Samstag, 29. August 2015

Mit Cannabis und Ritalin gegen ADHS

 

„Einfach ‘mal nicht unter Strom zu stehen“

 

 

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Medizinisches Cannabis hat viele Einsatzgebiete: Von Kopfschmerzen über entzündliche Darmerkrankungen und Depressionen bis hin zum Tourettesyndrom. Das lange Zeit verrufene Kraut könnte für vielen Menschen ein Segen sein. Dennoch ist es illegal und der Zugang zu Cannabis als Medizin versperrt. Der Weg zu einer Ausnahmegenehmigung ist für Patienten oft entweder gar nicht erst bekannt oder mit zu vielen Hürden belegt. Deutschlandweit gibt es derzeit nur etwa 400 Patienten, die ihre Krankheiten mit medizinischem Cannabis aus der Apotheke behandeln dürfen. 18 Patienten leben in Berlin, Maximilian Plenert ist einer von ihnen. Der Diplomphysiker bekam vor zwei Jahren die Diagnose ADHS, inzwischen darf der DHV-Mitarbeiter auch Cannabis aus der Apotheke kaufen.

 

 

Wie zeigte sich das ADHS bei dir?

 

Schon als Kind war ich unkonzentriert und schnell aufbrausend. Seit ich denken kann, fällt es mir schwer mich, auf einzelne Dinge zu konzentrieren oder Geräusche und Gespräche auszublenden. Mit vielen Menschen um mich herum fühlte ich mich schnell erschöpft und überfordert. Während andere junge Menschen nach getaner Arbeit das Partyleben genossen haben, zog ich mich erschöpft zurück – ob nun nach der Schule, Sitzungen der Grünen Jugend oder eben meinem Job beim Deutschen Hanfverband.

 

Also dann direkt ins Lummlerland?

 

Leider nein, trotz aller Erschöpfung lag ich nächtelang wach und mein Kopf fuhr ein Gedankenkarussell. Das machte ein normales Sozialleben schwerlich möglich, mit einem festen Job und Familie wurde es dann nochmal heftiger.
Eine ADHS-Diagnose…

ADHS war in meiner Kindheit in Deutschland noch quasi unbekannt. Noch mehr als andere psychischen Erkrankungen ist ADHS bei Erwachsenen noch immer stark unterdiagnostiziert. Unzählige Menschen leiden deswegen – trotz guter Behandlungsmöglichkeiten. Eine häufige Konformität bei ihnen sind Probleme mit Drogen – in einigen Fällen sicher das Ergebnis einer mehr oder weniger unbewussten Selbstmedikation mit Cannabis und Amphetaminen.

 

Die Geschichte mit dir und dem Cannabis beginnt aber schon lange vor der Diagnose ADHS.

 

Ja, wie viele begann ich als Jugendlicher Cannabis zu konsumieren. Ich kiffte eher wenig, ich definierte mich nie als Kiffer und hatte auch längere Phasen ohne Cannabis. Eigentlich machte ich mir nie viele Gedanken darum. Im Nachhinein scheint es logisch dass ich nie richtig aufhörte, denn schon damals nutze ich es – wenn auch unbewusst – als Medizin. Im Nachhinein finde ich es erstaunlich, wie lange ich Cannabis nur als Rausch- und Genussmittel wahrgenommen habe, zu Cannabis als Medizin hatte ich keinerlei persönlichen Bezug.

 

Wie zeigte sich die medizinische Nutzung damals?

 

Ich kann nach all den Jahren nicht mehr konkret sagen: In dieser Situation half es meiner Konzentration oder hier beruhigte es mich. Ein Effekt, der bis heute anhält, ist allerdings die Reduktion meines Alkoholkonsums, das kann ich definitiv sagen. Auch heute ist es noch so, dass ich weniger bis garkeinen Alkohol trinke, wenn ich kiffe, bei einer Pause steigt mein Alkoholkonsum sofort an. Dieser war auch schon in meiner Jugend nicht problematisch, wenn ich allerdings an einige meine Freunde denke, z.B. aus der Jugendfeuerwehr, dann weiß ich, dass es hätte auch anders sein können.

 

Deine ADHS-Diagnose erhieltst du dann erst mit 30 – wie kam es dazu?

