Samstag, 10. Januar 2015

Gras und bunte Pillen

Ein HIV-Patient im Gespräch

 

Autor: KIMO

 

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Das ist jetzt schon mein vierter Bericht über die private Hanf-Apotheke von Andreas. Ich war bereits 2006,2009 und 2011 beim dem HIV-Patienten zu Besuch, der sich seit mittlerweile zwei Jahrzehnten selbst mit Cannabis medikamentiert. Er wohnt irgendwo in Deutschland, hat seit 1991 Aids, 1994 ist der Virus ausgebrochen. Anfangs hielt Andreas die Diagnose für sein Todesurteil, doch mithilfe anti-viraler Medikamente, guter Ärzte und nicht zuletzt Cannabis, ist sein Zustand seit sechzehn Jahren stabil. Trotz der eindeutigen Diagnose hat Andreas noch keinen Antrag bei der Bundesopiumstelle auf eine Ausnahmegenehmigung zum Import von Cannabisblüten gestellt, da er den Papierkrieg nach wie vor scheut. „Was soll ich einen Antrag stellen, wo ich eh kein Gras anbauen darf, selbst wenn der genehmigt wird? Die Kasse zahlt es auch bei Aids nicht und Dronabinol, das mir mein Doc vor Jahren sogar mal genehmigt hatte, vertrage ich lange nicht so gut wie mein eigenes Gras. Ich verfolge die Entwicklung aufmerksam mit, zurzeit bekommen die Patienten ja nicht mal Gras aus der Apotheke, weil Fagron nicht liefern kann. Mit dem Papier vom BfArM könnte ich wenig anfangen, das würde dann höchstens als Schmuck für meine Growkammer taugen. Für mich hieße Lieferschwierigkeit, dass ich meine bunten Pillen auskotze und die Virenlast stiege. Die habe ich so momentan so gut im Griff, dass selbst mein langjähriger Hausarzt verwundert ist. Die Energie, die mich so ein Antrag kostet, steck’ ich lieber in meine Ladys. Deshalb bist Du ja auch hier.“

 

#1
#1

 

Stimmt. Bevor wir uns in seine Besenkammer begeben, raucht Andreas noch eine kleine Bong seiner letzten Ernte. „Unknown#1“. Er ist mittlerweile Mitte Fünfzig und wirkt genauso fit wie bei meinem ersten Besuch vor neun Jahren. Seine Besenkammer beherbergt immer noch eine Homebox(100 x 100 cm) und eine kleine vegetative Kammer der Marke „Eigenbau.“ Schon auf den ersten Blick bemerke ich, dass er jetzt zwei verschiedene Mutterpflanzen hat, für Stecklinge ist in einer  abgetrennten Ebene unter den beiden Muttis Platz. Die Grundfläche beider Ebenen der Mini-Box beträgt je rund 40 x 70 Zentimeter.

 

Der Nachwuchs

 

Die ältere der beiden Mutterpflanzen ist bereits gut verzweigt, die jüngere besteht bislang nur aus vier Trieben. Beide sind ungefähr 60 Zentimeter hoch, die Etage für den Nachwuchs ist gerade verwaist.

„Ich komme gerade nicht zum Beschneiden, die Mutterpflanze stößt schon fast gegen die Lampe und ich brauche auch Nachwuchs für den kommenden Durchgang, schließlich will ich in ein paar Tagen angefangen zu ernten. Ich habe jetzt zwei Sorten, denn ich hatte es satt, immer nur einen Strain zu rauchen. Du weißt ja, dass ich Cannabis aus drei Gründen gegen AIDS konsumiere: Erstens würde ich die Hand voll bunter Pillen, die ich jeden Morgen einnehmen muss, ohne Weed wieder auskotzen. Zweitens esse ich Gras sei Dank gut und regelmäßig, so dass ich nur mit Cannabis in der Lage bin, mein Gewicht zu halten. Bevor ich dann gegen 11 Uhr die erste feste Nahrung zu mir nehme, rauche ich gerne etwas, was meinen Appetit so richtig anregt, mir die „Munchies“ verschafft. Drittens hilft mir die stimmungsaufhellende und entspannende Wirkung, meine Krankheit hinzunehmen und mit den physischen und psychischen Beeinträchtigungen umzugehen. Das war besonders in der Anfangszeit wichtig, als ich dachte, ich muss sterben. Diese Seite wird oft unterschätzt, wenn mal wieder über neue Cannabis-Medizin aus dem Labor ohne psychoaktive Wirkung berichtet wird. Die kann mir gestohlen bleiben.

