Psychoaktive Pflanzenkunde
Die Ethnopharmakologie der Hahnenfußgewächse (Ranunculaceae)
Markus Berger
Die wirksamen Gattungen bzw. Arten der Ranunkelgewächse sind schon seit Jahrhunderten, ja, seit Jahrtausenden als Gift- und Medizinalpflanzen bekannt. Der in der Heil- und Pflanzenkunde gelehrte Pfarrer Konrad Rosbach schrieb 1588 in seinem „Paradeißgärtlein“ über den Rittersporn (Delphinium sp.):„Ein Augen Blümlein soll es seyn / Wie wirdt gemeldet in gemein / Mit Rosenwasser misch es wol / Den krancken Augen helffen soll“ (ROSBACH 1588: 146) und über die Christwurz (Helleborus sp.): „In Leib mans selten brauchen soll / Doch wer der Melancholey ist voll / Der legs in Wein und trinck darvon / Den Schwindel auch vertreibet schon“ (ROSBACH 1588: 79). Bereits lang ist den Menschen die Wirkung solcher und anderer Pflanzen aus der Gattung der Ranunculaceae, z. B. des Eisenhuts (Aconitum spp.), des Adonisröschens oder der Hahnenfuß-Spezies (Ranunculus spp.), vertraut. Die wirksamen Inhaltsstoffe der diversen heilkräftigen und giftigen Ranunculuaceen wiederholen sich indes immer wieder. Da gibt es das Protoanemonin, das zuerst im Windröschen (Anemone spp.) nachgewiesen wurde, und da gibt es herzwirksame Glykoside, die denen solcher Pflanzen wie Digitalis spp. in puncto Toxizität und Heilkraft in nichts nachstehen. Vorliegender Artikel stellt die ethnopharmakologisch wichtigsten Gattungen bzw. Arten der Ranunculaceae vor und verschafft auf diese Weise einen zusammenfassenden Überblick über die pharmakobotanische Essenz der Familie.
Aconitum spp. (Eisenhut-Arten)
Die Eisenhut-Spezies, Aconitum napellus L., Aconitum ferox WALLICH ex SERINGE und Aconitum vulparia RCHB., sind alte Heil-, Hexen- und Zauberpflanzen und die giftigsten Gewächs Europas. Das hauptwirksame Alkaloid Aconitin induziert schon in geringen Mengen (ab 0,2 mg) stark toxische Wirkungen wie Lähmungserscheinungen, Übelkeit und Erbrechen. Der Sturmhut, wie Aconitum auch genannt wird, wurde von den Germanen für magische Rituale genutzt. Die Pflanze wurde auch als Gift, zum Beispiel als Pfeilgift, aber auch als Antidot für bestimmte Gifte verwendet. Außerdem wurde Aconitum als Verjüngungstonikum verwendet. Aconitum napellus und Aconitum ferox werden im Himalaya Bikh genannt und finden dort als schamanische Rauchkräuter Verwendung (RÄTSCH 2003: 439, 501). Der Eisenhut ist eine Ingredienz verschiedener psychoaktiver Hexenrezepte. „Der Sturmhut wurde in der römischen Politik zu einer wichtigen Kampfdroge. So starb Kaiser CLAUDIUS im Jahr 54 n. Chr. an einer Aconitvergiftung” (RÄTSCH 1995: 367). Trotz der extremen Toxizität des Eisenhuts wurde die Pflanze früher gegen akuten Gelenkrheumatismus, die englische Krankheit und Gicht verordnet (SCHIMPFKY 1938: 28). Aconitum wird homöopathisch gegen Fieber, Rheuma, Neuralgien, Peri- und Endocarditis verwandt (ROTH et al. 1994: 89; SCHIMPFKY 1938: 28). Aconitum-Spezies enthalten die Diterpenoid-Alkaloide Aconitin, Aconitinsäure, Mesaconitin, Hypaconitin, Napellin und N-Diethylaconitin (FROHNE et PFÄNDER 2004: 318; ROTH et al. 1994: 88ff.).
