Sonntag, 17. November 2019

Amsterdam – die Stadt, die Sehnsüchte weckt

Ein Reisebericht von Sadhu van Hemp – Teil 1


„Äh, Männer, wir fahren nach Amsterdam“, platzte es aus unserem alten Freund Willi heraus, als wir vor unserer Stammkneipe im Regen standen und einen Joint rauchten. „Lasst uns noch mal das alte Feeling von damals erleben!“

Mit „damals“ meinte Willi den Frühsommer 1978, als wir das erste Mal Amsterdam mit unserem Besuch beglückten. Unvergessen sind die Strapazen, die wir seinerzeit auf uns nahmen, um aus der Mauerstadt Westberlin den weiten Weg bis in die Niederlande zu finden. Die Reise glich einem Hindernislauf, galt es doch drei Staatsgrenzen zu überwinden. Und das war für drei langhaarige Lausehippies in einem verbeulten Renault 4 kein leichtes Unterfangen, denn die Grenzpolizisten sahen uns an, dass wir nichts Gutes im Schilde führen. Insgesamt wurden wir bis zur niederländischen Grenze viermal von deutschen Grenzern kontrolliert, doch ernst sollte es erst am niederländischen Schlagbaum werden. Plötzlich stand die Frage des Zöllners im Raum, ob wir denn überhaupt genug Geld dabei hätten.

Die Frage war durchaus berechtigt, denn wir waren tatsächlich knapp bei Kasse. „Das ist zu wenig“, gab der Zollbeamte zu verstehen und bedeutete uns, den Rückzug anzutreten. Doch wir hatten ja einen Willi – und sein Postsparbuch dabei. Seinerzeit war es noch nicht üblich, dass Grünschnäbel über Kreditkarten verfügten, um mal eben den Dispokredit am Bankautomaten zu überziehen. Doch mit einem Postsparbuch gab es die Möglichkeit, schnell und unkompliziert an Bargeld zu kommen. Am Grenzübergang gab es eine Postfiliale, und so ließ sich Willi dreihundert D-Mark auszahlen und tauschte diese gegen Gulden. Schließlich musste der Zöllner den Schlagbaum öffnen – und ab ging’s ins Kiffer-Paradies Amsterdam.

Die Sonne versank blutrot hinterm Horizont, als wir in der Grachtenstadt einfielen. Erstes Ziel war das Melkweg in der Lijnbaansgracht, das uns empfohlen wurde. Da wir an einem Wochentag angereist waren, hatten wir kein Problem eingelassen zu werden. Dennoch – die alte Zuckerraffinerie und Molkerei war proppenvoll und platzte aus allen Nähten. Natürlich haben wir uns zu allererst in jenen Saal begeben, in dem es das erwerben gab, weswegen wir nach Amsterdam gefahren waren: Haschisch und Gras.

Für uns Berliner war eine offene Dealerszene nichts Ungewöhnliches, aber das, was wir hier zu Gesicht bekamen, übertraf jegliche Vorstellungskraft. Im Saal waren unzählige Marktstände aufgebaut, die alles anboten, was des Kiffers Herz begehrt. Zur Auswahl standen neben einer Riesenauswahl an Paraphenalia vor allem Haschisch und Marihuana aus aller Welt. Der ganze vordere und hintere Orient war mit seiner Produktpalette vertreten, vom grünen Lachtürken bis zum Nepalesen war alles zu haben. Auch das Grassortiment war beachtlich und hielt internationale Leckereien bereit, die in Westberlin nicht zu bekommen waren. Unsere erste Wahl fiel auf Gras aus Nigeria – fünf Gramm für 25 Gulden.

Die erste Tüte hat uns auf der Stelle umgehauen. Mit Mühe konnten wir an einem Durchgang auf einer Bank einen Sitzplatz ergattern und auf Stand-by-Modus schalten. Gefühlt verharrten wir über Stunden in narkotischem Zustand, bis uns nach einer halben Stunde Echtzeit der Heißhunger packte. Das Melkweg hatte zu diesem Zweck extra einen Fresssaal mit langen Tischreihen eingerichtet, wo es für kleines Geld Süppchen und Eintöpfe gab. Alkoholische Getränke wie Bier wurden nicht ausgeschenkt, dafür aber Tee und für die ganz Durstigen Brause. Nach der Nahrungsaufnahme gingen wir daran, den Ort der Glückseligkeit zu inspizieren. Auf zwei Bühnen spielten Live-Bands, und so verliefen wir uns bis Feierabend in den verwinkelten und haschgeschwängerten Räumen des Melkweg. Das Schönste war jedoch die friedliche Stimmung: Niemand verbreitete Stress oder Hektik und alle waren Brüder und Schwestern.

Gegen drei Uhr morgens fanden wir dann in unserer Breitheit den R4 wieder, ohne dass ihn deutsche Exil-Junkies aufgebrochen und geplündert hätten. Die Suche nach einem Schlafplätzchen in freier Natur gestaltete sich jedoch ohne Ortskenntnisse alles andere als leicht. Irgendwie landeten wir in der Nähe des Flevopark auf einer Wiese und schlugen dort unser Feldlager auf. Die Nacht war kurz und von allerlei Störungen unterbrochen. Gegen sieben Uhr wurden wir das erste Mal geweckt – von einem bemannten Rasenmäher, der uns umkurvte. Eine Stunde später wurden wir von einem weißhaarigen Niederländer aus dem Schlaf gerissen, der direkt neben uns sein Campingmobil parkte und allerhand Equipment aufbaute. Wieder eine Stunde später erwachten wir abermals – und das, was wir erblickten hätte skurriler nicht sein können. Während der niederländische Opa für sich allein vor seinem Campingwagen saß, Zeitung las und Kaffee trank, marschierte Willichen mit seinem Kulturbeutel unterm Arm und Handtuch um den Hals über den Platz und vermeldete: „Hier gibt’s ein Toilettenhäuschen mit Duschen und allem.“ Ohne dass wir es gemerkt haben, waren wir auf einem Tagescampingplatz gelandet. Doch der Hammer war, dass der gute Willi in der Nacht direkt vor dem Eingang des Toilettenhäuschens ein Häufchen abgelegt hatte, das nun in der Morgensonne ausdünstete und einer Armada von Schmeißfliegen als Nahrungsquelle diente.

