Sonntag, 1. September 2019

Die ganze Wahrheit über DDR-Frauen

Eine kleine Satire von Sadhu van Hemp


Vor dreißig Jahren löste sich die Deutsche Demokratische Republik in Luft auf. Quasi über Nacht musste die Bundesrepublik Deutschland 17 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge aufnehmen, durchfüttern und neu einkleiden. Die Leidtragenden dieser humanitären Hilfe waren die Einwohner der freien Stadt Westberlin, die ihre Heimat verloren und sämtlicher Privilegien beraubt wurden. Eines dieser Privilegien war die Vielweiberei, die Westberliner Männer hinter dem Eisernen Vorhang in vollen Zügen genossen. Ein Tatsachenbericht.

Ich übte damals in der Mauerstadt den Beruf des Haschischhändlers aus und spielte schon länger mit dem Gedanken, mein Geschäftsfeld auf den Ostblock auszuweiten. Das Problem war nur, dass ich weder Verwandte noch Bekannte in der Sowjetischen Besatzungszone hatte, die mich in die Hippie- und Punkerszene der Hauptstadt der DDR hätten einführen können. Und so bin ich im Altweibersommer 1986 auf blauen Dunst in den Arbeiter- und Bauernstaat eingereist, ausgestattet mit einem Zwanzig-Gramm-Piece gelben Libanesen. Mir war klar, dass die Chancen gut standen, bei der Kontaktaufnahme mit den Eingeborenen auf einen inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatsicherheit zu treffen und schnurstracks ins Zuchthaus nach Bautzen zu wandern. Doch Risiko gehört zum Geschäft eines Btm-Fachhändlers, der expandieren und richtig fett absahnen will.

Punkt Mitternacht an einem Sonntag reiste ich über die Oberbaumbrücke ein. Das Hasch, das als Amulett um meinen Hals hing, blieb wie erwartet unentdeckt. Ich bestieg ein Taxi und gab als Ziel den Jugendklub „Franz“ an, von dem ich gehört hatte, dass dort der Punk abgeht. Doch die Ernüchterung war groß, als ich dem Taxi entstieg: Stand doch vor der ehemaligen Brauerei eine endlose Schlange – und das morgens um halbeins. Gerade als ich unverrichteter Dinge das Weite suchen wollte, trat sie an mich heran, die Frau, in die ich mich Hals über Kopf verliebte.

„Du kommst von drüben?“ fragte sie mich mit Blick auf meine Jeans und meine Converse-Basketballschuhe. „Hast Du Lust auf ein bisschen Party bei mir zu Hause?“

Ich fiel aus allen Wolken und wollte schon fragen, wie viel denn das kosten würde. Doch dann erinnerte ich mich an das Gerücht, dass Honeckers Töchter in Sachen Sex weniger zimperlich sind als die von der Emanzipationswelle verhärmten Westmädels. Einen Augenblick zögerte ich, dachte kurz an meine Frau, die gerade mit ihrer Frauengruppe zum Fasten auf Sylt weilte. Doch dann ließ ich es zu, das kleine Wunder – und es war der Beginn einer großen Liebe.

Sie hörte auf den Namen Tatjana, war Mitte zwanzig und nicht gerade hübsch, dafür aber eine Naturschönheit. Sie war nicht sonnenstudiogegerbt, rasierte weder Scham noch Beine, und statt Intimschmuck und Tattoos zierte sie eine süße Blinddarmnarbe und ein Muttermal auf der Pobacke. Das, was wohlgeformt unter ihrem Pulli spannte, kam zudem ganz ohne Silikonkissen und Push-Up-BH aus. Entsprechend unbeschwert war ihr Herz, wenn es um Liebe, Lust und Leidenschaft ging.

