Freitag, 4. November 2005

Mole Listening Pearls

Smart from the outside, deep from the inside!
>> Roly’s Labelportrait

Der Begriff „Mole“ bezeichnet in William Gibson’s Romantrilogie „Neuromancer“ eine spezielle Art von Computervirus. Dieser Virus stellt die erste Generation von „Invasionsprogrammen“ dar, die „Eisbrecher“ genannt werden und mit denen Cyberpunks alle existierenden Programme hacken können. Der Begriff „Eisbrecher“ stammt dabei von „EIS“ (Elektronisches Invasionsabwehr-System) bzw. englisch „ICE“ (Intrusion Counterattack Equipment).

Warum ich das erwähne? Mit der danach benannten Compilation-Serie „Breaking The Ice“ (inzwischen umbenannt und konzeptuell weiterentwickelt) kam ich im Jahre 1997 erstmals in Berührung mit Mole Listening Pearls, und das Eis war gebrochen! Gut zwei Jahre später kam ich in den Genuss eines Albums, dessen Spektrum von 50ies-Blues-Flavour über Gitarren-Experimente der frühen 70er bis hin zu digitalem Afro-Funk reichte. Ein Arrangement aus verschiedenen musikalischen Epochen, die den Künstler geprägt haben und die er durch seinen persönlichen Drum’n’Bass-Stil als „Soundtrack zu seinem Leben“ umschrieb. Das waren die „Different Faces“ des Bassface Sascha.

Im Frühjahr 1999 hatte auch Lemongrass mit „Lumière Obscure“ sein Debut auf Mole Listening Pearls: ein atemberaubendes Album aus der Klangwelt zwischen Downbeat, TripHop und Drum&Bass mit elegischen Stimmungen, betörenden Elementen und Vocals. Nach mittlerweile fünf Mole-Alben von Roland Voss bietet die retrospektive Doppel-Disc „Time Tunnel“ einen beeindruckenden Einblick in seine musikalische Entwicklung, in die Entstehung seines Stils von den Anfängen bis zur Gegenwart. Ein unglaublich spannender Trip durch das vielfältige Schaffen der letzten acht Jahre dieses absoluten Ausnahmekünstlers. – Und auch nicht zuletzt durch das De-Phazz-Album „Godsdog“, was mich im Jahre 1999 durch leidenschaftliche Nächte begleitete, entwickelte ich – auch wenn das unglaubwürdig erscheinen mag – ein völlig neues Körpergefühl! Denn die Qualität des Mole-Sounds liegt in seiner großen Sensibilität und Sinnlichkeit. Wer diese belebende, tiefgründige und pulsierende Musik eingehend auf sich wirken lässt, wird zu Sinneswahrnehmungen stimuliert, die tiefe Einblicke gewähren und Horizonte erweitern können. So ging’s mir dann auch mit dem spielerisch abwechslungsreichen Album „L’ Après-Midi d’un Microphone“ von Alphawezen, was in mir ein homogenes und dennoch dynamisches Feld zwischen Spannung und Entspannung erzeugte.

Mole oszilliert zwischen den Polen Abstraktion und Clubtauglichkeit und lässt dabei gängige Klassifizierungen und Genres bewusst außen vor. Die Künstler und ihre Musik schaffen ein inhaltsreiches Klangmosaik, das sich ständig neu zusammensetzt, dabei aber jederzeit wiedererkennbar bleibt. Die Ideale des Labels liegen in der Bereitschaft, ihre Künstler zu fördern und ihnen Raum und Zeit für die Entwicklung ihrer Botschaft zu gewähren. Dabei wird nicht auf den nächsten Tag geschaut, sondern auf die nächsten Jahre. Die daraus resultierende Qualität ist das experimentierfreudige Markenzeichen von Mole. Allein Qualität und Potential der Releases unterliegen ständiger Überprüfung. Das Artwork entsteht in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einigen wenigen ausgesuchten Grafikern, die diese Klangwelten immer wieder in ein korrespondierendes und schlüssiges visuelles Konzept übersetzen. Ästhetische Balance, typographischer Feinschliff und augenzwinkernde Detailarbeit werden stets höher gewichtet als modische Trends. Dieses fruchtbare Label ist kontinuierlich in Bewegung und schafft sich ständig neue Formate. Von der akustischen Evolution im Jahre 2005 konnte ich mich kürzlich durch die frischesten Werke übereugen. Prädikat: Unberechenbar gut!

