Samstag, 16. November 2019

Traumjob oder nur ein Luftschloss?

In leitender Funktion im niederländischen Cannabis-Business


Teil I: Backdoor-Policy, 500-Gramm-Grenze und Jugendschutz

Jetzt mal ganz ehrlich und Hand aufs Herz: Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, einen eigenen Coffeeshop zu besitzen? Oder in einem Coffeeshop in leitender Funktion tätig zu sein? Sind dann die Verlockungen nicht wahnsinnig groß? Wer würde sich dann nicht vorkommen wie ein kleiner Junge im Willi-Wonka-Wonderland? Im ganzen Laden gäbe es die köstlichsten Naschereien – jeden Tag, jede Stunde, jede Minute – wann auch immer das Herz danach begehrt. Obwohl ich Realist bin und weiß, was im Leben möglich ist und was nicht, muss ich zugeben, dass auch ich schon manche Minute mit derartigen Tagträumen zugebracht habe.

Es zählt allerdings zu den Nebenerscheinungen eines Cannabis-Reporters, dass der Einblick in die Wirklichkeit einen schnell von solch überbordenden Fantasien zurückholt. Bei meinen zahlreichen Recherche-Reportagen in den Niederlanden war es mir immer wieder vergönnt, mich ausgiebig mit Coffeeshop-Besitzern und leitenden Angestellten von Coffeeshops auszutauschen. Und hierbei habe ich auch viel über die Schattenseiten dieses Berufs kennengelernt, die sich der Laie in der Regel gar nicht so vergegenwärtigt. Diese Aspekte möchte ich im folgenden Artikel beleuchten, wobei die positiven Begleitumstände einer solchen Tätigkeit nicht ganz verschwiegen werden sollen.

Eine Sorge eint viele Coffeeshop-Besitzer in den Niederlanden. Dies habe ich in den unterschiedlichsten Städten gehört: Amsterdam, Rotterdam, Eindhoven, Nijmwegen, Den Haag, Arnheim und so weiter und so fort. Das diesbezügliche Stichwort dürfte auch den hiesigen Freunden der Cannabispflanze gehörig den Schrecken in die Glieder fahren lassen. Aufgrund des Hybridstatus hinsichtlich der Legalität von Coffeeshops haben viele der in diesem Bereich arbeitenden Menschen Angst vor dem Konflikt mit dem Gesetz. Kurz zur Erinnerung: In den Niederlanden ist zwar Cannabis-Konsum entkriminalisiert, aber es herrscht immer noch die sogenannte Backdoor-Policy. Coffeeshops dürfen demnach ihr Gras und Haschisch legal an volljährige Kunden verkaufen (in Städten mit dem eingeführten Wiet-Pas allerdings nur an Einwohner; alle anderen Städte dürfen auch an Touristen verkaufen), aber sie müssen es nach wie vor mehr oder weniger illegal ankaufen. Das bedeutet, dass der Dealer den Coffeeshop durch die Hintertür betreten muss und dem Besitzer des Coffeeshops heimlich die Ware verkaufen muss. Erschwerend kommt hinzu, dass die Coffeeshops zu keinem Zeitpunkt mehr als 500 Gramm Haschisch und Gras gleichzeitig in ihrem Laden haben dürfen. Wer die gut frequentierten Coffeeshops in Amsterdam und anderswo kennt, der weiß auch, dass diese Menge schlichtweg lächerlich niedrig ist, da die Touristen häufig in nicht vorhersehbaren „Schwüngen“ vorbeischauen und der Coffeeshop dann ganz schnell leergekauft ist beziehungsweise, dass einige der auf der Menue feilgebotenen Waren dann nicht mehr da sind. Dieses Szenario ist für alle, mit denen ich gesprochen habe, furchtbar, denn nichts ist schlechter für den Ruf und das Renommee eines Coffeeshops, als nicht die angepriesenen Waren vorrätig zu haben. Deshalb stehen Coffeeshop-Besitzer immer mit einem Bein im Gefängnis, denn sie müssen in der Nähe ihres Ladens ein Depot haben, aus dem sie schnell und bei Bedarf Nachschub organisieren können. Deshalb ist schon alleine der Ankauf von großen Mengen Gras oder Haschisch streng genommen illegal. Einmal wurde ich Zeuge eines solch großen Deals. Der Chef-Manager einer der größten und bekanntesten Amsterdamer Coffeeshop-Ketten (ebenso Samenbank, Restaurants uns so weiter -also beinahe ein richtiger „Konzern“) saßen in einem gemütlichen Restaurant bei Bier und gutem Essen. Der Manager, mit dem ich schon seit Jahren freundschaftlich verbunden bin, schaute immer wieder nervös auf sein Handy. 

