Sonntag, 7. August 2016

Im Gefängnis vergessen

 

Der Fall des Cannabis-Growers Oliver Liermann

 

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Von Janika Takats

 

Im September 2015 berichtete das Hanf Journal bereits über den unglaublichen Fall des Oliver Liermann. Dieser saß damals bereits sechseinhalb Jahre wegen Cannabis-Anbaus im Gefängnis, obwohl er nur zu fünf Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Auf der Mary Jane Messe, die Ende Mai in Berlin stattfand, trafen wir den damals kürzlich entlassenen Oliver und ließen uns seine Lebensgeschichte erzählen.

 

Oliver ist gelernter Architekt und fing vor rund 30 Jahren an, Cannabis für Freunde anzubauen, welche an HIV und Multipler Sklerose erkrankt waren. Zu der Zeit war es schwer Gras in guter Qualität zu einem erschwinglichen Preis zu bekommen. Zudem befürchtete der damals Anfang 20-jährige, dass das auf den Schwarzmarkt erhältliche Cannabis auf Grund von nicht-biologischen Düngemitteln oder verwendeter Insektensprays schädlich für die Gesundheit sein könnte. So begann er zwei bis drei Pflanzen auf seiner Fensterbank großzuziehen und die überschaubare Ernte mit seinen Freunden zu teilen.

 

Mit 29 Jahren stieg Oliver dann von der Fensterbank auf eine professionellere Anbauanlage um. In seiner Studenten-WG in Kaiserslautern zog er 50 bis 60 Pflanzen unter Kunstlicht groß. Der Ertrag lag bei rund 150 Gramm im Monat, die er zum Selbstkostenpreis an die befreundeten Patienten weitergab. „Das einzige Problem war damals, dass man das Licht von draußen nicht sieht“ erinnert sich Oliver. Anstrengungen den Grow luftdicht abzuschotten oder die Luft zu filtern, habe er damals keine unternommen. Bewässert wurden die Hanf-Damen mit der Hand. Probleme mit der Polizei, die direkt gegenüber stationiert war, gab es keine. Erst als die Beamten vor der Tür standen, weil eine Mitbewohnerin wegen Ladendiebstahls aufgegriffen wurde, entdeckte man den kleinen Garten. So bekam Oliver im Jahr 1999, 12 Monate auf Bewährung. Die Anklage gegen seine Mitbewohnerin wurde fallen gelassen.

 

Sobald der Fall durch war, machte er jedoch mit der Pflanzenaufzucht in der gleichen Wohnung weiter. „Unverschämterweise“ räumt Oliver mit einem verschmitzten Lachen ein. Zwei Jahre später flog sein illegalisiertes Treiben erneut auf. Damals brummte man ihm ein weiteres Jahr auf Bewährung auf, für den Besitz von 40 Pflanzen. Da es sich um die zweite Verurteilung handelte, hätte er einen Teil der Strafe absitzen müssen. Doch Oliver beschloss unterzutauchen. „Ich bin dann erst mal verduftet, habe mir in Berlin Prenzlauer Berg eine Wohnung gemietet und weiter Hanfpflanzen angebaut.“ berichtet er und kann ein Lachen nicht unterdrücken. Ein Zimmer richtete er für den Cannabis-Anbau her. „Damals hieß ich Patrick Wegner und war ein großer Fan von Mr. Nice“. Seine wahre Identität konnte er nicht Preis geben, da er sich immerhin vor dem Gesetz versteckte. Pflichtbewusst belieferte er weiter seine Patienten-Freunde in seiner alten Heimat Kaiserslautern. Den Rest konsumierte er selbst oder teilte mit Freunden.

