Sonntag, 31. Juli 2016

Kein Weedpass, aber Jagd auf Grower

 

Free A’dam: Kein Weedpass, aber Jagd auf Grower

 

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von Christian Rausch

 

Die gute Nachricht vorneweg: Es wird auch in absehbarer Zukunft keinen Weedpass in Amsterdam geben. Die schlechte Nachricht lautet: Die Polizei macht momentan gnadenlos Jagd auf die Grower.

Wir hielten pflichtbewusst die Schweigeminuten am 4. Mai 2016 ein, in denen in den Niederlanden der Opfer des 2. Weltkriegs gedacht wird. Aber inzwischen seien die Gedenkminuten für alle Opfer von Kriegen ausgeweitet worden, erklärt mir Joachim Helms. Viele von den Jungen könnten kaum noch was mit dem 2. Weltkrieg verbinden, obwohl dieser Teil der Geschichte nach wie vor Bestandteil der Geschichtslehrpläne sei. Joachim ist Sprecher der Coffeeshops Amsterdam und politischer Aktivist, der sich für die freiere Regulierung von Marihuana einsetzt. Zugleich ist er als Direktor für die Firma Greenhouse verantwortlich.  Greenhouse umfasst Coffeeshops, Restaurants und Smartshops.

 

Wir sitz en im Büro der Coffeeshop- Filiale in der Oudezijds Voorburgwal 191, beinahe im Herzen des Amsterdamer Rotlichtbezirks. Joachims Lächeln strahlt beinahe, wenn er über die Lokalpolitik redet. Der Bürgermeister von Amsterdam sei ein ganz Guter: liberal, offen und kommunikativ. Er plane auch in absehbarer Zukunft nicht, einen Weedpass für Amsterdam einzuführen. Das dürfte bei deutschen und europäischen Amsterdam-Fahrern für Erleichterung sorgen. Für einen Weedpass gäbe es laut Oberbürgermeister keine Veranlassung. In Amsterdam passiere nämlich recht wenig bis gar nichts im Zusammenhang mit Cannabis und Haschisch. Das hängt wohl auch mit den Sehenswürdigkeiten, Museen und der Kulturlandschaft in Amsterdam zusammen. Und last but not least: Was gibt es denn netteres als bei schönem Wett er leicht stoned eine Grachtenfahrt zu machen. Bevor sich die zahllosen Haschtouristen in einen der Coffeeshops verkrümeln, so die Argumentation, absolvieren sie eben auch ein anderes, ein „normales“ Touristikprogramm.

 

Klingt überzeugend, aber ob das auch stimmt? Nicht sonderlich gut zu sprechen ist Joachim hingegen auf die Regierung in Den Haag. „Alle Parteien haben Angst, sich zu intensiv für eine weitere Liberalisierung von Marihuana einzusetzen. Sie befürchten den Verlust von Wählerstimmen. In Holland rauchen zwar viele Menschen Gras, aber nur wenige bekennen sich offen dazu.“ Die Regierung in Den Haag verfolge also eine viel zu repressive Drogenpolitik, unter der alle im Moment zu leiden hätten. Growshops sind derzeit in den Niederlanden verboten. Das führt zur grotesken Situation, dass die Niederländer im Internet und im benachbarten Deutschland ihren Bedarf für Zucht und Anbau deckten. Zudem mache die Staatsmacht gnadenlose Jagd auf die Cannabiszüchter.

 

Es sei überraschend, wer alles anbaut. Auch Lehrer, Professoren und Ärzte seien darunter, die ihr Gehalt aufbessern wollen. Die neue gesellschaftspolitische Lage verkompliziere alles. „Das sind sehr schwierige Bedingungen, unter denen wir arbeiten müssen“, gibt Joachim zu. Da viele Züchter geschnappt werden, ist es schwierig, für steten Nachschub zu sorgen und den Kunden gleichbleibende Qualität zu bieten. Für größere Unternehmen wie Greenhouse seien die Probleme noch zu managen und in den Griff zu kriegen, aber kleinere Coffeeshops täten sich mit dem herrschenden Szenario eher schwer.

 

Die Haschischversorgung ist von der repressiven Den Haager Drogenpolitik natürlich nicht betroffen, da hier die Versorgungsrouten nach wie vor über Nordafrika und Spanien laufen. Eine vollkommen offene Legalisierung (Joachim spricht lieber von Regulierung als von Liberalisierung, um damit zum Ausdruck zu bringen, dass der Staat immer in einem gewissen Ausmaß über Produktion, Handel und Konsum von Cannabis-Produkten wachen wird) sei auch in den Niederlanden so bald nicht zu erwarten. Das birgt für die Coffeeshops die nach wie vor paradoxe Situation, dass sie auf der einen Seite die Haschprodukte legal verkaufen dürfen, aber auf der anderen Seite illegal erwerben müssen. Dieser illegale Ankauf von Gras und Hasch durch Coffeeshops wird nach wie vor als Backdoor-Policy bezeichnet, da sich der „Dealer“ (also nicht der, der einen im Shop berät und das gute Zeug in Tütchen packt, sondern der, der diesem Dealer seine Ware liefert) heimlich und illegal durch den Hintereingang hereinschleichen muss, um seine heiße Ware loszuwerden.

