Samstag, 18. Januar 2020

Traumjob oder nur ein Luftschloss? (3)

In leitender Funktion im niederländischen Cannabis-Business

Teil 3: Von Gangstern und Deals unter Kneipentheken

In den letzten beiden Hanf-Journal-Ausgaben habe ich ein wenig ketzerisch die Frage gestellt, ob Coffeeshop-Besitzer beziehungsweise leitende/r Angestellte/r in einem Coffeeshop kein Traumberuf sei. Zum Abschluss der Artikel-Trilogie geht es um Gangster, Deals, die ins Auge gehen können und Haschisch unter der Kneipentheke. 

Als ich mich in Eindhoven mit einer/m der arriviertesten niederländischen Cannabis-Journalist*innen unterhalte, erzählt dieser mir mit zwar geröteten, aber auch leicht feuchten Augen von den Zeiten, bevor es in Holland Coffeeshops gab. „Hier in Eindhoven gab es eine Kneipe, die vom alten Piet (Name von der Redaktion geändert) geführt wurde. Das war ein lustiges Lokal und das Treiben war ziemlich bunt. Eigentlich hätte den Gästen auch der Alkohol schon gereicht, denn hier waren viele stadtbekannte Schluckspechte unterwegs. Aber da gab es noch eine Besonderheit. Denn Piet hatte unter seinem Tresen ein kleines Fach, in dem er eine Menge Haschisch gebunkert hatte. Das waren in der Regel Stücke für 50 Gulden. Die ganze Stadt wusste Bescheid, was in dem Laden lief. Aber niemand unternahm etwas dagegen.“ Die Pointe dieser Geschichte liegt darin, dass sich die Kneipe vom alten, inzwischen längst verstorbenen Piet, zum ersten Coffeeshop in Eindhoven weiterentwickelte. Zugleich zeigt die Geschichte auf, wie schwierig die juristische Einschätzung des Cannabis-Verkaufs in den Niederlanden war und noch ist – darauf wurde in den letzten beiden Artikeln bereits eingegangen. Aber belassen wir es bei dieser Anekdote beim Happy-End: Piets alte Kneipe ist heute einer der bestangesehenen und besten Coffeeshops im ganzen Gelderland. Von kleinen Straftaten zu großen Verbrechen. Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass Coffeeshop-Besitzer gefährlich leben, oder? Wir haben in den letzten Berichten erfahren, dass sie ständig auf der Hut vor der Polizei leben müssen, da sie in einem quasi-legalen beziehungsweise eigentlich schon nicht mehr legalen Umfeld ihre Geschäfte tätigen. Zudem sehen sie sich gezwungen, mit „Dealern“ sich zu einigen, die Cannabis-Waren im sehr großen Stil umsetzen. Auch dieser Aspekt sollte in Sachen Gefährlichkeit des Berufsstandes Coffeeshop-Besitzer nicht unterschätzt werden. Und dann gibt es schließlich auch noch die ganz bösen Jungs, die einen Teil vom Kuchen abhaben möchten, ohne sich dafür die Hände schmutzig machen zu wollen. Die Rede ist von Gangs und Gangstern, die darauf spezialisiert sind, Coffeeshops auszuspionieren und herauszufinden, wo die entsprechenden Läden ihre Vorräte gebunkert haben.