Ich brauche demnach auch verschieden wirkendes Cannabis, je nachdem, wo der Schuh gerade drückt. Morgens, wenn ich meine Pillen nehme, ist mir was leichtes mit relativ hohem CBD-Gehalt wichtig. Das entkrampft und lindert das Kotzgefühl.

 

#2
#2

 

Deshalb habe ich mir einen relativ „kristallarmen“ Phänotypen einer meines „Sensi Indoor Mixes“ selektiert, von dem ich annehme, dass er relativ viel CBD enthält. Ich habe den Indoor-Mix extra als Grundlage für meinen Grow genommen. So bin ich sicher, dass ich nicht nach Namen, sondern ausschließlich nach Eigenschaften auswähle. Ich habe gemerkt, das dazu Sativa-lastige Strains, die nicht allzu potent sind, am besten sind. Also habe ich mir als Appetitanreger meine Sensi#1 gezüchtet. Die hat ähnliche Eigenschaften wie die gute, alte White Widdow, mit der ich vor vielen Jahren angefangen hatte. Für Tage, an denen es mir so richtig scheiße geht, brauch einen echten Knaller, der mich so richtig ins Sofa drückt, mich kann schon ein kleiner Schnupfen ganz schön aus der Bahn werfen. Die Indica-lastige „Unknown #2“ ist an solchen Tagen genau richtig. Ich habe es zwar noch nicht messen können, aber ich schätze, dass die „Unknown#2“ locker über 20 Prozent THC und ganz wenig CBD enthält. Die rauche ich auch nur, wenn ich mir mal wieder den Magen auskotze oder ich auf die eine oder andere unangenehme Art spüre, dass der HI-Virus meinen Körper seit 23 Jahren besiedelt hat. Bei der Weiterverarbeitung der Erntereste zu Haschisch mische ich beide Sorten. Ich trenne schon verschiedene Qualitäten, ein Trennen nach Sorte wäre zu aufwändig und bei meinen neun Pflanzen einfach nicht lohnenswert. Auch wenn ich früher aus ein und demselben Samenpaket zehn Seeds selektiert habe, waren sowieso nie alle Phänotypen gleich, ich habe da immer die Wahl zwischen zwei, manchmal sogar drei oder vier unterschiedlichen Vertreterinnen der gleichen Sorte. Im Vergleich dazu war der Mix nicht besonders anders, ich hatte  fünf Phänotypen, die im Wuchs- und Erscheinungsbild total unterschiedlich waren. Übrig geblieben ist die relativ kleine „Unknown#1“ mit eher länglichen Blättern sowie festen kompakten Blüten, die nach 60-65 Tagen fertig ist. Die andere, meine „Unknown#2“, wird gute 30 Prozent höher, hat eher breite Blätter und ihre Blütenabstände sind größer. Sie blüht ungefähr genauso lange, im Verhältnis zur Länge hängt weniger Weed dran, aber insgesamt sind beide ungefähr gleich ertragreich.“

 

Die Hardware

 

Andreas möchte schon die Blütebox öffnen, doch ich möchte noch ein wenig beim vegetativen Teil seines Indoor-Kunstwerks verweilen. Als Beleuchtung dient ein T5 Leuchtmittel mit 150 Watt Leistung, Lichtfarbe 6400k, das der Heim(lich)gärtner möglichst dicht über die Spitzen der Pflanzen aufgehangen hat, da CFL-Leuchtmittel grundsätzlich nur eine sehr geringe Tiefenwirkung haben. Für die Stecklinge hat Andreas 2 x 18 Watt Philips Master-Reflex Röhren, die von innen einen Reflektor aufgesprüht haben, so dass kein Licht nach oben verloren geht. Ein echter Geheimtipp, den nicht viele Growshops im Angebot haben.

