Samstag, 1. Juni 2013

Wer nicht hören will, muss fühlen

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Autor: Sadhu Van Hemp

Anslinger mal anmalen. Archiv

Das ist der gottgegebene Grundsatz, der Vater Staat das Recht verleiht, ohne jede Gnade Vergeltung zu üben, wenn Unrecht geschieht. Diese vorsintflutliche Rechtsethik erlaubt auch in modernen Zeiten allerlei Menschenquälerei – eine davon ist der Freiheitsentzug.

In Deutschland schmoren derzeit rund 70.000 Strafgefangene hinter schwedischen Gardinen. Im internationalen Vergleich ist diese Inhaftierungsquote fast schon beschämend: Mit weniger als hundert Knackis auf 100.000 Einwohner rangiert Deutschland weit abgeschlagen auf einem der hintersten Plätze der Weltrangliste. Das ist bitter für das Mutterland der Richter und Henker, sehr bitter sogar, wenn man voller Neid anerkennen muss, dass ausgerechnet die freiheitsliebenden USA mit bald drei Millionen Strafgefangenen über ein Humankapital verfügen, das „Uncle Sam’s Prison Industry“ unschlagbar macht. „The Land of the Free“ kennt keine Kuscheljustiz – und für Strauchdiebe schon gar nicht, zumindest nicht für die mit falschem Teint. Die Hälfte der von Amts wegen unter staatliche Kuratel gestellten US-Bürger ist schwarz, und das bei einem afroamerikanischen Bevölkerungsanteil von 13 Prozent.
Einen derart ungenierten Staats-Rassismus hat Deutschland nicht nötig: Die wenigen von der Ausländerbehörde zugelassenen Afro-Germanen kommen erst gar nicht auf die Schnapsidee, sich wie Deutsche unter Deutschen zu fühlen. Das gesellschaftspolitische Ziel ist es auch nicht, die Gefängnisse mit Andersartigen vollzustopfen, sondern per Abschiebung sich des menschlichen Problems im Vorfeld zu entledigen.
Unter diesem Aspekt führt die deutsche Justiz einen Kampf gegen Windmühlen. Türken, Kommunisten und Kampfradler allein taugen nicht zum Befüllen der Zuchthäuser. Auch Steuersünder und Nazis, also jene Banditen und Brandstifter, die man wirklich guten Gewissens wegsperren könnte, eignen sich nicht für eine längere Aufbewahrung in der Kiste. Oder hat jemand die Absicht, eine Mauer um Deutschland zu errichten?
Kurzum, in der industriell organisierten Käfighaltung von Menschen können die Deutschen den blutrünstigen Blutsbrüdern jenseits des Großen Teiches nicht das Wasser reichen. Hierzulande ist der Weg in den Knast kein kurzer, sondern ein langer Prozess, der mit deutscher Gründlichkeit geführt wird und mit einem Urteil endet, das jeder Überprüfung durch eine x-beliebige Menschenrechtskommission standhält.

Inwieweit das deutsche Rechtswesen nun fort- oder rückschrittlich ist, lässt sich daher nicht so leicht bestimmen. Gleichwohl, eines haben die deutschen Richter mit den amerikanischen Kollegen gemeinsam – und das ist das Einkerkern von BTM-Straftätern. Frei nach dem Motto „Wir backen uns einen Knacki“ gelingt es den deutschen Gerichten unter konsequenter Anwendung des Betäubungsmittelgesetzes, die Justizvollzugsanstalten mit tüchtig Frischfleisch zu versorgen – zur Freude jener Knastologen, die sich die Zeit damit versüßen, anderen Menschen rohe Gewalt angedeihen zu lassen. Und wer bietet sich da besser an als ein suchtkranker Eierdieb?
14 Prozent der inhaftierten Straftäter brummen wegen Drogendelikten, hinzu kommen jene unzähligen „Suchtis“, die aufgrund profaner Beschaffungskriminalität einsitzen und dem Fachgebiet „Diebstahl und Unterschlagung“ (21 Prozent) zugeordnet sind. Nach Adam Riese ist jeder fünfte Gitterkundler in Deutschland ein „Gustl Mollath“ des Anti-Drogen-Krieges. So etwas müsste zu denken geben und Zweifel nähren. Doch weit gefehlt! Deutsche Richter und Staatsanwälte kennen kein Pardon mit dem Hanffreund, der sich seine bescheidene Hütte mit ein paar Pflanzen teilt. Von Flensburg bis Passau herrscht in der Richterschaft Einigkeit darüber, dem Gesetzgeber blind zu gehorchen und dem Betäubungsmittelgesetz gewissenlos Geltung zu verschaffen. Und das legitimiert durch Volkes Wille, der sich jeden Tag in der Berichterstattung der Tendenzmedien widerspiegelt.

Blickt man auf die Prohibitionsuhr des „Deutschen Hanf Verband“, dann werden deutsche Gerichte bis Jahresmitte weit über zehntausend Haftjahre verhängt haben – und das ausschließlich wegen des Umgangs mit illegalen psychoaktiven Substanzen. Das ist schon eine stramme Leistung des deutschen Rechtsstaates, in dem die Volksdroge Nr. 1, der legale Alkohol, den wohl größten gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Schaden anrichtet. Jede dritte Gewalttat geschieht unter Alkoholeinfluss. Doch wer im Suff seinem Nachbarn irrtümlich die Bierpulle auf die Rübe haut, Frau und Kind versehentlich aus dem Fenster schmeißt oder mit seinem Auto eine Oma auf dem Zebrastreifen asphaltiert, der muss sich noch lange nicht vor dem Kadi fürchten: Der angeklagte Alkoholsünder steht zumeist vor seinesgleichen, und der urteilt so, als wäre er selbst der Adressat.

