Montag, 24. Oktober 2016

Im Interview: Keith Stroup

 

 

Bild: norml
Bild: norml

 

1970 in den USA gegründet zählt die National Organization for the Reform of Marijuana Law zu den Pro-Legalisierungsbewegungen der ersten Stunde. Die nicht kommerzielle Vereinigung wurde damals von dem Anwalt und Cannabis-Aktivisten Keith Stroup ins Leben gerufen. Norml erhielt 5000 Dollar Startkapital von der Playboy Foundation. Das Geld wurde zweifellos sinnvoll eingesetzt, denn heute zählt Norml zu den einflussreichsten Organisationen, die sich für die Legalisierung von Cannabis einsetzen. Keith engagiert sich nach über vierzig Jahren immer noch für Gesetzesänderungen und die Belange der Konsumenten. In New York haben wir ihn zum Interview getroffen.

 

Von Janika Takats

 

 

 

Norml wurde bereits 1970 gegründet. Wie sah die Lage in Bezug auf Cannabis damals aus?

 

Es war schrecklich. Damals kam es vor, dass Menschen für zehn oder zwanzig Jahre ins Gefängnis gesteckt wurden, nur weil sie mit einer Unze (ca. 28 Gramm) Marihuana erwischt wurden. Nur 12 Prozent der Bevölkerung sprachen sich für die Legalisierung aus. Als wir angefangen haben waren also 88 Prozent der Bevölkerung gegen das, was wir erreichen wollten. Daher haben wir uns in den ersten Jahren darauf konzentriert die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Opfer, also die Leute, die im Gefängnis saßen, zu richten. Wir organisierten zum Beispiel eine Tour mit Journalisten durch ein Gefängnis in Texas. Die Führungsspitze des Gefängnissystems war durch den Umstand frustriert, dass so viele Studenten der Universität von Texas jahrelang im Knast landeten, weil sie ein paar Gramm Gras verkauften. Daher war man von der Seite her kooperationsbereit. Wir erhielten die Namen von rund 20 Insassen, die nicht gewalttätig geworden waren und organisierten ein Treffen mit den Journalisten. Die New York Times brachte dazu eine Cover-Story und viele weitere Zeitungen berichteten. Damit wurde auch Norml bekannt.

Es ging damals weniger darum die Vorteile der Legalisierung zu propagieren, weil diese in keinerlei Hinsicht zur Debatte standen. Vielmehr ging es darum, den enormen Schaden, den das Verbot mit sich brachte aufzuzeigen. Damit haben wir rund das erste Jahrzehnt unseres Bestehens verbracht. Damals ging es für uns also eher darum eine Entkriminalisierung als eine Legalisierung zu bewirken.

 

Wie sah es damals auf der Seite der Konsumenten aus?

 

Die meisten Menschen waren sehr vorsichtig und diskret, wenn es um ihren eigenen Konsum ging und das mussten sie auch sein. Wenn dein Arbeitgeber davon erfuhr, warst du sofort deinen Job los. Wenn man Cannabis rauchte, gehörte man zum Rand der Gesellschaft und nicht zum Mainstream. Damals hatte ich kurze Haare und habe als Anwalt immer Anzug und Krawatte getragen, um zu zeigen, dass ich zwar konsumiere, aber trotzdem ein hochgebildetes Mitglied der Gesellschaft bin.

In den USA bestehen 90 Prozent der Festnahmen wegen Marihuana aus Besitzdelikten von einer Unze oder weniger. Es handelt sich hierbei um einfache Konsumenten, die nichts mit dem Verkauf, Schmuggel oder Anbau zu tun haben. An dieser Zahl hat sich die letzten 40 Jahre nichts geändert.

Unsere ersten „Kämpfe“ hatten symbolischen Charakter. Es ging darum, die Opfer zu zeigen und das Image der Konsumenten zu verbessern. Damals hatten wir kaum Chancen politisch etwas zu ändern. 1973 war Oregon der erste Staat, der kleine Marihuana-Vergehen entkriminalisierte. Die Entkriminalisierung an sich ist eine inkonsequente Vorgehensweise, weil man den Konsum gestattet ohne dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen. Dadurch wird der Schwarzmarkt angekurbelt. Doch immerhin entfallen dadurch 90 Prozent der Festnahmen, weswegen der Schritt trotzdem gegangen werden sollte. Bis 1978 folgten zehn weitere Staaten. Wir hatten also kleine Erfolge zu verzeichnen. Dann allerdings wurde die Stimmung im Land wieder konservativer. Daraufhin hat sich 18 Jahre lang kaum etwas geändert.