 

Im Jahr 2004 ging Oliver den Beamten dann aber doch noch ins Netz. „Eines Tages als ich nachts um 4 Uhr von einer Fete nach Hause kam, wurde ich verhaftet. Das geschah im Rahmen einer normalen Straßenkontrolle. Es war also letztendlich reiner Zufall“ stellt Oliver rückblickend fest. Sechs Monate hat er dann absitzen müssen. „Da in der Zeit keiner mehr die Miete für meine Wohnung bezahlte, wurde diese dann irgendwann aufgemacht und sie haben meine Pflanzen entdeckt. Wenigstens zum Abernten waren ein paar Leute da, deshalb war es nicht so schlimm.“ Trotzdem resultierte der Fund in einer weiteren sechsmonatigen Strafe.

 

Am Ende wurde er entlassen und hatte noch drei Jahre auf Bewährung offen. Oliver bekam eine gute Sozialprognose, da er ein ansonsten geregeltes Leben führte. Sogar seinen Führerschein durfte er behalten. Eine Zeit lang arbeitete er weiter als Architekt und zog ein paar Hanfpflanzen in einem leerstehenden Haus in Alsfeld in Hessen groß. Diese wurden nie entdeckt und so konnte Oliver weiter seine Freunde in Kaiserslautern versorgen. 2007 zog er nach Kaiserslautern zurück und fing einen Job als Chefproduktentwickler in einer Firma an, die Kameras vertrieb.

 

Über die Jahre hatte sich die Kunde von Olivers Lieferservice langsam herum gesprochen. Immer mehr Patienten wollten seine Hilfe in Anspruch nehmen, weil ihnen der legale Weg zu ihrer Medizin verwehrt blieb. Schließlich kamen sogar drei Apotheken hinzu, die Cannabis für spezielle Patienten wollten und die Medizin unter dem Ladentisch weitergaben. So kam es, dass Oliver einen Teil, der für die Produktentwicklung seiner neuen Firma angemieteten Halle abtrennte und mit einer Profi-Anbauanlage ausstattete. Hier entstand ein Unterdruckraum mit Kohlefilter, damit kein Geruch nach außen drang, einer voll automatisierten Bewässerungsanlage, Luftfeuchtigkeitsreglern und einer Klimasteuerung. 15.000 Euro habe das gesamte Equipment damals gekostet. Die Anlage wurde von ihm zusammen mit zwei bis drei weiteren Leuten betrieben. Ein Jahr lang konnte das Team so die drei Apotheken sowie einige weitere Leute, die das Cannabis an Patienten in Rheinland-Pfalz und im Odenwald weitergaben, versorgen. Dabei wurde das Gras weiterhin zum Selbstkostenpreis von 3,50 bis 4,50 Euro abgegeben. Geld habe er dabei nicht verdient, betont Oliver. Die Anlage habe rund 800 Euro an Materialkosten pro Monat geschluckt, dazu kamen noch einmal 400 Euro für Strom und das Gehalt der Helfer: „Schließlich müssen ja alle von irgendwas leben“.

 

Trotz der Größe der neuen Anlage wurde weiterhin ‘bio’ angebaut. „Das war ja der Sinn der ganzen Sache. Wir verwendeten nur biologische Dünger und außer Neemöl nichts zum Insektenschutz. Wir wollten nichts, was für Menschen schädlich oder problematisch ist“. Der Ertrag lag im Schnitt bei 1.200 Gramm pro Monat.

Durch eine Verkettung unglücklicher Zufälle wurde die Anlage schließlich entdeckt. Ein Bekannter, der kein Geld hatte, bot Oliver einen recht teuren Akkuschrauber im Gegenzug für Gras an. Oliver willigte ein und verkauft das Gerät auf Ebay ohne zu wissen, dass der Akkuschrauber geklaut war. Da es sich, wie sich später rausstellte, nicht um den einzigen geklauten Akkuschrauber handelte und man Oliver daher der Hehlerei verdächtigte, wurde  seine Halle durchsucht und die Hanfpflanzen entdeckt.

