Mittwoch, 25. Dezember 2019

Traumjob oder nur ein Luftschloss? (2)

In leitender Funktion im niederländischen Cannabis-Business

Teil 2: Von Grenzen, freundlichen Cops und einem System, das keine Rechtssicherheit gewährt

In der letzten Ausgabe habe ich ein wenig ketzerisch die Frage gestellt, ob Coffeeshop-Besitzer beziehungsweise leitende/r Angestellte/r in einem Coffeeshop kein Traumberuf sei. Klar, ich denke, die meisten der Leser*innen werden sich schon in so manchem Tagtraum verloren haben, in dem sie genau dieses Szenario herbeiträumen wollten: Als Inhaber/in eines Coffeeshops, den ganzen Tag mit dem grünen Lieblingskonsumprodukt Umgang pflegen, dieses stets zur Verfügung zu haben und dann auch noch Geld damit verdienen, indem sie Cannabis ganz legal an anständige, zahlende Kundschaft verkaufen …

Mehrere Rückblicke auf meine Recherchereisen haben mir indessen eher ernüchternde Einsichten in diese Materie beschert. Es ist nicht nur ein knallhartes Geschäft mit viel Konkurrenz, sondern aufgrund der vagen niederländischen Gesetzgebung laufen die Coffeeshop-Besitzer ständig Gefahr, inhaftiert zu werden. Also doch nichts mit dem Traumjob Coffeshop-Besitzer?

Nun ja, so kann man das auch nicht sagen. Die meisten Interview-Partner*innen versprühten einen inhärenten Enthusiasmus, der schon ein wenig neidisch macht. Oder mal anders formuliert: Wenn man den Erzählungen der Coffeeshop-Besitzer zuhört, stärkt das in der Regel schon den Wunsch, selbst einmal solche Abenteuer zu erleben – auch wenn sie manchmal brandgefährlich sind und es wirklich um Leben und Tod geht, insbesondere, wenn man es mit richtigen Gangstas zu tun hat.

In der Nähe des Leidsepleins in Amsterdam liegt zum Beispiel ein alteingesessener Coffeeshop. Früher war das ein normales niederländisches Café, in dem Bier, Wein, Spirituosen und – richtig – Kaffee ausgeschenkt wurden. Der Inhaber, Chuck (Name von der Redaktion geändert) ist ein sympathischer Typ, hat gerade die 40 überschritten. Typ Teddybär mit rötlich-braunem Vollbart und einer Nerd-Brille, die in ist. Als ich seinen Coffeeshop besuche, erzählt er mir, wie er an den Beruf gekommen ist. Sein Onkel hatte ihm, als er Anfang 20 war, aus Großbritannien die ersten Trips mitgebracht. Und einer dieser Trips enthielt für ihn die göttliche Offenbarung, dass er den Laden übernehmen und daraus einen Coffeeshop machen solle. Jetzt mal ganz ehrlich: Ich denke, viele von uns hätten nicht einmal eine Mikrodosis LSD benötigt, um zu dieser bahnbrechenden Erkenntnis zu gelangen. Doch dann klagt er mir zunächst sein Leid. Da der Coffeeshop nicht direkt an der Haltestelle Leidseplein, sondern ein paar Seitenstraßen weiter nach hinten versetzt liegt, liefen die Geschäfte bei ihm nicht mehr so gut. Er klagt über die starke Konkurrenz. Insbesondere die Filiale des Bulldogs macht ihm zu schaffen, da britische Tourist*innen dort hingehen und auch selten gewillt sind, neue Shops auszuprobieren. Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Chuck schenkt um der guten alten Zeiten willen alkoholfreies Bier aus, da er noch zu der Generation oder besser: der Fraktion gehört, die behaupten, dass Cannabis und Alkohol durchaus ein gewisses Ergänzungspotenzial besitzen. Sein Onkel hat ihm den Laden vermacht – er solle ihn herrichten und was draus machen. Das hat er wohl. Stolz präsentiert er seine nicht unbeachtliche Menue, die sich aber im Vergleich zu den großen Coffeeshops doch ein wenig schwertut und etwas bemüht wirkt. 

„Was war denn dein größter Ärger?“, möchte ich von Chuck wissen.

„In den Niederlanden oder insgesamt?“, fragt er.

Ich antworte ihm, dass das egal ist, solange es mit seiner Tätigkeit als Coffeeshop-Besitzer zu tun hat. Chuck kratzt sich ausgiebig hinter dem Ohr und bröselt noch ein wenig Kanten in sein Gras – er hat mir verraten, dass er das immer macht, damit er auch genügend CBD abkriegt.

