Samstag, 27. Oktober 2018

Marokkanische Überraschungen

 

Teil I

 

 

Autor: Christof Wackernagel

 

Wer hat diese Erfahrung nicht schon tausendmal erlebt und erlebt sie immer wieder: »Es kommt immer anders als man denkt.«

 

Im Doppelpack ist mir diese Erfahrung allerdings nur einmal in meinem Leben passiert – dafür aber dann gleich in der Potenz. Das kam so:

 

Vor etwa zehn Jahren fuhr ich mit meinem inzwischen leider verstorbenen alten Freund Ebby in einem alten LKW, der mit meinem gesamten Hausrat vollgepackt war – selbst mein alter Renault stand auf der Ladefläche – von Frankfurt nach Bamako in Mali, wo ich mir ein Haus gebaut hatte und wo ich bleiben wollte (das kam auch anders als gedacht, aber das ist eine andere Geschichte). Ich habe das in meinem Buch mit dem Titel „Zwei Koffer nach Bamako“ beschrieben, das in der zweiten Auflage allerdings in „Selbstentführung (1)“ umgetauft wurde, da wir auf dieser Reise unsere alten Tugenden aus den 60-er Jahren – zum Beispiel: „Am Morgen ein Joint und der Tag ist Dein Freund“ – derart exzessiv wieder aufleben ließen, dass jeder Leser dieses Buch nur noch „Zwei Kiffer nach Bamako“ nannte, aber darauf wollten wir es nun auch wieder nicht reduzieren. Auch vor zehn Jahren waren wir schon alte Hasen, und derart massiv psychoaktiviert, ließen wir alte Zeiten, alte Träume, alte Fehler Revue passieren und verglichen sie mit den neuen Zeiten, neuen Träumen und neuen Fehlern.
Die ersten vier Tage – und was für Überraschungen wir bis dahin und vor allem dort selbst erlebten – kann man in besagtem Buch nachlesen.

 

Ganz am Schluss, als wir es endlich auf die Fähre nach Tanger geschafft hatten und Afrikas Küste in Sicht kam, werden in diesem Buch die ersten beiden „Anders-als-man-denkt“-Erfahrungen beschrieben – die dritte wird demnächst exklusiv im Hanf Journal vorab verraten, denn der zweite Band dieses Buches ist noch nicht geschrieben! Der Einfachheit halber zitiere ich auszugsweise:

 

„Da sieht man tatsächlich schon Afrika“, sagte Christof, als handelte es sich um das Ei des Columbus.
„Ja“, sagte Ebby.

„Und wenn wir jetzt so früh schon ankommen“, sagte Christof, „dann können wir ja auch noch richtig weit nach Marokko reinfahren, mich interessiert Tanger keinen Furz oder willst Du da einen auf Tourismus machen?“

„Vielleicht sollten wir zu dem Typen da gehen“, sagte Ebby, „der die Pässe abstempelt, dann geht’s hinterher am Zoll schneller, wenn wir da sind!“

Christof sah zu dem Mann, der an einem Tischchen neben den Sitzgruppen des Bordcafés hinter seinen Laptop saß und Pässe kontrollierte, und sagte: „Steht aber nirgends, dass man das machen soll“.

„Aber es machen doch alle“, insistierte Ebby, „ich schau mir das schon länger an!“

„Na gut“, sagte Christof, und als sie dort ankamen, wurden sie sofort bedient.

 

„Siehste“, sagte Ebby, als er seinen Pass anstandslos zurückbekam, „auf diese Weise geht’s nämlich am schnellsten“.
„Haben Sie einen Doppelgänger“, fragte der Mann an dem Tischchen, Christofs Pass in der linken Hand und den Blick fest auf seinen Laptop gerichtet, auf dem er mit der rechten herumklickte.

„Nein!“, lachte Christof und sah Ebby böse an, „wie kommen Sie denn darauf?“

„Sind Sie zum ersten Mal in Marokko?“, fragte der Mann an dem Tischchen und schüttelte den Kopf ob der Informationen, die er auf seinem Laptop sah.
Christof sah Ebby genervt an, der verständnislos grinste.

„Ich fliege immer über Casablanca“, antwortete Christof, „aber da bleibe ich im Transit, also ich war schon oft in Marokko, bin aber noch nie eingereist“

„Dann müssen Sie einen Doppelgänger haben“, erklärte der Mann an dem Tischchen, blätterte zum soundsovielten Mal Christofs Pass mit den unzähligen Ein- und Ausreisestempeln durch und verglich mit den Informationen auf seinem Laptop.

