Sonntag, 23. Juni 2019

Zu Gast bei Haschisch-Veteranen

Eine Satire von Sadhu van Hemp


Vor einem Jahr gründete sich die „Fédération Internationale de Haschich Association“ (FIHA), um die Interessen der Haschischproduzenten, Schmuggler und Großdealer aus aller Welt zu vertreten. Der größte Erfolg der FIHA-Lobbyisten war die Verhinderung des UNO-Beschlusses, Cannabis von der Liste der gefährlichen Drogen zu nehmen. Anlässlich des Jahrestages der Gründung des Weltverbandes trafen sich die Veteranen des internationalen Haschischhandels zu einer gemeinsamen Bootsfahrt von Tanger nach Monte Carlo. Das Hanf Journal war exklusiv dabei.

Majestätisch lag sie vor Anker im Hafen von Tanger, die Gorck Fock, die die FIHA extra für diese Vergnügungsfahrt auf der Meyer-Werft in Papenburg nachbauen ließ. Und es war ein wirklich erhabenes Gefühl, als uns 17 Leichtmatrosen, die wie Hippies aussahen, zu jenem Dreimastsegler hinüberruderten, auf dem sich die Widerstandskämpfer des Anti-Hanfkrieges zu einem Veteranentreffen eingefunden hatten. An Bord begrüßte uns die Verbandspräsidentin standesgemäß mit einer Auswahl an gefüllten Rauchgeräten, und wir erhielten erste Information über jene Frauen und Männer, die seit mehr als einem halben Jahrhundert dafür sorgen, dass auf deutschen Boden kein Joint ausgeht.

Nach der Zuweisung der Kabine nahmen wir hackedicht am Kapitänsempfang mit anschließendem Galadiner in der Messe teil. Die Verbandspräsidentin begrüßte alle Veteranen und Veterinärinnen und die anwesende Presse – also uns vom Hanf Journal. Es war ein wirklich beängstigender Moment, als sich alle Blicke auf uns richteten und die Präsidentin sagte: „Keine Angst, liebe Brüder und Schwestern. Die Jungs und Mädels vom Hanf Journal gehören nicht zur Lügenpresse, sondern verbreiten die Wahrheit, nichts als die reine Wahrheit über unseren aktiven Widerstand gegen die Cannabis-Scheinlegalisierung. Sie wissen, dass wir, die FIHA, völlig zu Recht gegen ein staatlich kontrolliertes Cannabis-Monopol kämpfen. Der Hanf hat frei zu sein und gehört nicht in die Hände einiger weniger Aktionäre. Also, werfen wir unsere Freunde vom Hanf Journal nicht über Bord und heißen sie willkommen.“

Wieder richteten sich alle Blicke auf uns, ein leises Raunen ging durch die Messe und niemand klatschte. Die Präsidentin gab uns Zeichen, nach vorne zu treten. „Sadhu, Bruder, du bist neben Hans Cousto die graue Eminenz des Hanf Journal, sprich zu uns!“

Unserem Kollegen Sadhu war der Schreck anzusehen, der ihm in die Glieder fuhr. Er, der nichts mehr als öffentliche Auftritte scheut, war wie erstarrt und tat so, als sei er gar nicht anwesend. „Sadhu, sprich zu uns!“ erhob sich plötzlich eine Stimme aus der Messe, dann noch eine und noch eine, bis alle im Chor nach ihm riefen und rhythmisch klatschten. Unser Kollege lief leichenblass an, schüttelte unentwegt den Kopf, bis es schließlich aus ihm herausplatzte: „Nein, hört auf, bitte! Ich kann nicht zu euch sprechen!“ Doch die Veteranen ließen sich nicht beirren und gerieten immer mehr in Verzückung. Alle erhoben sich, selbst die, die in Rollstühlen saßen. „Sprich zu uns, Sadhu“, riefen sie, während sie uns immer mehr bedrängten.

