Dienstag, 26. Dezember 2017

Wo wird Kiffen am härtesten bestraft?

 

Deutschland: Ein Irrgarten im Föderalismus?

 

 
Welche Bundesländer sind auf dem „richtigen Dampfer“?
Christian Rausch

 

Viele unserer Mitmenschen wischen den Hinweis auf die Strafbarkeit des Kiffens mit einer eher verächtlich-lässigen Handbewegung beiseite. Was folgt, sind dann meistens gut gemeinte Fragen, die aber nicht ganz zu Ende gedacht wurden:

 

„Die können mich mal! Das lass ich mir doch nicht verbieten?“

„Was soll da schon passieren?“

„Bei der Menge macht sich kein Staatsanwalt die Mühe …“

„Wollen die Bullen jetzt tatsächlich die letzten Krümel vom Boden aufsammeln und ins Labor schicken? Das glaubst du ja selbst nicht.“

„Konsum alleine ist nicht strafbar.“

„Ich habe ja bloß was für den Eigenkonsum dabei. Das ist dann kein Problem.“

„Wenn ich die Feinwaage, das Matt und die Verpackung getrennt aufbewahre, dann können die gerne meine Wohnung durchsuchen. Da passiert dann hundertprozentig nichts.“

Diese und weitere mutiger Aussagen gibt es leider zuhauf und entsprechen nicht selten der Unwahrheit. Entspringen sie eher dem Bedürfnis nach Coolness, Abgeklärtheit und Unnahbarkeit? Oder sind sie wohl doch mehr das Resultat von zu überspielender Unsicherheit und Unwissenheit? Denn was gilt nun wirklich? Und welche Folgen und Repressalien stehen zu befürchten, wenn man beim Kiffen/mit Dope/mit Rauchgerät usw. erwischt wird? Was passiert dann? Wirklich nichts? Oder sollte man sich lieber einen Rechtsanwalt suchen, der versucht Schlimmeres von einem abzuwenden?

 

Erschwert wird dieses Panoptikum durch die Ungleichbehandlung im Föderalismus. Denn der legt die Entscheidungen darüber, welche Mengen an Gras oder Haschisch erlaubt sind, in die juristische Kompetenz der einzelnen Bundesländer. In jedem der 16 deutschen Bundesländer herrscht eine andere Gesetzgebung und eine unterschiedliche Anwendung beziehungsweise Durchführung der bestehenden Gesetze. Gemeinsamer Ausgangspunkt der verschiedenen Interpretationen ist der § 31a des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), der das „Absehen von der Verfolgung“ regelt. Aber dabei ist das Gesetz wachsweich und sozusagen in jede Richtung biegbar, denn die „Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.“ In der Theorie klingt der Paragraph 31a des BtMG also gar nicht so wild, aber alle Theorie ist ja bekanntlich grau.

 

Wie sieht die Praxis tatsächlich aus? Welche Leitlinien herrschen bei der Anwendung des § 31a? Hier ist es in der Tat so, dass es keine bundeseinheitliche Festlegung über die Anwendung und Durchführung gibt. Vielmehr hat fast jedes Bundesland eigene Verordnungen oder Anweisungen an die jeweiligen Staatsanwaltschaften, wie der ominöse Paragraph zu verstehen, zu interpretieren und anzuwenden sei.

Einigkeit herrscht aber weitestgehend darüber, wann ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht: nämlich in Fällen, in denen „der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Betroffenen hinaus gestört ist“. Dies ist zum Beispiel immer dann der Fall, wenn Drogen offen, ja geradezu ostentativ genommen werden. Diese Konsumweise wirkt dann ja auch besonders für Jugendliche und Heranwachsende gefährdend. Ebenso ist eine Strafverfolgung bei allen Personen mit beruflich bedingtem pädagogischem Impetus wünschenswert. Erzieher oder Mitarbeiter von Drogenhilfeeinrichtungen sind also aller Wahrscheinlichkeit nach bereits beim ersten und auch noch so geringfügigen Verstoß „dran“ und werden mit einer Anzeige und Strafe belegt. Ebenso unbarmherzig ist das Gesetz, wenn der Drogenkonsum den Straßenverkehr gefährdet. Damit ist jede Fahrt unter Drogeneinfluss gemeint. Das mindeste, was einem sogar im liberalsten Bundesland passieren kann, ist Führerscheinentzug.