Mein kleines Schnatterinchen lebte ohne Ehemann, hatte aber ein aufgewecktes Söhnchen, das schon beim zweiten Besuch Papa zu mir sagte, als ich ihm eine Banane zusteckte. Tatjana war ein Mädel, wie es sich ein kurz gehaltener West-Softie nur wünschen konnte: ein Prachtweib, vor allem im Bett. Ich will es hier aus Rücksicht auf die westdeutschen Leserinnen nicht weiter ausmalen – nur so viel: Die geknechteten Frauen der Diktatur des Proletariats standen auf Männer, also auf richtige Männer und ganze Kerle, die saufen, fressen und schnackseln können. Hinter dem Eisernen Vorhang durften die Penisbehängten noch im Stehen Wasser lassen, im Kühlschrank war immer Bier, und statt Tofu-Gemüse-Auflauf mit Sojasoße gab es Erbseneintopf mit Speck und Würstchen – und das pünktlich und ohne Abwaschzwang. In Ossi-Land war der Mann noch Pascha, und der fortpflanzungsfeindliche Satz „Ich habe jetzt keine Lust“ war Tatjana gänzlich unbekannt.

Kurz gesagt, meine kleine Amazone aus der Zone hatte mich als Mann rehabilitiert – und ganz nebenbei erlernte ich die hohe Kunst des DDR-Tantras, heute nur noch Mythos, damals real existierender Sexualismus. Meine Lehrmeisterin war fraglos von jener unersättlichen Nymphenart, wie sie einst nur in den Feuchtgebieten zwischen Oder und Elbe zu finden war. In vielen FKK-Urlauben hatte es Tatjana von der Pike auf gelernt, dass die Genossen Männer auch nur Männer sind und als solche gehegt und gepflegt werden wollen.

Ich besuchte Tatjana alle zwei Wochen, tauschte brav meine Westmark in Aluchips, und selbstlos wie ich bin, brachte ich meiner Zweitfamilie natürlich ausreichend Kaffeebohnen Südfrüchte und Haschisch mit. Wir feierten Advent, Weihnachten, Neujahr und Geburtstag –  und alles hätte bis zum hundertsten Jahrestag der DDR so weitergehen können, wenn nicht das Unfassbare geschehen wäre: „Sie haben Einreiseverbot“, schnauzte mich der Grenzvopo morgens um null Uhr auf der Oberbaumbrücke an und bedeutete mir mit dem Daumen, schleunigst umzukehren.

Da stand ich nun spitz wie Lumpi, und vorbei war’s mit dem DDR-Sextourismus. Doch wer sich einmal für Frieden und Sozialismus vereint hat, der verspürt keine Lust mehr auf Schuldgefühle vor, während und nach dem Blümchensex mit Westfrauen. Bordellbesuche kamen für mich nicht in Frage, denn ich war keiner, dem die halbe Stunde für ’nen Fuffi genügte. Das, was ich bei Tatjana für eine Tafel weiß angelaufene Schokolade und einen Haschisch-Bobel eintauschte, war selbst am Bahnhof Zoo nicht zu bekommen.

Der Hormonstau ejakulierte jedoch schnell den rettenden Gedanken: Ich hatte zwar Einreise-, aber kein Durchreiseverbot. So bot sich der Transitverkehr auf dem Berliner Ring an. Ich hatte mir extra dafür einen VW-Bus zugelegt, ausgerüstet mit einer Standheizung und neuen Stoßdämpfern. Doch schon nach wenigen Wochen hatten die Stasi-Spitzel genug Parkplatzsex genossen und ich erhielt das überfällige Transitverbot.

Dass ein Mann in solchen Fällen schon mal rot sieht, dürfte verständlich sein. Kurzerhand bediente ich mich der erstmals in der Menschheitsgeschichte angewandten List, sich als Trojaner in ein trojanisches Pferd zu mogeln. Ich wollte die DDR-Obrigkeit mit ihren eigenen Mitteln schlagen – und dabei musste ich mich noch nicht einmal besonders verbiegen, denn mein Herz schlug nicht nur für mein Mädchen aus Ostberlin, sondern auch für die Sache an sich. Ja, ich gebe es offen zu, ich bin eine rote Socke, schon immer gewesen. Zwar nur aus Missgunst und reiner Boshaftigkeit, aber immerhin!