 

Erschwerend kommt hinzu, dass die Coffeeshops nie mehr als 500 Gramm Hasch oder Gras vorrätig haben dürfen. Allerdings könnte auch in diese Frage demnächst Bewegung kommen, sicher sei allerdings nichts. Auf meine Frage, ob die Maximalvorratshaltung von einem halben Kilogramm auch von der Polizei kontrolliert werde, zeigt Joachim auf die zahlreichen Überwachungsmonitore, die aber auch wirklich jeden Winkel des Coffeeshops erfassen. „Manchmal stürmt die Polizei mit 20 Mann herein und Kunden, die gerade ein Gramm Koks gekauft haben, werfen dieses dann weg. Mit dem Koks, das dann in unserem Laden gefunden wird, ist unsere Lizenz gefährdet. Also müssen wir der Polizei nachweisen, dass wir damit nichts zu tun haben.“ Dabei geht es ausdrücklich nicht um die Belastung desjenigen, der den Stoff weggeschmissen hat, sondern alleine um die eigene Entlastung.

Die Schließung von Coffeeshops in Amsterdam ist nach wie vor ein heißes Eisen. Als Sprecher der Coffeeshops in Amsterdam versucht Joachim das natürlich zu verhindern. Dabei argumentiert er auch gegenüber Mitgliedern des Amsterdamer Gemeinderats ganz selbstlos: „Eine weitere Schließung würde zu einer Überlastung der noch offenen Shops führen.“ Quod erad demonstrandum. Ein Blick auf die Bildschirme beweist, dass diese Behauptung für das Greenhouse stimmt. Mittwochabend 20.15 Uhr und der Laden ist gerammelt voll.

Mark Jacobs, der den Coffeeshop The Rookies in der Nähe des Leidseplein gegründet hat, hält Joachims Argumentation für großartig selbstlos, aber nicht immer ganz zutreffend: „Von dem großen Rush bekommen wir hier nur teilweise etwas mit.“ The Rookies ist in der Tradition eines alten, gemütlichen Cafés gehalten – davon zeugen auch viele Brett – und Gesellschaftsspiele, die er den Kunden gerne zur Verfügung stellt. Während Joachim wie ein dynamischer Sunnyboy und Businessman aussieht, macht Mark den Eindruck eines gemütlichen Kumpel- Typs, der gerne als Kunde im eigenen Laden glücklich ist und andere ebenso gerne glücklich macht. Beide, Joachim und Mark, blicken neidisch auf die Entwicklung in den USA. Während die Niederlande über Jahrzehnte hinweg führend auf dem Gebiet der Liberalisierung weicher Drogen waren, sind sie inzwischen von einigen Bundesstaaten der USA überholt werden. Besonders die viel breitere Produktpalette in den USA macht sie neidisch. Unisono betonen sie, dass es für die Niederlande wichtig wäre, CBD-Produkte herstellen und verkaufen zu dürfen. Doch das ist Zukunftsmusik und daran ist im Moment nicht zu denken.

 

Vielmehr haben die niederländischen Coffeeshops derweil ums Überleben zu kämpfen, da die gegen sie ergriffenen staatlichen, judikativen und exekutiven Maßnahmen es in sich haben. Sei es wie es sei. Aber eins steht fest. Im Vergleich zu Deutschland besitzen die Niederlande immer noch eine sehr liberale Politik im Umgang mit sogenannten weichen Drogen. Bleibt die Frage, wann bei uns ein Politikwechsel stattfinden wird?

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4 Kommentare
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Surak
7 Jahre zuvor

Eine gewisse Doppelmoral kann man den Niederländern schwerlich aberkennen: Die Behörden verzetteln sich in einem Drogenkrieg, der sich letztlich gegen den bedeutsamen Wirtschaftsfaktor namens Tourismus wendet, doch wozu? Begründet man dies irgendwo stichhaltig? Hält man es für notwendig, daß auch die entspanntesten Kiffer mit dem geringsten Verfolgungsdruck Europas sich von Zeit zu Zeit mal so richtig verspannen, weil man ihnen mit 20 gruselig kostümierten Leuten die gemütliche Bude einrennt? Sollen die Leute demnach eigentlich lieber zu Hause kiffen und sich sozusagen unsichtbar machen, weil es bestimmte pädagogische Lehrmeinungen irritieren mag, für jedermann offen sichtbar zu sein? Meist kommt argumentativ nicht viel mehr als der originelle Wunsch, den Endkonsumenten vollumfänglich zu entkriminalisieren aber dennoch gleichzeitig dem Großhandel das Handwerk ein für… Weiterlesen »

adi
7 Jahre zuvor

Die Shops sind einfach zu gierig, wenn kein gutes Material zu bekommen ist wird halt Scheissquali zu den gleichen überhöhten Preisen verkauft (Greenhouse ist da sicherlich keine Ausnahme, von wegen Probleme managen…). Deshalb werden sie auch zu Recht von immer mehr Konsumenten abgestraft, ich kenne persönlich niemanden der noch nach Holland fährt.

Ralf
7 Jahre zuvor

“Klingt überzeugend, aber ob das auch stimmt?”
Solange wir selbst uns in solcher Art und Weise verunglimpfen und in Frage stellen werden wir uns selbst ins Knie schießen. Was soll dieses unfundierte in Frage stellen der Aussage des Joachim Helms? Wird ihm hier unterstellt dass er lügt oder was soll dieser Scheiß? Mir fällt dazu wirklich nix mehr ein !

Candy
7 Jahre zuvor

@adi
Kann ich so nicht bestätigen. Kaufe seit 25 Jahren regelmäßig in niederländischen Coffeeshops ein und wurde noch nie enttäuscht, ganz im Gegensatz zu meinen (fast nur) schlechten Erfahrungen mit Dealern in D. Kann natürlich von Coffeeshop zu Coffeeshop verschieden sein, aber die, die ich aufsuchte, waren bezüglich der Qualität über jeden Verdacht erhaben.