Aquilegia spp. (Akelei-Arten)
Aquilegia-Spezies wurden im frühen Mittelalter bei Ausschlägen und Geschwüren und sogar gegen Krebs und Gelbsucht (Samen) benützt, Akeleien gelten außerdem als Aphrodisiakum. Innerhalb der volkstümlichen Veterinärheilkunde wird die Akelei gegen Ausschläge, Fisteln, Grind und Blähungen eingesetzt. Aquilegia vulgaris L. ist homöopathisches Medikament gegen Dysmenorrhoe, Mundgeschwüre, Fisteln und Hautausschläge. Akeleien stehen unter Naturschutz und enthalten die toxischen Glykoside Triglochinin und Dhurrin (FROHE et PFÄNDER 2004: 307; ROTH et al. 1994: 137).
Caltha palustris L. (Sumpfdotterblume)
Die Sumpfdotterblume wurde vermutlich im Mittelalter als Mittel gegen Gelbsucht benutzt. Außerdem wurden die gelblichen Blüten früher zum Einfärben der Butter benutzt. Die gegarten und in Essig eingelegten Blütenknospen können als Kapernersatz verzehrt werden. Caltha palustris enthält Protoanemonin, Triterpensaponine und Alkaloide (FROHNE et PFÄNDER 2004: 313).
Cimicifuga racemosa (L.) NUTT. (Traubensilberkerze)
Medzinische Verwendung bei prämenstruellen Schmerzen, Dysmenorrhoe und klimakterisch bedingten neurovegetativen Beschwerden. Die Traubensilberkerze enthält Triterpenglykoside, Phenolcarbonsäuren, Hydroxyzimtsäureester sowie die Alkaloide Cytisin (hauptwirksamer Inhaltsstoff der Ginsterarten Cytisus spp. bzw. Genista spp.) und Methylcytisin (WICHTL 2002: 660).
Clematis vitalba L. (Waldrebe)
Die getrockneten Sprossen der Waldrebe wurden früher in Bayern als Tabaksubstitut geraucht (RÄTSCH 1998: 553). Das lässt eine pharmakologische Effektivität der Pflanze vermuten. Von einer volkstümlichen medizinischen Anwendung ist nichts bekannt. Die nordamerikanische Spezies Clematis virginiana L. wurde vermutlich von den Irokesen als Halluzinogen verwendet (RÄTSCH 1998: 553). Clematis recta L., die Steife oder Aufrechte Waldrebe, wurde früher als blasenziehendes Mittel sowie gegen Syphilis, Kopfschmerzen, Schwermut, Knochenkrankheiten, Geschwüre, Brustkrebs und Knochengeschwülste angewendet und wird heute homöopathisch bei verschiedenen Geschlechtskrankheiten, Rheuma und Lymphdrüsenentzündung gebraucht (HERTWIG 1938: 274; ROTH et al. 1994: 241; SCHIMPFKY 1893: 9). Hauptwirkstoffe der Clematis-Arten sind Protoanemonin und Anemonin (ROTH et al. 1994: 241).
Delphinium consolida L. (Ackerrittersporn)
Volksmedizinisches Diuretikum und Anthelmintikum. Schönungspflanze für Aufgussmischungen. Delphiniumblüten gelten als wurm- und harntreibend, sedativ und appetitanregend. Delphinium staphisagria L. wird homöopathisch bei Neurasthenien, Mundgeschwüren und Schleimhautentzündungen benützt. Die Mendocino-Indianer aus Kalifornien benutzen das Gewächs als Narkotikum – andere Arten, z. B. Delphinium brunonianum ROYLE, Delphinium tricorne MICHX. und auch die Delphinium consolida selbst, wurden bzw. werden als Psychoaktiva verwendet (RÄTSCH 1998: 556). Der Ackerrittersporn wird außerdem zum Einfärben von Schurwolle verwendet. Die Pflanze enthält Diterpen-Alkaloide, Flavone und Anthocyanglykoside (ROTH et al. 1994: 261 & 297; WICHTL 2002: 148).