 

Ansonsten herrscht in beinahe allen 16 Bundesländern eine unterschiedliche Auslegungspraxis des § 31a. Aber Ausnahmen bestätigen ja bekanntlich die Regel. So gibt es in Bremen inzwischen eine einheitliche Rechtspraxis, die allerdings nirgendwo niedergeschrieben ist. Bremen befindet sich im unteren Drittel der sogenannten moderat-liberal eingestellten Bundesländer. So soll bei bis zu sechs Gramm THC-haltiger Räucherware ausdrücklich von Strafverfolgung abgesehen werden. Und dies sogar im Wiederholungsfall. In Mecklenburg-Vorpommern, das den repressiven Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg zuzurechnen ist, herrscht die gleichsinnige Praxis darin, dass jeder Staatsanwalt nach eigenem Gutdünken aussuchen kann, wie er im Einzelfall entscheiden möchte. Die einzige Vorgabe, die er besitzt, ist die, dass er bis zu einer Höchstmenge von fünf Gramm Dope von einer Verfolgung absehen kann. Zur Verdeutlichung: Hier ist das Absehen von Verfolgung bei einer geringeren Menge als fünf Gramm nicht die Regel, sondern die Ausnahme, die im Ermessensspielraum des Staatsanwalts liegt. Wohl dem, der in Mecklenburg-Vorpommern einen fortschrittlichen Staatsanwalt erwischt und sich einen versierten Rechtsanwalt leisten kann.

 

Berühmt-berüchtigt ist ja seit eh und je Bayern für seine repressive Cannabis-Politik. Wie in Baden-Württemberg auch kann bei einer Menge von bis zu drei Konsumeinheiten (das entspricht in etwa sechs Gramm) von einer strafrechtlichen Verfolgung abgesehen werden. Aber wer die Rechtsprechung Bayerns kennt, der weiß, dass dies längst nicht gängige Praxis ist. Die in Bayern und Baden-Württemberg herrschende „Kann-Bestimmung“ erlaubt es nämlich lediglich, von der Strafverfolgung abzusehen.

 

Anders verhält es sich mit den Soll-Bestimmungen in anderen Bundesländern. Hier ist es mehr oder weniger Vorschrift, dass bis zu der festgelegten Menge keine strafrechtliche Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft stattfindet. In besonderen Fällen aber wie den weiter oben erwähnten (also Erzieher, Drogenfahrten…) kommt es eben auch unterhalb dieser Kann-Grenze zur Aufnahme eines Strafverfahrens durch die zuständige Staatsanwaltschaft.

 

Eine weitere wichtige Rolle bei der Beurteilung, ob ein Verfahren gegen die Delinquenten eröffnet wird, spielt die Geringfügigkeit der Schuld. Aber auch hier sind die Anwendungskriterien so unterschiedlich, wie sie nur sein können. So ist es in etlichen Bundesländern trotz „nicht auszuschließender Betäubungsmittelabhängigkeit“ oder trotz eines mehrfachen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz möglich, eine geringe Schuld zu konstatieren. In den repressiveren Bundesländern hingegen gilt die geringe der Schuld nur im ersten oder zweiten Wiederholungsfall. Nicht-süchtige Dauerkonsumenten sind somit von der Geringfügigkeit der Schuld mehr oder weniger von Vornherein ausgeschlossen. Empirisch bestätigen lässt sich der Befund, dass neben den konservativen Klassikern wie Bayern und Baden-Württemberg besonders die neuen Bundesländer am härtesten in Sachen Strafverfolgung bei Drogenkonsumenten vorgehen. Dies gilt insbesondere für Thüringen, Sachsen und dem bereits erwähnten Mecklenburg-Vorpommern. In den drei Ost-Bundesländern herrscht überall Einzelfallauslegung. In Thüringen wurde kein Grenzwert festgelegt, bei dem ein Verfahren nicht aufgenommen werden soll. Härter geht es wohl kaum.

 

Am besten hat es wohl Berlin erwischt. Berlin ist innerhalb der progressiven Bundesländer der Primus inter Pares. Denn die Hauptstädter dürfen bis zu zehn Gramm Gras oder Hasch bei sich haben, ohne rechtsstaatliche Folgen fürchten zu müssen. Das schlimmste Horrorszenario, das den Berlinern also blühen kann ist: „Wenn dich die Bullen erwischen, dann ist halt dein Gras weg. Das ist ganz schön ärgerlich.“ Stimmt schon, aber im Vergleich zu dem Ärger, den man sich in anderen Bundesländern für den gleichen Sachverhalt einhandeln könnte, ist der Verlust des Grases vergleichsweise leicht zu verschmerzen. Doch die Berliner Handhabung des § 31a lässt noch mehr Spielraum, denn bei bis zu 15 Gramm kann von einer Strafverfolgung abgesehen werden, was in vielen Fällen wohl auch so gehandhabt wird. Wohlgemerkt: Das gilt für Berlin im Allgemeinen.