„Jetzt müsste er bald kommen“, wiederholte er ein ums andere Mal. 

Die Rede war natürlich dabei von seinem Dealer oder, um ein neutraleres Wort zu benützen, seinem Lieferanten. Schließlich betrat ein durchtrainierter Mann in seinen 40er Jahren das Restaurant und blickte sich nervös um. Als er meinen Gesprächspartner erkannte, hellte sich seine Miene auf. Er kam zu unserem Tisch und stellte eine hochwertige, dunkelbraune Ledertasche darunter. Es war offensichtlich, dass der Mann Wert auf eine gepflegte Erscheinung legte, um nicht der Polizei oder sonst jemandem unangenehm aufzufallen. Zur Tarnung gehörte auch die exklusive Ledertasche, die mindestens fünfhundert Euro kostete. Mein Freund nahm die Tasche und öffnete sie so, dass auch ich einen Blick reinwerfen konnte. Was ich sah, haute mich bald vom Hocker. In der Tasche befand sich luftdicht verpacktes und stark gepresstes Gras.

„Wie viel ist das?“, wollte ich wissen.

Doch Freundschaft ist Freundschaft und Business ist Business, sodass ich keine Antwort erhielt. Allerdings schätz ich das Volumen der dort gehandelten Ware auf mehrere Kilogramm.

„Die Menge ist auf jeden Fall ausreichend, um mich und meinen Kollegen hinter Gitter zu bringen“, erhielt ich dann zur Antwort und die beiden Niederländer mussten herzlich lachen – wobei ich glaube, dass eine Spur Angst mit dabei war.

Vielen Coffeeshop-Besitzern in den Niederlanden geht es so wie meinem Freund in Amsterdam, denn sie müssen die Ware ja in größeren Mengen erwerben, damit für sie der Preis stimmt und sie überhaupt Gewinn erwirtschaften können. Zudem ist es auch eine logistische Frage, denn Coffeeshop-Besitzer können nicht einfach jeden Tag aufs Neue Ware begutachten, testen und dann ankaufen, um sie in ihren Shops weiterveräußern zu können.

Die widersprüchliche niederländische Gesetzeslage zwingt also niederländische Coffeeshop-Besitzer dazu, ständig Straftaten zu begehen. Dabei ist zweierlei in Gefahr. Einmal die Freiheit des Geschäftsmanns und zum anderen aber auch die Existenz des eigenen Ladens. Denn, wenn ein Coffeeshop-Besitzer beim Ankauf von zu viel Ware oder aber beim Besitz von zu viel Cannabis erwischt wird, dann droht die dauerhafte und irreversible Schließung des Coffeeshops. Diese Szenarien – Knast und/oder Laden zu – sind verständlicherweise ein Supergau-Szenario, das es nach allen Regeln der Kunst zu vermeiden gilt.

Nur so lassen sich auch manche Skurrilitäten erklären. Ein anderer Chef-Manager einer der bedeutendsten niederländischen Cannabis-Marken (Coffeeshops, Growshops, Samenbanken, Restaurants, Hostels …) erklärte mir, dass er eine Person in Vollzeit beschäftige, welche ständig die eigenen Coffeeshops aufsuche, um zu kontrollieren, dass sich darin nie mehr als die erlaubten 500 Gramm Gras und Haschisch befinden. Bis dahin hatte ich mir auch in meinen kühnsten Träumen niemals solch ein Berufsbild vorstellen können. Eine Berufsbezeichnung gibt es wohl kaum und es dürfte auch schwierig sein, hier einen passenden Begriff zu finden. „Nachwieger“, „Gewichtskontrolleur“ …

