Montag, 26. September 2016

Wenig bekannte psychoaktive Pflanzen – Teil 1

 

Experimentelle Psychonautik

 

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Markus Berger

 

 

Obwohl längst nicht alle Pflanzen auf unserem Planeten bekannt oder gar erforscht sind, kennen wir doch schon eine beträchtliche Vielzahl psychotrop wirksamer Gewächse. Dabei sind einige bekannter und von der Wissenschaft mehr oder weniger ausführlich untersucht worden, andere hingegen sind so gut wie gar nicht bekannt oder aber schlichtweg nicht populär. In dieser kleinen Serie werde ich in loser Reihenfolge eine interessante Auswahl an eher unbekannten psychoaktiven Pflanzen vorstellen – wobei pro Folge jeweils zwei Entheobotanika präsentiert werden. Beginnen werden wir mit zwei ethnografisch durchaus erfassten Pflanzen, dem Niando-Baum und der Blauen Seerose nämlich. Beide Gewächse werden von modernen Psychonauten aber so gut wie nicht verwendet, obwohl deren Aktivität einige Aufmerksamkeit verdient hätte.

 

Ein Hinweis gleich zu Beginn: Die vorliegenden kleinen Monografien psychoaktiver Pflanzen verstehen sich als Objekte wissenschaftlicher Dokumentation und sollen – obwohl legal – nicht zu Experimenten anregen.

 

Der Niando-Baum Alchornea castaneifolia

 

Eine verwandte Alchornea-Art - Mark Marathon CC-BY-SA-4.0
Eine verwandte Alchornea-Art – Mark Marathon CC-BY-SA-4.0

 

Iporuru (Alchornea castaneifolia) ist ein baumartiges Gewächs, das in Südamerika gedeiht und zur Familie der Wolfsmilchgewächse (Euphorbiaceae) gehört. Iporuru wird auch Niando genannt und ist ein Ayahuasca-Zusatz und stimulierendes Rauschmittel, Aphrodisiakum und eine effektive Heilpflanze. Der Niando-Baum Alchornea castaneifolia hat in seiner Heimat Amazonien viele Namen. So wird er unter anderem Hiporuru, Iporuru, Iporoni, Iporuro, Ipururo, Ipurosa, Macochihua, Niando und Pájaro arbol (span. Vogel-Baum) genannt. Botanisch war der Baum früher als Hermesia castaneifolia bekannt.

 

Die Rinde und Blätter des Niando-Baums werden seit langer Zeit im amazonischen Gebiet rituell verwendet. Iporuru dient in Amazonien, insbesondere in Peru, als Ayahuasca-Zusatz und Schamanenpflanze. Ayahuasca ist ein amazonisches Schamanen-Entheogen, ein Trank, der traditionell aus der Liane Banisteriopsis caapi und dem Rötegewächs Psychotria viridis zubereitet wird und mit seinem hauptwirksamen Inhaltsstoff N,N-DMT (und anderen entheogenen Tryptaminen) heftige psychedelische Erfahrungen bewirkt. Dem klassischen Ayahuasca-Rezept werden häufig diverse andere psychoaktive Pflanzen beigegeben, so beispielsweise Alchornea castaneifolia, Iporuru.

 

Die Rinde und/oder Blätter des Iporuru werden häufig mit Rum ausgezogen und zu einer Tinktur verarbeitet. Es ist aber auch möglich, die Pflanzenteile in Wasser auszukochen. Wie viele andere Alchornea-Arten auch, ist Iporuru ein wirksames Heilmittel bei Erkältungen, rheumatischen Beschwerden, Muskel- und Rückenschmerzen und Arthritis. Der Stamm der Shibipo und andere Stämme nutzen Iporuru für eben jene Zwecke. Der Stamm der Tikuna gebraucht einen Aufguss aus der Rinde gegen Durchfallerkrankungen. Mit zerriebenen Blättern, die pur oder in einer Salbe angemischt Verwendung finden, werden außerdem Wunden und schmerzende Stellen behandelt.

