Dienstag, 2. Juli 2013

HANFPARADE

Erfolgreich gegen Versammlungsbehörde
Autor: Hanfparade-Orga-Team

Hanfparade-Orga-Team

Die Hanfparade ist im Rechtsstreit mit der Versammlungsbehörde Berlin siegreich gewesen. Die Hanfparade 2011 inklusive Abschlusskundgebung wäre von der Versammlungsfreiheit geschützt gewesen. Dies ist ein gutes Zeichen für Demonstrationskultur in der Hauptstadt.
Die Tatsache, dass der Leiter der Versammlungsbehörde, Joachim Haß, am 14. Juli 2011 in seinem Ablehnungsbescheid große Teile der Abschlusskundgebung der Hanfparade 2011 als nicht konform mit dem Versammlungsgesetz klassifizierte und dies mit einem vom Bundesverwaltungsgericht am 16. Mai 2007 aufgehobenen Urteil (BVerwG 6 C 23.06 betreffend Fuckparade gegen Versammlungsbehörde Berlin) begründete, löste nicht nur im Kreise der Freunde der Hanfparade Empörung aus. Dies vor allem, weil die Versammlungsbehörde von Berlin als Beklagte an diesem Verfahren beteiligt war. Der Leiter der Versammlungsbehörde, Joachim Haß, wusste als Prozessbeteiligter also genau, dass das von ihm angeführte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 2.Mai 2006 (OVG 1 B 4.05) aufgehoben worden war.
Auch die Tatsache, dass Joachim Haß oder eine andere zuständige Person der Versammlungsbehörde für die Veranstalter der Hanfparade 2011 nach der Erteilung des Ablehnungsbescheides nicht zu sprechen waren, löste ebenso Befremden aus. Und nicht zuletzt die Tatsache, dass das Schnellgericht am Samstag der Hanfparade 2011 trotz dieser Umstände den Bescheid der Versammlungsbehörde nicht aufgehoben hat, löste vor allem bei Juristen Bestürzung aus, vor allem auch, weil bekannt wurde, dass das Gericht und die Versammlungsbehörde in ständigen Kontakt standen bei der Findung der Entscheidung. Hier wurden offenbar in verschiedener Hinsicht rechtsstaatliche Prinzipien gebrochen. Es sollte wohl eine politisch opportune Entscheidung gefällt werden.

Mit seiner am 21. Oktober 2011 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage verfolgte der Kläger (die Hanfparade) sein Begehren weiter. Ob eine Versammlung vorliege, richte sich bei gemischten Veranstaltungen nach dem Gesamtgepräge der Veranstaltung, das durch Gegenüberstellung der meinungsbildenden Elemente und der Elemente, die diesem Zweck nicht zugerechnet werden können, zu ermitteln sei. Bereits die getrennte Behandlung der Abschlusskundgebung sei deshalb problematisch. Jedenfalls habe auch die Abschlusskundgebung mit ihren Bestandteilen auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gezielt. Dies gelte auch für den „Hanfmarkt der Möglichkeiten“, durch den Hersteller und Händler von Hanfprodukten über Möglichkeiten hätten informieren sollen, welchen Restriktionen sie aufgrund der bestehenden Kriminalisierung ausgesetzt seien. Sämtliche Veranstaltungsteile seien – auch aus der maßgeblichen Sicht eines unbefangenen Dritten – auf Information und Präsentation angelegt gewesen mit dem Zweck, den Teilnehmern eine umfassende Wissensbasis zur Bildung ihrer politischen Meinung zu vermitteln. Dies gelte umso mehr, als es sich um die Abschlusskundgebung zu einer klassischen Demonstration gehandelt habe. Dass die Veranstaltung über Sponsoren habe finanziert werden müsse, ändere nichts an der Qualifizierung als Versammlung, da Versammlungen zwangsläufig finanziert werden müssten.
Alle, denen angesichts der weitgehend leeren Abschlusskundgebung der Hanfparade 2011 (ohne Hanfmarkt der Möglichkeiten und ohne Forum für Hanfmedizin) die Tränen in den Augen standen, sollten den 11. Dezember 2012 nachträglich als Tag der Freude im Kalender markieren. An diesem Dienstag entschied das Verwaltungsgericht Berlin nämlich über die Klage der Hanfparademacher gegen die Berliner Versammlungsbehörde – und verwarf das 2011 ausgesprochene Verbot weiter Teile der Hanfparade als rechtswidrig. Die Widerspruchsfrist ist inzwischen lange abgelaufen, in welcher die Versammlungsbehörde in die nächste Instanz hätte gehen können.

