Samstag, 19. März 2022

Meine Krankenkasse musste mein Privatrezept für Cannabis bezahlen

Krankenkasse musste mein Privatrezept für Cannabis bezahlen

Ein Erfahrungsbericht von Simon Hanf

Ich bin Cannabispatient und möchte hier die Situation schildern, weshalb meine Krankenkasse mein Privatrezept für Cannabis bezahlen musste. 

Im März 2017 trat das “Cannabis als Medizin”-Gesetz in Kraft. Seit dem ist es möglich für Patienten Cannabis aus der Apotheke auf Kassenrezept zu erhalten. Allerdings muss Cannabis als Medikament beantragt werden, d.h. der Patient muss mit einem Arzt einen “Antrag auf Kostenübernahme von Cannabinoiden” bei der Krankenkasse einleiten. Der Gesetzgeber sieht vor, dass ein solcher Antrag nur “in seltenen Fällen abgelehnt” werden darf. In der Realität werden jedoch ca. 1/3 aller Anträge abgelehnt. Hier werden Patientenrechte mit Füßen getreten. 

Ich stellte Ende Oktober 2021 zusammen mit meiner Hausärztin den Antrag auf medizinisches Cannabis. Der Antrag wurde bei der Krankenkasse eingereicht. Die Krankenkasse leitete meine Daten an den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MdK) weiter.

Die Krankenkasse hat die Pflicht, diesen Antrag innerhalb von drei Wochen zu beantworten. Zumeist möchte die Krankenkasse eine Stellungnahme des MdK. Dabei werden die Daten im Antrag von einem Gutachter eingesehen. Damit verlängert sich die Frist auf fünf Wochen. 

Hinweis: Wenn ihr einen Antrag bei der Krankenkasse per Post einreicht, macht dies per Einschreiben. Lasst zudem unbedingt den Inhalt von einer nicht mit euch verwandten Person bestätigen. Dies kann ein Notar, aber auch ein Bekannter sein. Dieser soll dann in einem Dokument, welches er selbst unterschreibt die Echtheit der Dokumente bestätigen. 

Ich habe dies leider nicht gemacht und der Gutachter vom MdK behauptete ein Arztbericht, welchen ich per Einschreiben einreichte sei nicht dabei gewesen. Es ist eine unglaubliche Dreistigkeit vom Gutachter so etwas zu behaupten. 

Vier Wochen nach Antragstellung schrieb mir die Krankenkasse, dass sie die Entscheidung nicht fällen könnte, da eben dieser Bericht fehle. Die Frist wurde um mehrere Wochen nach hinten verschoben.

Deshalb sendete ich der Krankenkasse diesen Bericht erneut per Einschreiben zu, auch das zweite Mal wurde dieser Bericht nicht in die Entscheidung mit aufgenommen.

Allerdings sendete ich dieses Mal dem MdK alle meine Arztberichte zu. Ich gab bereits gesendete Arztberichte erneut dazu. 

Die Krankenkasse hatte bis zum 13.01.22 Zeit, eine Entscheidung zu fällen. Am 14.01.22 erhielt ich ebenfalls keine Antwort. Telefonisch wurde mir mitgeteilt “man wisse nicht, warum dies so lange dauere”. Der Mitarbeiterin selbst tat es leid und sie sagte mir, ich kann jetzt eine Kostenerstattung für EIN Privatrezept bekommen.

Ich rief sofort meine Hausärztin an und teilte ihr die erfreuliche Nachricht mit. Ich machte mich direkt auf den Weg zu ihr und holte das Rezept ab. 

Wir beide waren immer noch skeptisch über die Aussage der Mitarbeiterin und ich konsultierte noch eine Anwältin, musste aber auf ihren Rückruf warten. Ebenfalls fragte ich bei meiner örtlichen Apotheke, ob sie sich bereit erklären Cannabis zu vergeben. Diese kannten sich nicht damit aus, erklärten sich aber bereit.

