Montag, 2. September 2019

Niederländisches Cannabis-Experiment soll 2021 starten

Coffeeshops in zehn niederländischen Städten sollen vier Jahre lang ausschließlich „Staatswiet“ zum Verkauf anbieten

Cannabis

 

 

Sadhu van Hemp

 

Die Würfel sind gefallen: Am „Wietexperiment“ teilnehmen sollen Arnheim, Almere, Breda, Groningen, Heerlen, Hellevoetsluis, Maastricht, Nimwegen, Tilburg und Zaanstad. Das gab die niederländische Regierung letzten Donnerstag bekannt. Ab 2021 darf in den derzeit 79 zugelassenen Coffeeshops der beteiligten Städte im Rahmen der vierjährigen Testphase nur noch industriell hergestelltes und werkseitig verpacktes „Staatswiet“ verkauft werden. Das Sortiment soll zwölf Sorten Cannabis mit niedrigem bis mittlerem THC-Gehalt umfassen. Die teilnehmenden Coffeeshops werden also künftig keine Anlaufstelle für Hanffreunde sein, die Haschisch und Gras aus fernen Ländern bevorzugen.

 

Ziel des „Wietexperiments“ ist, herauszufinden, ob mit dieser Regelung der Cannabis-Kriminalität der Boden entzogen werden kann. Überdies soll untersucht werden, inwieweit gesundheitliche Schäden durch mangelnde Qualität aus nicht kontrolliertem Anbau minimiert werden können. Mit mangelnder Qualität ist u.a. der hohe THC-Gehalt mancher Premium-Sorten gemeint.

 

Endgültig Entwarnung gibt es für Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht. Die Coffeeshop-Dichte der vier Städte ist einfach zu hoch, um die Grundvoraussetzung für die Studienteilnahme zu erfüllen, alle Coffeeshops der Gemeinde ins Boot zu holen. Unberührt vom „Wietexperiment“ bleiben auch die übrigen knapp 500 Coffeeshops in den Niederlanden. Dort wird weiterhin durch die Hintertür angeliefert, was die Herzen der Cannabis-Gourmets höher schlagen lässt.

 

Die Bekanntgabe der teilnehmenden Städte ist jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss. Abgesehen davon, dass von den vier Koalitionsparteien nur noch D66 an einen Erfolg des „Staatswietexperiments“ glaubt, mehren sich auch in den betroffenen Gemeinden Stimmen, die dem Modellversuch kritisch und ablehnend gegenüberstehen. Das Vorhaben der Regierung, den Städten das Experiment en passant überstülpen zu können, wird am Mitspracherecht der Lokalpolitik scheitern.

So will beispielsweise der Bürgermeister von Almere erst mit den verschiedenen Parteien Rücksprache halten und den Gemeinderat bei der Entscheidungsfindung einbinden. Es müsse deutlich gemacht werden, dass das Experiment für die Gemeinde Almere nicht gratis zu haben ist. Geschätzt werden Kosten in Höhe von rund einer Million Euro jährlich, die aus der Stadtkasse zu begleichen sind. Darüber hinaus sei mehr Polizeikapazität erforderlich, um die Coffeeshops zu überwachen und den zu erwartenden Straßenhandel einzudämmen. Almere fordert daher eine Kostenübernahme durch den Bund.

 

Auch die Polizei geht nicht davon aus, dass der Modellversuch nennenswerte Auswirkungen auf die organisierte „Hanfkriminalität“ haben wird. Schließlich sei der illegale Cannabis-Anbau ein milliardenschweres Exportgeschäft. Schätzungsweise 70 bis 90 Prozent der niederländischen Hanfernte werden im Ausland in Rauch aufgelöst, und die Guerilla-Grower werden weiterhin für Nachschub sorgen. Die Polizei fürchtet vielmehr zusätzlichen Arbeitsaufwand im Kampf gegen den Straßenhandel und den damit einhergehenden Belästigungen.

 

Große Unsicherheit herrscht auch darüber, ob bis zum Start des Experiments alle Coffeeshop-Eigner der betroffenen Städte davon überzeugt werden können, das Wagnis einzugehen. Vor allem das eingeschränkte Sortiment missfällt den Betreibern. Entsprechend laut ist die Forderung, neben Staatswiet auch andere Grassorten und Haschisch anzubieten. Dieses Zugeständnis sei unerlässlich, um zu gewährleisten, dass die Kundschaft der am Experiment teilnehmenden Coffeeshops nicht auf den Schwarzmarkt zurückgreift oder in andere Gemeinden abwandert. Wer gute Rauchwaren bevorzugt, für den ist es kein Ding, mal eben von Almere nach Hilversum zu radeln.

 

Start und Gelingen der Studie hängt nun von der Ausarbeitung der Details ab. Verpackung, Preisgestaltung und Sortenvielfalt sind nur einige Streitpunkte, die die Regierung in Den Haag gemeinsam mit den Gemeinden und Coffeeshops ausräumen muss. Und das ist die Krux, denn die vielen Sonderwünsche überfordern die bürgerlich-liberale Regierungskoalition, die sich die Umsetzung des ungeliebten „Wietexperiments“ ohne Zugeständnisse vorgestellt hat.