Nun war es an der Zeit, Farbe zu bekennen und den Weg auch konsequent zu Ende zu gehen – und der begann in Kreuzberg, wo ich im Schatten des Axel-Springer-Hochhauses ein unscheinbares Etablissement betrat. Die, die mich da herzten, waren zwar nur bärtige ältere Männer mit Bierbäuchen, aber manchmal führen ja auch Irrwege ans Ziel – also zu Tatjana. Für drei Mark monatlich wurde ich Mitglied – nein, nicht in einem queeren Swingerclub, sondern in der Sozialistischen Einheitspartei Westberlins, also dem schwindsüchtigen Töchterchen der SED, das im faschistisch-imperialistischen Feindesland ein Mauerblümchendasein führte und mangels Nachwuchs selbst Leute wie mich an die Brust nahm. Ich zeigte mich auch gleich klassenkämpferisch, ließ mir einen Vollbart wachsen und versprach, fortan vor dem Schlafengehen Marx und Engels zu lesen. Ich tat alles, um wieder nach Ostberlin einreisen zu dürfen. Unter anderem ließ ich mir Pinsel und Farbe in die Hand drücken, um Hakenkreuzschmiererein in Neukölln zu beseitigen. Die Genossen durften mich bei der verbotenen Handlung sogar fotografieren, um mich anschließend in der Wochenendausgabe des „Neuen Deutschland“ als vorbildlichen Antifaschisten mit Westberliner Migrationshintergrund zu outen.

Dann kam der große Tag: Eine Delegationsreise für verdiente Parteimitglieder nach Halle stand an. Unter Tränen beichtete ich dem Genossen Kreisvorsitzenden meine große Liebe zu Genossin Tatjana und bedauerte das „völlig zu Recht“ verhängte Einreiseverbot. Ich bat sogar darum, ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten, da ich im Klassenkampf mehr als versagt hatte. Aber nix da! Zwei Wochen später saß ich mit einem Visum ausgestattet im Bus nach Halle, berauschte mich an den Dämpfen der Leunawerke, ließ mich in der Kantine von den Genossen der Mutterpartei unter den Tisch saufen – und telefonierte mit Tatjana.

Die darauffolgenden Jahre verlebte ich die schönste Zeit meines Sexuallebens, und manchmal ertappte ich mich schon bei dem Gedanken, nur noch in Friedrichshain den Drachen steigen zu lassen und in Charlottenburg den Anker zu lichten. Anderseits gewöhnte ich mich auch an das Doppelleben. Zugegeben, mein Interzonenverkehr mit zwei Frauen war hart an der Grenze zur Bigamie und zugleich Verrat an beiden Seiten. Doch als Westberliner war man eben nur ein behelfsmäßiger Deutscher, der unter der Schizophrenie litt, weder der einen, noch der anderen Republik anzugehören. Und das entschuldigte selbstverständlich jeden Fehltritt.

Doch dann kam jene schicksalhafte Stunde, in der mir alles um die Ohren flog. In einem Anfall geistiger Umnachtung rissen die Ossis in der Nacht zum 10. November 1989 die Mauer nieder und schenkten ihr Vaterland dem Klassenfeind. Ich lag gerade auf meiner Frau, als es an der Tür klingelte. Nichtsahnend öffnete ich. Ja, und da stand sie vor mir, meine bessere Hälfte aus der DDR, bereit mein gegebenes Eheversprechen einzulösen. Meine Frau rastete zuerst aus, dann Tatjana. Schließlich verbündeten sich beide und ich wurde von der gerufenen Polizei aus der Wohnung gezerrt – in Handschellen, weil mich meine Frau aus Rache als Haschischdealer denunzierte. Der Mauerfall hat 17 Millionen Ossis die Freiheit gebracht, mir dreieinhalb Jahre Gefängnis und eine bis heute anhaltende Angststörung, was Frauen angeht.

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inszenierte Behörden
4 Jahre zuvor

Die DDR war eine Diktatur , mit Killer Kommandos ,Schwarzer Pädagogik , Tripperburgen und Stasi-Stalking .
Und von einen Tag auf den anderen , im November 89 ,wurden Folterknechte , ganz normale BRD Bürger.

inszenierte Behörden
4 Jahre zuvor

Die DDR war eine Diktatur , mit Killer Kommandos ,Schwarzer Pädagogik , Tripperburgen und Stasi-Stalking ,sowie ohne freie Wahlen .
Und von einen Tag auf den anderen , im November 89 ,wurden Hunderte Mörder und Zehntausende Folterknechte , ganz normale , BRD Bürger.