Helleborus niger L. (Christrose, Schwarze Nieswurz, Schneerose)
Helleborus niger wurde früher als herzkraftstärkendes Mittel verwendet. Die Homöopathie wendet Präparate gegen Wassersucht, Schrumpfniere, Harnvergiftung, Speichelfluss, Gelenkstechen, Depressionen, Nierenentzündung und Herzschwäche an (HERTWIG 1938: 238; ROTH et al. 1994: 394; SCHIMPFKY 1893: 11). Die Volksmedizin kennt die Weisheit „Drei Tropfen machen dich rot, zehn Tropfen hingegen tot“. Die Geschichte der Christrose als Heil- und Giftpflanze ist alt. Selbst Hippokrates kannte sie bereits. Es heißt, „dass sie schon in der Antike um ca. 600 v. Chr. als ‚chemische Waffe’ eingesetzt wurde (…)“ (FROHNE et PFÄNDER 2004: 316; SCHIMPFKY 1893: 11). Das in Wein geköchelte Rhizom galt als zuverlässiges Medikament gegen Wahnsinn und allgemein gegen Geisteskrankheiten (SCHIMPFKY 1893: 11). Nieswurz wird volksmedizinisch auch heute noch bei Wassersucht und Harnverhalten verwendet. Als Brech- und Abführmittel erlangte Helleborus ebenfalls große Popularität. Früher war die Nieswurz Bestandteil einiger Nies- und Schnupfpulver. Dies ist heute verboten. Die Helleborus-Spezies enthalten die Steroidsaponin-Mischung Helleborin sowie Ranuncosid (ROTH et al. 1994: 394).
Hydrastis canadensis L. (Kanadische Gelbwurz, Wasserkraut)
Die Gelbwurz wird homöopathisch gegen Nasenkatarrh, Flour albus, Uterusblutungen sowie als Tonikum bei kachektischen Zuständen verordnet. Enthält die Isochinolin-Alkaloide Hydrastin, Berberin, Canadin, Berberastin, Meconin und andere Wirkstoffe (ROTH et al. 1994: 412f.).
Nigella sativa L. (Schwarzkümmel)
Volksmedizinische Anwendung gegen Magen-Darm-Beschwerden, Rheuma, Erkältung, Blähungen und Harnprobleme. Die arabische traditionelle Heilkunde wendet Schwarzkümmel gegen diverse andere Leiden an.
Die Kümmelart hat nach neuesten Erkenntnissen antitumorale, antimikrobielle und immunmodulierende Effekte. Nigella sativa enthält Nigellon, Nigellicin, fette Öle, Glycerinester der Öl- und Linolsäure, Arachidonsäure, Tocopherole, Flavonoltriglykoside, Proteine, Mineralstoffe, Kohlenhydrate und Spuren von Saponinen (WICHTL 2002: 417).
Pulsatilla spp. (Küchenschellen-Arten)
Das Kraut von Pulsatilla vulgaris MILL. wurde früher, als die Arten noch nicht unter Naturschutz standen, (volks-) medizinisch gegen Grippe, Rheuma, Migräne, Asthma, Bronchitis, Gicht, Geschwüre, Keuchhusten, Haut- und Augenkrankheiten, Knochenfraß, Flechten und weitere Leiden appliziert (BLÜCHEL 1977: 21; SCHIMPFKY 1893: 10). „Volkstümlich bei Schwindelanfällen, einseitigem Kopfschmerz und krampfartigen Anfällen war schon früh die Gemeine Küchenschelle (…).“ (HERTWIG 1938: 236). Verschiedene Pulsatilla-Spezies, z. B. Pulsatilla pratensis (L.) MILL. und Pulsatilla vulgaris MILL., wurden und werden homöopathisch bei menstruellen Beschwerden, Katarrhen, Rückenmarks-Leiden, Angstzuständen, Bleichsucht, Wechselfieber, Schnupfen, Gerstenkörnern, Melancholie, Niedergeschlagenheit, Magendrücken, Erstickungsanfällen, Menschenscheue und anderen Leiden benutzt (HERTWIG 1938: 236; ROTH et al. 1994: 592f.; SCHIMPFKY 1893: 10). Die Spezies enthalten Protoanemonin, Saponine, ätherische Öle und Glykoside, Pulsatilla pratensis enthält außerdem Ranunculin, welches in Protoanemonin fermentiert (ROTH et al. 1994: 592f.).