 

Was war der Grund für diesen Stillstand?

 

Das hatte nicht direkt etwas mit Marihuana zu tun. Ronald Reagan wurde gewählt. Seine Frau trieb das „Just say no to drugs“-Programm voran. Während wir es geschafft hatten die Aufmerksamkeit auf die vielen Gefangenen zu lenken, die an sich nette unbescholtene Bürger waren, richtete die Kampagne den Fokus auf Kinder und Verbände besorgter Eltern gewannen an Einfluss. Mit Horrorszenarien wurde der Eindruck erweckt, dass Kinder auf die falsche Bahn geraten und das Land dem Untergang geweiht ist, wenn man nicht hart gegen Drogen vorgeht. Erwachsene sollten nichts tun, was für Kinder schlecht ist, so das Argument. Das habe ich immer für scheinheilig gehalten, weil man nach der Logik auch keinen Sex haben oder Auto fahren sollte. Ich will nicht in einer Welt leben, in der man nur Dinge tun kann, die auch ein 12-jähriger tun könnte.

 

Wie lief dann die Entwicklung weiter?

 

In den 90ern verloren die Argumente langsam an Befürwortern und wir gewannen wieder mehr Zuspruch. Nicht viel, aber jedes Jahr ein paar Prozent. Vor ca. fünf Jahren waren wir erstmals bei 50 Prozent. Heute zeigen mehrere Umfragen, dass sich zwischen 58-61 % für die Legalisierung aussprechen.

Nur rund 14 Prozent der erwachsenen Bevölkerung konsumieren Marihuana. Wir könnten unsere Ziele nicht erreichen, wenn wir uns nur an die Konsumenten richteten. Wir sind also auf die breite Zustimmung der Nicht-Konsumenten angewiesen. Diese sind meist nicht für Cannabis, sehr wohl aber gegen die Prohibition. Für mich ist Cannabis großartig, weil es mich entspannt und kreativer macht. Dieses Argument würde ich jedoch nie vorbringen, um einen Nichtraucher zu überzeugen. Es geht nicht darum, Leute zum Kiffen zu bewegen. Sie müssen nur verstehen, dass die Prohibition mehr Schaden anrichtet, als die Droge selbst.

 

Dieses Jahr werden einige US-Bundesstaaten über Cannabis abstimmen. Wie sind deine Erwartungen?

 

In fünf Staaten wird über die komplette Legalisierung abgestimmt. In einigen weiteren geht es um medizinisches Marihuana. Ich glaube, dass wir in Maine, Massachusetts, Nevada und Kalifornien gewinnen werden. Kalifornien ist dabei der wichtigste Staat, weil dort 15 % der US-Bevölkerung leben. Bei Arizona bin ich mir nicht sicher. Die Umfragen zeigen, dass es knapp werden wird.

Ich denke, dass wir ca. 20 bis 25 Staaten brauchen, um genug Unterstützung im Kongress zu haben, damit das nationale Gesetz geändert werden kann. In den USA existiert die gleichzeitige Zuständigkeit von Bundesstaat und nationaler Regierung wenn es um Gesetze geht. Wir wollen nicht, dass die föderale Regierung den Staaten vorschreibt wie sie Marihuana zu regulieren haben. Dagegen würden sich die einzelnen Staaten wehren und die Regierung würde wahrscheinlich eh keinen sonderlich guten Job machen. Wir wollen, dass alle Gesetze abgeschafft werden, mit denen die Bundesstaaten derzeit in Konflikt geraten. Dann soll jeder Staat seine eigenen Regeln festlegen, so wie es auch damals nach der Alkoholprohibition geschehen ist. Knapp die Hälfte der Bevölkerung hat irgendwann mal im Leben Marihuana ausprobiert. Unserer Auffassung nach ging es bei dem Thema immer um die Freiheit des Einzelnen.

 

Nachdem viele Jahre gar nichts passiert ist, geht auf einmal alles recht schnell. Hat dich diese Entwicklung überrascht?

 

In den 70ern war es sehr schwer den ersten Staat für die Entkriminalisierung zu gewinnen. Danach passierte zwei Jahre lang gar nichts, weil alle andere Staaten sehen wollten, wie sich die Lage entwickelt. Dann zogen die anderen nach. Mit der Legalisierung ist es jetzt ähnlich. Viele Staaten interessieren sich für die Steuereinnahmen und die neuen Möglichkeiten, doch sie wollen erst mal abwarten, wie sich die Lage entwickelt. Ich glaube, dass wir den kritischen Punkt überwunden haben und es jetzt kein Zurück mehr gibt, aber natürlich kann man sich da nie ganz sicher sein.