 

Eine verwandte Alchornea-Art 2 - Mark Marathon CC-BY-SA-4.0
Eine verwandte Alchornea-Art 2 – Mark Marathon CC-BY-SA-4.0

 

Die Gattung Alchornea umfasst etwa 70 Arten, die alle in tropischen Gebieten heimisch sind. Sechs Arten kommen davon aus Afrika. Dort wird die alkaloidreiche Wurzel der verwandten Art Alchornea floribunda (alan, niando) als Marijuana-Ersatz und Zusatz von entheogenen Ibogapulvern gebraucht. Im Kongo wird ein psychoaktiver und aphrodisischer Palmwein aus der Wurzel der Art zubereitet. Niando wird zudem als Liebesmittel geraucht. Der Byeri- oder Bieri-Kult der Fang aus dem zentralafrikanischen Gabun, ein Kult in dem die Geister der verstorbenen Vorfahren geehrt wurden, wird mittlerweile nicht mehr praktiziert. In diesem Kult wurde die Wurzel von Alchornea floribunda in ähnlicher Weise wie die Iboga-Wurzel verwendet. Außerdem heißt es von der Rinde des Niando, sie sei Träger magischer Kraft.

 

Die ebenfalls aus Afrika stammenden Arten Alchornea cordata und Alchornea cordifolia werden wegen ihrer Heilkräfte, aber auch wegen ihrer psychoaktiven Effekte geschätzt und kultiviert. Weitere wichtige und aktive Arten in Afrika sind Alchornea hirtella, Alchornea laxiflora und Alchornea yambuyaensis.

In den amerikanischen Tropen kommen diverse psychoaktive und ethnobotanische Alchornea-Arten vor, zum Beispiel Alchornea iricurana, die als Nutzpflanze und Holzlieferant bekannt ist, und Alchornea javanensis aus Neuguinea.

 

Inhaltsstoffe

 

Bei den aktiven Inhaltsstoffen handelt es sich in der Hauptsache um isoprenylierte Guanidine, das sind Alkaloide, zum Beispiel Alchornein, Alchorneinon, Isoalchornein und andere. Daneben finden sich Flavone, Flavonole, Xanthone, Tannine und andere Phenole, Saponine und Steroide in der Pflanze, nicht jedoch Yohimbin, wie früher angenommen worden war. Das wichtigste Alkaloid in der Pflanze ist Alchornein, das für die berauschende, stimulierende und aphrodisische Wirkung verantwortlich gemacht wird. Möglicherweise sind da jedoch noch weitere Komponenten mit von der Partie, hier ist sich die Wissenschaft noch nicht im Klaren.

 

Wirkung

 

Aus den Blättern wird ein aphrodisisch wirksamer Aufguss zubereitet, der die Manneskraft stärken soll und zudem angeblich wirksam bei Impotenz und Menstruationsbeschwerden ist.

Aus der Rinde wird eine Tinktur hergestellt, die – je nach Potenz und Dosierung –stimulierende Eigenschaften aufweist. Iporuru bewirkt in der Tat ein sensibles Kribbeln, wirkt leicht berauschend und anregend und hat spürbare Effekte auf den Unterleib.

Der Vorteil: Die Tinktur ist zudem wirksam bei Durchfall, Magen-Darm-Beschwerden, Erkältung, Husten und Rheuma, Muskel-, Rücken und Gelenkschmerzen sowie bei Arthritis. Selbst Malaria und Fallsucht (Epilepsie) sollen effektiv mit Iporuru gelindert werden können. Außerdem werden der Pflanze krebshemmende Eigenschaften zugesprochen. Iporuru wirkt blutdrucksteigernd, entzündungshemmend und antibiotisch, sogar gegen Erreger, die eine Penicillin-Resistenz aufweisen. Iporuru ist also nicht nur eine psychoaktive Pflanze, sondern – wie so oft in der Ethnobotanik – außerdem ein Heilmittel.

 

Auch andere Alchornea-Arten haben medizinische Qualitäten. So wirkt zum Beispiel Alchornea cordata gegen Rheuma, Alchornea cordifolia unter anderem gegen Schmerzen, Bronchitis, Magen-Darm-Beschwerden und Durchfall, Schlangenbisse, Malaria, Augenleiden, Gonorrhoe, Wunden, Lepra, Rheuma, Husten und Katharr, Alchornea latifolia gegen Augapfelschrumpfung und Husten, Alchornea rugosa gegen Fieber und Schüttelfrost und Alchornea villosa gegen Juckreiz und Vergiftungen.
Zubereitung, Dosierung und Verwendung
Ein halbes bis ein Gramm der getrockneten Blätter wird mit siedendem Wasser übergossen, es wird im Grunde einfach ein Iporuru-Tee daraus gekocht. Der hat aphrodisische Qualitäten und wirkt leicht anregend. Interessanterweise ist der Tee auch gegen Erkältung wirksam. In diesem Fall wird täglich ein- bis dreimal eine Tasse des Iporuru-Aufgusses getrunken.

