Montag, 5. September 2022

Die Cannabis-Community verliert ihren Anwalt

Ein Nachruf von Sadhu van Hemp

Cannabis Ströbele
Foto: Olaf Kosinsky (kosinsky.eu) – Lizenz: CC BY-SA 3.0-de

 

 

Heute vor einer Woche obsiegte der Krebs über den Mann, der zeit seines Lebens nicht nur ein Herz für Potheads, sondern für alle von Staat und Gesellschaft unterdrückten Menschen hatte. Hans-Christian Ströbele war der, der als „Staatsfeind“ der Bundesrepublik Deutschland einen der vorderen Listenplätze einnahm und bis zuletzt ein unbeugsamer Verfechter rechtsstaatlicher Werte war. Der Dienst am Mitmenschen prägte sein Leben, und das stets voll mutiger Überzeugung gepaart mit absichtsloser Güte. Alle positiven Eigenschaften dieses Mannes aufzuzählen, wäre des Guten zu viel. Kurz gesagt, „Ströbi“, wie ihn seine Kreuzberger GenossInnen nannten, war einfach nur ein anständiger Kerl, dessen Lebensphilosophie darauf fußte, den Einzelnen allzeit gegen den Staat in Schutz zu nehmen und den Staat immer vom Individuum aus zu denken.

 

Für die Mehrheit der angstgetriebenen Deutschen war Ströbele jedoch die Hassfigur schlechthin. Und das nicht nur in rechtsextremen Kreisen. Die Sozialdemokraten entzogen ihm das Parteibuch, die Christdemokraten verunglimpften ihn als „Terrorist“ und „Drecksau“, und das Landgericht Berlin verurteilte ihn, den RAF-Anwalt, wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung. Bis zuletzt wurde er als linksgrün versiffter Gutmensch angefeindet, der das Nest beschmutzt und fortwährend Hochverrat am Vaterland übt. Und so fand sich 2002 kurz vor der Bundestagswahl auch ein Nazi-Soziopath, der Ströbele mit einem Teleskopschlagstock von hinten auf den Kopf schlug.

 

Und ja doch, Ströbele hat ihnen kräftig am Bart gezogen, den Vertretern des Establishments, der Bourgeoisie, des Spießbürgertums und der Ewiggestrigen – ob als Anwalt oder Parlamentarier. Er war der Mann der ersten Stunde, als 1978 die Alternative Liste in Westberlin gegründet wurde; er ist über seinen Tod hinaus schuld daran, dass die „taz“ in der Ödnis der deutschen Zeitungslandschaft überlebt hat; er war der erste Grünen-Politiker der ein Direktmandat für den Deutschen Bundesstag gewann. (Angemerkt sei, dass der gute Ströbele mit seiner Kritik selbst vor den eigenen Parteigenossen nicht zurückschrak. So distanzierte er sich 2002 bei seinem Wahlkampf in Kreuzberg-Friedrichhain vom außenpolitischen Kurs der Grünen und plakatierte: „Ströbele wählen heißt Fischer quälen“.)

 

Einen sensationellen Auftritt legte Ströbele 2002 bei der alljährlich in Berlin stattfindenden Hanfparade hin. Die Cannabis-Freigabe war ihm über die vielen Jahrzehnte zur Herzensangelegenheit geworden. Nachdem die Polizei unter laustarkem Protest der Teilnehmer ein paar Dutzend Nutzhanfpflanzen beschlagnahmt hatte, trat Ströbele vors Mikrofon und es fielen jene vier Wörter, die zum geflügelten Wort wurden „Gebt das Hanf frei!“ rief er den Ordnungshütern zu, die glaubten, zum Schutze der Bevölkerung eine schwere Straftat abgewehrt zu haben.

 

Dem Musikproduzenten Stefan Raab diente Ströbeles Ansage an die Polizei als Grundlage für ein Lied, das er mit dem Reggae-Pop-Sänger Shaggy einspielte. Es war die Zeit, als die Cannabis-Community noch daran glaubte, dass eine Neuauflage des Schröder/Fischer-Regimes das Ende der Hanfprohibition mit sich bringen würde. Der Song hielt sich neun Wochen auf Platz 4 in den deutschen Charts. Bessere Werbung für die Cannabis-Legalisierung hätte es nicht geben können.

 

Kein Zweifel, Hans-Christian Ströbele war einer von uns, obwohl er nicht gekifft und zu Rauschzwecken ausschließlich Milch getrunken hat. Bereits 1969 nahm er sich den Nöten der „Umherschweifenden Haschrebellen“ an, die sich im Berliner Tiergarten zum „Smoke In“ versammelten und von der Polizei reihum mit Strafanzeigen versehen wurden. Das „Sozialistisches Anwaltskollektiv“ um Ströbele in der Meierottostraße war bis 1979 für unsere kiffenden Vorfahren die erste Adresse bei Btm-Delikten.

 

Und Ströbele blieb seinem Ethos und der Cannabis-Community bis ins hohe Alter treu. Immer wieder wies er auf das Unrecht der Prohibition hin. Dreißig Jahre als Anwalt und zwanzig Jahre als Parlamentarier hat er den Anti-Drogen-Kriegern die Stirn geboten und Solidarität mit den Opfern gezeigt. Größter Dank sei ihm dafür gezollt, und sein Vermächtnis soll unser Auftrag sein, den Mächtigen immer und immer wieder zuzurufen: Gebt das Hanf frei – sofort, unverzüglich!

 

 

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

Schnelles Login:

2 Kommentare
Ältester
Neuster Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare zeigen
Rogg
1 Jahr zuvor

Danke Sadhu,
eine wichtige Galleons Figur ist nicht mehr. RIP….Hans…

In einer Zeit der gewollten Legalisierung ( mal sehen was draus wird) wird er fehlen…

CaPot
1 Jahr zuvor

…keine schönen Nachrichten – ein großartiger Mann, man sollte ihn nie vergessen!