 

Interessanterweise hatten mich schon vor der Diagnose einige ADHSler darauf angesprochen, ich hab das damals erst gar nicht richtig verstanden. Nachdem ich meine Kindheit und Jugend trotz ADHS hinbekommen hatte, wurden die Probleme durch einen festen Job und meine Familie stärker. Ich hatte Konzentrationsschwierigkeiten, was sich bei der Arbeit deutlich zeigte, und oft massive Stimmungsschwankungen, im Gegensatz zu früher konnte ich mich aber nicht mehr zurückziehen. Ein normales Familienleben mit Kindern wird sehr schwierig, wenn man eine derartig kurze „Lunte“ hat. Wenn meine Frau schon damit Probleme hatte, wie sollten es denn meine kleinen Kinder verstehen, wieso Papa plötzlich so wütend wird?
Nach deiner Diagnose hast du dann Ritalin bekommen. Hat es geholfen?

 

Ja, Medikinet, so heißt mein Medikament, hat die Probleme durch mein ADHS deutlich gemindert. Die Wirkung kann man an meiner Orthographie direkt messen, fragen sie mal meine Frau.

 

Der Alltag mit dem Medikament…

 

Mein Tagesablauf ist stark an das Medikament gekoppelt. Ich nehme es direkt morgens, weil Kinder fertigmachen und zur Kita bringen volle Konzentration erfordert, ebenso muss ich die Wirkung so planen, um beim Abholen nicht gerade in ein Loch zu fallen. Durch die stundenlange Wirkung des Methylphenidat muss ich immer planen, gerade bei Abendterminen ist es immer ein Abwägen zwischen „unkonzentriert sein beim Termin“ und dem „danach noch wachliegen“, je nachdem wie früh oder spät ich es nehme.

 

Hast du Nebenwirkungen?

 

Die direkten Nebenwirkungen sind nicht immer angenehm, aber das ist das kleinere Problem. Die Kehrseite der Mediale ist ein ständiges unter Strom stehen, was mittelfristig an der Kondition zehrt. Ich bin abhängig von Medikinet, das ist trotz seiner Hilfe keine angenehme Situation. Lücken in der Wirkung am Abend oder tagsüber wenn ich zu spät nachdosiere, lassen einen regelmäßig in Löcher fallen. Sie sind nicht tief, aber es ist anstrengend. Tagsüber habe ich kaum Hunger, dafür beginnt dann nachts der Magen zu knurren.

 

Der Schritt von Ritalin zur Ausnahmegenehmigung…

 

… war die logische Konsequenz. Es ging alles sehr schnell, die Veränderungen waren prägend für mich. Mit der ADHS-Diagnose begann ich mein bisheriges Leben neu zu reflektieren und ich verstehe mich nun auch selbst besser. Innerhalb weniger Jahre wurde – parallel zum Berufseinstieg und der Gründung einer Familie – aus dem Hobby Kiffen eine tagtägliche Medikation einer psychischen Erkrankung. Auch beruflich wurde Cannabis als Medizin plötzlich vom Randthema zu meinem Arbeitsschwerpunkt, inklusive der persönlichen Betroffenheit und dem Kontakt zu unzähligen Patienten und ihren Schicksalen. Weil Cannabis nun Medizin ist, erlebe ich gerade meine eigene Legalisierung, ich spreche öffentlich darüber, ich kaufe legal ein…

 

Nachdem das Cannabis nun aus der Apotheke kommt, wie wirkt es auf deine Krankheit?

 

Es hilft bei Einschlafproblemen, sei es wegen des Ritalins oder einfach weil es ein turbulenter Tag war. Durch Cannabis kann ich etwas zur Ruhe kommen, es dämpft die Überaktivität und Hektik. Davon profitieren insbesondere mein soziales Umfeld und meine Familie. Mit Cannabis kann ich auch mal Ritalin-Pausen einlegen, um einfach mal nicht unter Strom zu stehen. Damit ergänzen sich Cannabis und Ritalin von ihren Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten – soweit ich das bisher bewerten kann.

 

Bisher?

 

Erst seitdem ich es bewusst als Medizin einnehme, achte ich genauer auf diese Wirkungen, während ich parallel auch noch immer dabei bin, mein ADHS zu verstehen.

 

Welche Fragen sind für dich noch offen?

