Freitag, 27. Oktober 2017

DXM und Kiffen

 

„Legale Drogen“ und Kiffen

 

Heute: DXM und Kiffen – Ravende Party People und eine Tüte zum Runterkommen

Kann den Kiffen Sünde sein?
Christian Rausch

 

Ist Gras die Hauptsache oder nur schmückendes Beiwerk? Welche Sichtweisen sind hier möglich? Welche Positionen werden vertreten? Inwiefern kann sich Streit um die Frage entzünden, ob Gras für „Party People“ und die Rave-Szene das Wesentliche oder nur Nebensächliches ist?

 

Natürlich gibt es genügend Leute, die die reine Lehre vertreten. Die da lautet: Gras, Gras und nichts als das heilige Gras. In der Wirklichkeit und bei den meisten Kiffern sieht das aber anders aus. Denn irgendeine Form von Mischkonsum ist meistens vorhanden. Nicht wenige trinken gerne ein Bier oder einen Kaffee zur Tüte. Das ist dann schon genaugenommen die erste, noch vergleichsweise harmlose Art und Weise des Mischkonsums von Gras. Natürlich wird Gras häufig genug auch als Add-On zu harten Drogen konsumiert. Nicht wenige Kokser oder Junkies rauchen gerne zwischendurch etwas Gras. Um die Effekte der harten Drogen zu verstärken, zu verlängern oder um die Zeit zwischen zwei Injektionen vergleichsweise kostengünstig zu überbrücken.

 

An dieser Stelle wird ein kurzer Einblick gegeben in Gras-Mischkonsumformen, die momentan „in“ sind und die mit sogenannten „Legal Highs“ zu tun haben. Als „Legal High“ werden an dieser Stelle alle Substanzen subsumiert, die ohne Rezept und ohne Begehung einer Straftat/Ordnungswidrigkeit freikäuflich erwerblich sind und ohne Repressalien der Staatmacht zu befürchten, besessen werden dürfen. In der Party-, Rave- und Elektromusikszene findet seit geraumer Zeit in diesem Sinne eine Droge Verbreitung, die rezeptfrei in jeder deutschen Apotheke erworben werden kann. Es handelt sich dabei um den Wirkstoff Dextromethorphan, kurz mit dem szenetypischen Kürzel DXM versehen. DXM ist ein synthetisches Morphin, das aber nachgewiesenermaßen keine opiumähnlichen Effekte besitzt. Diese Eigenschaft war die eigentliche Initialzündung zur Entwicklung von DXM.

 

In den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrtausends besaßen die US-amerikanischen Streitkräfte, also Air Force, Navy und Army ein veritables Suchtproblem. Dieses bestand darin, dass viele der Soldaten, nicht zuletzt aufgrund der fordernden Kriegseinsätze und der ungewohnten Klimazonen, häufig unter einem chronischen, trockenen Reizhusten litten. Dieser wurde bis dato immer mit dem Opioid-basierten Hustenstiller Codein bekämpft. Das Fatale an Codein ist, dass es sich dabei um ein synthetisches Opioid mit hohem Suchtpotenzial handelt. Und so hatten die US-Streitkräfte gravierende Probleme mit unzähligen süchtigen und nur bedingt einsatzfähigen Soldaten. Um dieses Suchtproblem zu beheben, erhielten Mediziner von US-Militärgeheimdiensten den Auftrag ein Mittel gegen den trockenen, chronischen Reizhusten zu finden, dass weniger in körperliche und geistige Abhängigkeit führte als Codein. Und bei der Suche nach diesem Stoff stießen sie auf DXM. Überraschenderweise ist DXM also zwar auch ein synthetisches Morphin, ohne dabei aber die süchtig machenden opiumähnlichen Effekte wie Codein hervorzurufen. Da stoffklassentechnisch DXM nicht als Opiod subsumiert wird, ist es in allen deutschen Apotheken und Online-Apotheken erhältlich.