Zudem dämmert den Abgeordneten von VVD, CDA und CA, dass legales Staatswiet eine Gesetzesänderung verlangt, die konträr zur Agenda ihrer Parteien steht.

Die Christdemokratin Madeleine van Toorenburg (51) nimmt kein Blatt vor den Mund und verrät das eigentliche Ziel der Regierungskoalition: „Wir finden Drogen katastrophal für die Menschen und wollen den ganzen Mist schließen. Wie auch immer, die Realität ist, dass es dafür keine Mehrheit gibt.“ Mit „Mist“ meint die 51-Jährige die vor 43 Jahren zugelassenen Coffeeshops. Die VVD-Abgeordnete Antoinette Laan (54) hält das Experiment für „naiv“, aber wohl mehr aus ideologischen als auch rationalen Gründen.

 

Das seit 2017 anhaltende Hickhack um staatlich kontrolliertes Cannabis geht mit der Bekanntgabe der teilnehmenden Gemeinden in die nächste Runde. Nun soll Butter bei die Fische gelegt werden. Doch ob von irgendeiner Seite überhaupt noch der ernsthafte Wille besteht, ein für alle akzeptables Resultat zu erzielen, darf bezweifelt werden. Die Regierungsparteien VVD, CDA und CA werden sich hüten, etwas zu beschleunigen, was nicht in ihrem Sinne ist. Zumal im Herbst 2021 Neuwahlen anstehen und sich die Chance eröffnen könnte, mit einer rechtsliberalen Allianz ohne D66 den ganzen „Mist“ zu beenden – und zwar komplett und für alle Zeiten.

Den Coffeeshops stehen so oder so keine rosigen Zeiten bevor, da ein linksgrünes Bündnis nicht in Sicht ist, das eine generelle Cannabis-Freigabe durchsetzen könnte. Die Lage ist prekär und die Coffeeshop-Eigner müssen genau abwägen, ob sie zur langfristigen Existenzsicherung die Kröte „Staatswiet“ schlucken oder nicht.

 

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6 Kommentare
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Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Es ist ja wohl klar,daß auf die Ausweichmöglichkeiten zurückgegriffen wird und die teilnehmenden Coffeeshops auf ihrem Mist sitzen bleiben werden.Ladenhüter.

Greenkeeper
4 Jahre zuvor

Die Politiker von der CDA labern nur rum. Die Coffeeshops gibt es seit 1976, zur Zeit um die 500 im ganzen Land. Die Coffeeshops sind ein nicht unbedeutender Wirtschaftszweig, sie schaffen Arbeitsplätze und liefern Steuergelder. So etwas kann man gar nicht so einfach abschaffen, auch die CDA nicht. Da bin ich ganz entspannt. Ich glaube eher, dass die Drogenpolitik in Holland zukünftig in die andere Richtung gehen wird, so oder so. Die Legalisierungswelle wird von Amerika nach Europa rüberschwappen. Das ist der Lauf der Dinge.

Krake
4 Jahre zuvor

Hi Volks, No Worries, Legalize it!!

inszenierte Behörden
4 Jahre zuvor

In Sachsen und Brandenburg wählen die Crystal Dealer CDU und AFD , damit das Geschäft schön weiter geht .

Greenhawk
4 Jahre zuvor

Die Krankenkassen werden total ausgenommen mit Entzugstherapien die oft nicht bei den Patienten anschlagen. Weil man Sucht nicht richtig versteht. Und von den Patienten das Therapieziel also Abstinenz schon vorab einverlangt bevor die Therapie überhaupt losgeht. Die größte Gruppe sind Alkoholiker. Da diese aber eine legale Droge haben, haben sie nie die Erfahrung gemacht wie es ist von der Gesellschaft ”amtlich” ausgeschlossen zu sein. Ja Alkoholiker sind auch unten durch aber sie werden nicht vom Staat stigmatisiert und wenn sie die Entzugstherapie nicht ”schaffen können” , dann können diese legal weiter trinken bis sie von sich aus wieder die Entscheidung schließen nochmal einen Entzug zu machen. Manche Alkoholiker wissen genau das sie niemals Clean werden und nutzen die Therapien nur… Weiterlesen »

Opa 1939
4 Jahre zuvor

Entzugserscheinungen bei Cannabis??? Ich rauche seit 1967 und verspüre nach einigen Wochen immer weniger Lust zu rauchen, da die Wirkung nach einiger Zeit immer weniger stark empfunden wird. Auch nach längeren Unterbrüchen 1-2 Jahre kannte ich keine nennenswerten Entzugserscheinungen. Das Einschlafen war für einige Tage erschwert. Cannabis ist ein ruhiger Begleiter (ruhiger Schlaf, kein Kater, appetitanregend, Verdauungsfördernd, schmerz lindernd etc.) , der sich jedoch nicht mit Alkohol verträgt. Einmal an Cannabis gewöhnt “funktioniert” man wie jeder andere auch. So wie einer 1 Bierchen, statt einem Whiskey trinkt, raucht der Andere einen dünnen Joint, statt einer riesen Tüte. Und man ist sich seiner durchaus bewusst Nun plagen mich Arthrose und all die kleinen Gebrechen die das Alter so mit sich bringt.… Weiterlesen »