Donnerstag, 26. Juni 2008

Schweiz: Der Countdown zur Abstimmung läuft

Nur ein „JA“ zählt!

Entgegen der landläufigen Meinung in vielen Teilen Deutschlands hat die Schweiz auf dem Papier eines der strengsten Betäubungsmittelsgestze Europas. Die Eidgenossen können das aber, im Gegensatz zu den meisten Europäern, selbst ändern. Am 30. November diesen Jahres wird über die Schweizer Initiative „Pro Jugendschutz gegen Drogenkriminalität“ abgestimmt, deren Ziel ein legaler und regulierter Cannabismarkt unter strengsten Jugendschutzauflagen ist.

Die momentane Situation:

In der Schweiz fällt Cannabis unter das Betäubungsmittelgesetz und ist illegal. Gegen Ende der 1990er Jahre tolerierten die Behörden vieler Kantone den Verkauf von Marihuana als „Duftsäckchen“ in Hanfläden. Bekannt für seine liberale Drogenpolitik war vor allem Basel, wo es zu Spitzenzeiten mehr Läden mit Hanfprodukten als Bäckereien gab. Die Höhe der erzielten Umsätze führte aber zu einem rapiden Anstieg der Kriminalität im Kreis der Anbieter, ebenso erreichte der „Hanftourismus“ aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien fast niederländische und somit den Schweizern unangenehme Ausmaße. Dies lieferte der Polizei den Hauptgrund für gründliche Razzien zwischen 2002 und 2003, bei denen fast alle Hanfläden geschlossen wurden.

Die Szene ist nach wie vor groß, die immer repressiverer Maßnahmen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass sich der Handel immer mehr ins Private verlagert hat. Auch die goldenen Zeiten der Schweizer Grasautarkie sind vorbei, mittlerweile wird nach Angaben des Schweizer Zolls wieder vermehrt Haschisch importiert und im berühmten Plattspitzpark tauchen sogar wieder Haschdealer auf. Genau auf deren Verschwinden zu der Zeiten liberaler, eidgenössischer Hanfpolitik waren Züricher Lokalpolitiker stolz. Hier zeigt sich wieder einmal deutlich, wohin die Repression gegen Hanfkonsumenten und Hanfbauern führt: Es entsteht eine Cannabis-Straßenszene mit mafiösen Strukturen, von denen man zumindest in der Schweiz glaubte, dass sie der Vergangenheit angehörten.

Trotzdem ist der Hanfanbau zum Eigenkonsum noch immer weit verbreitet, in vielen Kantonen stören sich weder Dorfpolizist noch Nachbarn an ein paar Pflänzchen im Garten.
Hanfsamen sind in der ganzen Schweiz legal, in einigen Kantonen bieten Growshops auch Stecklinge an. Jährlich findet eine Hanf-Messe statt, die Cannatrade.ch in Bern. Auch ist die Schweiz bekannt für ihr gutes Outdoor-Gras, da die Polizei beim Hanfanbau zum eigenen Bedarf meist ein Auge zudrückt.

Auch Grow-und Headshops gibt es übers ganze Land verteilt. Die französischsprachigen Kantone sind in der Regel nicht so liberal wie einige deutschsprachige. Im Tessin gibt es ebenso wie in Zürich, Basel oder Bern (noch)eine halb offene Hanfszene, die sich aufgrund des polizeilichen Verfolgungsdrucks aber immer mehr zurückzieht.
Hanf und Medizin in der Schweiz
2006 hieß es noch: Die Kommission schlägt vor, dass mit einer Ausnahmebewilligung des BAG [Bundesamt für Gesundheit] eine beschränkte medizinische Anwendung von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps Cannabis im Einzelfall neu ermöglicht werden soll. Gleichzeitig kann die Substanz dem Arzneimittelregime des schweizerischen Heilmittelinstituts unterstellt werden, sobald das entsprechende Betäubungsmittel als Wirkstoff in einem Arzneimittel eingesetzt wird, welches über eine Zulassung des schweizerischen Heilmittelinstituts verfügt. Die Ärzte könnten dann dieses Arzneimittel für die zugelassene Indikation verschreiben. Seitdem ist nichts passiert.

