Dienstag, 6. Dezember 2005

>> Pop

Turner – Slow Abuse (ladomat / mute)

Ein umtriebiger Alchemist verfolgt wieder in bester universalwissenschaftlicher Manier und mit großer Unnachgiebigkeit das Anliegen, unvollkommene Materie in einen vollkommenen Zustand zu überführen. Nach dem 2002 veröffentlichten Album “A Pack of Lies”, das schlussendlich wie verdientermaßen auch im Ausland verwundertes Augenreiben zur Folge hatte, fleißigem Touren durch aller Herren Länder und quasi im Vorbeigehen dargebrachten Soundtrackbeiträgen erscheint nun das vierte Turner-Album. Am 10.11. durfte ich ihn bei der Live-Premiere des neuen Werkes im Berliner NBI bewundern und war völlig verzückt. “Slow Abuse” ist schon wieder ganz hervorragender, eigenartiger, hauchzarter Traum-Pop, der atmosphärisch an Alben wie “Neon Golden” von The Notwist oder “To Damascus” von Phantom/Ghost anknüpft. Ein Album, auf dem als erste Worte die umwerfenden Zeilen “You love sorrow/And there’s nothing I could do about it” zu hören sind, geradezu unaufhaltsam herbeikriechen (“Slow Abuse” eben) und sich in allen auf sie folgenden Tönen einnisten. Turners Musik, die man ohne Umschweife als intimistische Popmusik im besten Sinne bezeichnen kann, schwebt sicher durch die wunderbarsten Schwellenräume, in denen allerhand Transformationen von Beziehungen, Emotionen und Möglichkeiten stattfinden, Leerstellen gefüllt und eben nicht gefüllt werden, ohne dass die Wände bröckeln. Unter all diesem Schweben und seiner scheinbaren Fragilität pocht und pockert es mit kraftvoller Bestimmtheit, wabern unbeschreibliche Unzulänglichkeiten und Unwägbarkeiten, als versuche Turner uns möglichst sanft beizubringen, dass es die Nähe eines Abgrundes nicht nur zu akzeptieren gilt, sondern dass es sich im Angesicht des drohenden Sturzes auch ganz gut leben lässt. Solchermaßen gibt es langsam herbeikriechende Missbrauchsformen, an die wir uns gerne verschwenden, denn es ist ein guter Ort, zu dem sie uns führen. Und spätestens nach dem Hören der Platte dürfte uns klar sein, dass wir alle auch ab und zu an diesem Ort sein wollen. “Theoretically, this must be a thing from above” (“Irritated”). Praktisch auch. Zehn Meilensteine voller Schönheit und Melancholie – wir Alchemisten sprechen von “schwarzer Galle”.

http://www.apackoflies.com

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