Donnerstag, 28. November 2019

Der Stoff aus dem die Träume sind

Rohstoff


Es hat den Anschein, als ob der Schweizer Diogenes Verlag nun wirklich alle Werke des deutschen Schriftstellers Jörg Fausers neu auflegen möchte. Das ist auch in der Tat gut so. Denn Fauser hat gerade für die heutzutage schwierigen Zeiten immer noch sehr interessante und aufschlussreiche Bücher geschrieben. Ein wesentliches Merkmal ist dabei, dass Fauser sich politisch nicht wirklich positioniert hat. Er hat die Gesellschaft durch seine schriftstellerischen Rekonstruktionen dekonstruiert. Er hat der Gesellschaft gnadenlos den Spiegel vorgehalten und es gibt wenig, was vor Fausers Kritik sicher war. Aber Fauser ließ sich schlecht in ein schnödes Links-Rechts-Schema pressen. Er selbst sagte einmal sinngemäß, dass er zwar kein linker Revolutionär sei, dafür aber ein radikaler Rebell. Den Unterschied zwischen dem Revolutionär und dem Rebellen sieht er darin, dass der Revolutionär alle Brücken zur Gesellschaft hinter sich abgerissen hat. Der Rebell hingegen steigt eine Weile aus der Gesellschaft aus, ohne sich den Rückweg in sie zu verbauen. Heute nehmen wir uns eins von Fausers wichtigsten Büchern vor. „Rohstoff“ beschreibt in autobiografischer Form im Wesentlichen Fausers Jahre in Istanbul, die er dort Ende der 60er und Anfang der 70er dort verbracht hat. Da „Rohstoff“ wohl zugleich sein autobiografischstes Werk ist, lohnt es sich an dieser Stelle einen Blick in Fausers Biografie zu werfen.

Jörg Fauser stammte aus einem Künstlerhaushalt. Während der Vater bildender Künstler war, beherrschte seine Mutter das Schauspielfach. Fauser wuchs im hessischen Taunus auf. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass er bereits noch während der Schulzeit erste journalistische Publikationen vornahm. Entscheidend für seinen Weg in die Drogensucht dürfte seine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer Mitte der 60er Jahre gewesen sein. Anschließend begann er an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität ein Studium der Fächer Ethnologie und Anglistik, das er jedoch ein Jahr später abbrach. Als Fauser den Ersatzdienst antrat, wurde er von Opiaten, Opiat-Derivaten und Heroin erstmals wirklich abhängig, obwohl er bereits davor mit diesen Drogen hantiert hatte. Der Dienst in einem Heidelberger Krankenhaus bot ihm einfach zu schnellen und einfachen Zugang zu den Substanzen, nach denen sein Geist, seine Seele und sein Körper so sehr lechzten. Mitte während des Ersatz-Dienstes ging er 1967 für sechs Woche nach Istanbul. Danach zog er vollständig in das Istanbuler Drogenproblemviertel Tophane ab, in dem auch „Rohstoff“ überwiegend spielt. Nach dem Sommer der Liebe, im Herbst 1968, kehrte Fauser nach West-Berlin zurück, um dort vor dem Ableisten des Zivil- oder Bundeswehrdiensts befreit zu sein. Es gab Beziehungen von Fauser zur linksradikalen Szene, zum Beispiel zur Hausbesetzerszene im Frankfurter Westend – angeblich gab es hier auch Kontakte zum späteren Außenminister Joschka Fischer, der damals in diesen Kreisen sehr umtriebig war. Allerdings achtete Fauser penibel auf eine Abgrenzung von der Hausbesetzerszene, da er sich auch nicht von der linken Szene instrumentalisieren lassen wollte und zugleich nicht alle deren ideologische Standpunkte teilte. Nach sechs Jahren Heroinsucht gelang Fauser schließlich der Entzug durch eine radikale Methode, bei der ein Mittel namens Apomorphin eingesetzt wurde. Allerdings wurde Fauser sein Leben lang nie völlig clean, da er immer wieder Rückfälle erlitt. Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre war Fauser in der literarischen Szene auf verschiedenen Schauplätzen sehr aktiv. Allerdings blieb ihm die große literarische Anerkennung stets verwehrt, da er sich wohl bei den Kritikern nicht ausreichend anbiederte und diese ihn als Retourkutsche entweder völlig ignorierten oder aber verrissen.