 

Über der Tür der Besenkammer hängt ein schallisolierter Schneckenhauslüfter (500m³/Stunde), der in beiden Kammern für ein gutes Klima sorgt. Natürlich hat Andreas in beiden Boxen einen Aktivkohlefilter installiert, denn auch frisch beschnittene Mutterpflanzen und Stecklinge können ein sehr kräftiges Aroma entwickeln. In der vegetativen Kammer auf einen Filter zu verzichten, ist einfach unvorsichtig. Zur Vermeidung unnötiger Geräusche und Gerüche hat Andreas noch einen Schalldämpfer sowie ein Ona-Duct Geruchsneutralisator in die Abluft integriert. Die Stecklings-Etage ist nicht höher als 50 Zentimeter und bietet gerade so Platz für ein normales sowie ein Mini-Gewächshaus.

 

„Für Stecklinge reicht das vollkommen aus und eine extra Box wäre für meine Verhältnisse viel zu groß“, erzählt mein Gastgeber. „Ich muss die #1-Mutti unbedingt beschneiden, da kommen bestimmt fast 50 Stecklinge runter. Die #2 ist noch ein wenig jünger, die wirft nur 20 ab schätze ich. Die meisten verschenke ich an einen Kollegen aus meiner HIV-Selbsthilfegruppe, mir selbst reichen ja immer neun. Von meinen „Leidensgenossen“ nutzen nicht gerade wenige den positiven Einfluss von Cannabis auf den Krankheitsverlauf und mein Wissen über den Anbau. Von denen hat sogar einer eine Ausnahmegenehmigung – aber nie Geld für Apotheken-Gras. Ich gebe auch ganz selten Gras, das ich selbst nicht rauche, an Leute aus der Gruppe ab, falls ich mal was übrig habe. Aber das ist ein zweischneidiges Schwert, denn ich will nicht mehr anbauen, als ich eigentlich brauche. Ich könnte es aber schon allein aus Gewissensgründen niemanden vorenthalten, der es braucht. Da wäre ich ganz schnell der Weed-Doc, also der Versorger. Soweit soll es aus Gründen der eigenen Sicherheit erst gar nicht kommen. Anbau und Hilfe zu selbigem aus medizinisch gerechtfertigter Not geht gerade noch so, Handel und Weitergabe gar nicht.“

 

Alle Neune

 

