Samstag, 28. Juli 2018

Altes Herz bleibt sich treu

 

Seine Meinung – Sadhu van Hemp

 

 

In Berlin-Charlottenburg lebt und arbeitet vermutlich Deutschlands ältester Kleindealer. Seit 1968 ist der heute 75-jährige im regionalen Haschisch- und Marihuanahandel tätig, ohne dass es jemals zu einem Bust gekommen wäre. Vor ein paar Jahren hat er den Straßenhandel aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Nun empfängt und bedient er seine Kundschaft in einer Seniorenresidenz mit Blick auf den Bahnhof Zoo – und die Geschäfte laufen besser denn je. Das HaJo sprach mit dem Haschveteran, der erst in den Ruhestand treten will, wenn er vors Jüngste Gericht zitiert wird.

 

Ahoi Konrad? Vorab die Frage: Hast Du auch Christiane F. und die anderen Kinder vom Bahnhof Zoo mit Rauschgift versorgt?

 

Nein, keine Sorge, ich bin ein anständiger Dealer, der ausschließlich Hasch und Gras vertickt. Der Bahnhof Zoo war nie mein Revier, zumal die Junkies dort nur auf den Strich gehen, um die Patte für den nächsten Schuss zu beschaffen. Der Handelsplatz für Pulver war schon damals an der Potsdamer Straße Ecke Kurfürstenstraße. Ich war Ku’damm-Dealer. In den späten Sechzigern gab es im oberen Teil des Boulevards ein paar Diskotheken und Kneipen – die Gäste waren meine Kundschaft. Zumeist brave Jungs und Mädels aus dem Westberliner Bildungsbürgertum. Die waren zwar auf dem Hippietrip, aber das weitgehend zivilisiert und kontrolliert. Den meisten genügte ein schöner Stein aus dem Libanon oder ein bisschen Kongogras.

 

Die offene Hasch- und Grasszene war im damaligen Westberlin recht überschaubar. Auch für die Polizei?

 

Aber ja! Vor der Diskothek „Park“ beispielsweise herrschte ein Betrieb wie auf dem Wochenmarkt, wo man immer den gleichen Leuten begegnet. Regelmäßig gab es Razzien – und das „Park“ wurde ein ums andere Mal geschlossen. 1971 gab’s den finalen Bust und der Schuppen wurde für alle Zeiten versiegelt. Danach wanderte die Szene quer durch Charlottenburg und Wilmersdorf, bis sie schließlich Anfang der Achtziger des letzten Jahrhunderts in Kneipen und Musikcafés verdrängt wurde. Einzig die Hasenheide in Neukölln hat als offene Drogenszene die wilden Anfangsjahre überlebt.

 

Und all die Jahrzehnte warst du aktiv dabei. Im Grunde kaum zu glauben, dass du ein halbes Jahrhundert unbehelligt geblieben bist.

 

Na ja, ich hatte oft mehr Glück als Verstand. Ich kann mich noch gut erinnern, als ich in der Savignypassage Zwanzig-Mark-Pieces verhökerte. Nahezu täglich mischten sich Zivilbeamte unter die Kundschaft, und es hätte jederzeit passieren können, dass sie mich krallen. Im Laufe meiner Berufstätigkeit als Kleindealer habe ich einen sehr guten Riecher für Spitzel und faule Kunden entwickelt. Dennoch – Mitte der Siebziger hätte es mich beinahe erwischt. Ich habe die Gefahr nicht gesehen, in der ich mich befand. Ich arbeitete damals in einer Kneipe, wo ich nachmittags am Flipper anzutreffen war und 50-Mark-Pieces weitergab. Dass der Wirt im Kilobereich dealte, wusste ich. Was ich aber nicht wusste, war, dass Kneipe und Wirt längst im Visier des Zolls waren. Ein gutes halbes Jahr umgab ich mich mit Lockspitzeln und Polypen, die den Wirt mit gefakten Bestellungen aufpumpten und so den Faden bis zum Importeur aufrollten. Am Ende gab es einen richtig großen Knall – nur mich ließ man am Flipper stehen und weiterarbeiten.

 

Du behauptest, dass die Drogenfahndung und der Zoll seinerzeit schwer mitgemischt haben im Haschisch- und Grashandel.

 

Ja, und das kräftig. Immer wieder sind mir Leute von der Bullerei begegnet, die keinen Hehl daraus machten, dass sie Schutz bieten können. Oft waren es alte Seilschaften aus der Schulzeit und den Sportvereinen, die dafür sorgten, dass einige Auserwählte unbehelligt ihrem Business nachgehen konnten. Aufgeflogen sind immer die, die zugezogen sind und glaubten, in Berlin könne man völlig anonym und autark an die Sache herangehen.

 

Du hast es vorgezogen, dich aus dem Big Business herauszuhalten und kleine Brötchen zu backen. Ein ziemlich riskantes Geschäftsmodell, sich mit den Endverbrauchern herumzuschlagen.

