Dienstag, 27. Mai 2025

Die Cannabis-Legalisierung war sein größter Coup

José Alberto Mujica Cordano (* 20. Mai 1935; † 13. Mai 2025) – ein Nachruf von Sadhu van Hemp

Cannabis
Pablo Valadares/Câmara dos Deputados, CC BY 3.0 https://creativecommons.org/licenses/by/3.0, via Wikimedia Commons

 

Uruguay hat seinen talentiertesten und ehrbarsten Sohn verloren. Wenige Tage vor seinem neunzigsten Geburtstag wurde Altpräsident Pepe Mujica von ganz oben abberufen, um künftig losgelöst von Mutter Erde von der höchsten Stufe des Seins auf alles Irdische hinabzublicken – und das in dem unerschütterlichen Glauben, dass die jungen Menschen seinem Vorbild folgen werden und nicht aufhören, für eine gerechtere Welt zu kämpfen. Schließlich könne die Menschheit nicht von allen guten Geistern verlassen sein und sehenden Auges den Ast absägen, auf dem sie sitzt.

 

Mujicas Glaube an die Existenz menschlicher Intelligenz in allen Ehren, aber die Wirklichkeit beweist leider das Gegenteil. Dessen war sich Mujica durchaus bewusst, wenn er abends in seiner Hütte vor dem Fernseher saß und Nachrichten aus aller Welt schaute. Doch die innere Stimme flüsterte ihm zugleich, die Hoffnung nicht zu verlieren und darauf zu vertrauen, dass doch noch Vernunft einkehrt und der blaue Planet nicht von Menschenhand in eine Wüste verwandelt wird. Ein Leben ohne Blumen war für den passionierten Blumenzüchter nicht denkbar.

 

Aber der Reihe nach: José „Pepe“ Mujica erblickte als Sohn einfacher Bauern 1935 das Licht der Welt. Der Vater verstarb früh und die Mutter sorgte fortan für den Lebensunterhalt der Familie. Pepe und seine beiden jüngeren Schwestern leisteten selbstverständlich Kinderarbeit im Blumenzuchtbetrieb der Mutter – und die Prognose, dass aus Klein-Pepe nichts wird, stand gut. Doch im aufstrebenden Uruguay hatte man die Zeichen der Zeit erkannt, dass Bildung der Schlüssel für die wirtschaftliche und kulturelle Resilienz einer Gesellschaft ist. Noch heute kann Uruguay mit eine Alphabetisierungsrate von 98 Prozent glänzen.

 

Das Unterschichtkind Pepe musste also die per Schulpflicht verordnete Chance auf Bildung wahrnehmen und brav die Schulbank drücken. Er machte Abitur, begann ein Jura-Studium und engagierte sich in der Studentenbewegung. In der Folge war er zum Leidwesen der Kapitalisten, die sich von der Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft ernähren, als Lohnsklave gänzlich unbrauchbar.

 

Und so kam es, dass der halbwüchsige Mujica vor Langweile auf die dumme Idee kam, die woke Schundliteratur altgriechischer Dichter und Denker zu lesen, aus denen er seine etwas sehr unangepasste Lebensphilosophie schöpfte. Wie so oft, kann Bildung, die nicht im staatstragenden Sinne ist, auch Schaden anrichten. Das Lesen vieler falscher Autoren führte bei Mujica dazu, sich politisch zu engagieren und zivilen Ungehorsam gegenüber der herrschenden Klasse an den Tag zu legen.

 

In nur wenigen Jahren legte Mujica den Grundstein für eine beeindruckende Knastkarriere. Sein Traum war „eine Gesellschaft ohne soziale Klassen“. Um dieses Ziel zu erreichen, überfiel er mit der Stadtguerilla „Tupamaros“ Großbanken, entführte Politiker und zündete Sprengsätze. Er machte den Herrschenden buchstäblich Feuer unterm Hintern. 1971 wurde er nach einem Feuergefecht mit der Polizei in Eisen gelegt und wegen Polizistenmordes zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Insgesamt schmorte er 15 Jahre in Haft – und das während der Diktaturzeit zwischen 1973 und 1985 teilweise unter Folter und in Isolationshaft.