 

Denn bis vor Kurzem gab es ja noch die berüchtigten Zonen innerhalb der Stadt, die Ex-Innensenator Frank Henkel nahezu eigenmächtig zu Zero-Tolerance-Gebieten erklärt hatte. Hier konnte es schon strafbar sein, wenn man nur ein Gramm oder andere geringfügige Mengen bei sich hatte. Aber diese Regelungen galten nur für bestimmte Hotspots der Hauptstadt, in denen Dealer und Konsumenten es allzu bunt trieben. Also in dunklen Ecken wie dem Görlitzer Park etwa. Außerdem ist Henkels Vorstoß inzwischen endlich von der neuen Regierungskoalition Berlins abgeschafft.

 

Getoppt werden die 15 Gramm aus Berlin noch von Schleswig-Holstein, wo sogar bis zu 30 Gramm straffrei bleiben können, aber nicht müssen (Kann-Bestimmung!).

 

Welche Maßnahmen ergreift die Polizei? Weitgehend herrscht Einigkeit darüber, dass sich die Maßnahmen der Polizei, die im Verdachtsfall einer Straftat Ermittlungen aufnimmt, auch auf den Erst-Fall und den Erst-Täter beziehen. Denn nur so kann ja nach der Logik des Rechtssystems gewährleistet sein, dass ein Wiederholungstäter später als ein solcher erkannt wird. Aber im Beamten- und Juristendeutsch formuliert klingt dieser Sachverhalt dann wieder anders: „Die Staatsanwaltschaft wirkt darauf hin, dass der Umfang der polizeilichen Ermittlungstätigkeit […] auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden kann.“ In Fällen, in denen von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann, reicht es also aus, die Art und das Gewicht des konfiszierten Betäubungsmittels festzustellen. Weitergehende kriminaltechnische Untersuchungen sind in einem solchen Fall nicht grundsätzlich notwendig.

 

Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Da leitet wohl der Gedanke an die mit einer Laboruntersuchung verbundenen immensen Kosten das juristische Fahrwasser. Aber wenn dem so ist, dann wäre es logisch überlegt wohl deutlich günstiger gewesen, wenn die Polizei zum Beispiel im Görlitzer Park den ganzen Stoff aufgekauft anstatt konfisziert, gewogen und anschließend nur zu langweiligen Berichten verarbeitet hätte. So weit will der Gesetzgeber aber natürlich nicht gehen. Denn die einzige weitere Ermittlungsmaßnahme die folgen soll, ist die Beschuldigtenvernehmung. Hierbei gibt es insbesondere zwei Schwerpunkte, nämlich die Betäubungsmittelherkunft und die Konsumverhaltensweise des Beschuldigten. Damit fordert der Rechtsstaat den Beschuldigten quasi in zweierlei Hinsicht zum Denunziantentum auf: Einmal soll gesagt werden, von wem der Stoff stammt beziehungsweise für wen er bestimmt ist und zum anderen, wie viel und in welcher Frequenz man sich das Zeug denn reinpfeift. Beide Formen des Verrats sind an sich eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig, erinnern sie doch stark an das im Nationalsozialismus herrschende „Blockwart-Tum“. Außerdem hat der Gesetzgeber wohl übersehen, dass die meisten Beschuldigten den Teufel tun werden, um den engsten Freund oder ihre wahre Quelle zu identifizieren.

