Samstag, 27. April 2019

Die Kartell-Trilogie

„Jahre des Jägers“ bildet den fulminanten Abschluss von Don Winslows Saga über die Drogenkriege in der neuen Welt.


Don Winslow ist einer der ganz großen US-amerikanischen temporären Schriftsteller. Seine Meisterwerke bestehen aus der Trilogie über die mexikanischen Kartelle, welche die Vereinigten Staaten von Amerika seit Jahrzehnten mit Drogen überschütten. Dabei ist Winslow weit davon entfernt, den Zeigefinger anklagend auf den mexikanischen Nachbarn zu erheben. Vielmehr zeigt seine Thriller-Trilogie um den DEA-Agenten Art Keller auf, dass Profitinteressen auf beiden Seiten der Grenze den unheilvollen Kreislauf von Drogen, Sucht und Unmengen von Geld bestimmen. Dabei macht er klar, dass es bei diesem Krieg keine Gewinner gibt. Denn sowohl die Dealer, die Gesetzesvertreter und die Süchtigen bezahlen den Kampf um die Drogen mehr oder weniger mit ihrem Leben. Manche kommen auch lebend davon, aber sie sind fürs Leben gezeichnet. „Tage der Toten“ und „Das Kartell“ haben die rivalisierenden Kämpfe der mexikanischen Kartelle um Einflusszonen und Vormacht eingehend und chronistisch aufgezeichnet, wobei der DEA-Agent Art Keller immer der Protagonist war.

Als der zweite Band der Trilogie, „Das Kartell“, vorlag, atmeten Winslows Fans auf: Endlich liegt sie vor. Die Fortsetzung des Welt-Bestsellers „Tage der Toten“ war von seinem Publikum dringend erwartet worden. Don Winslow hat mit „Das Kartell“ ein Brett von über 800 Seiten vorgelegt, was er nun mit „Jahre des Jägers“ um noch einmal knapp 200 Seiten gesteigert hat. Bereits über „Das Kartell“ urteilte der berühmte amerikanische Schriftsteller James Ellroy: „Der beste Roman von Don Winslow. Hochspannend, brutal, ungeheuer atmosphärisch, bis ins letzte Detail durchgeplant.“ Dem ist wenig hinzuzufügen, außer der Frage, ob Ellroy bereits ein Statement über „Jahre des Jägers“ abgegeben hat. Ellroys Lob gilt eigentlich zu einem gewissen Teil sich selber. Denn mit „Das Kartell“ und auch jetzt „Jahre des Jägers“ nähert sich Winslow in einem bisher nicht da gewesenen Maß an Ellroy an: stilistisch, narrativistisch und vom Maße der Brutalität her. Der wesentliche Unterschied ist ein nicht unbedeutendes Detail:Ellroy schreibt – ein wenig pointiert ausgedrückt – Romane über historische Begebenheiten von Weltbedeutung mit Krimi-Elementen, während Don Winslow zum Chronisten der kontemporären Drogenkriege in Mexiko und in den U.S.A. wird, der diese für die Nachwelt festgehalten hat. Es ist sicherlich nicht übertrieben diese Aufgabe mit derjenigen Homers zu vergleichen, der die trojanischen Kriege Tausende von Jahren für die Nachwelt konserviert hat. Aber auch stilistisch nähert sich meines Erachtens Winslow Ellroy in den beiden letzten Werken seiner Trilogie immer mehr an und mitunter wirken das „Kartell“ und „Jahre des Jägers“ wie ein Geheimdienstbericht, während die starken Passagen einen Tiefgang der Protagonisten und eine charakterliche Authentizität hervorbringen.

In „Das Kartell“ trat DEA-Drogenfahnder Art Keller erneut zum Kampf gegen seinen ehemaligen Freund und jetzigen Erzfeind Adan Barrera an, der das wichtige und mächtige mexikanische Sinaloa-Kartell beherrscht. In Mexiko ist wieder einmal ein brutaler Krieg zwischen den Kartellen entbrannt, in dem es um Macht, Geld und Einflusssphären geht. Der Krieg mit nahezu epischen Ausmaßen – siehe der Vergleich zu Homer – erschüttert die mexikanische Gesellschaft und fordert Zentausende von Toten. Im „Kartell“ tun die U.S.A. das Ganze noch als mexikanisches Problem ab, sehen die Mexikaner das Problem auch nicht zu Unrecht im US-amerikanischen Markt, der nach immer mehr und immer stärkeren Drogen verlangt: Crack, Meth, Kokain und immer wieder Heroin. Die Methoden der Kartelle sind nicht gerade zimperlich und wer glaubt, dass Enthauptungen nur zum Repertoire von islamistischen Terrorbewegungen gehören, sieht sich hier eines Besseren belehrt, denn das brutalste aller Kartelle, die sogenannten Zetas, setzen auf physische und psychologische Kriegsführung. Aber damit nicht genug, sie ätzen ganze Gliedmaße durch Säure weg. Im „Kartell“ kommt es im Dschungel von Guatemala zum Showdown zwischen Keller, Barrera und den Zetas, wobei klar ist, dass unabhängig vom Ausgang dieser Showdowns, die Drogenproblematik beiderseits der Grenzen bestehen bleiben wird. Dies ist der perfekte Übergang zum letzten Teil der Trilogie: „Jahre des Jägers“.