„Das ist praktisch unmöglich“, sagte Christof, „Wackernagel ist ein sehr seltener Name in Deutschland“.
„Ach ja?“, sagte der Mann an dem Tischchen und verglich noch einmal ganz genau das Passfoto mit Christofs Gesicht, „dann haben wir unter Umständen ein kleines Problem, das wir aber erst nach unserer Ankunft lösen können“.

„Das wird sich sicherlich schnell aufklären“, sagte Christof kraftlos und sah Ebby an.#

 

„Bleiben Sie bitte in Sichtweite“, sagte der Mann an dem Tischchen freundlich, aber bestimmt, steckte Christofs Pass ein und stand auf, „ich komme gleich wieder“.

„So ne Scheiße“, knurrte Christof leise, „ich hab Dir doch von Tunis erzählt, wo ich festgenommen wurde, weil die den alten Interpol-Haftbefehl noch nicht gelöscht hatten“.

„Hm“, bestätigte Ebby, und steckte den Plastikbeutel mit Gras, den Christof ihm unter der Hand zuschob, in die Hosentasche.

„Das ist mit Sicherheit die gleiche Nummer, das kann uns eine Nacht kosten“.
„Ach du grüne Neune“, knatterte Ebby.

Freundlich lächelnd und seine Aktentasche mit dem Laptop darin lässig schwenkend, kehrte der marokkanische Grenzbeamte zurück.
„Am Besten“, sagte er in so einem gewinnenden Ton, als wollte er die beiden zu einem gemeinsamen Abend in Marokkanischen Bars einladen, „wir bleiben jetzt zusammen, bis wir angekommen sind, und dann klären wir die Frage mit dem Doppelgänger – Ihr Freund kann sich ja solange um die Zollformalitäten für Ihren LKW kümmern“.

 

Er stellte sich in Sichtweite der beiden auf, lehnte sich an die Außenwand der Cafeteria und sah demonstrativ desinteressiert vor sich hin, aber immer so, dass er seine beiden neuen Freunde im Blickwinkel behielt.
„Das letzte Mal“, erzählte Christof , „bin ich neunzehnhundert und siebenundsiebzig mit einer Fähre gefahren, und zwar von Kopenhagen nach Malmö, um mich mit Bo Cafevors, dem Verleger der RAF Texte zu treffen“.
„Du auch immer mit Deiner blöden RAF“, schimpfte Ebby, „bringst dauernd alles durcheinander!“

 

Nun war der seit Monaten sehnsüchtig erwartete Moment da: Ebby und Christof konnten endlich den afrikanischen Kontinent betreten – aber es kam beim besten Willen keine so rechte Freude auf. Es regnete immer noch, und der Hafen von Tanger sah auch nicht viel anders aus als der von Aljaziraz, Docks, Lagerhäuser, Container, Landungsbrücken, Zollbeamte, dicke Taue, schwappendes Wasser, wie überall auf der Welt.
Guter Dinge war allein der Laptopaktentaschengrenzer. Liebenswürdig wie ein eigens abgestellter VIP-Betreuer zeigte er Ebby den Weg zum Zoll und wünschte ihm von ganzem Herzen alles Gute. Lässig seine Aktentasche mit dem für den ganzen Ärger verantwortlichen Laptop schwenkend, winkte er zwinkernd Christof zu folgen: „Gehn wir!“, sagte er lachend.

„Bis gleich!“, verabschiedete sich Christof und tat so, als wollte er nur eben kurz mal eine alte Freundin besuchen.
„Ja, ja“, sagte Ebby und tat so, als werde er so lange einen Rundgang durch die Altstadt von Tanger machen.

