Dienstag, 16. April 2013

Homegrower viel besser als ihr Ruf

Das Centre for Drug Research braucht Eure Hilfe

Das Bild, das Politik und Medien über Homegrower vermitteln ist extrem verzerrt. Kleinste Anlagen zur Selbstversorgung werden zu professionellen „Hasch-Plantagen“ umgedichtet, eine WG mit einem gemeinschaftlichen Indoor-Garten wird schnell mal zur Drogendealer-Bande, weil sie ihre drei Lampen zusammen in eine Box gehangen haben. Eigentlich gibt es in Deutschland laut Gesetz gar keine kleinen Selbstversorger, denn die „Geringe Menge-Regelung“ sieht nicht das kleinste Schlupfloch für die Kiffer vor, die es sich selbst machen.

Sogar Kleinstgärtner müssen sich vor Gericht aufgrund des Besitzes von ein oder zwei Pflanzen verantworten, weil schon der kleinste Grow mehr abwirft, als die Geringe Menge des jeweiligen Bundeslandes es zulässt. Der Besitz einer Platte, also von 100 Gramm schlechten, gestreckten Strassenhaschs, wird weniger hart bestraft, als der Besitz von zwei gut gewachsenen Cannabispflanzen, weil das mit Dreck versetzte Hasch aufgrund des geringen Reinheitsgrades weniger THC enthält als die saubere Eigenzucht aus dem Schrank. Was beim Alkohol bestraft wird, wird beim Drogenhandel vom Gesetzgeber belohnt: Die Beimischung von Streckmitteln.

Doch seit selbst Cannabis massiv gestreckt wird, hat die Anzahl der kleinen Selbstversorger drastisch zugenommen, ihre rechtliche Stellung sowie die öffentliche Meinung über den Indoor-Anbau hingegen sind unverändert schlecht. Das kann sich nur ändern, indem die geschundene Gilde der illegalisierten Selbstversorger selbst dafür sorgt, nicht mehr als die Hilfsgärtner von Ostblock-Mafia oder Hells Angels wahrgenommen zu werden, sondern als das, was sie eigentlich sind: harmlose Selbstversorger ohne kriminelle Energie. Doch das geht nicht von selbst.

Das Centre for Drug Research an der Uni Frankfurt führt zur Zeit eine anonyme Umfrage durch, die ein realistischeres Bild der Homegrowing-Kultur 2013 vermitteln soll als das, was zur Zeit durch Medien und Parlamente geistert. Diese Umfrage könnte langfristig dazu beitragen, die öffentliche Meinung über die Heimlich-Gärtnerei ins rechte Licht zu rücken.

Das Centre for Drug Research in Frankfurt/Main

Das Hanf Journal berichtet regelmäßig über die Forschungsergebnisse des Centre for Drug Research an der Universität Frankfurt. Es wurde 2001 u.a. von Prof. Dr. Henner Hess und Dr. Bernd Werse als Einrichtung der sozialwissenschaftlichen Drogenforschung gegründet und ist dem Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung der Goethe-Universität Frankfurt/Main angegliedert.
Das Zentrum verknüpft empirische Forschung mit akademischer Lehre und finanziert sich ausschließlich über Drittmittel. Während sich Professor Hess mittlerweile im Ruhestand befindet, ist Dr. Bernd Werse ein viel gefragter Experte, dessen Forschungsergebnisse zu Legal Highs bundesweit für Aufklärung sowie Aufsehen sorgten.
Sein Institut hatte 2009 die erste Pilotstudie zu Spice und anderen Räuchermischungen durchgeführt. Seitdem wird Werse nicht müde, die Bundesregierung auf Grundlage seiner Forschungsergebnisse vor genau der rigiden Verbotspolitik zu warnen, die den Konsumenten Monat für Monat neue, künstliche und brandgefährliche Drogen beschert.

 

Interview mit Dr. Bernd Werse

HaJo: Hallo Herr Dr. Werse

Dr. Werse: Hallo.

HaJo: Mit dem Global Cannabis Cultivation Survey (GCCS) ist die weltweit erste Internet- Umfrage zum privaten Cannabisanbau online. Die erste Frage, die sich unsere Leser/innen stellen werden: Wie sicher ist die Umfrage für Grower?

Dr. Werse: Die Befragung ist absolut sicher: sie wird über einen sicheren Server durchgeführt und es werden weder IP-Adressen noch sonst irgendwelche identifizierbaren Informationen gespeichert. Aufgrund dieser Anonymität hätte auch beim fiktiven Fall, dass die Polizei unsere Daten durchsuchen wollte (was ohnehin einen ziemlichen Skandal in der deutschen Forschungslandschaft darstellen würde) keiner der Befragten irgendetwas zu befürchten.

HaJo: Was passiert mit den Daten, nachdem der Fragebogen ausgefüllt wurde?

Dr. Werse: Zum einen werden wir selbst diverse Auswertungen für Deutschland, Österreich und die Schweiz durchführen, zum anderen wird ein Teil der Datei mit denjenigen aus den anderen GCCS-Ländern zusammengefügt, um international vergleichende Analysen durchzuführen. Es wird ein Forschungsbericht sowie möglichst viele Fachartikel auf Basis der Resultate erstellt.