Auch “Jahre des Jägers” hält mehr als er verspricht, denn es handelt sich um einen der besten Romane, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Er ist nach den internationalen Bestsellern “Tage der Toten” und “Das Kartell” – wie gesagt – das mehr als furiose Finale des preisgekrönten Epos über den mexikanisch-amerikanischen Drogenkrieg des Thriller-Autors Don Winslow.

Zum Inhalt von „Jahre des Jägers“: Art Keller, der inzwischen berühmte US-Drogenfahnder, steht jetzt vor der Aufgabe seines Lebens, denn die amerikanische Anti-Drogen-Politik ist gescheitert und die Menge des jährlich importierten Heroins hat sich vervielfacht, wobei die Heroin-Epidemie in den USA die Crack- und Meth-Epidemien in den Schatten stellt. So viele Amerikaner wie noch nie sind zuerst opiat- und häufig später heroinabhängig. Die mächtigen mexikanischen Drogenkartelle versuchen selbstverständlich, die US-amerikanische Regierung zu unterwandern – an deren Spitze ein umstrittener neuer Präsident steht, wobei gewisse Reminiszenzen an Donald Trump unverkennbar scheinen. Art Keller folgt zum letzten Mal den Spuren des verschwundenen legendären Drogenbosses Adan Barrera und findet sich kurz darauf wieder in einen brutalen und gnadenlosen Kampf gegen beide Seiten verstrickt. Keller muss frustriert feststellen, dass die Drogen- und Waffengeschäfte auf beiden Seiten der Grenze unfassbare Dimensionen angenommen haben. Dieses Mal kommt der Feind aber aus einer ganz unerwarteten Richtung, und es beginnt ein entfesselter Krieg mit wahrhaft epischem Ausmaß, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse – wie auch in den Bänden davor – schon längst verschwunden sind.

Nach „Tage der Toten” und „Das Kartell” ist „Jahre des Jägers“ der krönende Abschluss der hochgelobten, preisgekrönten und international erfolgreichen Trilogie des Starautors Don Winslows um den mexikanisch-amerikanischen Drogenkrieg, dieses Fazit kann gar nicht häufig genug wiederholt werden, sosehr bin ich von diesen Werken begeistert. Es ist ein ebenso mitreißender wie erschütternder Epos über Gier und Korruption, Rache und Gerechtigkeit, Heldenmut und Hinterhältigkeit. Winslows „Jahre des Jägers“ ist ein absoluter Must-Read! Nicht nur für Genre- und Winslow-Fans, sondern für alle Liebhaber gehobener und anspruchsvoller Krimi- und Thriller-Kost und diejenigen, die sich mit Drogenpolitik im Allgemeinen beschäftigen. In diesem Sinne ist auch Winslows Fazit aus „Jahre des Jägers“ von überragender Bedeutung. Er spricht sich mehr oder weniger dafür aus, das Leid der Drogenkriege zu beenden, indem alle Drogen zunächst legalisiert werden (wie in den Romanen Cannabis in vielen US-Staaten, wobei Cannabis in den Vorgängerbänden noch zahlreiche Tote und Opfer verlangt hatte) und dann die Ursachen des Drogenkonsums bekämpft werden. Das bedeutet, dass die Regierungen den Schmerz, der den Drogenkonsum verursacht, an der Wurzel ausrotten sollen. Dass Winslow in „Jahre des Jägers“ auf jeglichen stilistischen Schnick-Schnack verzichtet, der einige seiner letzten Werke gerade noch lesenswert gemacht hat, ist wohl dem ernsten Inhalt geschuldet, der jegliche Ironisierung (auch auf stilistischer Ebene) von vornherein verbietet.

Christian Rausch

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Rainer Sikora
4 Jahre zuvor

Für Ideen wie erst legalisieren und dann therapieren kommen wir 50 Jahre zu spät.Kann in der heutigen Entwicklungsphase nicht mehr verwirklicht werden.Zuviele ungelöste Probleme auf zu vielen Gebieten.Dabei zuviel Uneinigkeit und verbrecherische Strukturen,die aber leider nicht als solche erkannt und angesehen werden.Zum Beispiel unsere Drogenpolitik.Aber auch Kriegs-und Flüchtlingspolitik.Krieg nennt man das natürlich nicht.Es geht immer nur um Verteidigung.und das ist sauber und legitim.