Auf jeden Fall wirkt sich die Demografie günstig für uns aus. Junge Menschen haben meist kein Problem mit Marihuana egal ob sie nun selbst rauchen oder nicht. Menschen meiner Generation und älter haben die Zeit der „Reefer Madness“ miterlebt und haben immer noch die Idee im Kopf, dass Cannabis schlecht und böse ist. In der Altersklasse 65+ haben wir die wenigsten Unterstützer, doch es werden jedes Jahr mehr. Gleichzeitig kommen immer mehr junge Menschen nach, die deutlich liberalere Auffassungen haben. Wahrscheinlich werden wir noch 10 bis 15 Jahre brauchen, doch die Legalisierung wird kommen.

 

Norml hat sich immer als Konsumenten-Bewegung verstanden. Worin siehst du zukünftig eure Aufgaben?

 

Jetzt haben wir die Möglichkeit zu tun, was wir schon vor 35 Jahren tun wollten. Solange Marihuana Schmuggelware war, konnte man es nicht im Labor testen, da sich diese sonst strafbar gemacht hätten. Jetzt da Marihuana in einigen Teilen des Landes legal ist, können wir uns um die Bedürfnisse der Konsumenten kümmern. Wir können testen wie stark es ist und ob es durch Schimmel oder Pestizide verunreinigt wurde. Zudem sollte es erschwinglich und gut zugänglich sein. Schließlich will keiner vier Stunden im Auto sitzen, um an sein Gras zu kommen. Als Konsumenten wollen wir öffentliche Orte zum Rauchen, wie die Bars für Alkoholtrinker.

Es gilt auch Marihuana von dem negativen Stigma zu befreien. Wenn Eltern Marihuana rauchen, müssen sie immer noch fürchten, dass das Jugendamt bei ihnen vor der Tür steht und das Haus inspiziert, sollte sich mal jemand beschweren. Dann wird angenommen, man hätte ein verschmutztes Haus und würde seinen elterlichen Pflichten nicht nachkommen, nur weil man Cannabis konsumiert. Wir haben also immer noch eine Menge Arbeit vor uns und ich denke Norml wird auch nach meinem Ableben mehr als genug zu tun haben.

 

Es gibt auch einige internationale Norml-Gruppierungen. Arbeiten diese genau wie ihr?

 

Wir haben Gruppen in Neuseeland, Kanada, den Niederlanden und in einigen anderen europäischen Ländern. Wir vergewissern uns, dass jeder dieser Gruppen unsere Ziele verfolgt und dass es nicht nur Leute sind, die sich bereichern wollen. Das wertvollste, was wir als Organisation haben, ist unser Name und es hat Jahrzehnte gedauert unsere Reputation aufzubauen. Wir freuen uns diesen Namen an Aktivisten und Gruppen, die sich in ihrem Land für die Legalisierung von Cannabis und die Rechte der Konsumenten einsetzen, weitergeben zu können.

 

Neben Euren bisherigen Aktivitäten habt ihr die Norml Business Network ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?

 

In den USA gibt es das Better Business Bureau, eine Institution, die Unternehmen bewertet und auf ihre Seriosität und Qualität prüft. Sie vergibt ein Gütesiegel. Das gleiche wollen wir für die Cannabis-Industrie machen. Damit sollen Konsumenten sehen, welche Unternehmen einfach nur Geld machen wollen und welche auch soziale Verantwortung übernehmen. Wir verlangen, dass diese Unternehmen einen fairen Lohn zahlen und eine Krankenversicherung für die Angestellten zur Verfügung stellen. Zudem geht es um die Unterstützung der Legalisierungsbewegung, Transparenz und einige weitere Kriterien.

Wir wollen nach wie vor die Konsumenten vertreten, doch das bedeutet nicht, dass wir uns keine finanzielle Unterstützung von Unternehmen sichern. Wer unser Siegel will soll dafür bezahlen. Ich denke, dass viele Unternehmen, die seit Jahren für die Legalisierung kämpfen, doch erst seit kurzem ins Geschäft einsteigen konnten, unser Siegel wollen. Dann gibt es jedoch noch solche, die sich einen Scheiß um die Legalisierung kümmern und einfach schnelles Geld machen wollen. Wir leben in einem freien Markt, jeder kann machen was er will, doch ich will diese Art von Leuten nicht unterstützen. Ich sehe lieber diejenigen Menschen die Früchte ernten, die sich seit Jahren für Cannabis eingesetzt haben.

 

Vielen Dank für das Interview.

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