In den Moment, in dem mein Gastgeber die Reißverschlüsse der Homebox öffnet, scheint die Sonne in die Besenkammer: Ich sehe mich mit neun Ladys konfrontiert, die allesamt prächtig entwickelt sind und kurz vor der Ernte zu stehen scheinen. Bevor mir Andreas die Details zu den beiden Sorten erläutert, möchte ich kurz auf die Hardware eingehen, mit der Andreas seine dicken Dinger züchtet. Die 1m² Homebox wird mithilfe eine elektronischen, 400 Watt Vorschaltgerätes, einem Osram Blüteleuchtmittel und dem alt bewährten Adjust-a-Wings Reflektor gleichmäßig ausgeleuchtet. Für die Abluft sorgt der extern angebrachte Schneckenhauslüfter, der auch die vegetative Kammer entlüftet. Das sorgt für mehr Platz in der Box. Zusätzlich hat der Untergrund-Botaniker eine mehrere Clip-Ventilatoren für eine gute Umwälzung der Luft, Gelbtafeln zur Früherkennung von Ungeziefer und einen Thermo-Hygrometer im Pflanzraum hängen. Als Medium dient Bio-Erde, unter die Andreas noch zehn Prozent Perlite mischt. Jede Pflanze steht in einem acht Liter Topf und hat so ausreichend Platz. „ Die #2 wird bei einer Vorwuchszeit von zehn bis vierzehn Tagen viel höher als die #1, wie man an den drei vorderen Damen sehen kann. Beim nächsten Mal, wenn ich diese beiden Sorten stelle, beschneide ich in der vegetativen Phase die Spitze der #2. Wenn ich sie als Steckling schon so beschneide, dass sie zwei Tops ausbilden, werden sie insgesamt nicht ganz so hoch. So ist der Höhenunterschied zu Strains, die nicht so hoch wachsen, nicht so immens. Die wäre sicher noch zehn Zentimeter niedriger geblieben und ich hätte die Lampe nicht so hoch hängen müssen. So habe ich die beiden kleinsten „Unknown#1“ auf umgedrehte Kübel gestellt, damit der Höhenunterschied nicht allzu groß ist. Es ist nie einfach, einen echt guten Kompromiss zwischen optimaler Lichtausbeute und Sortenvielfalt hinbekommen. Früher hatte ich manchmal drei oder vier Sorten pro Durchgang, indem ich zu den Steckis noch feminisierte Samen benutzt habe. Meistens war das Wuchsbild aber so ungleichmäßig, dass die Lampe für die kleinen Ladys viel zu hoch gehangen hat.“

 

Hinter den drei großen #2 stehen sechs fast ausgereifte Prachtexemplare der „Unknown#1“ die gute 80 Zentimeter hoch sind. Die Stiele können die fetten Buds nur mit Hilfe von Pflanzen-Jojos tragen. Man sieht und riecht, dass die Harzproduktion gerade in vollem Gange ist, Andreas gibt ihnen noch eine knappe Woche. Alle neun haben schon seit dem letzten Gießvorgang vor drei Tagen nur noch klares Wasser bekommen, damit das Gras vor dem Ernte- und Trockenvorgang auch wirklich alle Nährstoffe aufbraucht. Gedüngt wurde bei dieser Ernte das allererste Mal rein biologisch, bei meinen letzten Besuchen hatte Andreas noch einen Drei-Komponenten Dünger und verschiedene Zusätze benutzt.

 

„Ich wollte endlich mal alles ganz organisch haben und habe mir das volle Green Buzz Programm besorgt. Ich habe auch schon anderen Bio-Dünger ausprobiert, aber der roch mir zu streng. Der Ertrag sieht eigentlich aus wie immer, ich schätze, dass es wieder um die 350 Gramm werden, das ist so mein Schnitt. Obwohl mein Growshop gesagt hat, man müsse genau nach Plan düngen, weil bei Bio-Dünger das Messen mit Ec-Gerät „so eine Sache sei“. Ich konnte die Begründung des freundlichen Verkäufers nicht ganz nachvollziehen und habe gedacht: Probier‘s einfach mal aus, denn die Angaben in Milliliter sind ja eigentlich viel ungenauer als mein schickes EC-Messgerät. Also habe ich wie bei mineralischem Dünger auch in der ersten Woche mit 1,2 mS angefangen und mich sukzessive bis auf 2,1mS in der vierten oder fünften Woche gesteigert, um dann wieder langsam weniger zu düngen. Um die Erde nicht zu überdüngen, wurden aber nur bei jedem zweiten Gießen Nährstoffe zugefügt und in der fünften Blütewoche einmal kräftig mit klarem Wasser gespült. Gegossen habe ich alle zwei Tage, anfangs rund 700, später dann 1000ml pro Pflanze. Ganz penible Grower hätten die beiden Strains wohl unterschiedlich gedüngt, ich denke die #2 verträgt mehr Dünger als die #1, aber ich bin nicht so einer. Den pH-Wert habe ich, auch wenn Herr Schlau aus dem Shop meinte, dass das auf Erde nicht nötig sei, gemessen und konstant bei 6,0 – 6,2 gehalten. Mein Leitungswasser ist von Natur aus ein wenig zu basisch, so dass ich immer ein paar Tropfen Phosphorsäure zugeben muss. Übrigens nehme ich die Phosphorsäure auch für die Nährlösung bei wachsenden Pflanzen, weil der Phosphor die Wurzelbildung unterstützt. Die Verwendung von Salpetersäure als pH-Senker halte ich persönlich für überflüssig, „pH-minus Bloom“ geht in allen Entwicklungsstadien“