 

Gemäß des uruguayischen Wahlspruchs „Libertad o Muerte“ wagte Mujica zwei Gefängnisausbrüche. Geradezu filmreif gestaltete sich der Versuch von 1971: Insgesamt 106 Guerilleros entkamen aus dem Gefängnis Punta Carretas in Montevideo durch einen über Monate gegrabenen Tunnel. Doch die Freude über die illegal gewonnene Freiheit währte nur kurz. 1972 wurde er erneut in staatliche Obhut genommen. Er war eine jener „neun Geiseln“ der Militärjunta, denen die sofortige standrechtliche Erschießung drohte, wenn die Stadtguerilla „Tupamaros“ den bewaffneten Widerstand nicht einstellte.

 

Nach Ende der Militärdiktatur 1985 kehrte Mujica schwer gezeichnet und gesundheitlich angeschlagen in die Freiheit zurück. Eine in Haft erlittene chronische Blasenentzündung führte zum Verlust einer Niere.

 

Trotz der zermürbenden Jahre im Gefängnis blieb sich der mittlerweile 50-jährige Mujica treu und setzte seinen politischen Kampf gegen das Establishment im frei gewählten Parlament fort. 1989 gründete sich unter seiner Ägide die Partei Movimiento de Participación Popular (MPP), die der derzeit regierenden der Frente Amplio angehört, einem linken Parteienbündnis, dem sich rund vierzig Parteien und Organisationen angeschlossen haben. Das Bündnis stellt seit Gründung mit kurzen Unterbrechungen den Ministerpräsidenten; Mujica durfte von 2010 bis 2015 die politische Richtung Uruguays vorgeben.

 

Und das tat der Freidenker dann auch – ganz speziell auf seine Weise. Zwar hat er trotz aller Befürchtungen der Reichen und Schönen nicht den Sozialismus eingeführt und den Reichtum gleich verteilt, aber ein paar andere alte Zöpfe konnte er schon abschneiden – und das ganz ohne Kettensäge. Über Mujicas Wohltaten freuen konnten sich vor allem die weniger Privilegierten und vom Staat Bevormundeten und Unterdrückten.

 

Noch heute zürnen die, die es nach wie vor unerträglich finden, dass Uruguay den Frauen das Recht auf Abtreibung und somit Selbstbestimmung gewährt, dass die Ehe für alle und die staatlich kontrollierte Cannabis-Legalisierung zugelassen wurde. Ebenso unverzeihlich ist, dass es Mujica während seiner Amtszeit gelang, die Armutsquote von 18,5 auf 9,7 Prozent zu senken und gegen allen Widerstand des gierigen Geldadels den Sozialstaat zu bewahren.

 

In den Augen des rechtskonservativen und marktradikalen Politlagers war der „ärmste Präsident der Welt“ einer, der unnütz Geld verschenkt und die Drogenmafia gestärkt hat. Dass während Mujicas Amtszeit die Arbeitslosigkeit und Kindersterblichkeit zurückging und nicht wie unter den Vorgängerregierungen stieg, wird damit abgetan, dass jeder andere Präsident das auch hingekriegt hätte.

 

Mujica war ein wahrer Teufel für seine politischen Gegner – vor allem weil er nicht greifbar war und als Mann, der durch die Hölle der Junta-Haft ging, unantastbar schien. In das Korsett des stets schmierigen Politprofis, der aus reinem Eigennutz handelt, passte der „Mann aus dem Volk“ nicht. Der Blumenfreund war im Politzirkus eine Beleidigung für die, die es luxuriös und verschwenderisch mögen. Ein Staatspräsident, der seinen steinalten VW-Käfer als Staatskarosse einsetzt, der mit schlecht sitzenden Konfektionsanzügen ohne Krawatte Staatsbesuche ableistet und nur ein Zehntel seines Gehalts als Staatspräsident in Rechnung stellt, so einer ist der Elite nicht geheuer. Mujicas ausgeprägte Neigung, sich nicht irgendwelchen althergebrachten Konventionen zu unterwerfen, fühlte sich für viele Uruguayer aus Oberschicht an, als rotze ihnen ein Punker vor die Füße.