 

Alternativ wird ein Extrakt aus der Rinde zubereitet. Dafür wird die getrocknete Rinde zerkleinert und idealerweise zu einem gröberen Pulver verarbeitet. Die Masse wird nun mit Wasser und einem Schuss Zitronen- oder Limettensaft aufgekocht und anschließend auf kleinerer Flamme weiter geköchelt. Der entstandene Absud wird gegebenenfalls abermals durch Aufkochen und Köcheln eingedickt. Davon soll der Rheuma- oder Arthritispatient sieben Tage lang täglich drei Tassen trinken.

 

Mit Schnaps, Rum oder anderen hochprozentigen Alkoholika (mindestens 40 %) lässt sich aus Iporuru eine Tinktur herstellen. Zu diesem Zweck wird das Pflanzenmaterial, zumeist die getrocknete Rinde, gut zerkleinert und in den Alkohol eingelegt. Das kann zum Beispiel in einem Einmachglas geschehen. Der Alkohol zieht nun die Inhaltsstoffe aus der Rinde. Das Ganze sollte drei Wochen lang gut verschlossen stehen und jeden Tag mehrfach geschüttelt werden. Am Ende das Pflanzenmaterial abseihen, und fertig ist die Tinktur.
Risiken und Rechtslage

Personen, die unter Bluthochdruck leiden, sollten Iporuru wegen seiner den Blutdruck steigernden Eigenschaften meiden. Iporuru und die Stammpflanze Alchornea castaneifolia unterliegen keinen Bestimmungen und Gesetzen.

 

 

 

Der Blaue Lotus Nymphaea nouchali var. caerulea

 

Der Blaue Lotus (Nymphaea nouchali var. caerulea) ist eine Wasserpflanze aus der Familie der Seerosengewächse (Nymphaeaceae) und kommt ursprünglich aus der Nilregion, ist heutzutage jedoch nur selten in der Natur zu finden. Der Blaue Lotus gehört zu den psychoaktiven Pflanzen – er hat sedative bis leicht narkotische Effekte. Der Blaue Lotus heißt botanisch Nymphaea nouchali var. caerulea und wurde früher Nymphaea calliantha, Nymphaea caerulea, Nymphaea capensis, Nymphaea nelsonii, Nymphaea mildbraedii und Nymphaea spectabilis genannt. Volkstümlich heißt die Pflanze unter anderem Blauer Lotus, Blaue Wasserlilie, Ägyptischer Lotus, Himmelblaue Seerose, Lotus, Blue Lotus, Blue Water Lily, Sacred Narcotic Lily of the Nile, Egyptian Lotus und Utpala.

 

Der Blaue Lotus ist eine der wichtigsten Pflanzen der alten Ägypter, ein Symbol der Göttlichkeit. In Ägypten symbolisierte der Blaue Lotus die Wiedergeburt und das Jenseits, bereits im Ägyptischen Totenbuch wird die Pflanze erwähnt. Die Ägypter schätzten sowohl die Heil- und Rauschwirkungen der Pflanze, als auch den Anblick und Duft der Seerosenart. Der Blaue Lotus diente in Ägypten häufig als Schmuck und wurde vielerorts angebaut, heutzutage ist das natürliche Vorkommen der Seerosen vom Aussterben bedroht. In der ägyptischen Ikonografie sind der Blaue Lotus und die Alraune miteinander assoziiert. Sie gelten als das wichtigste symbolische Pflanzenduo, zuweilen tauchen die Pflanzen ikonografisch als Trio zusammen mit Mohnpflanzen (Papaver-Arten) auf. Deshalb vermuten Ethnobotaniker, dass es möglicherweise einen psychoaktiven Trank aus den drei Pflanzen gegeben haben könnte. Der Blaue Lotus könnte zudem unter Umständen die geheime Droge des griechischen Dichters Homer sein: Moly, das Zaubergewächs des Hermes und Schutzpflanze des Odysseus.
Exkurs: Andere Seerosen mit psychoaktiver Wirkung

Der Mexikanische oder Weiße Lotus Nymphaea ampla, die Indische Lotusblume Nelumbo nucifera und die Gelbe Teichrose Nuphar lutea weisen ebenfalls psychoaktive Wirkungen auf, die denen des Blauen Lotus gleich kommen oder ähnlich sind. Auch diese drei Seerosen-Arten werden psychoaktiv verwendet. Möglicherweise bewirkt auch Nymphaea stellata narkotisierende Effekte.