In dem Urteil vom 11. Dezember 2012 heißt es: „Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass der Bescheid vom 14. Juli 2011 insoweit rechtswidrig war, als darin festgestellt wird, dass die Abschlussveranstaltung der „Hanfparade 2011“ ab dem Eintreffen des Umzuges am Ort der Abschlussveranstaltung keine Versammlung ist.“
Dazu erklärt Martin Steldinger vom Verein JaKiS e.V., dem Organisationsteam der Hanfparade: „Wir sehen den 11. Dezember als einen großen Tag für die Versammlungskultur in der Hauptstadt, weil das Urteil zeigt, dass das restriktive Vorgehen der Berliner Polizei gegen politisch unerwünschte Demonstrationen allzu oft rechtswidrig ist. Interessanterweise bedarf es immer wieder entsprechender Erinnerungen seitens der Gerichte.“
Die Versammlungsbehörde der Hauptstadt steht seit langem wegen vermeintlicher Willkür bei Entscheidungen über den Versammlungscharakter in der Kritik. Bereits Anfang des Jahrtausends beschäftigten der Behördenleiter Herr Joachim Haß und seine Mitarbeiter die Gerichte. Ganze elf Instanzen und gut sechs Jahre benötigten allein die Organisatoren der Fuckparade, um zu ihrem Recht zu kommen. Erst das Bundesverwaltungsgericht konnte die übereifrige Berliner Polizei davon überzeugen, dass Musik sehr wohl zur politischen Willensbildung beitragen kann. Auf das damals erstrittene Urteil „Fuckparadeurteil“ stützt sich auch die Entscheidung in Sachen Hanfparade 2011.
„Volksfeste und Vergnügungsveranstaltungen ebenso wie Veranstaltungen, die der bloßen Zurschaustellung eines Lebensgefühls dienen oder die als eine auf Unterhaltung ausgerichtete öffentliche Massenparty gedacht sind, fallen allerdings nicht unter den Versammlungsbegriff. Hingegen erstreckt sich der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit auch auf solche Veranstaltungen, die ihre kommunikativen Zwecke unter Einsatz von Musik oder auch Tanz verwirklichen, wenn diese Mittel zur kommunikativen Entfaltung mit dem Ziel eingesetzt werden, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken“ (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 —6 C 23/0).

Der politische Charakter musikalisch präsentierter Inhalte war dabei jedoch nicht der einzige Streitpunkt. Die Versammlungsbehörde hatte die Hanfparade in ihrem Bescheid in viele kleine Stücke zerlegt und quasi jeden Stein einzeln nach seinem Versammlungscharakter befragt. Dieser Erbsenzählerei schob das Gericht nun einen Riegel vor und berief sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2001:
„Enthält eine Veranstaltung – wie vorliegend die „Hanfparade 2011“ – sowohl Elemente, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob diese „gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung“ ist. Bleiben insoweit Zweifel, so bewirkt der hohe Rang der Versammlungsfreiheit, dass die Veranstaltung wie eine Versammlung behandelt wird.“ (BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 2001 – 1 BvQ 28/01).
Wieder, so stellt das Gericht in seinem Urteil fest, war die Rechtslage eindeutig und das Verhalten der Behörde eindeutig rechtswidrig.
„Die […] vorzunehmende Gesamtschau führt zu einem Überwiegen der auf Meinungskundgabe und -äußerung gerichteten Elemente. Prägend für die „Hanfparade 2011“, einschließlich der Abschlussveranstaltung, war die kollektive Meinungsbildung und -äußerung. […] Die Forderung nach einer Legalisierung von Cannabis, wie sie insbesondere auf den Bühnen und Paradewagen und an den Informationsständen artikuliert werden sollte, wäre als dominierend angesehen worden.“ (VG 1 K 354.11)
Die Macher der Hanfparade sehen den Erfolg vor Gericht nicht nur als Wiedergutmachung gewesenen Unrechts. Vielmehr sei das Urteil „für moderne Versammlungsformen wegweisend.“ Martin Steldinger empfiehlt es deshalb allen Demomachern dringend zur Lektüre. „Der Versammlungsbehörde wurden (wieder einmal) ihre Grenzen aufgezeigt. Es liegt an uns, die erstrittenen Freiräume zu nutzen.“
Profitieren soll nicht zuletzt die nächste Hanfparade, die am 10. August unter dem Motto „Meine Wahl – Hanf legal!“ in Berlin stattfinden wird. Dann auch mit umfangreicher Abschlusskundgebung.