Vorbei an allen Zollkontrollen führte der Laptopaktentaschengrenzer Christof in ein kleines Büro direkt an der Mole, wies auf einen Sitz neben der Tür und begab sich, schwungvoll seine Aktentasche mit sich ziehend und in rasender Geschwindigkeit die arabischen Begrüßungsfloskeln absondernd hinter den Schreibtisch neben seinem dort sitzenden Kollegen, der die beiden offenbar schon erwartete und Christof versteinerten Gesichts fixierte.
„Bonjour!“, sagte Christof, aber Steinkopf grunzte nur, erstarrte zu Granit, drehte den Monitor so, dass Christof nichts darauf erkennen konnte, und zeigte, seinen Kollegen fragend ansehend, darauf.
Der Laptopaktentaschengrenzer schüttelte den Kopf, packte sein Gerät aus und schaltete es an.
Christof sah zum Fenster hinaus in den Regen und auf die die einfahrenden Autos kontrollierenden Grenzer.
Nachdem die triumphalistische Windows-Erkennungsmelodie verklungen war, und der Neuankömmling sein Programm aufgerufen hatte, setzte er selbst ein triumphalistisches Gesicht auf und zeigte auf seinen Monitor. Granitkopf beugte sich ganz vor, um alles genau zu lesen und wandte sich dann Christof zu, um zwei Blitze aus seinen zu Schlitzen verengten Augen abzuschießen. Daraufhin schnatterten die beiden so lange wie ratlos.

Christof fragte, ob er irgendwie behilflich sein könne, aber Granitkopf grunzte wieder nur, und der Laptopaktentaschengrenzer bedankte sich höflich.
Christof betrachtete, wie Männer und Frauen einer bunt gekleideten Truppe mit Vierradantrieb und Anhänger aus ihren Gefährten quollen und auf die Grenzer einredeten, vor allem die Frauen mit ihren grellfarbenen, goldbetressten Kopftüchern lachend und gestikulierend, bis die Grenzer sie fast mit Gewalt wieder in ihre Autos schoben und weiterschickten.
Inzwischen hatte der Laptopaktentaschengrenzer sein Gerät wieder eingepackt und verabschiedete sich von Granitkopf.

„Kein Problem“, sagte er und zwinkerte mit einem Auge als er an Christof vorbeiging und verschwand.
„Wenn Sie irgendwelche Fragen haben -“, versuchte Christof erneut, mit Granitkopf ins Gespräch zu kommen, aber dieser grunzte nicht einmal mehr und griff zum Telefon.
Offenbar hatte er Erfolg, legte auf, trommelte mit den Fingern auf seiner Schreibtischunterlage herum und starrte auf seinen Monitor.
Inzwischen war ein weiterer Grenzer Granitkopf zu Hilfe gekommen, ein dämlich grinsender, penetrant Kaugummi kauender, mit dicklich-feinhäutigen Schwabbelpölsterchen ausgestatteter Jungmann, der sich, die eine Hand in der Hosentasche, die andere über die Tasten des Computers fliegen lassend, vor diesem aufgebaut hatte und ununterbrochen dämlich grinsend und Kaugummi kauend vor sich hin schwabbelte, bis das von ihm gesuchte Programm erschienen war und er sich immer noch dämlich grinsend Kaugummi kauend gelangweilt abwandte und alle Einwände von Seiten des Granitkopfs achselzuckend an sich abgleiten ließ. Auf Christof´s Versuch hin, mit ihm ins Gespräch zu kommen, ließ er sich erst gar nicht ein, sondern grinste noch dämlicher und kaute noch penetranter.

Inzwischen hatte Granitkopf eine weitere Stelle an der Strippe, wo man ihm aber auch nicht weiterhelfen konnte. Daraufhin wandte sich Dämlichgrinskaugummischwabbel tatsächlich direkt an Christof und fragte ihn in akzentfreiem Französisch, ob er vielleicht mal in Deutschland in der Vergangenheit irgendwelche Probleme gehabt habe, wobei er tatsächlich für einen Moment vergaß, dämlich zu grinsen und sogar seine penetrante Kaugummikauerei unterbrach.
Dann schwabbelte er um Schreibtisch und Stuhl herum und bedeutete Christof, ihm zu folgen.
Ein paar Sonnenstrahlen hatten sich durch die Wolken getrickst und brachten den Vorhof des Hafenzolls zum Glitzern, während Christof hinter seinem Führer beinahe selbst ins Schwabbeln kam.