„Also, das Erlebnis, das hätte am schlimmsten ausgehen können, war in Spanien“, beginnt er seine Erzählung. Natürlich besitzt Spanien inzwischen für die meisten niederländischen Coffeeshop-Besitzer eine herausragende Rolle. Dorther bezogen die Niederländer*innen bereits vor der Zeit der Cannabis Social Clubs einen Großteil ihres Haschischs und Cannabis. Nordafrika war vielen Inhaber*innen zu heikel – doch Spanien schreckte sie nicht ab. „Ich war bei meinen Freund*innen in Spanien zu Besuch“, fährt Chuck also fort. „Ich musste die Menue für das kommende Geschäftsjahr zusammenstellen und testete bei meinen Freund*innen in Südspanien jede Menge Gras und Haschisch. Wir hatten uns lange Zeit nicht mehr gesehen und so wurde es ein ziemlich wildes Wiedersehensfest. Die Jungs und Mädels wollten mir natürlich auch stolz präsentieren, was für tolles Zeug sie auf Lager hatten – und wie viel sie davon vertragen konnten. Das ging dann beinahe eine Woche so.“ Als Chuck mir das erzählt, läuft mir sprichwörtlich das Wasser im Mund zusammen. Denn das ist doch eine ganz ideale Vorstellung von harter und ehrlicher Arbeit. Den ganzen Tag in Spaniens wunderbarer Sonne zu sitzen, zig Sorten Gras und Haschisch auszuprobieren und sich dann zu überlegen, wie man die Menue für das kommende Geschäftsjahr aufstellt. Also besser geht es kaum. Doch Chuck wiegelt ab. „Und dann kam es ziemlich dicke. Ich meine, wir sind nicht die ganze Zeit auf der Finca gewesen, sondern sind auch eine Menge herumgefahren. Das war weniger geschäftlich, als vielmehr zum Vergnügen. Und natürlich haben wir immer reichlich Dope mitgenommen auf unsere Ausflüge. Da meine Freund*innen und ich vor der spanischen Polizei Respekt hatten, haben wir das immer gut in meinem Auto versteckt. Am letzten Abend, bevor ich zurück in die Niederlande reisen musste, hatte ich einen Geistesblitz. Ich musste mein Auto noch durchsuchen, denn sicherlich hatten wir so manches Piece und manches Tütchen Gras so gut versteckt, dass wir uns im bekifften Zustand nicht mehr daran erinnern konnten, wo dieses lag. Also schrieb ich auf einen Zettel am Abend des Abschiedsfests: Clean car. Doch die Sause war so heftig und dauerte so lange, dass ich am nächsten Tag ziemlich ratlos mit dem Zettel in der Hand dastand. Ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was ich mit Auto aufräumen, oder waschen meinte. Mein Auto war doch sauber. Und so fuhr ich dann zurück. An der französischen Grenze wurde ich dann tatsächlich von der Polizei und vom Zoll gestoppt. Warum ist mir bis heute ein Rätsel. Ich sehe doch überhaupt nicht verdächtig aus. Zum Glück hatten die keinen Hund dabei. Aber ich kann dir versichern, dass die äußerst gründlich mein ganzes Auto durchsucht haben.“ Ich kann die Pointe kaum noch abwarten und frage begierig: „Und?“ Chuck lächelt. „Mann, solch einen Schiss habe ich selten in meinem Leben gehabt. Ich hatte nämlich keine Ahnung, ob und wie viel Zeug in meinem Auto hatte. Aber sie haben nichts gefunden. Nicht einen Krümel.“ Chuck strahlt mich dabei an wie der Weihnachtsmann, was zu seinem Aussehen hervorragend passt. Natürlich möchte ich wissen, wie die Story weiterging. „Als ich dann zu Hause war, habe ich beschlossen, mich noch einmal intensiv auf die Suche zu machen. Das hatte weniger damit zu tun, dass es mir auf ein paar Gramm mehr oder weniger ankam. Aber ich wollte auf keinen Fall mehr beim Grenzübertritt in eine ähnliche Situation wie die vergangene kommen. Also, insgesamt habe ich dann über zwanzig Gramm Haschisch und Gras an verschiedenen Stellen in meinem Auto entdeckt. Die Verstecke waren so gut gewählt, dass nicht einmal die französischen Polizisten und Zöllner sie finden konnten. Meine spanischen Freund*innen wussten eben besser Bescheid als die professionellen Schnüffler vom Staat.“