Quellen: Urteil VG 1 K 354.11 – Hanfparade vs. Versammlungsbehörde Berlin

EXKURS IM RECHT

Zur Frage, wie die Beurteilung einer „gemischten“ Veranstaltung erfolgen muss, hat das Bundesverwaltungsgericht Folgendes ausgeführt (Urteil vom 16. Mai 2007 — 6 C 23/06):
„Die Beurteilung, ob eine ‚gemischte‘ Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung darstellt, ist im Wege einer Gesamtschau aller relevanten tatsächlichen Umstände vorzunehmen. Das besondere Gewicht, das die Verfassung der Versammlungsfrei­heit beimisst, gebietet, dass alle wesentlichen Umstände in die Beurteilung einbezogen und ihrer Bedeutung entsprechend gewürdigt werden. Wird dem nicht Rechnung getragen, erweist sich die Beurteilung als rechtsfehlerhaft, weil sie nicht den Vorgaben des Art. 8 Abs. 1 GG entspricht. Die Gesamtschau hat in mehreren Schritten zu erfolgen. Zunächst sind alle diejenigen Modalitäten der geplanten Veranstaltung zu erfassen, die auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zielen. Zu vernachlässigen sind solche Anliegen und die ihrer Umsetzung dienenden Elemente, bei denen erkennbar ist, dass mit ihnen nicht ernsthaft die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung bezweckt wird, die mithin nur vorgeschoben sind, um den Schutz der Versammlungsfreiheit beanspruchen zu können. Bei der Ausklammerung von an sich auf die Meinungsbildung gerichteten Elementen unter Hinweis auf die mangelnde Ernsthaftigkeit des Anliegens ist mit Blick auf die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit Zurückhaltung zu üben und ein strenger Maßstab anzulegen. In die Betrachtung einzubeziehen sind nur Elemente der geplanten Veranstaltung, die sich aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters als auf die Teilhabe an der Meinungsbildung gerichtet darstellen. Abzustellen ist in erster Linie auf einen Außenstehenden, der sich zum Zeitpunkt der Veranstaltung an ihrem Ort befindet. Auf diesen Betrachter kommt es deshalb in erster Linie an, weil eine Versammlung vorrangig durch ihre Präsenz an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf die öffentliche Meinung einwirken will. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist aber die Betrachtung nicht auf solche Umstände beschränkt. Es können auch Umstände von Bedeutung sein, die nicht von einem Außenstehenden ‚vor Ort‘ wahrgenommen werden können. So liegt es etwa, wenn im Rahmen von den Veranstaltern zurechenbaren öffentlichen Äußerungen im Vorfeld der Veranstaltung zum Ausdruck gebracht wird, dass mit der Veranstaltung auf die öffentliche Meinungsbildung eingewirkt werden soll, diesen Äußerungen die Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden kann und sie von einem durchschnittlichen Betrachter wahrgenommen werden können. Solche Äußerungen sind jedenfalls dann von Relevanz, wenn bei der geplanten Veranstaltung selbst Elemente der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung für einen Außenstehenden erkennbar gewesen wären. In diesem Fall erweisen sich die Äußerungen im Vorfeld als gewichtiges Indiz dafür, dass die geplante Veranstaltung mit Ernsthaftigkeit auch auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet gewesen wäre. Im Anschluss an die Erfassung der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte sind diese ihrer Bedeutung entsprechend zu würdigen und in ihrer Gesamtheit zu gewichten.
Daran schließt sich der zweite Schritt der Gesamtschau an, bei dem die nicht auf die Meinungsbildung zielenden Modalitäten der Veranstaltung, wie etwa Tanz, Musik und Unterhaltung, zu würdigen und insgesamt zu gewichten sind. Schließlich sind – in einem dritten Schritt – die auf den ersten beiden Stufen festgestellten Gewichte der die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung betreffenden Elemente einerseits und der von diesen zu unterscheidenden Elemente andererseits zueinander in Beziehung zu setzen und aus der Sicht eines durchschnittlichen Betrachters zu vergleichen. überwiegt das Gewicht der zuerst genannten Elemente, ist die Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung. Im umgekehrten Fall genießt die Veranstaltung nicht den Schutz des Versammlungsrechts. Ist ein Übergewicht des einen oder des anderen Bereichs nicht zweifelsfrei festzustellen, ist die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln.“

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