Dienstag, 5. Oktober 2010

Rolys Silberscheiben des Monats Oktober

Various Artists: G.I. Disco
(The History of the Cold War’s hottest 80’s club music in West Germany)
(bbe music)

Also die Liebhaber von guter Musik sollten inzwischen das Label „BBE Music“ auf dem Schirm haben. Da wird kontinuierlich feinster Sound veröffentlicht, und für diesen Monat möchte ich vier schicke Releases kurz erwähnen, bevor ich auf das fünfte näher eingehe: Das Album „Elephancycle“ von Bara Bröst (schwedisch: nackte Brüste – gleichnamiges neo-feministisches Aktionsbündnis) werden die Fans von groovigem Deep House und funkigem Techno feiern. „Legendary Rockin’ R&B” (im wahrsten Sinne) aus den 50er und frühen 60er Jahren liefern uns Keb Darge & Little Edith, während DJ Spinna & BBE Soundsystem mit „Strange Games & Funky Things 5“ die Freunde von 70’s Soul und Rare Grooves glücklich machen und die Sick Girls auf „Revolution N°5“ mit wilden Sick Tricks & Urban Bass die Membranen wackeln lassen. Das breiteste Grinsen in mein B-Boy-Gesicht zaubern mir allerdings Kalle Kuts & Daniel W. Best mit ihrer „G.I. Disco“ und dem Sound, der hierzulande in den späten 70er, 80er und frühen 90er Jahren immer zuerst im US Army Radiosender AFN sowie den Clubs der in Deutschland stationierten US Soldaten zu hören war. Nicht zufällig entwickelten sich viele der westdeutschen Städte wie Westberlin, Frankfurt a.M., Stuttgart oder meine Geburtsstadt Heidelberg sowohl zu Mekkas für DJs und Feierwütige, als auch zu Keimzellen neuer Musikrichtungen wie Techno oder deutschem Rap. Diese exzellenten Tunes zwischen Soul, Funk, R&B und Disco von Timex Social Club, Freeez, BB & Q Band, The O’Jays, Surface, The Cool Notes sowie Wish ft. Fonda Rae haben meine Kindheit sehr geprägt und zeigen den Einfluss der G.I.s auf die Popkultur der 80er Jahre. Historisch interessant und nach wie vor unheimlich groovy!
www.gidisco.de
www.bbemusic.com


Hjaltalín: Terminal
(kimi records)

Glückliches Island! Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass uns die talentreiche Atlantikinsel mit frischen Künstlern und vielversprechenden Bands versorgt. Ihr bejubeltes 2007er Debutalbum „Sleepdrunk Seasons“ wurde von Benni Hemm Hemm und Gunni Zynes von múm produziert und brachte es auf Gold in Island. Ihr zweites Album nahm die siebenköpfige Band Hjaltalín mit aufwendiger Orchesterbesetzung in einem alten Kaufhaus in der Nähe von Reykjavíks Hafen und im Hljóðriti Studio (Islands ältestes und berühmtestes Studio) auf. Wieder gab es Gold und „Terminal“ wurde von zahlreichen Kritikern in ihrer Heimat wie auch Islands grösster Tageszeitung Fréttablaðið zum besten Album gewählt – „a true masterpiece“ und „the best Icelandic album in years“ hiess es. Nun erscheint „Terminal“ auch in Deutschland, und ich kann mich den Lobpreisungen nur anschliessen. Wie eine Art Musical begeistert Hjaltalín mit den bezaubernden Stimmen von Högni Egilsson und Sigrídur Thorlacius sowie filmischen Orchesterarrangements, die neben Gitarre (Högni Egilsson), Bass (Gudmundur Óskar Gudmundssson) und Drums (Axel Haraldsson) durch Keyboard (Hjörtur Ingvi Jóhansson), Violine (Viktor Orri Arnason) und ein grandioses Fagott (Rebekka Bryndís Björnsdóttir) komplementiert werden. Soul, exzellentes Crooning und umwerfende Chöre sind omnipräsent und begeistern mich vor allem in Songs wie „Suitcase Man“, „Sweet Impressions“, „Feels Like Sugar“, „Song From Incidental Music“, „Montabone“, „Stay By You“, „Sonnet For Matt“ und „Vanity Music“. Mit unglaublichen Soundlandschaften und einem sympathischen Mix aus Euphorie, Melancholie und Romantik nimmt das Septett den Zuhörer von Sekunde 0 an gefangen und lässt ihn bis zum letzten Ton nicht mehr los.
www.myspace.com/hjaltalinband
www.hjaltalinmusic.com


System: B
(rump recordings)