In Rotterdam wurde mir hinsichtlich dieser Aspekte gleich mehrfach das Herz ausgeschüttet. Natürlich hängt alles von einem guten Verhältnis zu den örtlichen Polizei-Behörden ab – oder noch besser: zur Spitze der Gemeindeverwaltung, sprich dem Bürgermeister. Auf diesen nicht unwesentlichen Aspekt des Geschäftslebens als Handelnder mit Gras und Haschisch in den Niederlanden werde ich in einer der Fortsetzungen dieser Artikel-Serie noch einmal aufgreifen und vertiefen. Ein Coffeeshop-Besitzer mit maghrebinischem Hintergrund, der seinen Laden in der (berühmt-berüchtigten) Chinatown Rotterdams hat, verriet mir seine große Angst vor der Polizei.

„Es hängt alles davon ab, ob es dir gelingt, ein gutes Verhältnis zur Polizei aufzubauen. Wenn du das nicht hast, dann bist du dran. Die machen deinen Laden schneller dicht, als du gucken kannst. Da muss nicht einmal irgendetwas Illegales vorliegen. Auch mit weniger als 500 Gramm in deinem Laden gibt es zahlreiche Begründungen, wieso die Behörden deinen Laden schließen können. Manchmal versuchen sie dir in krassen Fällen sogar mehr Cannabis unterzuschieben, als tatsächlich da war. Das machen sie natürlich nur, wenn sie dich ohnehin schon im Visier haben.“

Ich finde, solch eine Aussage sollte man erst einmal sacken lassen. Denn wer hätte gedacht, dass niederländische Behörden ein solches Maß an Willkür walten lassen können. Nun gut, wer die Meldungen bezüglich Cannabis-Delinquenten in Deutschland aufmerksam verfolgt, kommt nicht umhin, auch hier festzustellen, dass manchmal der Eindruck von Willkürlichkeit der Behörden und Justiz entstehen könnte. 

In Eindhoven wurde mir noch von anderen schmutzigen Tricks berichtet, die zur Schließung von Coffeeshops führen können. Häufig sind es Nachbarn, denen der Cannabis-Laden ein Dorn im Auge ist. Diese rufen dann häufig die Polizei, zum Beispiel wegen angeblicher Lärmbelästigung. Wer sich in niederländischen Coffeeshops auskennt, weiß, dass dies wohl eher die Ausnahme ist, denn Kiffer sind ja in der Regel eher ruhig und introvertiert. Doch damit ist das Maß an Perfidität noch nicht voll. Denn die Lärmbelästigungsanzeigen führen nicht immer zum gewünschten Erfolg. Also packen die bösartigen Nachbarn tief in die Trickkiste und zeigen den unliebsamen Coffeeshop-Besitzer an, da er angeblich Cannabis an Jugendliche verkauft hat. An sich dürfte an diesem Punkt Einigkeit bestehen. Selbstverständlich ist ein Verkauf an Minderjährige zu vermeiden und die Coffeeshops, welche dies nicht tun, sollten auch mit Sanktionen rechnen. Schließlich sollte Jugendschutz auch und gerade beim Thema Cannabis großgeschrieben werden. Doch häufig sind diese Beschuldigungen einfach erfunden. 

„Das Problem an dieser Geschichte ist, dass der Coffeeshop-Besitzer in diesem Fall quasi seine Unschuld beweisen muss“, erklärte mir mein Gesprächspartner aus Rotterdam. „Es ist schon klar, wie schwer der Beweis der eigenen Unschuld bei einem angeblichen Delikt ist, das gar nicht begangen wurde. Und jetzt hängt alles von deinem Ruf und deinen Beziehungen zu den Behörden ab.“

Klang für mich wieder nach ziemlicher Willkür. In jedem Fall zeigt es, dass Coffeeshop-Besitzer sich nie wirklich sicher fühlen können.

Alleine schon dieser kleine Einblick in das Dasein von niederländischen Coffeeshop-Besitzern dürfte aufgezeigt haben, dass dieses nicht nur einem traumhaften Leben entspricht. Im Gegenteil, es gibt allenthalben Fallstricke, welche die eigene Freiheit und die Existenz des Ladens gefährden können. Mit diesem ständigen Spannungsverhältnis muss ein Coffeeshop-Besitzer also gut umgehen können. Wer die Nerven dafür nicht besitzt, der sollte sich von seinem vermeintlichen Traumberuf verabschieden.