 

Eine Menge! Allem voran weiß ich bisher noch nicht, welche Sorte mir am besten hilft. Über die Apotheke hatte ich erstmals die bewusste Wahl zwischen unterschiedlichen Gehalten von THC und CBD sowie zwischen Indica und Sativa. Ich habe je nach Sorte eine unterschiedliche Wirkung und sie helfen auch alle bei mir. Welche Aspekte durch viel CBD oder Indica statt Sativa konkret besser oder schlechter beeinflusst wurden, vermag ich noch nicht zu sagen. Die Studienlage hierzu ist auch sehr dünn. Aus der Sortenauswahl ergaben sich auch neue Einsatzmöglichkeiten für Cannabis. Im Gegensatz zu anderen Cannabiskonsumenten kann ich nur schwerlich direkt morgens konsumieren und danach produktiv arbeiten. Die stark CBD-haltige Sorte Bediol verursacht aber kein High und ich versuche nun immer tagsüber etwas Ritalin durch Bediol zu ersetzen. Ein Ergebnis habe ich noch nicht, aber ich denke die Eigenschaften von Bediol machen es zu einer ganz eigenen Einsatzmöglichkeit von Cannabis als Medizin, die Menschen zusagen kann, die mit THC im Alltag zu viele Nebenwirkungen haben. Als Nächstes werde ich einmal die neue Sorte Bedrolite testen, diese enthält quasi überhaupt kein THC, nur CBD – damit sollte ich eher Unterschiede feststellen.

 

Um eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, muss man „austherapiert“ sein, erst wenn alle anderen Behandlungsformen zu wenig Wirkung zeigen und/oder zu viele Nebenwirkungen haben, kommt Cannabis in Frage. Die Nebenwirkungen von Ritalin hast du schon beschrieben, welche Medikamente hast du noch probiert?

 

„Austherapiert“ – das heißt man muss alles Mögliche ausprobieren und schauen ob es nicht noch eine Lösung vor dem Cannabis gibt – und das obwohl ich schon wusste, was mir hilft. AHDS ist hier eine „einfache“ Diagnose, da nur einige wenige Medikamente hier in Frage kommen. Ich testete „Strattera“ und „Attentin“, der Wirkstoff Dexamphetamin bezeichnet ein Isomer des Amphetamin – also dem, was gemeinhin als Speed bezeichnet wird. Strattera zeigte bei mir keine Wirkung. Die Wirkung von Attentin ähnelte der von Medikinet, hatte aber mehr Nebenwirkungen und die positive Wirkung war nicht so ausgeprägt. Die körperlichen Wirkungen wie Schwitzen, Schlafstörungen und körperliche Unruhe waren ausgeprägter. Die Fokussierung war nicht so gut wie bei Medikinet. Die Kosten für die beiden Medikamente musste ich übrigens selbst tragen.

 

Also Speed nehmen müssen, um als Ultima Ratio Cannabis nehmen zu dürfen…

 

Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Medikamente, die bei ADHS eingesetzt werden. Sie sind aber die „Dritte Wahl“, da sie in Deutschland nicht für die Diagnose ADHS zugelassen sind und die Studienlage unzureichend ist. In den USA wird unter anderem Methamphetamin eingesetzt, „Crystal Meth“ also – das würde man als immerhin noch „verkehrsfähige“ Substanz laut BtMG rein rechtlich gesehen über eine Ausnahmegenehmigung deutlich leichter bekommen als Cannabis, das laut Betäubungsmittelgesetz „nicht verkehrsfähig“ und damit deutlich härter reguliert ist.

 

Was ist dein Rat an alle Menschen, denen Cannabis als Medizin helfen könnte?

 

Beantragt eine Ausnahmegenehmigung, es ist euer gutes, hart erkämpftes Recht! Mit einer Ausnahmegenehmigung müsst ihr euch nicht mehr verstecken. Damit wird anerkannt, ihr seid keine irren Kiffer. Ihr seid der lebende Beweis für die Wirksamkeit von Cannabis als Medizin, das ist ein Schritt für euch und auch ein Schritt für die Sache!