Aktuelle Veröffentlichungen:

LLava – High and Rising (mole061-2)
Der amerikanische Sänger Dexter Porter und der deutsche Produzent Hannes Bieger können bereits auf eine mehrjährige musikalische Partnerschaft zurück blicken. „High and Rising“ ist ein Album im Spannungsfeld zwischen Soul Jazz, Broken Beat und Deep House, das in seiner vibrierenden Intensität einzigartig ist – ein Plädoyer für all das, was schon immer gute Musik ausgemacht hat: Hervorragendes Songwriting, die Virtuosität von Vollblutmusikern sowie eine aufwändige Studioproduktion. Für Clubber und Jazz-Connaisseurs gleichermaßen.

The Lushlife Project – Budapest Eskimos (mole062-2)
In Ungarn und insbesondere in Budapest sind Zoltán Palásti Kovács und Konrád Pilisi die Grundpfeiler und Pioniere einer elektronischen Musik, die weit über die Grenzen ihres Heimatlandes hinaus fasziniert. Unglaublich viele Elemente machen den wunderbaren Lushlife-Project-Sound aus, erzeugen Emotionen, Bilder und Atmosphäre. Tibetanische Volksgesänge können nicht eingebaut werden oder harmonieren nicht mit Trip-Hop? Weit gefehlt. Wenn es einem kalt und heiß zugleich wird, sind sicher die „Budapest Eskimos“ am Werke!

Soul G and Tony Match – Roundtrip 2 Tokyo (mole063-2)
Der Trip startet an einem nassen Tag. Die Regentropfen schlagen lässig ans Waggonfenster, ehe der Zug in Richtung schönerer Tage los rollt. In der Lok sitzen Soul G und Tony Match. Mozes (Zero7) serviert mit seiner sanften Stimme im Speisewagen Champagner. Die dänische Sängerin LIV und die japanische Sängerin Karoi Kaneko (J-Pop) sind freundliche aber bestimmte Zugbegleiter, die erfrischenden Stimmen für die Beats und Breaks zwischen den Stationen. Und in ihren 80 Minuten kommt man verdammt weit herum in Tokio und hat auch viel von der Welt gesehen.

Yonderboi – Splendid Isolation (mole064-2)
Die Wälder der ungarischen Grafschaft Somogy sind Vergangenheit. Der mittlerweile 24-jährige Künstler László Fogarasi verabschiedet sich mit seinem zweiten Album von der eigenen musikalischen Vergangenheit und wandelt nun durch die belebten Straßen von Budapest. „Splendid Isolation“ schöpft reif und urban seine Inspiration aus den „Arthouse-Filmen“, die László in den letzten beiden Jahren studierte. Wie im Film erzählen die Songs eine vielschichtige Geschichte, die sich hin zu ihrem trippigen Ende aufbauen. Das Leben ist bittersüß, Heiterkeit wird auch immer mit Tränen begleitet.

Roly’s Top Ten der Listening Pearls

  • 01. Lemongrass: Lumière Obscure (mole017-2)
    02. Alphawezen: L’Après-Midi D’Un Microphone(mole035-2)
    03. Bassface Sascha: Different Faces (mole016-2)
    04. Various: Breaking The Ice (mole002-2)
    05. De-Phazz: Godsdog (mole020-2)
    06. Various: Listening Pearls – Future Point Of Contact (mole057-2)
    07. Geb.el: From A Distant Point Of View (mole031-2)
    08. Khoiba: Nice Traps (mole058-2)
    09. Various: Room Service (mole034-2)
    10. Various: Living Some Dreams Vol. 4 (mole030-2)
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