 

Inhaltsstoffe

 

Der Blaue Lotus enthält Ätherisches Öl und Alkaloide. Möglicherweise kommen die gleichen oder ähnliche Moleküle in der Pflanze vor, wie in den verwandten Arten psychoaktiver Seerosen. So beispielsweise Alkaloide: Nuciferin, das Opioid Aporphin sowie möglicherweise Chinolizidinalkaloide. Genaue Analysen des Blauen Lotus liegen aber bis heute nicht vor.

 

Wirkung

 

Gerauchter Blauer Lotus bewirkt leicht sedative (= beruhigende) Effekte, die etwa eine Stunde anhalten, manchmal auch etwas länger. Die Wirkung des Lotus-Aufgusses macht sich zunächst, nach etwa 15 bis 20 Minuten, mit einer leichten Übelkeit bemerkbar, zuweilen beginnt der Muskelapparat ein wenig zu zittern. Schließlich verändern sich die Optik und akustische Wahrnehmung, es können leichte Farbveränderungen und Trugbilder des Gehörsinns auftreten. Man könnte sagen, Blauer Lotus wirkt auf audiovisuelle Weise psychoaktiv und dabei beruhigend.

 

Das Extrakt ist dagegen von deutlich stärkerer Wirkung. Die halluzinogene Komponente tritt deutlicher zutage, auch die sedativen, aber auch die euphorisierenden Effekte werden kräftiger. Außerdem kann Blauer Lotus Extrakt bei einigen Menschen stark aphrodisierend wirken, er ist also auch ein gutes Liebesmittel.

 
Zubereitung, Dosierung und Verwendung

 

Schauen wir uns zunächst die traditionelle Verwendung und Dosierung des Blauen Lotus an:

Die getrockneten Blütenblätter, Blätter und Knospen werden getrocknet und zu einem Aufguss bereitet oder geraucht. Es kann auch ein alkoholischer Auszug zubereitet werden.

Eine weitere Zubereitungsmethode sieht vor, vier bis sechs Blütenknospen in Wasser auszukochen. Anschließend wird das Pflanzenmaterial in ein Tuch gegeben und kräftig ausgequetscht. Der entstandene Sud wird verwendet. Die Blüten und Wurzeln der Pflanze sind traditionelle Zutaten alter ägyptischer psychoaktiver Klistiere. Mit denen wurden unter anderem Harnprobleme, Verstopfung, Vergiftungen und Erkrankungen der Leber behandelt.

 

Dosierung: 2 bis 8 Knospen, je nach Größe und gewünschter Intensität.

 

Exkurs: Verwendung eines Extrakts

Ein Extrakt wird vorzugsweise in einem Aufguss zubereitet. Dafür sollten 0,25 Gramm pro Person nicht überschritten werden. Das ist etwa die normale Dosis. Das Material in einen Teefilter oder ähnliches bringen und in siedendes Wasser geben. Das ganze etwa zehn Minuten ziehen lassen. Es ist möglich, dieselbe Dosis des Extrakts in Wein einzulegen und ausziehen zu lassen. Das lässt man etwa einen Tag ziehen, seiht dann das Material ab und fertig. Dosierung: 0,25 Gramm pro Flasche.

 

Vermehrung

 

Die Pflanze muss im Wasser gehalten werden und lässt sich problemlos durch Teilung des Wurzelstocks vermehren.

 

Risiken und Rechtslage

 

Seerosengewächse, so auch der Blaue Lotus, stehen in den meisten Ländern unter Naturschutz und dürfen nicht gepflückt oder abgeschnitten werden. Abgesehen davon unterliegen die Pflanzen keinen Bestimmungen. Es geht keine bekannte Gesundheitsgefahr vom Blauen Lotus aus. Das Extrakt sollte wegen seiner Rauschwirkung selbstverständlich von Kindern fern gehalten werden.

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