Samstag, 3. Juni 2017

100.000 Pillen und kein einziger Joint

Buchtipp

 

Robert Hilburn über Johnny Cashs Leben

 

Von Christian Rausch

 

Musik ist bekanntlich Geschmackssache. Und das trifft für alle zu. Auch bei Kiffern und Stonern herrscht große Uneinigkeit über die Frage, welche Musik denn gefällt. Altgediente Hippies bevorzugen in der Regel Bands und Musiker wie The Doors, MC5, Grateful Dead, Jefferson Airplane oder Bob Dylan (ach ja, der hat ja wirklich literarische Ambitionen, wie die letzte Nobelpreisvergabe gezeigt hat). Jüngere Gras- und Haschliebhaber halten es lieber mit Rap, Hip-Hop oder elektronischer Musik. Nun ist Johnny Cash sicherlich ein ganz besonderer Fall, denn Country- und Folkmusik ist sicherlich nicht jedermanns Sache, aber auch hier soll es Liebhaber geben, die gerne bei einem Pfeifchen oder Tütchen seine Lieder anhören.

 

Dabei rauchte Johnny Cash – zumindest, wenn man der Version seines Biographen Robert Hilburn Glauben schenkt – keine einzige Tüte in seinem Leben. Aber in der im Berlin Verlag erschienenen, 800 Seiten umfassenden Biografie ist mehr als ausufernd die Rede davon, wie viele Zehntausende Pillen Cash sich in seinem Leben einwarf: zuerst voll auf Speed (Dexedrin) und dann auf Schmerztabletten (Opiate). Na denn Prost Mahlzeit. Und das Ganze gepaart mit einem seltsam anmutenden fundamentalen christlichen Glauben, was Cash aber nicht vor hunderten, ja tausenden schnellen Nummern zwischen Bühne und Garderobe abhielt.

 

Zum Inhalt: Das Leben von Johnny Cash kann eigentlich als eine wilde Achterbahnfahrt zwischen Highs und kaltem Absturz beschrieben werden. Immer wieder erreichte er beinahe unermesslichen Weltruhm, um danach nur umso böser mit einem rasanten Drogen-Absturz wieder vom Olymp zu fallen. Hinzu kommen die Komponenten religiöse Ereiferung (gemeinsam mit dem legendären amerikanischen Prediger Bill Graham) und allen möglichen Arten des Entzugs. Früh entdeckte der einfache Südstaaten-Farmersohn seine Liebe zur Gitarre und zur Musik. Während er mit der US-Army als Soldat in Deutschland stationiert war, schrieb er seine ersten Songs. Und dann folgte der rasante Aufstieg: Ender der 60er Jahre war Cash tatsächlich erfolgreicher als die Beatles. Mit 48 Jahren erhielt er als jüngster lebender Künstler die höchste Auszeichnung, die es in der Country-Musik gibt, denn er wurde in die Country Music Hall of Fame aufgenommen. Unvergessen ist sein legendäres Konzert im Knast von Folson im Jahr des Sommers der Liebe (1968), als er seinen späteren Biographen Hilburn kennenlernte. Hilburn gelingt es ein facettenreiches Bild des durchaus kontroversen Künstlers zu zeichnen. Dabei bezieht er neben persönlichen Erinnerungen auch Zeitzeugen aus Cashs Familie ein. Spannend sind auch die detaillierten Musiker-Freundschaften, die Cash mit Elvis Presley oder Bob Dylan unterhielt. Was auch immer man von Country- und Folk-Musik halten mag, Johnny Cash ist ohne Frage eine der ganz großen amerikanischen Pop-Ikonen.

 

Als ehrliches Fazit sei hier festgehalten: Richtig spannend (und geil) wird das 800-Seiten-Brett nur an den Stellen, in denen es um Cashs Drogen- und Sexexzesse geht. Dazwischen findet sich einiges an Langeweile und selbst der geneigte Leser wird wohl hin und wieder einige Seiten überspringen. Aber das Buch verhilft auch zu Einblicken in das Musikbusiness und in Marketingstrategien großer Studios. Insofern eine interessante Lektüre für Cahs-Fans, Fans von Country- und Folk-Musik sowie Typen, die die Mechanismen des Musik-Business‘ verstehen wollen. Und last but not least sei gesagt: Vielleicht wäre Cashs Leben etwas fröhlicher und bunter verlaufen, wenn er sich statt der 100.000 chemischen Upper und Downer hin und wieder ein paar Tütchen gegönnt hätte.

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Ralf
6 Jahre zuvor

In Abwandlung eines alten Alkoholker Gedichtes, hier meine Version:
Alkohol und Nikotin, rafft die halbe Menschheit hin.
(im Original: aber ohne Schaps und Rauch, stirbt die andre Hälfte auch)
Meine Version:
Kifft er sich statt dessen dicht, krepiert er auch so balde nicht !