Moral, Gleichheit, Gerechtigkeit … pah! Von Seiten der Justiz ist keine Gnade für diejenigen zu erwarten, die statt Hopfen Hanf anbauen oder Haschisch statt Schnaps bevorraten. Täglich klicken in den Gerichtsälen die Handschellen zum sofortigen Haftantritt. Und ab geht’s in die Justizvollzugsanstalt, wo der BTM’ler fortan auf dem Schoß eines Sexualstraftäters sitzt, der spannende Gute-Nacht-Geschichten aus seinem erfüllten Liebesleben zu erzählen hat. Dieser All-Inclusive-Abenteuerurlaub für Kiffer und Suchtkranke kostet den Steuerzahler täglich annähernd hundert Euro pro Nase – mit dem Ergebnis, dass die, die sich nicht am Bettpfosten aufknüpfen, eine Macke fürs Leben davontragen.
Über Sinn und Unsinn, Menschen überhaupt wie Tiere in Käfige zu sperren, lässt sich wirklich nicht viel lamentieren: Zwar wird der Wunsch der Gemeinschaft nach „Wiedergutmachung“ erfüllt, doch letztlich ist Knast nur die süße Rache am Bösewicht, die, je länger sie genossen wird, umso bitterer schmeckt. Besonders im Jugendstrafvollzug äußerst sich etwas zutiefst Unmenschliches, wenn voll im Saft stehende junge Männer wie Primaten im Zoo gehalten werden, mit der Folge, dass viele arme Teufel einen Hospitalismus vom Feinsten entwickeln und nicht mehr freiheitstauglich sind.

Nun wäre es aber ungerecht, den deutschen Strafvollzug als solchen schlechter zu machen, als er ist. Man gibt sich ja Mühe, und die, die das System am Laufen halten, haben kein Interesse, ihre Einkunftsquelle mit Negativ-Schlagzeilen zu gefährden. Eine Debatte um den allemal perfekt funktionierenden Strafvollzug würde nur jene unliebsamen Geister wecken, die das Zuschussgeschäft dem Steuerzahler nicht länger zumuten wollen. Längst wabert in den hohlen Köpfen der Politfuzzis die Frage: Warum nicht die landeseigenen Immobilien samt Inhalt nach amerikanischem Muster an die Amigos der Privatwirtschaft verscheuern?
Noch ist dieses Geschäftsmodell Zukunftsmusik in den Ohren derer, die um die ungeheuerliche Ressource der ungenutzten Manpower wissen. Doch peu à peu werden die Weichen für einen gewinnbringenden Strafvollzug gestellt – wie in Deutschlands neuestem und modernstem Knast: Idyllisch gelegen vor den Toren Berlins hat im April die JVA Heidering erstmals ihre Pforten geschlossen. Rund 600 Strafgefangene, zumeist aus der JVA Tegel deportiert, haben dort ein neues Zuhause gefunden, das keine Wünsche offen lässt. Vorbei die Zeiten, als der Tütenkleber noch auf seiner Zelle Tüten kleben musste.
Luftbilder des 155.000 m² großen Areals zeigen drei baugleiche Teilanstalten mit dazugehörigen Werkhallen und genügend Baugrund für einen zukünftigen Industriepark außerhalb der Gefängnismauern. Doch der Clou der Straffabrik ist die Architektur der Anstaltsgebäude. Zwar erinnert der Grundriss der einzelnen Trakte noch ein bisschen an den guten alten Sternbau, doch viel Glas und eine dreihundert Meter lange lichtdurchflutete Magistrale, von der die jeweiligen Wohneinheiten und Gänge zu den Werkstätten abgehen, vermitteln den Eindruck, es handele sich um ein Habitat und Arbeitsmodul der ersten Marssiedler. Die Sträflinge haben volle (videoüberwachte) Bewegungsfreiheit, ohne ständiges Durchschließen und körpernahe Bewachung durch die Justizvollzugsangestellten. Fehlen nur noch Fast-Food-Buden und ein Fickfilmkino, und die Unfreiheit unterscheidet sich nicht mehr von der Freiheit.
Nur noch ein Wunsch liest sich aus den Augen der glückseligen Arbeitssklaven, und das ist der nach sexueller Erfüllung. Doch dieser Traum wird ein Traum bleiben, so lange Frauen ihre kriminellen Phantasien nicht ausleben.
Gerade einmal fünf Prozent des holden weiblichen Geschlechts kommen in den Genuss eines Gefängnisaufenthaltes. Das ist ungerecht! Und ein Skandal! Frau Schwarzer, übernehmen Sie! Eine Frauenquote in deutschen Knästen ist längst überfällig.
Müsste nur noch der passende Straftatbestand ausgedacht werden – zum Beispiel der Konsum von Ingwer-Bier oder der Besitz von mehr als ein Paar Schuhen zum Eigenbedarf.

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