Montag, 12. Januar 2015

Woher der Sound kommt – Part III

Die moderne Club-Kultur und ihre Wurzeln in Jamaika

 

von Martin Winkler und Jakob Löckner

 

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ProtojeDas Shalamanda Sound System aus Wien hat zusammen mit Martin Winkler und Jakob Löckner die Geschichte jamaikanischer Soundsystems recherchiert und sie auf dem diesjährigen Rise ‘n Shine Festival im österreichischen Falkenstein als Ausstellung präsentiert. Unsere Redaktion war ob der akribischen Arbeit begeistert und hat sich entschieden, diese Ausstellung als dreiteiligen Artikel im Hanf Journal zu präsentieren. Big Up nach Wien und viel Spaß beim Lesen des dritten Teils!

 

 

1985-2000 Die Soundsystemkultur erobert Europa

 

UK Dub & Steppers / King Shiloh / Japhet Sound / Dandelion Soundsystem / Shalamanda HiFi

 

King Shiloh Soundsystem Stack
King Shiloh Soundsystem Stack

 

In den späten 1980ern wuchs die Dub-Soundsystemszene in England weiter an und ging mit der Zeit: Es entwickelten sich neue Untergenres des Dub UK Dub & Steppers. Bekannte VertreterInnen, welche ebenso einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung der Musik und Szene haben, sind unter anderem: The Disciples, Keety Roots, Iration Steppers und Bush Chemists. In den folgenden Jahren breitete sich die Dub-Soundsystemszene auf das restliche Europa aus. Bekannteste VertreterInnen auf dem europäischen Festland sind hierbei „King Shiloh“, die seit 1991 in den Niederlanden sowie in ganz Europa aktiv sind. Vor allem Frankreich und Italien sind für ihre große Dub-Soundsystemszene bekannt. Soundsysteme wie „Moa Anbessa“ (IT) oder „Blackboard Jungle“ (FR) sind seit der Jahrtausendwende aktiv und waren Inspirationsquelle für viele Weitere. 1994 wurde das erste deutschsprachige Dub-Soundsystem gegründet – Japhet Sound in Bayern. Davon inspiriert folgte im Jahr 2000 mit Dandelion ein weiteres bayrisches Soundsystem, das wiederum Inspirationsquelle für viele weitere neue Soundsysteme war und ist. So zum Beispiel auch für das 2006 gegründete, erste österreichische Dub-Soundsystem Shalamanda Hifi , dass seitdem in Österreich Roots Music auf eine ganz neue Art und Weise der Masse näher bringt. Mit dem Rise & Shine Festival schufen sie mit dutzenden freiwilligen Unterstützern und Musikliebhabern eine Plattform, um Soundsystemkultur und Rastafari in Österreich zu verbreiten. In Berlin hat sich rund um das Irieland-Netzwerk mit AlDubb, MrGlue, Roots Rakete, Lion’s Den oder King David Sound auch eine rege Soundsystem-Kultur entwickelt.

 

 

Seit 1970 Dub Poetry

 

Mutabaruka / Linton Kwesi Johnson / Levi Tafari

 

Soundsystems
Linton Kwesi Johnson live 1980

 

 

Dub Poetry ist eine Form von Poesie-Performance zu Reggae-Beats, die in den 70ern in Jamaika entstand und einen starken zeitgenössischen Bezug aufweist. Dub Poetry ist dem Toasting sehr ähnlich. Der Unterschied liegt darin, dass die Gedichte im Vorhinein auf einen bestimmten Riddim vorbereitet und anschließend live performt werden, wobei die Stimme nicht rhythmisierend auf den Beat abgestimmt wird. Es handelt sich meist um stark kulturelle, sozialkritische aber auch historische Texte mit Bezug zur schwarzen Bevölkerung. Bekannteste VertreterInnen sind hier zum Beispiel Linton Kwesi Johnson (JAM/UK), Mutabaruka (JAM), Bejamin Zephaniah (UK) und Levi Tafari (UK). Linton Kwesi Johnson ist 1952 in Jamaika geboren und als Kind mit seinen Eltern nach England emigriert. Er studierte Soziologie und war später auch als Vortragender und Lehrender tätig. 1978 wurde sein erstes Album „Dread, Beat and Blood“ veröffentlicht. 1981 gründete er sein eigenes Plattenlabel LKJ Records, welches weltweit bekannt wurde. Johnson arbeitete unter anderem auch mit Dennis Bovell zusammen und war Inspiration für viele jamaikanische und britische Dub-Poeten, darunter auch Mutabaruka. Mutabaruka aka Allan Hope wurde 1952 in Jamaika geboren und ist heute ein weltweit bekannter Dub-Poet. Schon in seiner Kindheit schrieb er Gedichte. 1971 wurden seine ersten Poems im jamaikanischen Magazin Swing veröffentlicht und sorgten schnell für Aufsehen. Die Gedichte griffen offen wirtschaftliche und soziale Themen auf und waren zusätzlich in Patois – dem jamaikanischen Dialekt – geschrieben, was bis zu diesem Zeitpunkt als ungeeignet für Lyrik galt. 1983 veröffentlichte er sein Debüt-Album Check-It. Seine Gedichte findet man in Zeitungen, im Fernsehen, in Universitätsvorlesungen sowie weltweit auf verschiedenen Bühnen.