Die Nordlichter unserer Erde sind ja bekannt für schwere Melodien und deepe Electronica, ob das nun an den Temperaturen oder an den kürzeren Tageszeiten liegt, weiss ich immer noch nicht. Aber gerade im Herbst kann ich mir nichts Schöneres vorstellen als melancholische Musik aus Skandinavien, und da kommen mir diese Dänen hier goldrichtig. Was die Elektroniker Thomas Knak (Opiate), Jesper Skanning (Acustic) und Anders Remmer (Dub Tractor) mit ihren Soloaktivitäten leisten, gebührt schon allergrösster Anerkennung. Als „Future 3“ erschaffen sie bereits seit 1994 aber auch zusammen eine wahrhaft hypnotische Musik und zusammen mit Sängerin Sara Savery dürften sie auch einigen als „People Press Play“ ein Begriff sein. Im Jahre 2002 erschien das erste Album unter dem Projektnamen „System“ mit gleichnamigem Titel auf ~scape, und selten klangen digitale Delays derart kraftvoll natürlich. Nach ihrer ziemlich dubsteppigen Tempo EP sind sie nun mit ihrem neuen Werk mit „B“ zurück auf Rump Recordings. Stilistisch bewegen sich die neun Tracks zwischen Ambient und Electronica, auch eine Liebe zum Dub(step) wie in „Alpha“, „Well Blank“ und „Stanley“ sowie zu einer verrauschten Rhythmik sorgen für diese wohlfühlige Wärme. Traumhafte Klangschaften wie „Drk“, „Stars“, „Wouldn’t“ und „Meadow And Stuff“ sind der (!) Soundtrack für meine Lieblingsjahreszeit. Spätestens jetzt verstehe ich, warum Björk mit Thomas Knak für zwei gemeinsame Produktionen zusammengearbeitet hat. Mit den Jungs würde ich jetzt auch gerne Kastanien sammeln. Herbst Vibes!
www.myspace.com/cphsystem
www.rump-recordings.dk


Gonjasufi: The Caliph’s Tea Party
(warp records)

Nachdem der Sohn koptischer Christen die Bekanntschaft mit dem Islam, insbesondere mit dessen mystischer Strömung, dem Sufismus, macht, nennt er sich Gonjasufi, lässt sich zum Yogi ausbilden und erteilt Yoga-Unterricht. Inzwischen schwärmen Flying Lotus, J Dilla-Buddy Mainframe und The Gaslamp Killer von der Stimme des dreadgelockten Ex-Rappers und beteiligten sich an seinem Debüt „A Sufi And A Killer“, welches im Frühjahr bereits auf Warp erschien und als „psychedelischer Electro-Hop-Ethno-Blend mit Ritualgesängen“ gefeiert wurde. Unter dem Titel „The Caliph’s Tea Party” folgt nun eine hervorragende Remixversion dieses Werks, die sich anhört wie ein neues Studioalbum. Gonjasufi, der sich auf der Flucht vor Polizeiwillkür und Repression in die Abgeschiedenheit der Mojave Wüste zurückzog, hat eine Schar von Künstlern in seine musikalische Welt eingeladen. Mark Pritchard beschwört Ennio Morricone mit einer epischen, dystopischen Orchestrierung auf seinem Remix von „Ancestors“ ohne dabei die Gravität der originalen Produktion von Flying Lotus zu verlieren. Für weitere brilliante Bearbeitungen sorgen u.a. Bibio, Dam Mantle, Jeremiah Jae, MRR, Shlomo und Hezus. Das Herzstück liefern Broadcast & The Focus Group mit dem Titeltrack, einer Neuinterpretation von „DedNd“, die wie eine Suite aus übereinander geschichteten Kompositionen und radiophonischen Übertragungen im Stil der BBC der 60er erklingt. Gonjasufi ist mit Sicherheit die aussergewöhnlichste neue Stimme des Jahres in einer weiten musikalischen Landschaft, die sich fortwährend Klassifizierungen entzieht. Warp beglückt mich wieder mit dieser subtil mechanisierten Melancholie.
www.myspace.com/gonjasufi
www.sufisays.com


Various: Sync:Saphir LP
(sync:saphir records)

Die beiden deutschen Drum’n’Bass Labels Blu Saphir und Syncopix Records bündeln die Kräfte und haben das gemeinsame neue Label „BluSync“ gegründet. Die Soundphilosophie von DJ Rome aus Wien und Syncopix aus Hamburg switcht irgendwo zwischen minimalem Drum’n’Bass und dem, was mal als Liquid bezeichnet wurde. Da ich diese ganzen Etiketten schon seit Jahren nicht wirklich förderlich finde, sei dem geneigten Leser dieser Rezension gesagt, dass es sich hier um eine liebevoll gestaltete Compilation handelt, die das deepe und experimentelle Spektrum abdeckt. Der rote Faden liegt auf konsequenter musikalischer Innovation und einem Höchstmass an Qualität der Produktionen, die zu einem grossen Teil von russischen Künstlern arrangiert wurden. Neben Electrosoul System, Implex, Sobersoul, Mr. Sizef und Paul B ist vor allem der 22jährige Enei aus St. Petersburg ein grosses Talent. Inzwischen ist er auf Med School gesigned und hier zeigt er mit seinen dynamischen Tracks „Brick“ und „Right On“, warum man sicherlich auch in Zukunft noch einiges von ihm hören wird. Der verträumte Opener „Seven Tones Of Romantic“ erwärmt das Herz ebenso wie Henree’s kickender Remix von Electrosoul System’s „Fun“ und Edward Oberon’s souliges „Ain’t It Funny“. Meine Lieblingstracks aufgrund ihrer Vibes kommen allerdings von Bionic1 und Joe Syntax. In einem Interview sagte DJ Rome: „Ich finde es sehr schade, das viele Leute immer nur auf einen spezifischen Style abfahren und Drum’n’Bass nicht als Ganzes akzeptieren. Meiner Meinung nach ist es definitiv das, was der Szene am meisten schadet.“ Word – also freut euch auf ein Ausnahmealbum, das mit Leichtigkeit alle Genregrenzen hinter sich lässt. Für mich ist es Jungle mit Herzblut und Seele.
www.myspace.com/syncsaphir
www.grooveattack.com

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