 

„Ich habe mich halt immer etwas tollpatischig angestellt und erwischen lassen.“ gesteht sich Oliver heute ein. „Wenn man so etwas macht, dann muss man wirklich strikt sein. Man lernt leider in dem Bereich jede Menge Leute kennen, die unzuverlässig sind und durch die man ganz schnell in irgendwelche Geschichten rein gerät, die einem dann später zum Verhängnis werden“. Die Halle lief auf seinen Namen und Oliver nahm damals die gesamte Schuld auf sich und verriet weder seine Mitwisser, noch die Apotheken. „Warum soll denn noch jemand anders in den Knast gehen?“ so seine ehrenhafte Einstellung. 600 Pflanzen fand man damals. Da Oliver noch drei Jahre Bewährung offen hatte, bedeutete das für ihn in U-Haft zu kommen. „Ich dachte eigentlich die Bewährung wäre inzwischen abgelaufen, aber die können die ein Jahr rückwirkend widerrufen, wenn man den Schein, der besagt, dass die Bewährung abgelaufen ist, noch nicht in der Hand hat.“

 

Bei der Verhandlung bekam Oliver 2 Jahre und neun Monate zusätzlich zu den drei Jahren, die noch zur Bewährung ausstanden. „Der Richter hatte mir damals gesagt: ‘Herr Liermann ich habe nichts gegen Hanfanbau, aber solange das so im Gesetzt steht, ist die Mindeststrafe zwei Jahre’. Er konnte mir auch nicht die Mindeststrafe geben, weil es eine Profiaufzucht war und zudem auch nicht meine erste…“ Damit hatte Oliver seine fünf Jahre und neun Monate zusammen und musste ins Gefängnis. Von seinem Anwalt bekam er dann die Empfehlung ein Drogenproblem einzugestehen und in den ’64er’, den Maßregelvollzug für psychisch Kranke, zu gehen. Dort würde er nach 12 Monaten Lockerung erhalten und sei in zwei Jahren wieder draußen. Oliver ließ sich auf den Deal ein, wurde in die Psychiatrie eingeliefert und unterzog sich einer Zwangstherapie.

 

„Ich hatte damals mit Sucht nichts am Hut und hatte keine Ahnung, wo ich da hingerate. Es war ein Beschiss und ich dachte, ich mogle mich da schon irgendwie durch. Das Problem war, dass diese Einrichtungen Leute gerne so lange wie möglich behalten.“ Nach dreieinhalb Jahren war die Höchsfrist erreicht, der nicht drogensüchtige Oliver wurde als untherapierbar eingestuft und kam in die JVA zurück. Zwei Jahre im geschlossenen Vollzug wurden ihm nicht auf seine Haftzeit angerechnet. „Man kann den Leuten zwei Dinge vorwerfen: Geldgier oder Inkompetenz. Niemand würde mich für einen Drogensüchtigen halten. Entweder die hatten in der Psychiatrie keine Ahnung von ihrem Job oder denen war es nur Recht, das sie 7.500 Euro für mich im Monat bekommen haben.“ Durch die Nicht-Anrechnung hat Oliver letztendlich insgesamt sieben Jahre im Gefängnis verbracht, obwohl er nur zu fünf Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Wie es dazu kommen konnte erklärt er wie folgt:

 

„Die Paragrafen 64 und 67 im Maßregelvollzugsgesetz regeln wie Zeiten des Maßregelvollzugs auf normalen Vollzug angerechnet werden. Als damals über den Gesetzestext verhandelt wurde, konnten sich die Bundesländer nicht darüber einigen ob und wie viel Zeit, die jemand im Maßregelvollzug verbringt, auf die Haftstrafe angerechnet wird. Schließlich wurde ein Teil der Anrechnungsklausel weggelassen, der auch regeln sollte wie Strafen aus andern Bundesländern angerechnet werden.“ Oliver hatte in Hessen, Berlin und Rheinland-Pfalz Haftstrafen bekommen. Ihm wurden jedoch lediglich zwei Drittel der Rheinland-pfälzischen Strafe angerechnet, wohingegen die anderen nicht berücksichtigt wurden. Oliver weiß, dass er kein Einzelfall ist, auch wenn dieses Vorgehen gegen die Menschenrechte verstößt. In Europa darf ein Freiheitsentzug nur unter zwei Bedingungen vollzogen werden: entweder es liegt ein richterliches Urteil vor oder der/die Betroffene stellte eine Gefahr für sich und andere dar.