 

Das Produkt kommt meistens ohne Beimischungen aus, was bedeutet, dass der Konsument lästige Nebenwirkungen wie hohe Paracetamol-Beigaben, die in hohem Maße leber- und nierenschädigend sind, vermeiden kann. Inzwischen hat sich vor allem in den Raver-, Techno-, Elektro- und Trance-Szenen die berauschende Wirkung von DXM herumgesprochen. DXM scheint eine günstige und „legale“ Alternative zu Ecstasy, MDMA oder Amphetaminen zu sein. Eine Zehnerpackung DXM-Hustenstiller des Pharma-Riesen Ratiopharm kostet in der Apotheke zwischen vier und fünf Euro. Im Internet-Apotheken-Online-Shop kann dieselbe Packung teilweise für deutlich weniger (50% des Apothekenpreises) erworben werden, wobei Versandgebühren anfallen.

 

Wie wirkt DXM und warum ist es in der Rave-Szene so beliebt? DXM besitzt eine recht lange Wirkungsdauer von zirka sechs Stunden. Die Wirkungsweise von DXM ist derjenigen von Ketamin und Lachgas nicht unähnlich. Während der Konsument aber bei den beiden ersteren beim Einsatz der Substanzen diese unterdosieren muss, um einen berauschenden Effekt herbeizuführen, muss DXM zwingenderweise deutlich überdosiert werden, da sonst keine Rausch-Effekte auftreten. Mit anderen Worten: Nur wer sich ordentlich die Birne mit DXM vollknallt, kann eine euphorische oder gar psychedelische Wirkung erzielen. Dies macht die Anwendung von DXM gefährlich, da mit steigender Überdosierung sich die Nebenwirkungen der Substanz multiplizieren. Und die sind nicht ganz ohne, wie ein Blick in den Beipackzettel beweist. Gegenanzeigen für eine absolute DXM-Unverträglichkeit sind zum Beispiel asthmatische Bronchialleiden, chronische obstruktive Atemwegserkrankungen, Lungenentzündung, Atemdepression oder Ateminsuffizienz. Ein absolutes No-Go ist, DXM in großen Massen zu konsumieren, wenn gleichzeitig Antidepressiva (also stimmungsaufgellende Arzneimittel, MAO-Hemmer) eingenommen werden oder die Leber insuffizient arbeitet. Hier sei der zusätzliche Hinweis gestattet, dass eine Kombination von DXM und MAO-Hemmern oder MDMA zum sogenannten Serotonin-Syndrom führen können. Diese – vereinfacht gesagt – zu hohe Ausschüttung von Serotonin oder Serotonin ähnlichen Stoffen führt zu unliebsamen Nebenerscheinungen wie Muskelzuckungen, Schüttelfrost oder Tremor.

 

Also unbedingt Obacht geben! Eher süffisant und beiläufig verrät der Beipackzettel dann noch, dass DXM zur seelischen (!) und körperlichen Abhängigkeit führen kann. Und last but not least: Beim Missbrauch des Arzneimittels kann es zu einer Überdosierung kommen. Aber genau das ist ja der Aspekt, auf den es die Raver anlegen. Im Umkehrschluss bedeutet das wieder, dass der User, wenn er auf DXM „drauf ist“, keineswegs zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr geeignet ist und auch das Bedienen von komplexen automatischen Maschienen sein lassen sollte. Ein besonders strenger Hinweis gilt noch der interdependenten Verstärkung dieses Aspekts, wenn zugleich Mischkonsum mit Alkohol oder anderen Medikamenten besteht, welche die Reaktionszeit beeinträchtigen. Insofern sollte folglich bei einem Mischkonsum von DXM und THC unbedingt darauf verzichtet werden, selbst mit dem eigenen Auto in den Club oder zu Freunden zu fahren beziehungsweise in die Fabrik zum Arbeiten zu gehen. Die Symptome einer Überdosierung beschreibt die Packungsbeilage wie folgt. Es können Erregungszustände, Schwindelgefühl, Atemdepression, psychotische Zustände bis hin zu Halluzinationen und Bewusstseinsstörungen, Blutdruckabfall, beschleunigter Herzschlag, Anspannung der Muskeln sowie eine Störung der Bewegungen auftreten. Naloxon gilt wie bei Überdosierungen anderer Art (zum Beispiel mit Heroin) als wirksamer Antagonist, um den Patienten wieder zurück ins Hier und Jetzt zu holen.

 

Betrachtet man diese Symptomatik, so lässt sich leicht erschließen, warum DXM in der Club-Szene und bei Party-Peoplen so beliebt ist. DXM kommt nahe ran an die Wirkweise so mancher Ecstasy-Pille, von Speed oder MDMA. Natürlich liest sich das alles im Beipackzettel nicht sonderlich prickelnd, aber die Effekte unterscheiden sich letztlich in gewisser Weise von der Wirkungsweise der illegalen Drogen. Noch kurz zu weiteren beschriebenen Nebenwirkungen. Leichte Müdigkeit, Schwindelgefühl, Halluzinationen, Hautreaktionen, Magen-Darm-Beschwerden, Übelkeit und Erbrechen werden aufgezählt. Auch das sind Phänomene, die einem durchaus bei den drei genannten illegalen Party-Drogen widerfahren können.

 

Wie wirkt nun DXM genau? Was passiert beim Konsum? Zunächst einmal unterdrückt DXM Hustenreflex und hemmt im Gehirn den Abbau von Dopamin und Serotonin. Dadurch, dass dieser Abbau blockiert wird, bliebt die Wirksamkeit der Dopamin- und Serotonin-Verbindungen länger erhalten und sie bewirken im Magen, Darm, in der Leber und der Niere eine Erweiterung der Blutgefäße, wobei die Pulsfrequenz und der Blutdruck erhöht werden. Dies geht mit einer stimmungsaufhellenden Wirkweise einher. Insofern alles Pille! Sogar die in der Rave-Szene als guter Stil geltende Pupillenerweiterung ist durch DXM vorhanden. Bei DXM gibt es fein nuancierte Wirkungsstufen, die hier Plateaus, Ebenen oder Levels genannt werden. Diese reichen von eins bis vier, wobei eins die unterste Stufe ist und vier die höchste. Zudem finden sich in den unendlichen Weiten des Netzes DXM-Rechner, bei denen man Alter, Geschlecht, Gewicht und manchmal auch weitere Angaben eingeben muss, um genau errechnen zu können, welchen Grad des High-Seins (also welches Plateau) man erreichen möchte. Der Rechner gibt einem dann eine genaue Anzahl von Ratiopharm-Hustenstillern oder vergleichbaren Präparaten vor.

 

Allgemein lässt sich festhalten, dass bei einer niedrigen Dosierung DXM zuerst stillungsaufhellend wirkt, um bei einer geringen Dosis-Steigerung dann ähnliche Effekte wie Lachgas oder Cannabis hervorzurufen. Dann sind schöne Musik, gute Filme oder sogar Tanzbewegungen das Mittel der Wahl, um eine angenehme Wirkung zu entfalten. Bestimmte Geräusche und visuelle Eindrücke erreichen den Konsumenten dann „verzerrt“, was als „flanging“ umschrieben wird. Während in dieser Phase vor allem das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt ist, treten bei einer Dosierung von 7.5-15 mg pro Kilogramm Körpergewicht Halluzinationen und massive Störungen beim Denken sowie Probleme beim sensorischen Erfassen der Umwelt auf. Diese Phase gilt allgemeinhin als die zweite erreichbare Ebene. Erhöht man die DXM-Gabe auf über 15 mg pro Kilogramm wirkt der Stoff wie nicht-anästhetisches Ketamin. Vor diesem dritten Level des DXM-Rauschs finden sich im Netz zahlreiche Warnungen, da die Lösung des Geistes vom Körper eben nicht für jeden Konsumenten geeignet zu sein scheinen. Der höchste und letzte Level, vier, besteht aus einer sehr toxischen Wirkung von DXM. Im Netz finden sich viele Hinweise darauf, dass auf diesem Level „Gottesbegegnungen“ und „Nahtoderfahrungen“ keinerlei Seltenheit sind. Bei dieser massiven Dosierung treten in der Regel neurotoxische Wirkungen, nicht selten mit längerfristigen Folgen, ein.

 

Es wird dringend empfohlen, sich ab Dosierungen, die Level zwei überschreiten, einen „Trip-Sitter“ zu organisieren, also jemanden, der weitgehend nüchtern ist und aufpasst, was der DXM-Konsument alles anstellt und diesen möglicherweise von Dummheiten abhält oder im Falle einer Unverträglichkeit den Krankenwagen informieren kann.

DXM ist zwar keine klassische Tanzdroge, aber dennoch passt sie genauso gut oder schlecht in die Clublandschaften wie Ecstasy, MDMA oder Speed. Die Szene im Netz warnt besonders eindringlich vor Mischkonsum. Mit Alkohol sei die Gefahr des Sich-Übergeben-Müssens sehr hoch, bei gleichzeitigem Konsum mit psychoaktiven Drogen wie LSD, Ketamin oder Meskalin seien schwere gesundheitliche Folgen zu befürchten und besonders schlimm sei die Mischung mit MDMA und/oder Ecstasy. Wortwörtlich findet sich bei den zahlreichen Hinweisgebern im Netz die Aussage, dass die Kombination von DXM und MDMA in den allermeisten Fällen zu einer lebensbedrohlichen Situation führen würde.

 

Was bleibt? Der gute, alte Spliff. Hier finden sich keinerlei Warnhinweise der Inkommensurabilität von DXM und THC. Fein, das hat sich auch die Rave-Scene gedacht und so gilt der gleichzeitige Konsum von DXM und Gras oder Hasch in der Szene nicht nur als hip, sondern auch als zusammengehörig. Und das ist auch nicht verwunderlich, denn die Kombination von DXM und Gras oder Hasch verstärkt die Wirkung von DXM. Allerdings gilt hier Ähnliches wie beim Pillen-, MDMA- oder Ecstasy-Konsum. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass die User bereits während des DXM-Trips kiffen, doch das scheint eher die Ausnahme zu sein. Denn während des Trips selbst sind die meisten Raver stark mit den DXM-Phänomenen und Auswirkungen beschäftigt. Vielmehr werden die meisten Joints in der Club- und Elektromusikszene immer dann geraucht, wenn es darum geht, „wieder runterzukommen“ und so „angenehm wie möglich zu landen“. Ein möglicherweise nicht unerwünschter Nebeneffekt des Kiffens ist auch, dass die abklingende Wirkung des DXM kurzfristig noch einmal aufzufrischen. Und spätestens dann – beim „Zusammenprall“ von DXM und MDMA – setzt auch der berühmte „Beißer“, also das Knirschen mit den Zähnen und verkrampfte Kiefermuskeln, ein. Damit ist das Pille-Feeling beinahe perfekt simuliert. Und das Geheimnis um die Beliebtheit der DXM- und THC-Kombination ist gelöst.

 

Bleibt noch abschließend die Frage: Ist Kiffen also schmückendes Beiwerk zu DXM oder nach wie vor die Hauptsache? Die Frage scheint in diesem Kontext ein wenig philosophisch und wie diejenige, was zuerst da war: die Henne oder das Ei. Zu guter Letzt noch einmal ein ausdrücklicher Warnhinweis: Wer sich mit DXM nicht auskennt, sollte sehr vorsichtig sein, sich ausführlich im Netz vorher informieren und unbedingt einen „Trip-Sitter“ haben. Sonst können einem die Hustenstiller sprichwörtlich unangenehm im Halse stecken bleiben.

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Ralf
6 Jahre zuvor

Wen interressiern hier die Pillenschluckereien, mich nicht und auch sonst niemanden der was in der Birne hat. Die werden nicht kriminalisiert, also was soll der Mist, inclusive Werbung für die Pillendreher in einem Journal das für Cannabis zuständig ist !? So langsam wundert mich aber hier nichts mehr !