 

Vielmehr bietet sich hier ein weites Feld für Abrechnungen und das Begleichen von Rechnungen. Denn wer würde nicht die Chance ergreifen, einen ihm verhassten Menschen, der auch mit Betäubungsmitteln zu tun hat, in diesem Fall in die Pfanne zu hauen? Insofern sollte sich die Polizei also nicht zu früh freuen, wenn sie in solch einem Fall die Handynummer oder gar Adresse der vermeintlichen Bezugsquelle erhält. Aber dem System geht es weniger um das Aufdecken von Wahrheit, als vielmehr um das repressive Trockenlegen bestimmter Sümpfe. Und deshalb spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob die von dem Erwischten beschuldigte Person tatsächlich das Gras „vertickt“ hat. Denn in jedem Fall besteht für die Exekutivorgane die Möglichkeit bei der denunzierten Person eine Wohnungsdurchsuchung vorzunehmen. Und hierbei spielt es keine Rolle, von wem der Tipp kam oder ob die Beschuldigung stichhaltig ist. Was zählt, ist alleine, ob in der Wohnung Betäubungsmittel gefunden werden. Sollte dies der Fall sein, dann hat der Betroffene je nach Menge mit mehr oder weniger Ärger zu rechnen. Sollte die gefundene Menge die jeweilige Höchstmenge des Bundeslandes überschreiten, dann kann sich der Delinquent auf eine Anzeige wegen Dealerei gefasst machen, liegt doch der Wohnungsdurchsuchung die Beschuldigung eines anderen Delinquenten zugrunde. Dieses System hat Methode und dient der Einschüchterung, der Stigmatisierung und der Verurteilung von Menschen, die selbstbestimmt über ihren Konsum jeglicher Substanzen entscheiden wollen oder die einer Sucht und Krankheit zum Opfer gefallen sind.

 

Last but not least sollte man noch einen letzten Aspekt im Auge behalten. In der Fremde ist alles anders. Also wenn ich meinen heimischen Hometurf verlasse, um anderswo meinen Claim abzustecken. Soll konkret heißen: Wenn ich vom sehr liberalen Schleswig Holstein in das repressiv-konservative Mecklenburg-Vorpommern fahre. Hier sollte ich bedenken, dass ich mit 29 Gramm Gras in Schleswig Holstein sehr wohl die Chance habe, im Falle eines Falles ohne Strafe wegzukommen. Aber sollte die Polizei mich in Mecklenburg-Vorpommern erwischen, dann ist dort mit derselben Menge sogar eine Strafanzeige wegen Dealerei wahrscheinlich. Oder wenn ich von Berlin Ost nach Cottbus fahre und neun Gramm Gras dabei habe. In Berlin würde mir mit dieser Menge nichts passieren, wohl aber in Brandenburg.

 

In diesem Sinne ist für eine Vereinheitlichung des Rechtssystems nicht zuletzt vor dem Hintergrund des im Grundgesetz (GG) verbürgten Gleichheitsgrundsatzes auszusprechen. Alle Bundesländer sollten in Zukunft dieselbe Politik bei der Auslegung der Paragraphen des Betäubungsmittelgesetzes fahren. Am besten wäre die Legalisierung von Gras. Das würde der Staatskasse immense Kosten sparen und der Polizei helfen, sich auf die Jagd von wirklichen Verbrechern zu konzentrieren. Und es würde Kiffern die Freiheit geben, sich als gleichwertige Menschen unter anderen zu fühlen. Denn so schwingt bei allem Idealismus doch immer das Damoklesschwert der Justiz über den Usern.

 

Andere Länder wie die Niederlande und zum Teil die USA haben vorgemacht, wie eine positive Legalisierung von Gras vonstattengehen kann. Hoffen wir, dass die wohl zu antizipierende Jamaika-Koalition ihre Hausaufgaben in dieser Hinsicht macht. Mit den GRÜNEN und den Liberalen scheinen die Chancen dafür gar nicht so schlecht zu stehen. Allerdings bleibt dann immer noch das Fragezeichen eines Jens Spahn, dem Ambitionen für das Amt des Bundesgesundheitsministers nachgesagt werden. Na dann: Prost! Spahn ist ein bekennender, vehementer Nicht-Kiffer und wird diesen Standpunkt kraft seines Amtes wohl auch behaupten.

Bleibt zu hoffen, dass es anders kommt. (Anmerkung der Redaktion: Ist es!)

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Rainer Sikora
6 Jahre zuvor

An der allgemeinen Situation hat sich seit geraumer Zeit so gut wie nichts geändert.Leider gibt es auch keine Aspekte die eine wirkliche Hoffnung auf reale Veränderungen aufkommen lassen.Lediglich Erwägungen durch das Anbauverhinderungsgesetz. oder angeblicher Bekehrungen einzelner, zB.ein Müller aus der Cdu, lassen einen Trugschluß aufkommen, es könnte besser werden.Auf Amerika wird im Zusammenhang mit der Legalisierung in einzelnen Staaten,kein Wert gelegt.Will die deutsche Regierung nichts hören oder sehen.