 

Olivers richterliches Urteil lautete fünf Jahre und neun Monate. „Die sieben Jahre waren kein Fehlurteil, sondern ein Verstoß gegen die Menschenrechte.“ Zwei Jahre Freiheitsberaubung bleiben übrig. Dagegen hat Oliver vor dem europäischen Gerichtshof auf Entschädigung geklagt. „Es wird noch zwei Jahre dauern bis die Entscheidung fällt, doch das wir das gewinnen, ist relativ sicher“ ist Oliver überzeugt. Es wird teuer für die Bundesregierung werden, denn ich bin ja kein Einzelfall. Ich werde Werbung machen, damit sich alle melden, die die Bundesregierung zu lange im Gefängnis gehalten hat.“

„Was ich und andere erwachsene Menschen auf ihrem Grundstück tun, geht den Staat nichts an. Es ist schon eine Art Gefangenschaft, wenn der Staat sich in mein Privatleben einmischt. Wir haben damals alle einen Beruf gehabt und Steuern gezahlt. Es gab bei mir keine Opfer.“ so lautete auch heute noch Olivers Auslassung. „Cannabis-Konsumenten und Grower gehören einfach nicht in den Knast. Ich kann dir heute eine AK-47 oder Papiere aus Österreich besorgen, allein durch die Kontakte, die ich im Knast gemacht habe.“ Zurück in Freiheit will Oliver nun seine Erfahrungen in einem Buch verarbeiten. Den Steuerzahler hat seine Haft 650.000 Euro gekostet.

 

 

 

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5 Kommentare
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Hubert Rosenberger
7 Jahre zuvor

warum soll ich nochmal einen Kommentar schreiben, wenn er nicht veröffentlicht wird?

Rheumaknochen
7 Jahre zuvor

Eine fast unglaubliche Geschichte, wenn man überlegt was diverse Wirtschaftsverbrecher für ihre vorsätzlichen
Taten und den Beschiss an unserer Gesellschaft für Strafen bekommen…. dann auch noch frührehabilitiert werden
und unbehelligt weiter ihr Spiel treiben !!
Diese arme Sau (sorry)…….

Oli
7 Jahre zuvor

Diese scheinheilige Welt ! Ich war knapp davor das ich an alkohol gestorben wäre !
Danke Cannabis !

Traurig das man als alkoholiker der arme kranke ist und als cannabispatient der hoffnungslose Drogensüchtige ist.
Ich werde immer tun was ich für richtig halte und mit mittlerweile 35 Jahren weiß ich was meinen Körper schadet und was nicht !

X-KIFFER
7 Jahre zuvor

Was mich immer wieder wundert das solche Opfer wie Oliver dann auch noch friedlich bleiben. Ich würde meine Zeit im Knast nutzen um Kontakte für Waffen und vor allem für modernen Sprengstoff zu kriegen. Nach der Haftstrafe gäb’s dann einen Anschlag der in den Medien um die Welt ginge und an den sich die Menschheit noch in tausend Jahren mit Grusel erinnert. Es stehen genug für die Sprengung geeignete marode Atomkraftwerke in Europa herum. Ein 2. Tschernobyl mitten in Europa! Solange man mich in Ruhe läßt ist alle gut, mache ich meinen Job, zahle Steuern und Abgaben und bin ein friedlicher, vollintegrierter Mensch. Aber wenn mir der Staat aus reiner Ideologie und Fanatismus auch nur ein Haar krümmt zahle ich… Weiterlesen »

einPatient
1 Jahr zuvor

Was für ein Patriot. Danke Oliver das du deine Geschichte mit uns teilst.