Die Abstimmung

Die Schweizer Initative „Pro Jugendschutz gegen Drogenkriminalität“ informiert über die bevorstehende Abstimmung zur Entkriminalisierung von Hanf unter den Eidgenossen. Denn im Herbst können unsere Nachbarn entscheiden ob:

der Konsum psychoaktiver Substanzen der Hanf-Pflanze straffrei wird,

Besitz, Erwerb und Anbau für den Eigenbedarf erlaubt sein sollen,

der Bund den Anbau und Handel unter Beachtung des Jugendschutzes regeln soll.

Eigentlich sollte das Betäubungsmittelgesetz der Schweiz schon vor Jahren geändert und seitens des Gesetzgebers wenigstens der herrschenden Realität angepasst werden. Zumindest gab es für ein solches Vorhaben bereits eine politische Mehrheit in beiden Volkskammern. Das ist jetzt aber schon ein paar Jahre her, mittlerweile hat sich das Blatt gewendet: Nachdem die Änderung immer wieder an der Uneinigkeit und Wortbrüchigkeit beider Volkskammern, dem National- und dem Ständerat, scheiterte, wurde 2004 „Die Volksinitiative für eine vernünftige Hanf-Politik mit einem wirksamen Jugendschutz“ vorangetrieben. Nachdem sich die Schweizer Volksvertreter noch nicht einmal auf einen Gegenvorschlag einigen konnten, was für einen eidgenössischen Volksentscheid zumindest sehr ungewöhnlich ist, kommt die Initiative im Herbst ohne Alternative zur Abstimmung. Zur Wahl steht dann nur ein einfaches „Ja“ oder „Nein“ zum Entwurf der Legalisierungsbefürworter. Im Klartext: Sollte das Schweizer Volk diesen Vorschlag ablehnen, gilt weiterhin das derzeit gültige Betäubungsmittelgesetz, das selbst die Mehrheit der Politiker für untragbar hält. Das stammt aus der Nachkriegszeit und stellt sogar den Konsum von Drogen unter Strafe. Ein nicht zu ertragender Anachronismus in dem Land, das in der Realität eine doch relativ liberale Drogenpolitik betreibt. Nach dem Scheitern der Initiative im Nationalrat, beschloss der Ständerat der Schweiz lediglich eine kleine Revision des Betäubungsmittelrechts. Durch die Neuregelung wird in der Schweizer Suchtpolitik das Vier-Säulen-Modell aus „Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repression“ verankert. Ziel aller schweizerischen Drogenpolitik ist demnach die „Förderung der Abstinenz“. Anscheinend haben die Verantwortlichen dort Angst vor der eigenen Courage. Eigentlich geht es doch nur darum, den Status Quo juristisch zu manifestieren, denn: In der Schweiz blüht, anders als in Deutschland, der Hanf an allen Ecken und Enden. Viele Privatleute haben ein paar Pflänzchen am Balkon stehen, ohne dass die Behörden einschreiten. Der Konsum ist zwar nicht mehr fast überall toleriert, so wie es zur Jahrtausendwende noch war, es gibt jedoch selbst in kleineren Städte Plätze und Orte, an denen ungestört in Tütchen geraucht werden kann.

Kurios

Momentan sind die Schweizer Behörden bemüht, eine kuriose Gestzeslücke zu schließen:

Hanfbauern, die einen Vertrag mit einer Brauerei haben, welche angebaute Hanfblüten zu Bier vergären lässt, dürfen ohne THC-Beschränkung Riesenfelder anlegen, ohne dass die Polizei einschreiten kann und darf.

Vielleicht sollte die Gesetzgeber mit einer neuen Regelung noch ein wenig warten, damit sie diese nach der Abstimmung nicht schon wieder ändern müssen.
In diesem Sinne:

Zweimal „JA“ am 30. November.

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