Nach der Morgentoilette bekamen wir eine Einladung zum Frühstück. Der freundliche Opa tischte uns frischen Bohnenkaffee und Käsebrötchen auf. Obwohl der gute Mann während der Besatzungszeit sicher keine guten Erfahrungen mit den Deutschen gemacht hatte, nahm er uns so, wie wir waren und trug uns die Verbrechen unserer Vorväter nicht nach. Im Gegenteil, er plauderte munter drauf los und schwärmte von den deutschen Frauen. Als Zwangsarbeiter auf einem märkischen Gutshof war er in den Genuss gekommen, in Ermangelung deutscher Männer sämtliche Dorfschönheiten zu deflorieren. Daher hielt sich sein Hass auf alles Deutsche in Grenzen – und wir profitierten von seiner Güte.

Nach dem Frühstück suchten wir den Weg zurück nach Amsterdam-City. Unterwegs kamen wir am Flevoparkbad vorbei, und da wir schönstes Sommerwetter hatten, gingen wir erst einmal eine Runde schwimmen – in Feinrippunterhose.

Pünktlich zur Koffietijd kehrten wir in einem Coffeeshop in der Prinsengracht ein. Wieder hatten wir die Qual der Wahl: Gras oder Hasch? Wir entschieden uns für schwarzes Edelhaschisch aus Nepal und Kaschmir. Bereits die erste Tüte hebelte uns komplett aus. Willi schwächelte kurz, aber nachdem er – wie es sich für Drogentouristen aus Deutschland gehört – in die Gracht gereihert hatte, kam er wieder einigermaßen zu sich.

Wir verlebten einen traumhaften Nachmittag und konnten unser Glück gar nicht fassen, fernab des deutschen Prohibitionswahnsinns entspannt an einem Bistrotisch zu sitzen und unbehelligt zu quarzen. Als uns dann noch drei flotte Niederländerinnen ansprachen und uns anboten, die Nacht mit ihnen im Studentenwohnheim zu verbringen, war das Glück perfekt.

Übernächtigt traten wir am darauffolgenden Tag die Rückreise nach Westberlin an. Da wir sämtliche Kohle verballert hatten, kamen wir nicht dazu, Vorräte mitzunehmen. Und das war auch gut so, denn an der Grenze erwartete man uns bereits – diesmal aber auf deutscher Seite. Die Zöllner spulten das Komplettprogramm ab: Fahrzeugdurchsuchung und Leibesvisitation. Und das, obwohl wir energisch verneinten, illegale Drogen nach Deutschland einzuführen, und jeder einigermaßen versierte Zöllner erkennen musste, dass bei uns nichts zu holen ist. Es ging ausschließlich darum, uns zu schikanieren und zu demütigen.

Als wir spät am Abend zu Hause eintrudelten, führte uns der erste Weg in unsere Stammkneipe, in der Hoffnung, dort den Hausdealer anzutreffen. Doch der war tags zuvor hops genommen worden und es herrschte Ebbe. Weit und breit war kein Gramm Dope aufzutreiben. Das Ende vom Lied war, dass wir uns mit Bier zuschütteten und zunehmend darüber ärgerten, dass uns der liebe Gott in Dunkeldeutschland das Licht der Welt erblicken ließ.

Fortsetzung folgt!

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2 Kommentare
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HANS Meyer
4 Jahre zuvor

Das erstmal in Amsterdam 1986!
Es war schon beeindruckend. Als wir uns auf den Rückweg machen wollten mussten unser Auto ca. 3 Std. suchen. An der Grenze mussten wir in eine Halle fahren und wurden komplett durch gefilzt. Gefunden wurde nichts.
Ein Kumpel hatte Grasöl auf der Strasse gekauft. Das Geschäft lieft ganz schnell. Nach öffenen der Alufolie stellte sich herraus das es Hundescheisse war. Super für 100 Gulden hatte er Hundescheisse gekauft.
Wird heute noch drüber gelacht.

Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Ich kann auch aus dieser Zeit erzählen.In der Zeit zwischen 1979 und 1984 war ich dreimal auf dem Campingplatz nahe bei Amsterdam.Als ich einmal nur für einen Tag mit vier weiteren Leuten in Amsterdam war,wurden wir kurz vor dem Anzünden des Joints auf einem Parkplatz in der Nähe von Amsterdam von der holländischen Polizei gebarstet.Es stellte sich heraus,daß die, oder vielleicht auch die deutschen in Zusammenarbeit,uns den ganzen Tag nicht aus den Augen gelassen haben.Total gefrustet verließen wir die Niederlande ohne ein Fatz geraucht zu haben.An der Grenze mußten wir nur mal kurz den Käferkofferraum öffnen,in dem sich nur die Äpfel befanden,die wir schon seit Wochen spazieren fuhren.Als ob der Zöllner wußte,daß bei uns nichts mehr zu holen war.Es folgte… Weiterlesen »