 

Der richtige Erntezeitpunkt

 

Seltsame Auswüchse
Seltsame Auswüchse

 

Besonders bei der #1 kann man sehen, dass die Entwicklung der Härchen nicht immer Auskunft über den Reifegrad gibt, die THC-Tröpfchen auf den Trichomköpfen schauen unter Andreas‘ Mikroskop schon fast reif, weil milchig aus, während die Härchen am Topbud gerade mal anfangen, rotbraun zu werden. Mein Gastgeber nutzt am Ende des Zyklus’ immer ein Mikroskop, um den richtigen Erntezeitpunkt auszumachen. Werden die Kristalltropfen auf den Trichomen langsam milchig, ist es an der Zeit, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Selbst bei Strains, die er schon länger züchtet, gibt es da immer wieder Unterschiede beim Erntezeitpunkt. „Manche sehen nach 60 Tagen schon aus wie andere nach 65, wieso das so ist, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht.“ Das Aroma der Indica-lastigen „Unknown2“ ist ziemlich narkotisch, die #1 riecht dafür ein wenig süßer, fast wie das legendäre Orange-Bud, allerdings  mit leichter Zitrus-Note. Leider konnten wir nur noch ein paar Reste #1 der vergangenen Ernte verkosten, auch der beste Grower ist manchmal kurz vor der Ernte knapp bevorratet. Doch auch die Standard-Sorte meines Gegenübers hat voll überzeugt, war es doch extrem gut ausgereift und fast zwei Monate kühl gelagert.

 

Noch fünf Tage
Noch fünf Tage

 

Die Besenkammer wäre für unsere mittlerweile traditionelle „Good-Bye Bong“ ungeeignet, also bittet mich Andreas zur Verkostung ins Wohnzimmer. Außerdem, so meint er, mögen es Mädels nicht, wenn man ihre Schwestern vor ihren Augen in Luft aufgehen lässt.

 

Beim letzten Köpfchen des Tages erklärt mir mein Gastgeber, dass sein Hausarzt mittlerweile umdenke. Früher habe er die Cannabis-Therapie schweigend hingenommen, mittlerweile sei er rege interessiert. Denn sein Doc hat nach über 20 Jahren gemerkt, dass Andreas der fitteste HIV-patient ist, den er je behandelt hat – bei einem durchschnittlichen Konsum von zwei bis drei Gramm Gras pro Tag. Früher hätte ihn sein Arzt nie bei seiner Therapie unterstützt, heute würde Andreas sogar die Ausnahmegenehmigung bekommen, für die er ihn noch vor Jahren ausgelacht hatte. “Damals hat es Monate gedauert, bis er mir endlich Dronabinol verschrieben hat, aber wohl auch nur, weil ich ihn immer wieder gedrängt habe und es kein großer Aufwand für ihn war. Mit einer Ausnahmegenehmigung wollte ich ihm gar nicht kommen. Jetzt könnte ich wohl, aber ich habe ja schon erzählt, wie wenig es mir bringen würde. Wecke keine schlafenden Hunde ist da schon eher meine Devise.“