 

Geblendet von so viel Licht, musste er seine Augen zusammenkneifen, während er die Stufen des Hauptgebäudes der Hafenpolizei emporstieg und hinter der zweiflügeligen, reliefgemusterten Massivholztür des Haupteingangs die düstere Eingangshalle mit den typischen schmuddeligen Kacheln erkennen konnte.
Dämlichgrinskaugummischwabbel führte ihn in das erste Büro auf der linken Seite, erklärte mit erstaunlich wenigen Worten, worum es ging und verließ den Ort des Geschehens.
Auch die Polizeibüros dieser Welt unterscheiden sich so wenig voneinander wie die Hafenmolen dieser Welt: abgewetzte Theken mit grüngrauen Farbresten, matt gesprenkelt, vergitterte Fenster mit bleichen Scheiben, angerissene, vergilbte Plakate an den Wänden, und ein netter und ein fieser Bulle.
„Gutten Tak! Wie geht ?“, fragte der Nette, ein großer, älterer Grauhaariger, während der Fiese, ein junger smarter Schnurrbartträger Christof fies anstarrte.

 

„Nicht so gut!“, antwortete Christof, „aber es wird schon wieder besser werden“.
„Was ist los?“, fragte der Nette, und seine Stimme klang tatsächlich ehrlich mitfühlend.
„Das ist auch meine Frage“, antwortete Christof lachend, aber da reichte es dem Fiesen, er hob die Klappe der Theke, kam nach vorne und winkte Christof, ihm zu folgen. Gegenüber vom Haupteingang führte eine breite Treppe aus mit den Abständen nach oben offen gelassenen Betonstufen in den ersten Stock. Darunter stand, neben der offen stehenden Tür zu einem Büro, eine eiserne Sitzbank, auf der Platz zu nehmen, der Fiese Christof anherrschte. Dann bellte er etwas auf arabisch in Richtung des Haupteingangs und ein junger, glatt gescheitelter Mann mit einer alten, knorrigen Maschinenpistole erschien, den der Fiese anwies neben Christof in Stellung zu gehen.
Die Zeit ging ins Land, in den Büros klingelten die Telefone, draußen fing es wieder an zu regnen, und der Glattgescheitelte mit der knorrigen Maschinenpistole ließ diese immer lässiger hängen. Da ging plötzlich ein Ruck durch die am Haupteingang Stehenden. Die Flügeltüren wurden geöffnet, die daneben Stehenden nahmen Haltung an, salutierten und schlugen die Hacken zusammen, während ein kleiner, elegant gekleideter Herr mit einem extrem schlechtgelaunten Gesichtsausdruck erschien und ohne im geringsten von all den Ehrbezeugungen Notiz zu nehmen die Treppe in den ersten Stock hoch eilte. Nachdem sein Blick dem Schlechtgelaunten gefolgt war, wandte sich der Glattgescheitelte mit der knorrigen Maschinenpistole Christof zu und sagte ehrfurchtsvoll: „der Chef!“.
Gleichzeitig eilten aus drei verschiedenen Büros kommend, Untergebene dieses Chefs die Treppe hinauf, darunter der nette, der ein weiteres Mal Christof aufmunternd zuzwinkerte.

 

Mit langsamen Schritten und leise ihre Unterhaltung führend kamen die drei Beamten, die eben noch frohgemut zu ihrem Chef hochgeeilt waren die Treppe hinunter. Ihre Mienen waren ernst und verschlossen.
„Na, gibt’s was Neues“, fragte Christof den Netten, aber dieser schüttelte nur den Kopf, ohne dass sich an seinem nachdenklichen Gesichtsausdruck etwas änderte und verschwand ohne sich auf ein Gespräch einzulassen schnell in seinem Büro. Der Glattgeschniegelte straffte seine Haltung, nahm seine MP wieder fest in Aktionsbereitschaft und fixierte Christof mit neu entfachter Motivation.

 

Immer wenn es spannend wird, hört es auf!

Aber im nächsten Hanf Journal geht es weiter!

 

 

(1) Retap Verlag 2016

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Ralf
5 Jahre zuvor

“Vor etwa zehn Jahren fuhr ich mit meinem inzwischen leider verstorbenen alten Freund Ebby…………”
Ja, ganze Wände mit Büchern könnten wir durch unsere Kriegserlebnisse füllen. Schade daß so wenige von uns noch übrig sind. Die meisten meiner alten Freunde haben eben leider nicht nur Cannabis genossen, sonst würden sie sich wie ich mit über 60 Jahren immer noch bester Gesundheit erfreuen, und sind vorzeitig , genau wie viele meiner Verwandten an den legalen Rauschgiften, ich nenne sie Todesdrogen, Alkohol oder Nikotin gestorben.