Samstag, 17. September 2016

Haschisch hinter der Mauer

 

Westberlin in den Achtzigern

 

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Autor: mze

 

Berlin hat schon lange Zeit einen Sonderstatus, auch da eine Zeit lang eine hohe Mauer um die Stadt von Kommunisten errichtet wurde. Von 1961 bis 1989 existierte ein demokratisch regierter Stadtteil inmitten der DDR, der unter dem Schutz der alliierten Streitkräfte stand oder fiel – Westberlin. Dass trotz dieser Umstände jedoch nicht einmal Cannabis aus der heutigen Hauptstadt verbannt werden konnte, erzählte mir neulich ein entfernter Bekannter, der seine zwanzig Jahre zurückliegende Vergangenheit wohl nicht mehr länger verbergen muss. In einem Kiezcafé plauderten wird daher bei einem heißen Kaffee über seine wilden Jahre und die Tätigkeiten mit denen er sich in den achtziger Jahren über Wasser hielt. Es ging dabei um Haschisch hinter der Mauer. Mit einigen Aktiven versorgte man wohl ganz Charlottenburg und Wilmersdorf – Ku’damm und Konsorten.

 

Dirk ist ein Mann im besten Alter, der um 1960 in Berlin geboren wurde. Als er Anfang der achtziger Jahre nach einem entspannten Aussteigerjahr in Marokko wieder Westberlin erreichte, waren aus wohl leicht nachvollziehbaren Gründen schnell Kontakte in die bereits bestehende Hanf-Gemeinde geknüpft. Marokkanisches Haschisch hatte dem damals zwanzigjährigen auf der Reise gut gefallen. In Westberlin suchte man daher einen Händler mit angemessener Qualitätsware. Nachdem dieser, über Freunde gefunden und selbst zur Bekanntschaft wurde, entwickelte sich auch eine kleine Geschäftsbeziehung. Erst überlegte Dirk den Eigenkonsum durch minimalen Handel zu finanzieren, doch dann wurde die Tätigkeit direkt ausgeweitet. Man vertraute sich in der überschaubaren Szene und die Beteiligten überlegten sich sinnvolle Pläne für eine Wahrung der eigenen Sicherheit.

 

Dirk sollte für einen etwas aktiveren Großhändler als Dope-Taxi fungieren und in regelmäßigen Abständen  illegale Ware aus geheimen Bunkern besorgen. Um niemals unter den Verdacht geraten zu können, sich selbst an diesem Haschhort zu bedienen, waren Dirk die genauen Orte nicht vertraut. Er fuhr nur mit dem Besitzer der Ware an die unterschiedlichen Straßenecken und wartete auf dessen Rückkehr mit dem Cannabisprodukt. Ein Kilogramm unbehandeltes Haschischpulver wurde unter diesen Umständen dann immer durch die halbe Stadt transportiert. Sollten einmal größere Mengen mit Dirk den Standort wechseln, fuhren gleich drei Autos, um mehr Sicherheit zu garantieren. Eines vorweg und eines hinten an. Mögliche Straßenkontrollen oder Unfälle hätten, in der Überlegung, diese dann zuerst zum Ziel gehabt.

 

Da sich mit der Fahrerei jedoch kein Geld verdienen ließ – alle Kosten wurden übernommen, man wurde zum Essen eingeladen und brauchte kein eigenes Guthaben im Portemonnaie – ging Dirk einen Schritt weiter. Er startete eine Haschischmanufaktur in den eigenen vier Wänden. Ab diesem Moment wurde er täglich mit 200 Gramm Cannabispollen beliefert und musste sich um die fachgerechte Verarbeitung kümmern. Haschisch wird in der Regel aus getrockneten Cannabispflanzen geschlagen oder geklopft und anschließend erst unter vorsichtiger Wärmezufuhr gepresst. Wohl aus Transportgründen wurde der Import in die geteilte Stadt Westberlin oft in unbehandelter Pulverform getätigt. Dirk erhielt also immer 200 Gramm der verschiedenen Pulver, die entweder aus Marokko, der Türkei, oder dem Libanon zu kommen schienen. Diese Sorten entstanden nach eigenen Aussagen schließlich, wenn man eine ruhiges Händchen und eine heiße Pfanne in den Betrieb nahm: Marokkaner, Grüner Türke und Roter Libanese.

 

Nur 100 Gramm der Substanz sollten dann jedoch  tatsächlich verarbeitet werden, damit in Engpässen immerhin nochmals 100 Gramm für eine Verarbeitung zur Verfügung standen. Zur hochwertigen Haschischherstellung nutzte Dirk stets verschließbare Tüten aus Briefmarkengeschäften, die circa zehn Gramm des pulvrigen Materials fassten.

Leider musste marokkanisches Haschisch, das wohl auch oft schon kaltgepresst in Westberlin ankam, zuvor noch in einer Kaffeemaschine wieder kleingehäckselt und zurück auf Puderform gebracht werden, um anschließend daraus gutes Haschisch machen zu können. Hier wurde dann schon erstmalig die Finesse im Umgang mit dem Werkstoff Hasch benötigt, da Wärme einen starken Einfluss auf die Konsistenz der braunen Masse hat. Daher war ein ständiges Überprüfen des Mahlvorgangs von Nöten, der eine Hitzebildung in der Maschine und ein damit verbundenes Schmelzen des Haschischs verhindern sollte. Machte man hier etwas falsch, war ein schleimiges Resultat nicht zu verhindern, das verdammt viel Arbeit hinterließ. Es empfahl sich also immer genügend Pausen einzulegen und der Kaffeemaschine etwas Abkühlung zu gönnen. In dieser Zeit konnte man dafür selbst mal einen Joint rauchen.