 

 

Gesund, nicht breit

 

Für manche hören sich die 350 Gramm, die der Medizinalgärtner alle drei Monate erntet, vielleicht viel an, aber das reicht gerade mal, um über die Runden zu kommen. Was dabei oft nicht bedacht wird, ist die Toleranz, die sich bei Patienten, die täglich Cannabis einnehmen müssen, einstellt. Andreas zum Beispiel braucht ungefähr drei Gramm Cannabis am Tag und ab und zu selbst gemachtes Haschisch, weil das dem Magen besser bekommt, wenn ihn die Nebenwirkungen der Medikamente quälen. Da reichen die 350 Gramm gerade so bis zur nächsten Ernte: Knapp 100 im Monat zum Rauchen und 60 Gramm werden genutzt, um circa fünf Gramm Haschisch daraus zu machen. Zur Herstellung des Haschs nimmt Andreas einfache Tücher und Schüsseln. Er habe diese Art, Haschisch zu machen, vor vielen Jahren auf einer Reise nach Marokko kennengelernt und sich daran erinnert. Andreas ist nicht der erste, der mir über die europäische Adaption der marokkanischen Hasch-Technik erzählt. Unser Freund Henk Paschulke hat im Hanf Journal schon mal vor sechs Jahren genau erklärt, wie man mit einfachsten Methoden gutes Haschisch sieben kann.

 

Eine Menge von drei Gramm pro Tag ist eine durchaus normale Menge für einen Patienten, der aufgrund seines Krankheitsbildes mehrmals täglich konsumieren muss. Patienten, die so hoch dosiert sind, entwickeln schnell eine Toleranz und laufen deshalb nicht den ganzen Tag high durch die Gegend. „Die psychedelische Wirkung, die ich als jugendlicher Gelegenheitskonsument vor 30 Jahren hatte, tritt bei mir nicht mehr ein. Dafür müsste ich ein paar Wochen Pause machen, wozu ich aber in meiner Situation nicht die Möglichkeit und ehrlich gesagt auch gar keine Lust habe. Neben der direkten, linderten Wirkung entspannt es mich lediglich, es verwirrt nicht. Ich weiß, dass das für Nicht- oder Gelegenheitskonsumenten komisch klingt, das ist aber so. Ich habe zum Spaß mal einen freiwilligen Reaktions- und Konzentrationstest beim „Tag der Offenen Tür“ des TÜV machen lassen, kurz nachdem ich eine große Dosis meiner Medizin genommen habe. Ich hatte ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis. Aber keine Angst, ich fahre sowieso kein Auto und gerate diesbezüglich nicht in Gewissenskonflikte aufgrund einer eventuellen Verkehrsteilnahme.“

 

Was Andreas sagt, wird vom führenden Cannabinoid-Mediziner Deutschlands, Dr. Franjo Grotenhermen, bestätigt: „Regelmäßiger Cannabiskonsum führt zur Entwicklung von Toleranz. Das bedeutet, dass die gleiche Cannabismenge nach längerem Konsum nicht mehr so starke Wirkungen verursacht wie in den ersten Tagen der Verwendung. Beispielsweise schwächen sich die euphorischen Wirkungen und die akuten Effekte auf das Gedächtnis ab, sodass die Inhalation einer Cannabiszigarette einen regelmäßigen Konsumenten nicht daran hindert, beispielsweise beruflichen Aktivitäten nachzugehen. Die gleiche Dosis würde einen Anfänger dagegen möglicherweise vollkommen außer Gefecht setzen“ schreibt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin dazu.