Zu guter Letzt sei aber noch angemerkt, dass all die in diesem Artikel erwähnten Personen sehr glücklich und zufrieden hinsichtlich ihrer Tätigkeiten wirkten. Wie bei beinahe jedem Beruf gibt es wohl auch hier Licht und Schatten.

Von den Schattenseiten wird in der nächsten Ausgabe noch mehr berichtet.

Christian Rausch

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7 Kommentare
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Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Wenn man sich Deutschland,Frankreich,England und Italien im Vergleich anschaut,ist es fast ein Wunder, was in den Niederlanden möglich ist.Allen Widrigkeiten zum Trotz.

R. Maestro
4 Jahre zuvor

Was soll eigentlich der Scheiss, von wegen Gesundheits, -oder Jugendschutz?!Diese Argumente sind so inhaltslos, wie zu Anslingers Zeiten!
Die Gesundheit ist nur ein vorgeschobenes Argument.Über den zweiten Weltkrieg weiss man heute angeblich alles.Über den Mist von Anslinger angeblich nichts? Und das nahezu weltweit?!
Man sollte die Jugend vor der vernichtenden, asozialen Verfolgung schützen.Vor karrieregeilen Cops und bislang auch Mortlerinnen.Aber an diesem Punkt ist der Nachwuchs Mittel zum Zweck.
Wie ca. 1945 zum Volkssturm und der Hitlerjugend, missbraucht man sie.
Dies betrifft JEDEN, welcher sich fragt, ob er nicht,(sein Leben, seine Gesundheit, seine Zukunft) an die Pharmaindustrie verkauft hat.Und wenn es heutzutage mal einen Prohibtionswichtel erwischen sollte, dass ihm nur Hanf hilft, willkommen bei den “Untermenschen”.

DEPPENPACK!!!

michael pohlmann
4 Jahre zuvor

danke für den sehr intessanten beitrag!

Geld aus dem Nichts
4 Jahre zuvor

Über die hälfte der Deutschen würden gerne Auswandern .https://www.welt.de/vermischtes/article181832452/Umfrage-Mehr-als-die-Haelfte-der-Deutschen-wuerde-gern-auswandern.html

Über 100 000 deutsche wandern jährlich aus . https://www.welt.de/politik/deutschland/article174502114/Zu-und-Abwanderungen-Immer-mehr-Deutsche-verlassen-das-Land.html

Über 50 % der deutschen , haben keine Privatsphäre in der eigenen Wohnung . Und kaum einer ,Klagt dieses Grundrecht ein . Dank Pseudosozialisten … .

Geld aus dem Nichts
4 Jahre zuvor

Anstatt betroffene leser zu motivieren und grundlagen für Politische veränderungen zu schaffen , durch einklagen bereits vorhandenen Grundtrechte z.b. der Privatsphäre , schwelgt das Hanfjournal lieber in revolutions folklore und Rassistischen Feminismus ..

Geld aus dem Nichts
4 Jahre zuvor

Pseudosozialisten .

Otto Normal
4 Jahre zuvor

Danke für den Artikel. Sehr interessant. Eine sogenannte “Duldung” ist das Ende eines Rechtsstaates. OK es ist geil daß man in NL überhaupt was zu rauchen kriegt. Aber vergessen wir mal die gottverdammten Blagen. Immer diese Kacke mit dem Jugendschutz. Wenn es wirklich um Jugendschutz würden die Volksverräter Alkohol nicht ab 16 erlauben wo das Gehirn noch in der Entwicklung ist. Die Frage ist: Was ist mit dem Gesundheitsschutz der Erwachsenen Kunden? Haben die keine Rechte? Duldung ist Willkür. Alles kann nichts muß. Das Ende des Rechtsstaates! Das Recht wird im Dreckloch der Gnade und der Willkür ersäuft. Nach mehr als 40 Jahren Erfahrung mit Coffeshops ohne das die Gesellschaft unterging müßte sich auch das fortschrittliche NL endlich weiterentwickeln. Der… Weiterlesen »