In diesem Fall war ja noch einmal alles gut gegangen. Später noch zu einem Fall, der ganz anders ausgehen hätte können und den der Coffeeshop-Besitzer beinahe mit dem Leben hätte bezahlen müssen. Aber vorher noch einmal zum Thema niederländische Cannabis-Gesetzgebung und das damit einhergehende Thema der potenziellen Korruption. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass die Vlaamsegas in Nijmwegen seit geraumer Zeit einen gewissen Kultstatus innehat. Hier ist das verruchteste Viertel – vielleicht der ganzen Provinz Gelderland. In der Vlaamsegas wird schon seit langer Zeit der Verkauf von Haschisch und Gras toleriert. Heutzutage gibt es hier eine spannende Auswahl von Coffeeshops. Wenn man manche der Besucher*innen der Vlamsegas etwas genauer anschaut, wird man den Verdacht nicht los, dass es in der berühmt-berüchtigten Straße auch härtere Sachen als Cannabis zu erwerben gibt. Wobei Straße eindeutig übertrieben ist. Es handelt sich in der Tat um eine Gasse oder eher noch um ein Gässchen. Betritt man die Vlamsegas von der rückwärtigen Seite, dann passen nicht einmal zwei – sagen wir einmal – Männer, die gut und gerne bei amerikanischen Fast-Foods-Restaurants zu Gast sind. Aber, welch Wunder. Denn die Vlamsegas hält so manche Überraschung bereit. Denn der größte Coffeeshop der Vlamsegas ist ein wahres Wunderland: hier gibt es einen riesigen Verkaufsbereich, der Coffeeshop hat mehrere Billardtische, es gibt zahlreiche Großbildschirme, Dart-Tafeln und last but not least: eine riesige Sonnenterrasse. Hier spreche ich ziemlich ausführlich mit dem leitenden Angestellten, der ein netter, beinahe noch junger Kerl ist. Als ich auf das Thema Staatsmacht zu sprechen komme, zuckt er ein wenig ratlos mit den Schultern. „Ob wir Angst vor der Polizei haben? Aber auf keinen Fall. Das sind doch unsere Freunde.“ Dabei zwinkert er mir mehrdeutig zu. Ich hake nach, da mir diese Story noch nicht zu Ende erzählt erscheint. Was das denn in der Praxis bedeute. Jetzt muss er sich räuspern. „Na ja, das bedeutet, dass unser Chef sich sehr gut mit dem hiesigen Polizeichef versteht.“ Uff, auf einmal wird er ziemlich wortkarg. Ob er bereits mehr erzählt hat, als er darf? Oder ob er jetzt die Bombe platzen lässt, auf die ich sehnsüchtig warte? Nun, Hand aufs Herz, weder noch. „Die beiden verstehen sich gut und sind befreundet. Mein Chef sorgt dafür, dass wir uns insgesamt mit der Polizei gut verstehen. Das läuft immer aufs Selbe hinaus. Wenn neue Polizist*innen in den Job eingeführt werden, führt sie ihr Chef hierher. Da schütteln sie dann die Hände von einigen wichtigen Menschen und dann wissen sie Bescheid, wie das hier läuft.“ Hui, jede Menge unterschwellige Botschaften. Klingt für mich doch ziemlich korruptionsverdächtig, auch wenn mit keiner Silbe etwas über Geldzahlungen oder materielle Zuwendungen (in dieser Hinsicht hat ja ein Coffeeshop doch einiges zu bieten, oder?) die Rede ist. Was könnte dann gemeint sein? Ich bohre weiter, merke aber, dass mein Gesprächspartner nicht mehr möchte. Doch zu guter Letzt lässt er dann doch noch eine Winzigkeit raus: „Wir helfen der Polizei immer bei der Organisation ihrer Weihnachtszeit.“ Hossa: Weihnachten und Cannabisduft gehören doch zusammen wie Weihrauch und die katholische Kirche. Na ja, zugegeben hat er nichts. Kann ja auch sein, dass der Coffeeshop ein paar Kisten Cola und ein wenig Essen spendet. Allerdings hatte ich bei unserem Gespräch keine Sekunde einen Verdacht in diese Richtung. Mir kamen da schon ganz andere Dinge in den Sinn.

In der kommenden Ausgabe gibt es den letzten Teil dieser Trilogie. Dann geht es um Gangster, Deals, die ins Auge gehen können und Haschisch unter der Kneipentheke.      

Christian Rausch

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