Ranunculus spp. (Hahnenfuß-Arten)
Ranunculus-Arten wirken spasmolytisch. Einige, z. B. Ranunculus bulbosus L. und Ranunculus sceleratus L., werden in der Homöopathie bei Intercostalneuralgien, Pleuritis, Herpes, Geschwüren, Erysipel, Hautaffektionen und Schreibkrampf verwandt (ROTH et al. 1994: 602f.). Angeblich sollen einige Arten psychoaktive Wirkungen (Delirien-artig) induzieren (RÄTSCH 1998: 578). Alle Hahnenfußarten enthalten im frischen Zustand das Glykosid Protoanemonin, das sich beim Trocknen in das weniger toxische Anemonin umwandelt sowie Ranunculin (ROTH et al. 1994: 601).
Thalictrum aquilegifolium L. (Akeleiblättrige Wiesenraute)
Die Wiesenraute war einst ein beliebtes Heilkraut. Es wurde gegen Wechselfieber und als Abführmittel gebraucht. Seine Alkaloide haben hypotone (Blutdruck senkende) und krebshemmende Wirkungen. Der gelbe Farbstoff, der sich in den Blättern befindet, wurde zum Einfärben von Schurwolle benützt. Thalictrum enthält Alkaloide und cyanogene Glykoside (FROHNE et PFÄNDER 2004: 307).
Trollius europaeus L. (Trollblume)
Die Trollblume wurde früher zu Bekämpfung von Skorbut verwendet. Sie steht heute unter Naturschutz. Trollius europaeus enthält Protoanemonin, Magnoflorin und Saponine (ROTH et al. 1994: 708).
Es existieren weitere wirksame Ranunculaceae. So wird z. B. die Alpenanemone homöopathisch bei funktioneller Schwäche der Eierstöcke oder das Adonisröschen bei Herzinsuffizienz angewandt (BLÜCHEL 1977: 23 & 38). Nachfolgend und abschließend eine tabellarische Übersicht über die weiteren giftigen und pharmakologisch wirksamen Ranunculaceae, die allerdings nicht so häufig in den Pflanzenbüchern zu finden sind und auch nur temporär in einzelne Pharmakopöen aufgenommen waren.
TABELLE. Weitere pharmakologisch wirksame Ranunculaceae
(Auswahl nach FROHNE et PFÄNDER 2004; ROTH et al. 1994; WICHTL 2002)
BOT. NAME | TRIVIALBEZEICHNUNG | INHALTSSTOFFE |
Actaea spicata L. | (Ähriges Christophskraut) | Magnoflorin, trans-Aconitsäure |
Adonis aestivalis L. | (Sommer-Adonisröschen) | Herzwirksame Glykoside |
Adonis vernalis L. | (Frühlings-Adonisröschen) | Herzwirksame Glykoside |
Anemone nemorosa L. | (Buschwindröschen) | Protoanemonin |
Anemone ranunculoides | L. (Gelbes Windröschen) | Protoanemonin |
Eranthis hyemalis (L.) SALISB. | (Winterling) | Herzwirksame Glykoside |
Ficaria verna HUDS. | (Scharbockskraut) | Protoanemonin u.a. |
Hepatica nobilis MILL. | (Leberblümchen) | Protoanemonin |
Literatur
Blüchel, Kurt (1977), Heilkräfte der Natur, Niedernhausen/Ts.: Falken
Frohne, Dietrich; Pfänder, Hans Jürgen (2004), Giftpflanzen, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Hertwig, Hugo (1938), Gesund durch Heilpflanzen, Berlin: Koch’s
Rätsch, Christian (1995), Heilkräuter der Antike, München: Diederichs
Rätsch, Christian (1998), Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag
Rätsch, Christian (2003), Schamanenpflanze Tabak Band 2, Solothurn: Nachtschatten Verlag
Rosbach, Konrad (1588), Paradeißgärtlein, Frankfurt/M.: Johann Spieß
Roth, Lutz; Daunderer, Max; Kormann, Kurt (1994), Giftpflanzen – Pflanzengifte, Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft
Schimpfky, Richard (1893), Unsere Heilpflanzen in Bild und Wort, Gera-Untermhaus: Köhler
Wichtl, Max (Hg.) (2002), Teedrogen und Phytopharmaka, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft