Sonntag, 28. Mai 2017

Cannabis macht Leute

 

Seine Meinung

 

 

Sadhu van Hemp

 

In Tirol hatte sich ein Ehepaar wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht zu verantworten – unter Ausschluss der Öffentlichkeit, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Als leitendes Erzieherteam einer Betreuungseinrichtung für straffällig gewordene Kinder und Jugendliche hatte das Paar die anvertrauten Schutzbefohlenen systematisch mit Cannabis vergiftet – und das fast 30 Jahre lang. Die Angeklagten waren geständig, sich aber keiner Schuld bewusst. Ein hartes Urteil wurde erwartet – doch es kam anders, als gedacht.

 

Otto und Elisa Quangel übernahmen 1986 die Leitung des Kinderdorfes „Sankt Bacchus“ in Kiffersfelden, das zuvor wegen eines Missbrauchsskandals geschlossen werden musste, obwohl gegen die beschuldigten Pädagogen nie Anklage erhoben wurde. Seit Gründung des Kinderdorfes hatten sich die Geistlichen nachweislich an den Kindern und Jugendlichen vergangen und diese obendrein als billige Arbeitskräfte an die örtliche Saline verliehen.

Mit den Eheleuten Quangel sollte ein unbelasteter Neustart versucht werden. Für diese Aufgabe wurde das Erzieherpaar aus dem damaligen Westberlin angeworben, um zu gewährleisten, dass das Netzwerk aus der oberbayerischen Kinderschänderszene keinen Zugriff mehr auf die Buben hat. Zugleich hatte das Jugendamt die Hoffnung, dass mit dem Engagement der konfessionell ungebundenen Eheleute die Quote der Zöglinge, die nach der Entlassung ins Erwachsenenleben straffällig werden, nicht mehr bei 100% liegt.

 

Alles begann vielversprechend: Otto und Elisa Quangel weigerten sich, die Jugendlichen weiter im Salzbergwerk oder auf den umliegenden Hopfenhöfen arbeiten zu lassen. Nicht das Buckeln für Sklaventreiber sollte fortan erlernt werden, sondern eigenständiges Denken und soziales Verhalten. Unter der Leitung der Quangels wurde das Leben wie in einer Familie organisiert. Neben der schulischen Ausbildung standen alltägliche hauswirtschaftliche Aufgaben und die Gartenarbeit im Vordergrund. Aber auch ausgiebig viel freie Zeit für Spiel und Hobby wurde gewährleistet.

 

„Sagen Sie mal“, fragte der Richter das Paar. „Wie ich den Unterlagen entnehme, können Sie bis 1989 vorbildliche Zahlen vorweisen, was die Rückfallquote der Kinder betrifft. Einer von fünf Zöglingen hat in ein normales Leben gefunden. Wieso dann die Entscheidung, die Kinder mit Rauschgift zu vergiften?“

 

„Vergiften? Quatsch! Wir haben nur mit Hanf gekocht“, erwiderte Elisa Quangel mit festem Blick, während sie nach der Hand ihres Mannes fasste. „Wir wollten, dass aus allen Jungs anständige Menschen werden. 20% Prozent waren uns zu wenig. Wir wollten die 100%-Quote. Und das ist uns ja auch gelungen. Seit der Ernährungsumstellung Seit 1989 ist keiner der Jungs strafrechtlich in Erscheinung getreten. Alle sind aufrechte Bürger geworden – Hanf sei Dank!“

 

„So, so, Rauschgift sei Dank!“ knurrte der Richter. „Inwieweit das stimmt, werden wir ja gleich vom Sachverständigen erfahren.“

 

Der extra aus dem österreichischen Linz angereiste Gutachter trat in den Zeugenstand. Der Psychologe und Bestsellerautor von Horrorgeschichten über Haschischwahnsinn attestierte dem Paar eine schwere Persönlichkeitsstörung, die sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch jahrzehntelange Cannabissucht herausgebildet hätte, aber nicht die Schuldfähigkeit in Frage stellen würde. Die Eheleute hätten bewusst und gezielt die Gehirne hunderter junger Menschen mit Cannabis zerstört. Somit hätten sich die Angeklagten schuldig gemacht, in die Persönlichkeitsrechte der Opfer eingegriffen zu haben.

 

Dieser Expertise widersprach der Anwalt der Angeklagten, da kein einziger Geschädigter ermittelt werden konnte. Zudem verwies er auf den medizinischen Nutzen von Cannabis, zum Beispiel bei Störungen des Sozialverhaltens im Kindesalter. Von Körperverletzung könne daher keine Rede sein. Auch könne die Staatsanwaltschaft nicht den Beweis führen, welche Sorte Hanf verabreicht wurde. Bei der Hausdurchsuchung wurden zwar Hanfspeiseöl und Hanfsamen sichergestellt, aber keine verbotenen Cannabisblüten. Überhaupt sei das Verfahren eine Farce, da der Strafantrag nur aufgrund eines Gerüchts gestellt wurde.

„Aha, ein Gerücht also“, bellte der Richter. „Dann hören wir doch mal die Kronzeugin der Anklage!“

 

Die örtliche Gemeindeschwester der Kirche wurde in den Saal gerufen und schilderte unter Tränen, was man sich über das „Sankt Bacchus“ auf der Straße erzählte. „Den Burschen hat man die Drogensucht angesehen. Die haben sich aus allem herausgehalten. Die waren völlig apathisch. Weder in der Kirche noch im Dorfkrug wurden sie gesehen. Überhaupt haben sich die Buben nicht wie normale Jugendliche verhalten. Die haben sich einfach an die Regeln gehalten. Das war wirklich zum Fürchten, wenn man so einem bedröhnten Heimkind begegnete, das freundlich grüßte und nicht wie erwartet das Messer zückte. Einmal hat mich so eine Type sogar angetanzt. Angeblich um mir die Einkaufstasche nach Hause zu tragen. Ja mei, wo gibt’s denn so was?“

 

Die Aussage der Gemeindeschwester wog schwer, und der Staatsanwalt verzichtete auf die Anhörung weiterer Belastungszeugen. Doch kaum war die Zeugin entlassen, stürzte ein vielleicht vierzigjähriger Mann in den Saal, der sich als ehemaliger Zögling des Kinderdorfes und zweiter Rechtsbeistand der Quangels vorstellte.

 

„Entschuldigen Sie, dass ich mich verspäte, aber ich konnte mich nicht schneller vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag loseisen. Ich bereite nämlich gerade auf Antrag Uruguays eine Anklage wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gegen den Freistaat Bayern vor. Sieht nicht gut aus für Sie und Ihresgleichen.“ Der Anwalt zog sich seine Robe über. „So, nun aber zu dem, was Sie hier veranstalten. Die Zeugen der Staatsanwaltschaft sind durch, jetzt kommen unsere.“ Er reichte dem Gerichtsdiener einen Stoß Papier. „Wir haben alle Kinder, die angeblich von den Quangels an Körper und Seele verletzt wurden, geladen. Insgesamt handelt es sich um 263 Zeugen, die gehört werden wollen. Wir sollten also zügig beginnen, um rechtzeitig fertig zu werden.“

 

Der Richter nahm die Liste mit zittriger Hand entgegen, überflog die Namen und knurrte: „Also gut! Bevor wir hier einen Fehler machen.“

 

„Ich war von 1989 bis 1992 in der Familie“, gab der erste Zeuge zu Protokoll. “Dass die Speisen mit Hanf versetzt waren, hat mir nicht geschadet, sondern eher geholfen.“

 

„Weswegen waren Sie denn im „Sankt Bacchus?“ fragte der Richter nach.

 

„Wegen Tierquälerei“, antwortete der Zeuge.

 

„Und heute? Was machen Sie heute?“

 

„Ich bin Pharmazeut und Leiter der Versuchstierabteilung eines Kosmetikunternehmens.“

 

Auch der zweite Zeuge gab an, erst im Kinderdorf zu sich selbst gefunden zu haben.

„Sie wurden also mit vierzehn Jahren wegen bandenmäßigen Einbruchs, Diebstahls und Raubes verurteilt und ins Kinderdorf verbracht“, fasste der Richter die Aussage zusammen.

 

„Ich war ein ganz schlimmer Finger“, verriet der Zeuge. „Nach der Schule habe ich eine Lehre bei der Deutschen Bank gemacht. Dann drei Jahre Frankfurter Börse, bevor ich zu den Lehman Brothers nach New York bin. Seit der Finanzkrise 2008 lebe ich von meinen Ersparnissen in Monaco und Davos. Ohne Otto und Elisa hätte ich nie begriffen, wie man sein Geld auf ehrliche Weise verdienen kann.“

 

Der dritte Zeuge hatte eine nicht minder erfolgreiche Karriere vorzuweisen. „Wissen Sie, Herr Richter, ich habe als Kind gerne Frauen aufgeschlitzt. Die Quangels haben mein Talent richtig erkannt und mir zum Ausgleich die Hauschlachtung übertragen. Später habe ich Medizin studiert. Heute bin ich Schönheitschirurg in der Schwarzwaldklinik.“ Der Zeuge griff in die Sakkotasche und reichte dem Richter eine Visitenkarte. „Wenn Sie mal ein freundlicheres Gesicht benötigen, rufen Sie mich an! Ich mache Ihnen einen guten Preis.“

 

Der Richter nahm die Karte mit versteinerter Miene entgegen, und ihm war anzusehen, dass er nachzudenken versuchte. Dann guckte er auf die Uhr und knurrte seine Beisitzer an. „Das reicht! Wir sind doch hier nicht im NSU-Prozess! Wenn ich Sie, den Staatsanwalt und die Anwälte in mein Büro bitten dürfte. Wir müssen das anders klären.“

 

Keine Stunde später wurde das Verfahren mit der Auflage eingestellt, dass die Quangels unverzüglich in das Kinderdorf zurückkehren und so tun, als wäre nichts gewesen. Im Gegenzug versprach der Kollege aus Den Haag, die Sache auf sich beruhen zu lassen und den Internationalen Gerichtshof nicht über den Vorgang am Amtsgericht Kiffersfelden in Kenntnis zu setzen.

 

Bereits am späten Nachmittag saßen die Quangels mit ihren ehemaligen Schützlingen im Garten des „Sankt Bacchus“, tranken Hanfbier, aßen Haschkekse und rauchten Joints.

 

„Sag mal, mein Junge“, wandte sich Otto Quangel an seinen Ex-Zögling, der ihn und seine Frau herausgehauen hatte. „Du bist Jurist? Ich dachte immer, du bist Schauspieler geworden.“

 

„Bin ich ja auch. Trotzdem bin ich vom Fach“, klärte der Retter auf. „Ich mime seit Jahren in einer TV-Gerichtssoap den Gerichtsdiener. Und Hochstapler war ich ja schon immer, wie du weißt.“

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3 Kommentare
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rainer sikora
6 Jahre zuvor

Amüsant, aber im echten Leben kann sich eine solche Geschichte so nicht zutragen.An manchen Stellen wird die verkehrte Denkweise der Juristen deutlich und darauf kommt es wohl an.

Olle
6 Jahre zuvor

@Olle Das ganze hat natürlich einen wahren Kern, der allen Thomasiusen und sonstigen Psychoquacksalbern auf der Welt, ihre vollkommen aus der Luft gegriffenen Horrortheorien, über zwangsweise scheiternde Existenzen durch Cannabis, vermasselt. Ich persönlich habe den Beweis dafür selbst erbracht, durch meinen Sohn, der in Gefahr war von der Schule zu fliegen und sein Abi nicht zu machen. In dieser miesen Phase, in der es ohne Ende sehr heftige Auseinandersetzungen gab weil er nichts lernen wollte, hatte mein Sohn noch kein Cannabis probiert. Als er kurz vor Ende des Schuljahres nach Hause kam und mir gestand, daß er mit seinen Freunden einen geraucht hatte, kam mir die Idee. Wir machten einen Deal. Er legte mir von da an jeden Tag seine… Weiterlesen »

Welt
6 Jahre zuvor

Hallo Welt!