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6 Kommentare
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Axel Junker
8 Jahre zuvor

Pervers das Gesundheitssystem, dass von Kranken verlangt, alle gängigen Mittel gegen die jeweilige Krankheit durchzutesten und damit unerwünschtes Auftreten von Nebenwirkungen und ggf. auch die Entwicklung einer Abhängigkeit in Kauf nehmen zu MÜSSEN, obgleich der Erkrankte bereits von der positiven Wirksamkeit des Cannabis überzeugt ist. Pervers das Gesundheitssystem, das nach Erteilung der herbeigesehnten Ausnahmegenehmigung für die Verwendung von Cannabis als Medizin den kranken Genehmigungs-Inhaber finanziell ausbluten lässt, weil in aller Regel sein Einkommen nicht reicht, um den ärztlich empfohlenen Cannabis-Bedarf zu decken und die meisten Krankenkassen (höchstrichterlich gedeckt) bislang keine Kosten-Übernahme tätigen. Pervers das Gesundheitssystem, das im Ausland (Israel, USA, Kanada) gewonnene Erkenntnisse zu Cannabis-medizinischen Behandlungen hierzulande hartnäckig ignoriert und nicht in die künftigen gesundheitspolitischen Planungen und Erwägungen integriert, um… Weiterlesen »

Stefan Walch
8 Jahre zuvor

Mir hat das Kraut das Leben gerettet, mich allerdings auch mit dem Gesetz in Konflikt gebracht (6 Monate auf Bewährung wegen Cannabisanbau). Die jahrelangen Qualen waren neben den psychischen Auswirkungen so stark, dass ich das nicht so lange durchgehalten hätte, bis ich in der Lage war, diese Probleme zu lösen. Es ist ein jahrelanger Prozess zu erkennen, dass unser Gesundheitssystem eigentlich gar kein solches ist, sondern ein Verwertungssystem chronisch kranker Menschen. In organisierter Form. In krimineller Form. Straftaten, juristisch nicht verfolgt, weil staatlicherseits gewollt. Systembedingt. Blanker Horror wie aus einem Science-Fiction-Film, in dem die Menschen verrecken, damit die Interessen einiger Weniger befriedigt werden. Ist man aus existentiellen Gründen gezwungen zu recherchieren und dazuzulernen dauert es noch lange, bis das Gehirn… Weiterlesen »

Robert
8 Jahre zuvor

Mein Arzt empfiehlt mir Cannabis zu rauchen, aber er darf es mir nicht verschreiben,so sagt er. Habe wie Maximilian die selbe “Problematik“. Verschiedene Medikamente…. alles. Selbst Amfetamine habe ich erhalten. Und keines hilft mir so gut wie Gras. Ich war jahrelang berentet. Darauf hatte ich keine Lust mehr. Wollte unbedingt arbeiten, weil auch das mir verdammt gut tat. Also kiffte ich täglich abends knapp 0,5g, was mir auch bis zum nächsten Tag völlig genügte. Ich konnte arbeiten, eigenes Geld verdienen, meiner Tochter und mir ein gutes Leben ermöglichen. Ich zahlte Steuern etc. Alles lief perfekt. Beförderung stand an. Mein Arbeitgeber wusste von meinem Konsum. Ich hab mich seit der Wiederaufnahme der Arbeitaufnahme zum positiven entwickelt. War gesellschaftsfähig etc. Bis vor… Weiterlesen »

Maximilian Plenert
8 Jahre zuvor
Sandja
7 Jahre zuvor

Hallo, bin durch googeln auf diese Seite gekommen, eigentlich suchte ich nach Behandlungsmöglichkeiten spastischer Probleme (möchte einem Freund helfen geeignete Therapien zu finden) und bin nun in diesem “Hanfjournal” gelandet…bei mir wurde vor ca 10 Jahren (“Zweifelsohne” rief der Psychiater und verschrieb mir gleich für 1 Monat Ritalin….) ADHS festgestellt und da gingen mir für viele Probleme die ich mir durch meine Unkonzentriertheit und Impulsivität und Disziplinlosigkeit eingehandelt hatte, die Augen auf…ich nahm das Ritalin nach Vorschrift und führte Tagebuch über die Wirkung und kam zu dem Schluß, trotz positiver Wirkung ohne chemische Medikamente leben zu wollen, ich habe mich für einen Arbeitsplatz entschieden, der wohl weit unter meinen intellektuellen Möglichkeiten liegt und mir keinen Raum für Engagement (falle eh… Weiterlesen »

Vivian
1 Jahr zuvor

Was passiert eigentlich wenn mann die Tablette genommen hat und ein paar stunden später an einen joint zieht