Tatort Gelderland. Ein Coffeeshop-Inhaber erklärt sich nach langen Vorarbeiten bereit, sich über seinen Alltag, sein Geschäft und einige Geheimnisse interviewen zu lassen und dabei auch aus dem Nähkästchen zu plaudern. Im Büro des jungen Chefs, dem man seine starken sportlichen Aktivitäten ansieht, ist es sehr sauber, nur auf dem Schreibtisch stapeln sich Aktenordner, Unterlagen, Briefumschläge und Rechnungen. Aber alles in allem sieht der Schreibtisch systematisch geordnet aus. Die Horror-Geschichte, die ich im Folgenden zu hören bekommen, hört sich überhaupt nicht nach Traumberuf oder Berufung an. Aber sie ist bittere Realität und zwar mitten in Europa. Mein Gegenüber beginnt von dem traumatischen Überfall zu erzählen an: „Sie kamen am frühen Abend. Ich war mit meiner Freundin alleine zu Hause. Es ist nicht selbstverständlich, dass man schon mit Ende zwanzig ein eigenes Haus besitzt, aber es ist auch nichts Ungewöhnliches. Normalerweise mache ich kein Geheimnis aus meinem Beruf. Es gibt keinen Grund sich dafür zu schämen. Aber ich annonciere auch nicht, wo ich wohne. Für Leute, die rauskriegen wollen, wo ich wohne, dürfte das aber auch kein Problem sein. Kriminelle Elemente haben ja genug Zeit und Energie, um so etwas herauszukriegen. Als wir es uns vor dem Fernseher gemütlich gemacht haben, hat es an der Haustüre geklingelt. Da wir noch Besuch erwartet haben, hat meine Freundin geöffnet, ohne im Spion nachzusehen.“ Natürlich weiß jedes kleine Kind, dass es gefährlich ist, die Türe unbesehen zu öffnen. Das sollte auch insbesondere der Freundin eines Coffeeshop-Besitzers klar sein. War es aber nicht und deshalb geht die Geschichte wie folgt weiter: „Und da standen da vier Typen, furchteinflößende Schränke in schwarzen Anzügen und mit Sturmhauben auf dem Kopf. Sie drängten meine Freundin ins Wohnzimmer und als ich ihr zur Hilfe eilen wollte, schlugen sie mich mit Brecheisen und Baseballknüppeln zusammen. Beinahe bewusstlos musste ich mit anschauen, wie die Kriminellen meine Freundin auf einem Stuhl brutal gefesselt haben. Immer wieder habe ich versucht mich zu wehren, aber es waren zu viele und sie hatten Schlagwerkzeuge, von denen sie ausgiebig Gebrauch machten. „Wo hast du das Zeug gebunkert?“, wollte der Anführer dann wissen. Kein ausländischer Akzent. Perfektes Niederländisch. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich weder Gras noch Haschisch im Hause hatte. Das glaubten sie mir natürlich nicht. So hagelte es immer wieder kräftige Schläge. Ich blutete an verschiedenen Stellen und drohte immer wieder ohnmächtig zu werden. Den Typen gelang es aber, mich bei Bewusstsein zu halten.“ Die Szene hört sich an wie aus einer der unzähligen Aktenzeichen XY-Sendungen, nur dass es sich dieses Mal bei den Überfallenen nicht um ein sehr wohlsituiertes Rentner-Ehepaar handelt, sondern um einen erfolgreichen Coffeeshop-Besitzer. Das Martyrium ist noch lange nicht zu Ende: „Zwei gingen systematisch vor und durchsuchten unser Haus, während zwei uns mit martialischen Gesten bewachten. Das Schlimmste war, dass ich meiner Freundin nicht zur Hilfe eilen konnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen die Typen zurück und schüttelten den Kopf. Kein gutes Zeichen. Aber was sollte ich machen? Selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich ihnen nichts anbieten können. Dann gingen die Schläge wieder los. Einer zückte ein Messer und drohte, mir zuerst mein Gesicht zu zerschneiden und sich dann zum Hals vorzuarbeiten. Aber das zog nicht. Als sie erkannten, dass sie mich umbringen mussten, versuchten sie es mit einer anderen Strategie. Sie drohten jetzt, meine Freundin zu vergewaltigen.“ Dieses Szenario hat es schon in sich. Da ist jemand bereit, unter Einsatz seines Lebens das Geheimnis seiner Schätze für sich zu bewahren und dann kommen die Gangster tatsächlich auf die Idee, der Freundin etwas anzutun. Klingt wie aus einem US-amerikanischen Gangsterfilm, hat sich aber so tatsächlich in unserem wohlhabenden Nachbarland abgespielt. Und mein Gesprächspartner gibt dann auch unumwunden zu: „Plötzlich stand ich Todesängste aus. Solange nur das eigene Leben betroffen ist, kann man das aushalten. Wenn es aber um das Leben eines geliebten Menschen geht, ist das eine andere Sache. Ich habe keinerlei Zweifel, dass sie ihre Drohung wahr gemacht hätten.“ Dieses Szenario lässt zumindest mir das Blut in den Adern gefrieren. Mal Hand aufs Herz: Lieber preisgeben, wo der Cannabis-Stash gelagert ist oder das Leben der Freundin und sein eigenes aufs Spiel setzen? Uff, ich vermute, dass ich irgendwann eingeknickt wäre, aber vielleicht ist das in der Situation selbst und wenn es sich um das eigene Vermögen handelt, vielleicht doch etwas ganz anderes. Und wie so häufig im Leben, gibt es auch in unserem Fall von ganz unerwarteter Seite einen Silberstreif am Horizont: „Und dann passierte das Wunder, das uns rettete. Die Türklingel ertönte. Unser erwarteter Besuch, der sich leider verspätet hatte, war endlich da. Und da es ein wichtiger Termin war, ließ sich dieser nicht abwimmeln, wie es vielleicht bei einem reinen Freundschaftsbesuch der Fall gewesen wäre. Er klingelte Sturm, da er wusste, dass wir zu Hause sein mussten. Dieses sture Klingeln entmutigte auf einen Schlag dieses kriminelle Pack. Sie bekamen es schließlich gehörig mit der Angst zu tun. Und dann flüchteten sie durch die Balkontür zum Garten hinaus. Ich bin überzeugt, dass sie mich umgebracht hätten, wenn sie nicht gestört worden wären. Das waren wirklich die furchtbarsten Minuten in meinem Leben.“