 

Waren diese Arbeitsschritte – falls nötig – abgeschlossen, befüllte Dirk die Briefmarkentüten mit knapp 10 Gramm Marihuana-Pulver und verschloss diese. Danach wurden einige Lagen Zeitungspapier – natürlich B.Z. – um das Paket gelegt, welches dann nochmals mit einer einzelnen Lage Alufolie umwickelt wurde. Auf offener Herdflamme erhitzte man dann eine genügend große Pfanne und legte das silberne Päckchen hinein. Hierbei war ein besonderes Gefühl von Bedarf, welches auf die unterschiedlichen Konsistenzen des Ursprungsmaterials und dessen Eigenschaften auf Hitze einging. Niemals durfte die Pfanne zu heiß werden, noch durfte das Haschisch zu lange in der Pfanne schmoren. Teilweise war es auch nötig das Zeitungspapier vor dem Braten zu befeuchten, damit das kühle Nass einen Hitzeschutz anbot. Wurde man abgelenkt und verpasste den idealen Zeitpunkt, das erhitzte Päckchen aus der Pfanne zu nehmen, platzen die Tüten gerne auf und brachten das warme Hasch mit der illustrierten Zeitung in Kontakt. Dies wirkte sich zwar nicht auf die Qualität der Ware aus, doch klebten dann mehrere Fetzen des bunt bedruckten Papiers an den zehn Gramm Blöcken fest, was selbstverständlich den Wert des Haschischs minderte. „Wer raucht schon gern B.Z.?!“ sagt Dirk in diesem Zusammenhang mit einem verschmitzten Lächeln.

 

Hatte man dagegen den richtigen Zeitpunkt abgepasst und ihn durch ein Aufblähen des Haschpaketes wahrgenommen, wurde das nun ungefähr auf die Größe einer Schachtel Zigaretten gebackene Material aus der Pfanne genommen. Zwischen zwei Stahlplatten und in einen Schraubstock gezwängt, übte Dirk dann ordentlich Druck auf die nun noch heißere Ware aus, damit aus dem aufgequollenen Marihuanapulver letztendlich konsumfertiges Haschisch erster Güte werden konnte. Doch auch hier war Gefühl sowie viel Zurückhaltung von Nöten, da nach circa fünf Einsätzen der beiden Stahlplatten auch diese erst wieder abzukühlen hatten, bevor weitere Pressung möglich waren. Auch legte man die Platten vor und während der verschiedenen Arbeitsschritte immer wieder gerne einmal in den Kühlschrank, um der schnellen Wärmeübertragung etwas entgegenzuwirken. Aus diesem Grund kann man den gesamten Arbeitsaufwand auch als gehörig bezeichnen, mahnt Dirk bei einem tiefen Schluck dunkler Kaffeebrühe. Viel Zeit, Geduld und Gefühl werden verlangt, wenn man sich auf diese Form der Haschischproduktion einlassen möchte.

 

Da der Beruf des Haschischpressers auch in den achtziger Jahren nicht legal ausgeführt werden durfte, wurden natürlich auch weitere Anforderungen verlangt. Loyalität, Verschwiegenheit und Verantwortungsbewusstsein. Die Zuverlässigkeit spielte bei Dirk ebenso eine sehr große Rolle, schließlich betrieb er diese Tätigkeit von 1982 bis 1985 beinahe täglich. Morgens wurden 100 Gramm Marihuanapulver gebracht – abends wurden zehn Pakete a zehn Gramm wieder abgeholt und im gesamten Verteilergebiet an Verkäufer ausgegeben. Bars, Cafés und Dealer in Charlottenburg und Wilmersdorf profitierten von der Mühe, die sich Dirk täglich machte. Er selbst erhielt erneut keine direkte Bezahlung sondern erwirtschaftete pro fertigem Paket circa 0,6 Gramm Haschisch für die eigenen Tasche. Dieses Eigengewicht hatten die Briefmarkentüten, die stets auf zehn Gramm gefüllt wurden, bevor sie alle beschriebenen Arbeitsschritte über sich ergehen lassen mussten. Somit landeten im Schnitt sechs Gramm Marokkaner, Roter Libanese oder Grüner Türke auf Dirks eigenem Tisch, die ihm am Ende eines Tages zur freien Verfügung standen. Auch wurden Schnittreste und Überbleibsel bei Dirk dankend zurückgelassen, die bei der Herstellung oder Aufteilung der zehn Gramm Blöcke mal liegen blieben.

 

Kontakt mit der Polizei konnte Dirk in allen Jahren seiner zwielichten Tätigkeit vermeiden, da er sich von Szenebrennpunkten fernhielt und selbst niemals dealte. In das Super Fly gingen damals  andere, lacht er in Erinnerung an diese Zeit. Da man mit dem Pressen verschiedener Haschischsorten in jenen Tagen jedoch auch nicht reich wurde, stieg Dirk ab 1985 wieder in das normale Arbeitsleben ein und wurde Lastkraftwagenfahrer. Er fuhr dann immer aus dem schönen Charlottenburg in das besetzte Kreuzberg, um bayrisches Bier auszuliefern. Die dortigen Punks, Hausbesetzer und ansässigen Kneipenwirte begrüßten ihn dann aber nahezu jeden Morgen mit einem prall gefüllten Haschisch-Joint.

 

 

 

 

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2 Kommentare
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Sternsch I. Gard
7 Jahre zuvor

Schöner Artikel! Aber waren das nicht Sozialisten? Die DDR war doch kein kommunistischer Staat.