Doch nun zum Buch: Jörg Fauser setzte der Ära, in der in Istanbul ein äußerst reger Drogentourismus herrschte, mit seinem 1984 mit dem programmatischen Titel „Rohstoff“ erschienenen Roman ein Denkmal. Der Titel bezieht sich sowohl auf den Stoff, den das Leben schreibt, also was Fauser erlebte, um es als Rohstoff in Literatur verwandeln zu können, als auch auf bewusstseinsverändernde Substanzen. In Fausers Fall geht es wie gesagt meistens um Opium und Heroin: „Einer goss Sprit auf den Steinfußboden und zündete ihn an, und solange die Flammen etwas Wärme erzeugten, versuchte der andere, eine Vene zu finden. Wir nahmen alles, was wir bekamen, und in der Hauptsache war es Rohopium, das wir aufkochten, Nembutal zum Dämmern, und alle möglichen Weckamine, um in Fahrt zu kommen. Wenn wir in Fahrt waren, mussten wir neuen Stoff besorgen“. (S. 7, Ausgabe 2009). 

Nach dem Sommer 1968 wurde Istanbul von Drogentouristen aus Europa und USA regelrecht überschwemmt, was Fauser und seine Freunde wenig gutheißen konnten und was er in „Rohstoff“ auch so darstellte: „Im Sommer fielen die Franzosen und die Österreicher in Istanbul ein. Horden von Hippies aus Wien und Paris, Tirol und der Bretagne, die die intime Atmosphäre, die bisher geherrscht hatte, in ein angeblich libertäres Tohuwabohu verwandelten. Sie trieben es in aller Öffentlichkeit in den Parks, sie fingen an zu betteln, sie stahlen und betrogen ohne jedes Raffinement […] Die Love&Peace-Saison war lange vorbei. Wir näherten uns rapide der Hölle“ (S. 21, ebd.). 

Bei diesen Schilderungen eines sicherlich nicht übertreibenden und übersensiblen Fausers ist es nicht überraschen, dass für die türkische Regierung die Ausschweifungen zu viel waren, um weiterhin bei den Rauschgiftsüchtigen ein Auge zudrücken zu können. Was folgte, war Repression – dieses Mal nicht selten mit drakonischen Strafen versehen. Es gab Ausweisungen, Verhaftungen und sogar Hinrichtungen, zum Beispiel als ein Amerikaner beim Streit um einen Deal zur Waffe griff und einen Türken erschoss. Haschisch kommt in „Rohstoff“, wie beinahe in allen von Fausers Werken, eher als Beiwerk vor. Fauser schätzte stets einen guten Joint, aber der besaß für ihn nicht dieselbe Priorität wie Heroin und Opium. Aber auch mit Haschisch hatte er in Istanbul naturgemäß reichlich Umgang, da dieses damals noch dort sehr einfach zu besorgen war.