 

Nicht unbedingt, wenn man sich peu-à-peu einen stabilen und zahlungskräftigen Kundenstamm heranzieht. Wer so lange im Geschäft ist wie ich, der weiß, wen er sich als Kunden hält und wen nicht. Typen zum Beispiel, die mich nach Pulverzeugs fragen oder auf Pump kaufen wollen, werden sofort ausgemustert. Ich will mal so sagen: Viele meiner Kunden sind über die Jahrzehnte echte Freunde geworden, die mir Karten aus dem Urlaub schreiben und zum Geburtstag gratulieren.

 

Du hast in Deinem Leben nie richtig gearbeitet, sagst du. Dennoch hast du es immer so aussehen lassen.

 

Ja, eine glaubhafte Legende gehört unbedingt dazu, wenn kein Verdacht geschöpft werden soll. Bis Ende der Siebziger ging ich als Langzeitstudent durch. Als die ersten grauen Haare kamen, war das aber nicht mehr glaubhaft. Ich legte mir dann als Tarnung einfach einen grauen Anzug und eine Aktentasche zu. So bin ich dann tagsüber akkurat gescheitelt durch die Stadt getigert und habe meine Kunden beliefert. In dieser Zeit war ich mehr auf Achse als jeder Taxifahrer.

 

Das hört sich doch sehr mühselig an, jeden Tag aufs Neue mit Kleckerkram auf sein Geld zu kommen.

 

Kleinvieh macht bekanntlich auch Mist. Wenn man täglich durchschnittlich zehn Kunden beliefert und an jedem dreißig bis fünfzig Mark verdient, kommen da schon ein paar Scheinchen zusammen – und das steuerfrei. In guten Monaten kam ich schon damals locker auf zehn Riesen. Und da ich ein Konsummuffel bin, war es mir gar nicht möglich, das Geld zu verbrauchen.

 

Zum Glück hast du dann ja die Frau deines Lebens getroffen, die dir das Geldausgeben abgenommen hat.

 

Nun ja, was soll ich sagen. Auch ich war mal jung, und sie noch viel jünger. Außerdem – so wichtig war mir das Geld nun auch wieder nicht, dass ich ihr die Freude an einem unbeschwerten Leben missgönnt hätte. Zudem habe ich das schon sehr genossen, immer eine schöne und adrette Frau an meiner Seite zu haben. So gesehen ist alles gut, auch wenn ich nach unserer Scheidung mit leeren Händen dastand. Klar, hätte ich schlauer sein und das Geld zusammenhalten müssen. Aber egal, heute stehe ich finanziell auf gesunden Füßen – und so lange die mich tragen, werde ich keine Not leiden.

 

Seit ein paar Jahren lebst du in einer First-Class-Seniorenresidenz. Wie kam es zu dieser Entscheidung? Du bist doch noch ganz fit auf den Beinen und soweit ist noch alles dran an dir.

 

Das ist hier wie ein Hotel. Ich muss mich um nichts kümmern, außer um meine Kunden. Und die werden immer mehr, seitdem der Cannabis-Boom die Nachfrage steigen lässt. Mittlerweile versorge ich sogar schon die Enkelkinder meiner ältesten Kunden. Damit der Traffic nicht so auffällt, empfange ich aber nicht alle hier bei mir. Zweimal die Woche mache ich noch meine große Runde – und zwar über Charlottenburgs Friedhöfe. Ein idealer Ort, um einen Bunker anzulegen und seine greise Kundschaft abzufertigen, ohne dass es auffällt.

 

Konrad, wir danken dir für das aufschlussreiche Gespräch und wünschen dir noch viele aktive Jahre im Cannabis-Gewerbe. Bleibe uns noch sehr lange erhalten, denn Deutschland braucht solch aufrechte und subversive Menschen wie dich, die die Cannabis-Prohibition beispielhaft ad absurdum führen.

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2 Kommentare
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Filamente und Voids
5 Jahre zuvor

Cannabis ist eine Medizin und nicht Tötlich . Cannabis kann Krebs heilen ,ohne Arzt ,Apotheke und Pharmafirma . Über 50 000 Produkte können aus Hanf hergestellt werden . Hanf-Öl kann Erdöl ersetzen .

Ralf
5 Jahre zuvor

Glückliche Berliner, als Bayer, Badener oder Pfälzer bist du da ganz anders im Ar… . Das kann man nicht 50 Jahre ungeschoren überstehen, denn hier gibt es ohne Ende Polizeiterror im Verhör, Konstruktion von Fakedelikten (O-Ton Drogenbulle: “Wenn nicht Cannabis dann halt was anderes”!) und darauf folgend Verrat aus Angst ! Das habe ich alles am eigenen Leib erlebt und die Beweise dafür auf Lager.