Mein dunkelhaariger Gesprächspartner atmet tief durch und nimmt genussvoll einen Schluck von dem starken, dunklen und dickflüssigen Kaffee. Dennoch sehe ich, wie sehr in diese Geschichte immer noch mitnimmt. Was ja nur allzu verständlich ist. Solche Erlebnisse können böse traumatische Belastungen hervorrufen. 

Doch mein Gesprächspartner lässt sich auch durch dieses Ereignis nicht hinsichtlich seines Traumberufs verunsichern, denn er ist ein aus dem Orient stammender Migrant der zweiten Generation in den Niederlanden und meint, dass seine sonstigen Aufstiegschancen nicht allzu gut seien. Im Gegensatz zu Deutschland sei es in den Niederlanden für Migrant*innen-Kinder der zweiten Generation schwieriger, den sozialen Aufstieg zu schaffen. Natürlich kommen auch noch ein wenig persönliche Neigung und andere Prädispositionen hinzu. Denn er gibt zu, eigentlich das schwarze Schaf seiner Familie gewesen zu – so schlimm sogar, dass niemand aus seiner Familie wollte, dass er später einmal den familieneigenen Coffeeshop übernimmt. Doch dann kam auch bei ihm – wie bei vielen anderen auch – die Wende, da er sich in der Schule stark verbesserte und seine Persönlichkeit sich immens stabilisierte. Dem folgte ein Studium der Wirtschaftswissenschaften. Nach dessen erfolgreicher Absolvierung hatte niemand in der Familie mehr etwas dagegen, dass er das Familienunternehmen übernahm. Hätte er allerdings gewusst, wie viel Arbeit auf ihn wartete und dass ihn eines Tages waschechte Gangster überfallen und mit dem Tode bedrohen würden, hätte er vielleicht abgewunken. Und dennoch brennt mir trotz aller Widrigkeiten und Kritik noch eine Frage unter den Nägeln: „Ist denn Coffeeshop-Besitzer nicht der beste Job auf der Welt? Warum oder warum nicht?“, möchte ich wissen. Er überlegt und lässt sich ein wenig mit der Antwort Zeit. „Ja, es ist der beste Job auf der Welt, definitiv. Es ist einerseits eine sehr privilegierte Position einer von fünfhundert Coffeeshop-Besitzern in einem Land mit sechzehn Millionen Einwohnern zu sein. Das ist schon was Besonderes. Dann auf der anderen Seite ist es ein sehr intensiver Job. Und man ist alles andere als frei.“ Nach ein wenig Nachdenken und Abwägen schiebt er hinterher, dass man sich allerdings als Coffeeshop-Besitzer an vier „goldene Regeln“ halten sollte, die wie folgt lauten:

1. Nie Schulden haben!

2. Immer alles bis zum letzten Cent bezahlen!

3. Nie Rumdiskutieren! Wenn man über den Tisch gezogen wird, muss man den Verlust wie ein Mann tragen und abschreiben.

4. Nicht allzu viele andere Prinzipien haben.


Die goldenen Regeln klingen vernünftig, weisen aber auch auf eine Menge Vorsicht und Disziplin hin. Zu guter Letzt pupfert mich noch die Frage nach dem eigenen kriminellen Tun, nachdem wir nun ausführlich besprochen hatten, was andere ihm angetan hatten. Also Frage ich nach der bekannten 500-Gramm-Grenze und wie er damit umgeht. Da möchte er verständlicherweise nicht allzu sehr ins Detail gehen, aber er gibt allgemeine Hinweise, die sich alle auf Logistikaspekte beziehen. In vielen Fällen, so erzählt er mir, werden große Cannabis-Vorräte, die sich allesamt im Kilogramm-Bereich bewegen, in Autos und/oder Garagen gemietet. Die Kunst ist dabei die Abwägung, dass die Autos und Garagen weder zu attraktiv zum Stehlen/Einbrechen, aber auch nicht zu verratzt aussehen, sodass jemand auf falsche Gedanken käme. Schon hier die goldene Mitte zu finden, ist keine leichte Aufgabe. Die Lagerung in einem Auto birgt den Vorteil, dass der Stash jederzeit bei Gefahr im Verzug weggefahren werden kann, ohne dass man erst groß ein Versteck ausräumen und umlagern muss. Das leuchtet ein. Schließlich weist er mich noch auf eine Art „Super-Trick“ hin, die er als eine Art Terminwarengeschäft deklariert: „Ich kaufe eine Ernte beziehungsweise Lieferung, aber sie bleibt in den Händen der Zulieferer, bis ich sie dann punktgenau benötige. Damit bleibe ich legal und auf der sicheren Seite. Das ist etwas teurer, da es eine Art Zuschlag kostet und erfordert auf jeden Fall ein gutes gegenseitiges Vertrauen.“ Das kann ich mir vorstellen, zumal ja es sich ja bei den angesprochenen Größenordnungen und Geldsummen um keine Kinkerlitzchen handelt. Deshalb gilt im Coffeeshop-Business das folgende 1 X 1: Vertrauen, Respekt und keine Gier. 

Obwohl er diese goldenen Regeln selbst beachtet hat, hat es ihn nicht vor einem brutalen Raubüberfall bewahrt, der ihn beinahe sein Leben gekostet hätte und bei dem beinahe seine Freundin zum Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden wäre. Auch der dritte und letzte Teil dieser Serie hat aufzuzeigen versucht, dass das klischeebeladene „gute“ Leben des tollen Jobs Coffeeshop-Besitzers nicht uneingeschränkt stimmt. Coffeeshop-Besitzer haben an vielen Fronten zu kämpfen: gegen die Behörden, gegen Willkür von oben, gegen Konkurrenz und gegen veritable Gangster, wie in diesem Fall. Ich bin trotz der Artikelserie davon überzeugt, dass die Vorstellung vom Traumberuf Coffeeshop-Besitzer bei vielen unserer Leser*innen dennoch erhalten bleiben wird. Aber vermutlich nur solange, bis die deutsche Politik endlich bereit ist, neue Wege in Sachen Entkriminalisierung, Regulierung und Legalisierung in Sachen Cannabis einzuschlagen.

Christian Rausch

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4 Kommentare
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H'79
4 Jahre zuvor

Heftige Geschichte und sehr lehhreich. Die Coffe-Shop-Besitzer in Holland namentlich der Interviewte tun mir leid auch wenn ich gern glaube dass er und viele andere ihren Beruf sehr mögen. Du hast aber eigentlich zuviele Feinde. Der Mythos vom liberalen CannabisParadies ist eine allzu laienhafte Vorstellung. Die Realität ist eine andere, sehr harte. Die Prohibition muss auch deshalb gänzlich beendet werden, weltweit, aus humanitären Gründen. Danke für diese aufwendigen und aufschlussreichen Recherchen!

Hanf Solo
4 Jahre zuvor

Vertrauen, Respekt und keine Gier haben uns unsere Eltern beigebracht – erwarte ich also auch von allen anderen, auch alles bis zum letzten Cent zu bezahlen – mit diesen gelebten Grundsätzen wäre unser tägliches Leben herzlicher, Demokratie einfacher und die Wirtschaft + Umwelt sauberer…
Warum nur machen es sich viele so viel einfacher und bringen unser System an seine Grenzen?

Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Auf dem deutschen Schwarzmarkt kann man auch ein Messer abbekommen.Besonders von Junkies, die das Geld unter allen Umständen brauchen.

Karli
4 Jahre zuvor

Gebt mal “Die gefährlichste aller Religionen – Larken Rose” (Gunnar Kaiser) auf YouTube ein. Der kurze Film erklärt vieles.