Die Situation schien durchaus heikel, zumal der Kollege drauf und dran war, davonzulaufen und schnurstracks über Bord zu springen. Nicht auszudenken, wenn ihm die Greise gefolgt wären. Zum Glück drängte sich ein Bär von einem alten Mann nach vorne, packte Sadhu am Kragen und stellte ihn nach vorne vor das Mikrofon. „Nun sag, was, du Heini“, blaffte ihn der rüstige Rentner an, der, wie sich später herausstellte, der Patriarch des Al-Hašīš-Clans aus Beirut war. „Seit 2001 sind wir alle treue Leser des Hanf Journal. Ihr habt mit eurem Geschreibsel so manchem von uns aus der Seele gesprochen. Viele habt ihr in dunklen Zeiten erheitert, und ich habe sogar erst durch euch die deutsche Sprache gelernt. So, Bruder Sadhu, nun zeig mal, dass du ein Mann aus Fleisch und Blut bist und sprich zu uns ein paar Worte!“

Da stand er also, unser Kollege, und wir hofften, dass wir, wenn er zu den Veteranen spricht, ungeschoren davonkommen. In der Messe wurde es augenblicklich still. Hashkif al-Hašīš reichte ihm einen Joint mit der Aufforderung, erst einmal zur Entspannung einen tiefen Zug zu nehmen. „Äh, und wehe du sagst jetzt, dass du nicht kiffst“, knurrte ihn der betagte Clan-Chef an.

Kollege Sadhu tat wie ihm befohlen, rauchte den Joint heiß und hustete. Dann war es soweit und er sprach: „Ich mache es kurz: Ihr seid die Besten, liebe Schwestern und Brüder!“ Wie auf Kommando brach ein Jubelsturm los, der erst abebbte, nachdem Hashkif al-Hašīš seine Pistole gezogen und ein Loch in die Holzdecke geschossen hatte.

„Ohne euch, meine lieben Freunde“, fuhr der Kollege fort, „ohne euch, stünde ich heute ganz anders da. Hättet ihr mir nicht das Geld aus der Tasche gezogen, würde ich heute stolzer Besitzer eines Einfamilienhäuschens inklusive treuloser Ehefrau und zweier missratener Kinder sein. Ihr habt verhindert, dass aus mir ein anständiger Mensch wird. Danke, vielen, vielen Dank dafür. Ich liebe euch, euch alle! So, und jetzt hol mir mal einer ne Flasche Bier!“

Abermals tobte die Messe vor Jubel, sogar Frauenschlüpfer flogen, und alle drängten nach vorne, um unserem Kollegen auf die Schulter zu klopfen und zu herzen.

Das fing also gut an. Nachdem sich der Personenkult gelegt hatte, hielt der Kapitän, ein hoch betagter Niederländer, eine kleine Rede. Dann wurde gespeist, getrunken und bis in die Puppen geraucht. Wie wir in die Kojen gekommen sind, ist uns nicht mehr in Erinnerung. Als wir am nächsten Tag wieder bei Besinnung waren, stand die Sonne bereits im Zenit und das Segelschiff schnitt unter vollen Segeln wie ein Messer durch die offene See. Von den Veteranen war nicht viel zu sehen. Einige dösten an Deck in Liegestühlen, andere saßen im Salon, plauderten und rauchten. Die Stimmung war entspannt, dennoch hatten wir ein komisches Gefühl, geradeso, als würde gleich ein Unglück geschehen. Doch was sollte sein? Die See war ruhig, weit und breit kein Eisberg in Sicht, und die Gorck Fock ist nicht die Pamir. Also machten wir es uns wie die anderen gemütlich, unterhielten uns mit den Veteranen, die uns gruselige Abenteuergeschichten aus ihrem bewegten Schmugglerleben erzählten. Nach der Koffietijd folgte die Abendbrotzeit, wir aßen uns tüchtig satt und genossen die entspannte und friedliche Atmosphäre im Kreise jener Menschen, die so ganz anders waren als unsere Mütter und Väter.