 

Auch ich habe nicht den Eindruck, dass ein verpeilter Dauerkiffer, sondern jemand, der eine der schwerste Herausforderungen, denen man sich stellen muss, gemeistert hat, vor mir sitzt – mit viel Mut und Energie und der Hilfe guter Ärzte und nicht zuletzt der illegalen Gartenmedizin. Wenn man bedenkt, dass eine HIV Infektion zum Zeitpunkt seiner Diagnose noch eine stark eingeschränkte Lebenserwartung bedeutete, erscheint die Einstufung seiner lebensrettenden Medizin als illegale Droge geradezu sarkastisch. Bei Dronabinol sei die Wirkung zwar okay gewesen, aber die Zeitverzögerung inakzeptabel. Außerdem sei das Zeug fast so teuer wie seine HIV-Medikamente.

 

„Was für‘n Scheiß. da kann ich mir die beste Medizin selbst für ein paar Euro machen. Anstatt die Krankenkasse einfach die 60 Euro Stromkosten für den Grow übernähme, müsste ich so einen Aufwand betreiben, um dann vielleicht Tropfen zu bekommen, deren Wirkung ich erst 30 bis 90 Minuten nach dem Einnehmen spüre? Alter, da bau‘ ich doch lieber an. Ich glaube, das hält nebenbei auch ganz fit. Auf jeden Fall ist mein Arzt tiptop mit meinen Werten zufrieden. Meine Virenlast hat sich sogar nachweislich verringert, was für meinen Doc ein absolutes Novum bei einem Langzeitpatienten ist. Das war wohl auch der Hauptfaktor seines Umdenkens im Laufe der letzten paar Jahre“.

 

Sagt‘s und kramt aus der Hosentasche noch ein Stück vom selbst gesiebten Haschisch aus der Tasche, das bei Bröseln schon fast zerfließt und nahezu bernsteinfarben ist. Ein echter Knaller zum Abschied, der meinen Aufbruch um eine gute Stunde hinauszögert. „Mach‘s gut, ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr zu meinem 55. Geburtstag. Hätte 1994 nie gedacht, dass ich noch so alt werde, ich denke ich habe mir bis dahin eine neue Jubiläumssorte selektiert.“

 

Im Zug Richtung Heimat wird mir noch einmal klar, wie bigott und schädlich das Anbau-Verbot für Cannabis-Patienten ist. Andreas hat viel Kraft und Mut in den all den Jahren bewiesen. Er ist eher unfreiwillig vom fast hilflosen Patienten ohne ausreichende medizinische Versorgung zu einem selbstbewussten, lebenslustigen Indoor-Fachmann heran gereift ist, der sich seine Medizin ohne große Probleme einfach selbst macht. Hut ab.

 

 

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2 Kommentare
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Littleganja
9 Jahre zuvor

Ich wünsche allen Politikern und vor allem allen Gegnern von Cannabis als Medizin, das sie ein ähnlich schlimmes Schicksal wie Andreas erleiden! Ich bin bei weitem kein Menschenfreund, was mir jedoch auf den Piss geht sind Ungerechtigkeiten. Und diese liegt in diesem Fall wohl eindeutig vor. Hier wird nicht nur auf unser Grundgesetz geschissen, nein viel schlimmer, hier werden Kranke einfach ihrem Schicksal überlassen. Und die Krönung des ganzen, wenn die Kranken Ihre durch das Grundgesetz mehrfach zugesicherte Unversehrtheit beibehalten wollen und das eben nur durch den Konsum & Anbau von Cannabis möglich ist, sie mit einem Bein im Knast stehen und jeden Tag eine erhebliche Psychische Belastung dadurch haben. Man muss eben manchmal auf Augenhöhe geholt werden und wenn… Weiterlesen »

walter
9 Jahre zuvor

Also ich muss dich schon bewundern alle achtung!!!!!!!!!!!

Ich bin61und schlage michschon seit 12Jahren mit einerschweren Art von Narkolepsie herum.
Es giebt zeiten da kann ich tagelang nicht aus dem Haus,da ichdauernd von schweren Kataplexien regelrecht überfallen werde.
Du machst mir mut ,ich glaubeich muss mich auch selbststendig machen.