Samstag, 28. Mai 2016

Sommernachtsträume

 

Bild: Archiv
Bild: Archiv

 

von Sadhu van Hemp

 

Im Sommer wächst und blüht das, was im Herbst geerntet wird. Millionen Hanfpflanzen werden in den Wonnemonaten zur Blüte heranreifen – und kein Gesetz der Welt wird das illegale Treiben der Hanfgärtner verhindern. Hilflos werden unsere tapferen Antidrogenkrieger aus Politik, Justiz und Kirche zusehen müssen, wie Millionen Joints glühen, Millionen Bongs blubbern und Abermillionen Gourmets sich die schönste Zeit des Jahres damit versüßen, fortdauernd und ohne jeden Skrupel gegen das Betäubungsmittelgesetz zu verstoßen.

 

Überall und nirgends wird er zu riechen sein, der süßliche Duft, der die Sinne betört und die Menschen zueinander führt: Ob auf Gartenpartys oder Festivals, ob am See oder im Park, ob im Biergarten oder auf dem Balkon – die Rauchgeräte werden unter freiem Himmel kreisen und aus dem öffentlichen einen rechtsfreien Raum machen. Faktisch setzen Millionen Frauen und Männer das Hanfverbot außer Kraft, auch auf die Gefahr hin, dass am 18. Oktober nicht das eintritt, was der „Summer of Smoke“ anno 1976 in den Niederlanden erzwang – die Kapitulation der Strafverfolgungsbehörden.

 

Ziviler Ungehorsam war es, der die Volksvertreter der Tweeden Kamer zur Einsicht brachte, dass der Anti-Hanf-Krieg ein Kampf gegen Windmühlen ist. Je mehr Wind die Hardliner um den Konsum machten, desto stärker wurde das Feuer angefacht, das Millionen und noch mehr Millionen Joints Flamme gab. 1976 war der letzte Sommer in der niederländischen Geschichte, in dem Cannabiskonsumenten von Staats wegen geohrfeigt wurden. Die, die damals das unvorstellbare Glück der Hanfduldung im kleinen Königreich der Niederlande erfuhren, sind heute alte Menschen – und genießen den Ruhestand so, wie sie ihr ganzes Leben genossen haben – in Freiheit.

 

In Resteuropa, vor allem in Deutschland ist seitdem die Zeit stehengeblieben. Vierzig lange Jahre sind vergangen, in denen Millionen anständige Bürger, die beim Konsum erwischt wurden, die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekamen. Ganze Berufszweige haben sich mit der Prohibition eine goldene Nase auf Kosten der Konsumenten verdient, und noch immer ist kein Ende in Sicht. Viele Existenzen werden auch diesen Sommer von Polizei und Justiz ruiniert. Manch Kiffer, der beim Quarzen auf der Parkbank von der Pupe überrascht wird, erntet im Herbst einen Strafbefehl, gegebenenfalls gefolgt von einem Verwaltungsbeschluss, der Kinder und Fahrerlaubnis entzieht. Staatliche Erntehelfer werden Garten- und Hausbesuche abstatten und aus einer Mücke einen Elefanten machen, der wie im Porzellanladen wütet und schlechtenfalls aus einem berufstätigen Menschen mit Kind und Kegel einen Sozialfall ohne Obdach macht.

 

Und doch will der schöne Traum von einem goldenen Oktobertag, an dem im Schatten des Kanzleramtes der erste Coffeeshop nach niederländischem Vorbild seine Pforten öffnet, nicht platzen. Leider wird nur übersehen, dass die Hanf-Community bescheiden geworden ist und die Radikalität der Eltern- und Großelterngeneration missen lässt. Die Enkel träumen zwar wie die Alten von einer Legalisierung ihres Genussmittels, sind aber zugleich um ein Vielfaches angepasster und rückgratloser. Statt die Maximalforderung nach bedingungsloser Kapitulation der Antihanfkrieger zu fordern, lässt sich die Gemeinde mit kleinen Zugeständnissen abspeisen und von den Mächtigen am Nasenring durch die Manege führen. Niemand will die Machenschaften im politischen Tagesgeschäft durchschauen, die das Gesundheitsministerium veranlasst haben, plötzlich und ohne jede Not ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das Cannabispatienten den Erwerb von Medizinalhanf auf Kassenrezept gestattet.

 

So groß die Freude der Betroffenen auch ist, die Genusskiffer und Kleingärtner haben davon erst einmal keinen Vorteil und bleiben kriminalisiert. Es sei denn, die Freizeit- und Spaßkonsumenten sind so willig, sich einer kontrollierten Abgabe zu unterwerfen und in die Obhut einer vom Staat überwachten „Cannabisagentur“ zu begeben, die Preis, Qualität und Abgabemenge diktiert.

 

Doch wo soll das hinführen? Heute machen sich die Kiffer nackig, morgen dann die Kaffeetrinker, Tabakraucher und Kakaosüchtigen? Was den Seniorkiffer gruselt, scheint dem Nachwuchs nur ein logischer Schritt, da „Big Brother“ sowieso alles kontrolliert und ausspäht. Dass sich die Hanffreunde, die sich über diese Schiene einen Persilschein ausstellen lassen wollen, zu willigen Opfern eines bürokratischen Monsters machen, will niemand wahrhaben. Noch gibt es den Präzedenzfall nicht, wo ein Sachbearbeiter strikt nach Vorschrift verwaltungsrechtliche Maßnahmen ergreift, um zu maßregeln. Doch wer den Preußen im Deutschen kennt, der weiß, dass verwaltungstechnisch der Phantasie unserer Staatsdiener keine Grenzen gesetzt sind.

 

Nun gut, die deutschen Hanffreunde wollen es mit sich machen lassen und das Grundrecht auf freie Entfaltung den Interessen des Staates opfern. Ob der Pakt mit dem Teufel Frieden bringt, wird die Zukunft zeigen, wenn in zehn Jahren noch immer kein Coffeeshop wie vor vierzig Jahren in den Niederlanden zugelassen ist, der endlich das wieder feilbietet, was heute kaum mehr erhältlich ist: Handgeknetetes Edelhaschisch aus aller Herren orientalischen Länder.

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"If this is legalization, then Justin Trudeau lied!" Jodie Emery - Kanadische Hanf-Aktivistin
7 Jahre zuvor

“Zwickt’s mi, i man i tram! Des derf net wohr sein, wo samma daham? Zwickt’s mi, ganz wurscht wohin! I kann’s net glaub’n, ob i ang’soff’n bin? Ober i glaub, da hlft ka Zwicken, knnt’ ma net vielleicht irgendwer ane pick’n? Danke, jetzt is’ ma klor, es ist wohr, es ist wohr… Die Jugend hat kein Ideal, kan Sinn fr wohre Werte. Den jungen Leuten geht’s zu gut, sie kennen keine Hrte! So reden de, de nur in Op krul’n, Schmiergeld nehman, packeln tan, noch an Skandal daun pensioniert wer’n, kurz: a echtes Vurbld san. Zwickts mi, i man i tram…” Wolfgan Ambros — Das kam mir spontan in den Sinn. Alder, das sind melancholische Betrachtungen. Ich nenne das den… Weiterlesen »