 

(Dass bei Mujica mitunter die Pferde durchgingen, hatte auch etwas Amüsantes: So ließ er es sich nicht nehmen, die Funktionäre der FIFA als ein „Haufen Hurensöhne“ zu verunglimpfen, nachdem die „Celeste“ bei der Fußballweltmeisterschaft wegen zu ruppigen Spiels ausgeschieden war. Ob er wusste, dass diese Aussage die halbe Welt unterschreiben würde – aber aus anderen Erwägungen?)

 

Dennoch – das Volk mochte den komischen Kauz, der mit seiner Frau Lucía Topolansky, die von gleichem Schlage ist, in einem einfachen Bauerhaus lebte und bis zuletzt mit seinen Händen in der Erde wühlte, um Gemüse und Blumen anzupflanzen. Groß war die Anteilnahme der dreieinhalb Millionen Uruguayer, als  der „Erdklumpen mit zwei Pfoten“, wie er sich selbst bezeichnete, zu Grabe getragen wurde. Abertausende vom Säugling bis zum Greis säumten die Straßen, als sich der Trauerzug durch die Straßen Montevideos seinen Weg zum Präsidentenpalast bahnte, wo in einem Staatsakt Abschied von dem Mann genommen wurde, dessen Strahlkraft seine Bescheidenheit war.

 

Ein tränenreicher Abschied war es auch für die Cannabis-Community Uruquays. War es doch der alte weise Mann mit dem stets verschmitzten Lächeln, der 2013 Haschisch und Marihuana für den Freizeitgebrauch legalisierte. Mujica zeigte nicht nur Gesicht, sondern auch Größe, als er sich über die völlig veraltete Single Convention on Narcotic Drugs von 1961 hinwegsetzte und seinen Landsleuten per Gesetz gestattete, ungestraft mit Cannabis zu hantieren. Das Gesetz erlaubte den privaten Anbau für den Eigenbedarf, die Gründung von Cannabis-Clubs und die staatlich kontrollierte Abgabe über Apotheken.

 

Die Stimmen der Kritiker, dass Uruguay wegen der Cannabis-Teilfreigabe im Drogensumpf versinkt und zum Narco-Staat mutiert, sind mittlerweile verstummt. Ausgeblieben ist auch der Rachefeldzug der internationalen Staatengemeinschaft, um Mujica und seine Genossen zur Räson zu bringen.

 

Neben aller berechtigter Kritik an seinem politischen Lebenswerk, Mujica war im tiefsten Innern seines Herzens ein Guter. Er war ein Präsident des Volkes, aus dem er kam und für das er beherzt einstand. Sein Tod ist nicht nur ein großer Verlust für die freiheitsliebenden Menschen in Uruguay, sondern für alle Erdenbewohner, die sich nicht damit abfinden wollen, sich von Leuten beherrschen zu lassen, die es nur mit sich selbst gutmeinen und ausschließlich Zeit und Mode dienen.

 

Und so wird unser Herzensbruder Pepe über die Cannabis-Legalisierung hinaus wegen seiner Bescheidenheit und Ehrlichkeit in allerbester Erinnerung bleiben. Bewahren wir sein Vermächtnis und nehmen wir uns diesen unbeugsamen Mann zum Vorbild, um nicht allzu verzagt nach vorne zu blicken und ganz in Mujicas Sinne zu verinnerlichen, dass „nicht derjenige arm ist, der wenig besitzt, sondern derjenige, der immer mehr braucht“.

 

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5 Kommentare
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Peter
18 Tage zuvor

R.I.P. Pepe.

Bei arte gibt’s ein schönes Portrait:
https://www.arte.tv/de/videos/048584-000-A/pepe-mujica-ein-praesident-aus-uruguay/

Canuto
17 Tage zuvor

Danke für den schönen Nachruf.

Mattsinger
17 Tage zuvor

RIP
…tries to make the world a better one

Haschberg
16 Tage zuvor

Es bräuchte mehr Politiker seines Schlages, die letztendlich die Welt zum Besseren verändern.

Ralf
16 Tage zuvor

Ein ehrlicher Politiker, schon durch seine Seltenheit unendlich wertvoll, in dieser Welt ein unersetzlicher Verlust. Ruhe in Frieden.