Die in Fausers Roman „Rohstoff“ und in zahlreichen seiner Kurzgeschichten eindrücklich beschriebene Idylle und die Zerstörung derselben in Istanbul finden sich auch in zahlreichen anderen schriftlichen Dokumenten jener Zeit, sodass also davon ausgegangen werden kann, dass sich Fausers Schilderungen sehr nahe an der Realität hielten. Aber Fauser war ja nicht „nur“ ein Junkie, sondern ja auch Künstler, der das Leben des Süchtigen führte, um daraus Literarisches erarbeiten zu können. Fauser betätigte sich zudem noch als Schmuggler, da er ja in der Türkei Drogen in großer Menge erwarb und diese dann sogar nach Europa schmuggelte. Dass so etwas zu dieser Zeit (und auch heute) kein ungefährliches Unterfangen war, zeigt der Film „Midnight Express“ eindrücklich auf, denn hier wird ein Amerikaner am Flughafen von Istanbul mit jeder Menge Haschisch am Körper geschnappt und zu einer hohen Haftstrafe verurteilt. Dass dem amerikanischen Drogenschmuggler später die Flucht gelingt, half ihm ein wenig über die erlittenen Strapazen der harten Haftzeit hinweg. Fauser hatte jedoch im Gegensatz zum Protagonisten des „Midnight Express“ kein Haschisch, sondern Opium verkauft. Bei Fauser ging der Schmuggel gut. Er fliegt nach einer Weile wieder nach Istanbul, ist dann ziemlich enttäuscht von der Metropole, die er kurz zuvor noch so geliebt hat und nun nicht mehr wiedererkennen kann. Er kauft sich dort reichlich Drogen, um diese in Berlin mit einer hohen Gewinnspanne zu verticken. In Istanbul, so Fausers Gefühl, geht alles vor die Hunde: „Er war immer noch auf Opium, die alte Routine, den ganzen Tag dösend und sabbernd im Bett […] Ich traf einen anderen Bekannten von der dreckigen Kanüle […] Ich besorgte den Stoff. Er war teurer, als ich angenommen hatte und die Qualität war auch nicht besonders […] Mit dem ganzen Zeug in einem alten verbeulten Koffer bin ich in Frankfurt durch den Zoll. Der Beamte fragte: >>Haben Sie Wurst oder Fleischwaren dabei?“ (ebd. S. 42 f.) Diese Art von Comic-Relief ist für Fauser ganz typisch. Durch solche Szenen reißt er der bundesrepublikanischen Wirklichkeit die Maske vom Gesicht und stellt das Leben nicht verzerrt als das dar, was es ist: absurd, aberwitzig und nur mit einer gehörigen Portion Zynismus oder aber einer Menge guter Drogen aushaltbar.

Fausers Ende ist tragisch. In der Summe war er clean, von immer wiederkehrenden Rückfällen abgesehen. Aber danach verfiel er immer mehr dem Alkohol. Von Heroin zum massiven Alkohol scheint keine günstige Entwicklung und das legt den Verdacht nahe, dass bei Fauser lediglich eine Sucht- und Substanzverschiebung stattgefunden hat. Wirklich clean war er also in dieser Hinsicht wohl nie. Sein Tod ist so tragisch und mysteriös wie sein Leben. Nach einer rauschenden Feier mit unglaublichen Mengen an Alkohol starb er an seinem 43. Geburtstag, da er im Delirium auf der A 94 bei München von einem LKW erfasst wurde. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt: ein fahrlässig durch Rausch provozierter Unfall oder Selbstmord. Beides scheint bei dieser Biografie und dem bewegten Leben im Bereich des Möglichen zu liegen. Manche gehen sogar davon aus, dass es sich um einen Mord gehandelt haben könnte. Fauser recherchierte zu dieser Zeit nämlich über die Verstrickungen der bundesdeutschen Politik in den damals herrschenden Drogenhandel. Wer weiß, auf welche versteckten Geheimnisse er dabei gestoßen war und wem er dadurch hätte gefährlich werden können. Aber diese Überlegungen gehören ins Reich der Spekulation. Fest steht, dass Fauser so gestorben ist, wie er den Großteil seines Lebens ganz bewusst gelebt hat: im Rausch.

Christian Rausch

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4 Kommentare
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Otto Normal
4 Jahre zuvor

Er wäre besser bei den illegalen Substanzen geblieben. Selbst mit Heroin kann man, vorausgesetzt der Stoff ist sauber, sehr alt werden. Mit dem hochgiftigen Alkohol geht das nicht, egal wie sauber der Sprit ist.

Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

vom Cannabiskontrollgesetz habe ich nie wieder gelesen oder gehört.Und die Aktion von Richter Müller?Wann geht das eigentlich weiter?Ich bin wohl ein wenig ungeduldig.Warum wohl.Mir reicht es langsam.

Jo
4 Jahre zuvor

Ich kann jedem empfehlen mal DER VERBRAUCHERMARKT : EIN KAPUTTES SYSTEM auf Netflix zu schauen.
Gibt da übrigens noch mehr sehenswertes.

greg
4 Jahre zuvor

Great, i like it!