Am Abend versammelten sich alle Passagiere in der Messe. Auf dem Programm stand die Ehrung ganz besonders verdienter Haschischschmuggler. Die erste Ehrung wurde einem Großhändler aus Pakistan zu teil. Sein Verdienst war der Aufbau eines Kinderkrankenhauses und einer Schule in Kuh-i-Taftan in Belutschistan. Dafür wurde dem knapp Hundertjährigen der goldene Ehrenbobel für soziales Engagement angesteckt. Die zweite Auszeichnung erhielt ein US-Amerikaner, dessen Name hier nicht erwähnt werden darf und der extra für das Veteranentreffen aus dem Gefängnis befreit wurde. Unter Tränen ließ er sich das Eiserne Drogenkriegsverdienstkreuz 1. Klasse umhängen. Eine 89-jährige Thailänderin empfing das Goldene Hanfblatt am Bande für die Erfindung des berühmten Thaisticks. Das Große Verdienstkreuz mit Stern wurde einem relativ jungen Veteran aus Albanien umgehängt, der eigenen Angaben zufolge die komplette Regierung auf der Gehaltsliste hat.

Und so ging es reihum, bis jeder seine Auszeichnung hatte. Ganz zum Schluss waren wir dran. Als engagierte Aktivisten an der Medienfront des Anti-Cannabis-Krieges wurde uns die Howard-Marks-Ehrenmedaille verliehen. Sadhu erhielt darüber hinaus von einer tadschikischen Oligarchenwitwe einen Heiratsantrag. Danach wurde gefeiert, bis die Schwarte krachte.

Doch das ungute Gefühl blieb, dass der Segeltörn unter keinem günstigen Stern steht. Als am nächsten Morgen ein Veteran beim Frühstück zusammenklappte, befürchteten wir sofort das Schlimmste. Doch wir irrten, es war nur eine kurze Spannungsschwankung des Herzschrittmachers. Die dunkle Vorahnung wollte jedoch nicht weichen.

Ja, und dann, dann brach es wie aus heiterem Himmel über uns herein. Wir hielten gerade an Deck ein Nickerchen, als plötzlich ein Düsenjet im Tiefflug über die Gorck Fock hinwegfegte. Dieses Spiel wiederholte sich ein paar Mal, versetzte aber niemanden der Veteranen in Aufruhr. Als wir auf der Brücke nachfragten, was das zu bedeuten hat, antwortete der Kapitän: „Wir bekommen gleich Besuch. Keine Sorge, die wollen nur mal Guten Tag sagen.“ Und dann sahen wir sie auch schon, die beiden Patrouillenboote die direkt auf uns zusteuerten.

Eine halbe Stunde später wurde die Gorck Fock von Soldaten der französischen Marine geentert. Wir gaben uns sofort als Presse zu erkennen, durften aber  trotzdem Zeugen werden, wie die Verbandspräsidentin den beiden Kommandanten der Patrouillenboote zwei Koffer überreichte. Wir wissen nicht, was in den Koffern war, aber der Inhalt muss auf die Zollbeamten überzeugend gewirkt haben. Keine fünf Minuten später lagen wir wieder im Wind – nach Monaco.

Am späten Abend lief die Gorck Fock bestaunt von unzähligen Schaulustigen in den Hafen von Monte Carlo ein. Sogar Fürst Albert trat ans Fenster und winkte. Am Pier standen eine Limousinenflotte und ein LKW bereit. Die Luxuskarossen waren für uns Passagiere, der Brummi für die zwanzig Tonnen Haschisch, die die Gorck Fock als Fracht dabei hatte. Auf Nachfrage erhielten wir die Auskunft, dass die Veteranen voll auf ihre Kosten gekommen sind und beschlossen haben, im Herbst von Jamaika nach Sylt zu segeln.

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