Sichtlich nervös wurde ich bei dem Blick auf die Uhr. Die Apotheke schließt in 30 Minuten und immer noch keine Antwort von der Anwältin. 

Es ging um 500€. Ich fuhr also zur Apotheke und wollte es riskieren. Kurz bevor ich die Apotheke betrat, klingelte mein Handy und die Anwältin meldete sich zu Wort. Wir besprachen kurz die Situation und sie bestätigte die Aussage der Mitarbeiterin der Krankenkasse.

Auf eine Presseanfrage hin teilte mir die Rechtsanwältin für Cannabisanliegen Julia Seestädt mit “Wenn eine Krankenkasse über den entsprechenden Antrag nicht innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Fristen entscheiden kann, müssen dem Versicherten die Gründe hierfür rechtzeitig schriftlich mitgeteilt werden. Sollte ein hinreichender Grund für die verzögerte Sachbearbeitung nicht mitgeteilt werden können, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. In diesem Fall können sich die betroffenen Versicherten die Leistung selbst besorgen und haben dann gegenüber der Krankenkasse einen Erstattungsanspruch in Höhe der entstandenen Kosten.”

Ich betrat die Apotheke mit einem breiten Grinsen, sodass mich die Apothekerin bereits verwundert anschaute. 

Ich gab das Rezept ab und bezahlte den Preis von 500€ für 25g Cannabisblüten. (Die Sorte nennt sich Gorilla Glue 22/1). 

Ich fotografierte sowohl das Rezept als auch den Kassenbeleg und reichte es als Kostenerstattung über die App meiner Krankenkasse noch am selben Tag ein. 

Am 17. Januar kam die Antwort meiner Krankenkasse mit der Bestätigung der Kostenerstattung. Weitere zwei Tage später schaute ich auf mein Konto und tatsächlich war dort eine Überweisung von 490€ zu sehen (Die fehlenden 10 Euro waren Rezeptgebühren).

Es war ein sehr guter Deal 25 g für 10 € zu erhalten. 

Dies hat mich besonders gefreut, weil eine Woche nach Fristende die offizielle Absage der Krankenkasse kam. Die Absage bedeutet nämlich Selbstversuch auf Privatrezept. Im Falle des Widerspruchs ist es von Vorteil, wenn der Patient einen Selbstversuch mit medizinischem Cannabis durchgeführt hat (es darf nur medizinisches Cannabis sein).

Ich hätte dann die 500 € selbständig zahlen müssen, um dann in einem Erfahrungsbericht die Wirkung von Cannabis zu bestätigen. (Vor diesem Privatrezept hat man noch NIE Cannabis geraucht, denn das ist ja eine illegale Droge und der Erfahrungsbericht beruht auf einem Medikament.) 

In der Begründung der Ablehnung wurde gesagt, dass es keinen Beweis gebe, dass Cannabis bei meiner Indikation hilfreich sei. Die Indikation waren neuropathische Schmerzen und dabei hilft Cannabis (Wilsey et al. 2012). 

Der Gutachter hat seinen Doktor wahrscheinlich im Internet gekauft, ansonsten wäre er in der Lage gewesen, Studienergebnisse zu kennen oder auf Meinungen von Experten wie Dr. Franjo Grotenhermen einzugehen, welcher in seinem Buch “Cannabis als Medizin” neuropathische Schmerzen als Verschreibungsgrund sieht.

Hinweis: Der behandelnde Arzt hat die Therapiehoheit nach SGB V. Diese darf nicht ohne weiteres von einem Gutachter untergraben werden. Ebenfalls habe ich die Kompetenz des Gutachters infrage gestellt, sich über meine Hausärztin, meinen Schmerztherapeuten und meinen Physiotherapeuten zu stellen. Alle diese Ärzte gaben Ihre Empfehlung ab. Der Gutachter hat keine Auskunft über seine Kompetenzen gegeben.

