Blutplättchen waren bei Patienten mit Migräne und mit Kopfschmerzen durch Medikamentenmissbrauch im Vergleich zu einer Kontrollgruppe erniedrigt. Aber auch die Proteine, die für den Abbau des Endocannabinoids Anandamid verantwortlich sind, waren in den Blutplättchen von Patienten mit Kopfschmerzen reduziert. Die Wissenschaftler, die diese Ergebnisse Anfang 2008 veröffentlichten, vermuten, dass diese Veränderungen „ein adaptives Verhalten, das durch chronische Kopfschmerzen und/oder Medikamentenmissbrauch verursacht wurde, reflektieren könnten“. Wenn die Konzentration der Proteine, die Endocannabinoide abbauen, erniedrigt ist, werden weniger davon abgebaut, sodass ihre Konzentration tendenziell ansteigen würde. Das würde also eine sinnvolle Maßnahme zur Selbstheilung des Organismus darstellen, um einer weiteren Absenkung des Endocannabinoidspiegels entgegenzuwirken.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Konzentration der Endocannabinoide bei verschiedenen Kopfschmerzformen erniedrigt ist, was zu dieser Neigung beitragen kann. Der Körper versucht offenbar, diesem Mangel durch eine Verringerung des Abbaus dieser körpereigenen Cannabinoide entgegen zu wirken. Die Beteiligung des Endocannabinoidsystems an der Entstehung chronischer Kopfschmerzen hilft zudem bei der Erklärung der Wirksamkeit von THC und Cannabis bei diesen Erkrankungen.

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