 

 

1970-1995 Dancehall

 

Downbeat the Ruler / Bass Odyssey Mighty Crown / Pow Pow Movement / Mickey Kodak / Sounds Good Vibration

 

Musikvideodreh mit Daggering Szene
Musikvideodreh mit Daggering Szene

 

Nachdem weitere Generationen jamaikanischer Soundsysteme wie „Bass Odyssey“ oder New Yorker Legenden wie „Downbeat the Ruler“ die Soundsystemkultur auch außerhalb Jamaikas etablierten, sprangen nun auch die Vereinigten Staaten auf den Dancehall-Zug auf. Dancehall beginnt sich global weiterzuentwickeln. In den kommenden beiden Jahrzehnten entstehen weltweite Netzwerke aus Sounds von Japan bis Europa, die diesen neuen Vibe und seine Kultur in ihrer Heimat leben und weitergeben. Doch das Soundsystem als fester Bestandteil eines Sounds verschwindet mit dieser Entwicklung sukzessive. Grund dafür ist unter anderem die Tatsache, dass der Großteil der globalen Klubkultur sich in Discotheken entwickelte und hier meist eine entsprechende PA bereits vorhanden war. Der Fokus eines Sounds verschob sich zunehmend darauf, die neuesten Tunes spielen zu können sowie exklusive Dubplates und Specials zu erwerben. Anstelle der Besonderheit und Power der jeweiligen Anlage, fokussierte sich somit der Soundclash zunehmend auf die Tiefe der jeweiligen Dubplatebox. So entwickelte sich ein Wettstreit der kreativsten und exklusivsten Dubplates.

 

Ebenso verschwanden Roots und Foundation Tunes fast komplett aus den Sets der Soundboys. Nur der neue Dancehall wird propagiert und im Juggling relativ schnell und kurz aufeinander folgend gemixt, sowie mit „Pull Ups“ und „One Shot“ Samples abgefeuert. Die Texte bestehen kaum mehr aus politischen conscious Messages, sondern es werden bevorzugt die Themen Gewalt, Waffen, Frauen und Ganja besungen. Nach den 1990er Artists wie Shabba, Bounty Killer und Lexxus kam es im neuen Millennium zu einem neuerlichen Anstieg an „Slackness“-Lyrics von aktuellen KünstlerInnen wie Vybz Kartel, Mavado, Tifa, Spice oder Tommy Lee. Parallel dazu wurden positive Messages und die Ablehnung des babylonischen Systems von Künstlern wie Capleton, Sizzla oder Luciano propagiert, diese Tunes fanden jedoch immer seltener den Weg in die Dancehall.

 

 

Seit 2011 Roots Reggae Revival

 

Jah9 / Chronixx / Protoje / Kabaka Pyramid / Iba Mahr / Raging Fyah

 

Chronixx mit Protoje
Chronixx mit Protoje

 

Anfang 2010, zu einem Zeitpunkt wo man Conscious-und Roots-Reggae in Jamaica tiefer als Six Foot Deep begraben glaubte und sogar Dancehall den Bach runter zu gehen schien, tauchte eine neue Bewegung auf der (YouTube-) Bildfläche auf. Bereits in den Jahren zuvor war schon ein kleiner Lichtblick zu spüren, als Dean Fraser mit seiner atemberaubenden Black Soil Band die Sänger Tarrus Riley und Duane Stephenson backte. Auch der blutjunge Romain Virgo brachte mit seiner Engelstimme die Vibes von Alton Ellis und Sugar Minott zurück. Chronixx, Jah9, Protoje & Kabaka Pyramid und Bands wie Raging Fyah bringen den Vibe der 70er zurück. Gekleidet wie Bob Marley und Jacob Miller, mit rot-gelb-grünen Flaggen und vor allem gut gelaunt (im Gegensatz zu den oft grimmig und ernst schauenden Dancehall-Stars), tritt das neue Roots Reggae Revival Movement in die Öffentlichkeit und sorgt vielleicht nicht unbedingt innerhalb Jamaicas, aber umso mehr in Europa und im Internet für Aufsehen. Mit positiver aber kritischer Weltanschauung und der Lebensphilosophie der Rastas, ist diese Entwicklung mitunter das positivste, was dem Reggae seit Jahrzehnten passierte.

 

 

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