Mein Selbstversuch war ein voller Erfolg (was ich natürlich nur erahnen konnte).

Ich habe kaum noch merkliche Schmerzen, meine Konzentration ist deutlich besser ich kann wieder meinen Hobbies nachgehen und ich habe wieder Lebensfreude. Die Dosis meiner Opioide konnte ich um 4/5 reduzieren. Cannabis ist für mich eine Heilpflanze die mir eine gute Lebensqualität ermöglicht.

Dies habe ich der Krankenkasse gesendet, mit einem offiziellen Widerspruch und dies wird nun erneut von dem MdK geprüft. Für mich heißt es jetzt warten und warten und warten. 

Ich hoffe sehr, dass Patienten die in einer ähnlichen Situation sind die Informationen und meine Erfahrungen hier nutzen können. Stellt den Antrag auf Kostenübernahme und wenn eure Krankenkasse die Frist ebenfalls nicht einhält, dann schlagt zu. Holt euch das Privatrezept und lasst euch dann die Kosten erstatten. Dies gilt nur bei nicht eingehaltener Frist. Sobald die Antwort da ist, verfällt die Chance auf Kostenerstattung. Haltet euch und den verschreibenden Arzt bereit. 

Organisationen wie die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin sowie die Berliner Cannabis Hilfe können euch beim Antrag unterstützen.

Das Cannabis als Medizin Gesetz wird von der aktuellen Regierung überarbeitet. Hoffentlich wird dies mehr Gerechtigkeit für Patienten bringen. Hier sind wieder alle Befürworter gefragt. Teilt den Politikern eure Bedürfnisse mit. Ein Vorschlag meinerseits ist, dass Cannabis bis zu 25 g im Monat auf ein normales BTM-Rezept frei verfügbar ist und die Kosten von der Krankenkasse zu übernehmen sind. Ein erhöhter Bedarf müsste dann beantragt werden. Diese 25 g wären für viele Patienten ein Grundbedarf und würde die Lebensqualität vieler Patienten massiv verbessern. 

Ich wünsche viel Erfolg!

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4 Kommentare
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BiCo
2 Jahre zuvor

Krankenkassen sollten nicht Cannabis bezahlen.

Zuletzt bearbeitet 2 Jahre zuvor von BiCo
Haschberg
2 Jahre zuvor

Leider scheuen sich noch immer viele Hausärzte, Cannabis zu verschreiben, alleine schon weil sie die aufwändigen und zeitraubenden Antrags – und Verschreibungswege scheuen.
Nicht wenige winken sogar genervt ab und wollen damit gar nichts zu tun haben.
Auch die unlogische Begründung, man müsste erstmal andere medizinische Alternativen ausprobiert haben, um überhaupt Cannabispräparate verschrieben zu bekommen, halte ich für einen ausgesprochenen Schwachsinn.
Meine Devise lautet: erst Cannabis, dann eventuell (falls tatsächlich erforderlich) andere Pharmazeutika.
Gerade hier muss der neue Gesetzgeber noch ganz gehörig nachschärfen. Denn so unzureichend, wie die Lage momentan ist, darf sie nicht bleiben. Auch brauchen wir dringend mehr seriöse Informationen, anstatt Cannabis immer nur einseitig zu verteufeln.

Rainer
2 Jahre zuvor

Wenn man unter einer Erkrankung oder gesundheitlichen Problemen leidet,die eine Behandlung mit Cannabis erforderlich machen könnten,wäre so ein langwieriger Spießrutenlauf eventuell lohnend.Der Arzt müßte mitspielen,und da geht es schon los.Blüten zu bekommen und nicht irgendein Ersatzschweinkram,ist dann auch nochmal so eine Sache.

Ramon Dark
2 Jahre zuvor

Danke für den interessanten und hilfreichen Artikel. Werde ihn an Freunde weiterleiten, die auch gerade Kassenprobleme haben.