HaJo: Wie viele Fragen umfasst die GCCS?

Global Cannabis Cultivation Survey (GCCS)

Diese Umfrage wurde entwickelt, um nähere Umstände des Cannabisanbaus und unterschiedliche Arten von Growern zu erforschen. Ziel der Befragung ist es unter anderem, gängige negative Stereotype hinsichtlich des Cannabis-Anbaus in Frage zu stellen. In der Öffentlichkeit existiert üblicherweise eine ausgesprochen unrealistische Sichtweise über Menschen, die Cannabis anbauen. Das CDR möchte, dass Ihr dazu beitragt, dieses Bild gerade zu rücken, indem Ihr den Online-Fragebogen unter „https://limesurvey.uni-frankfurt.de/limesurvey“ ausfüllt.
Die Studie ist Teil einer internationalen Zusammenarbeit von Forschungsprojekten aus Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, Finnland, Dänemark, den USA, Kanada, Australien, Neuseeland und anderen Teilen der Welt. Im Rahmen des Global Cannabis Cultivation Survey (GCCS) werden Cannabis-Grower anonym über das Internet zu ihrem Hobby befragt. Der Fragebogen basiert größtenteils auf dem ICCQ (International Cannabis Cultivation Questionnaire), der durch Mitglieder des „Global Cannabis Cultivation Research Consortium“ (GCCRC) entwickelt wurde. Ergebnisse der deutschsprachigen Erhebung werden in eine vergleichende Analyse der internationalen Daten mit einbezogen. Mehr Infos zur Umfrage und zur Studie findet Ihr unter www.worldwideweed.nl

Dr. Werse: Insgesamt sind 52 Fragen enthalten, die aber in den seltensten Fällen alle ausgefüllt werden müssen: einige erscheinen erst, wenn entsprechende Fragen zuvor positiv beantwortet wurden. So wird z.B. wenn jemand aus medizinischen Gründen anbaut oder wenn jemand schon einmal rechtliche Probleme mit dem Hanfanbau hatte, jeweils nach näheren Umständen gefragt.

HaJo: Zu welchen Themenbereichen werden die Teilnehmenden im Zusammenhang mit ihrem Grow befragt?

Dr. Werse: Was das Growen selbst betrifft, so geht es um das generelle Ausmaß der bisherigen Erfahrungen, die Anbaumethode und den Umfang, die Motive sowie negative Begleiterscheinungen und was mit der erzeugten Ware gemacht wird (Eigenkonsum, Weitergabe/ Teilen, Handel). Darüber hinaus wird nach eigenem Drogenkonsum sowie Erfahrungen mit der Staatsgewalt gefragt.

HaJo: Kann man auch einzelne Fragen auslassen, falls man zu einer bestimmten Thematik lieber keine Angaben machen möchte?

Dr. Werse: Abgesehen von den Eingangsfragen, die sich auf die Zugangskriterien beziehen, kann man bei jeder Frage entweder „Möchte nicht antworten“ angeben oder die Frage überspringen.

HaJo: Sind Details wie persönliche Erfahrungen wie Anbautechniken oder Sorten auch von Interesse oder geht es eher um nackte Zahlen?

Dr. Werse: In gewissem Maße interessieren uns auch diese Fragen, wobei z.B. zwar danach gefragt wird, an welchen Orten Outdoor-Anbau betrieben wird (Garten, Waldlichtung, Feld etc.), aber nicht danach, welche Lampen Indoor-Anbauer benutzen oder ob sie eher größere Einzelpflanzen oder mit der „sea of green“-Methode anbauen. Für die Sorten wie auch für einige andere Themen haben wir offene Fragen bzw. „Sonstige“-Felder eingebaut, für deren Auswertung wir uns interessante Erkenntnisse erhoffen.

HaJo: Wie ist das Echo bislang?

Dr. Werse: Zu Beginn der Befragung Ende November hat uns die Resonanz (vor allem dank der Verbreitung durch den DHV und das Hanfjournal) selbst geradezu überwältigt: so waren z.B. nach 48 Stunden schon über 500 Online-Fragebögen komplett ausgefüllt. Seitdem ist der Zulauf (naturgemäß) stark zurückgegangen, aber im Vergleich zu den meisten anderen teilnehmenden Staaten stehen wir ziemlich gut da. Nichtsdestoweniger freuen wir uns über jeden einzelnen weiteren ausgefüllten Fragebogen.

HaJo: Birgt die vorläufige Auswertung der bereits ausgefüllten Fragebögen Überraschungen, die Sie so nicht erwartet hätten?

Dr. Werse: Zwei Zwischenergebnisse kann ich schon mal vorwegnehmen: wir hatten als einziges GCCS-Land die Frage danach aufgenommen, ob das angebaute Cannabis schon mal zu etwas anderem als getrocknetem Marihuana verarbeitet wurde, also zu Hasch, Bubble-Hasch, Haschöl, Cannabisbutter oder -tinktur. Hier gibt es zum Teil überraschend hohe Anteile an entsprechenden Erfahrungen. Und beim Outdoor-Anbau übersteigt die Anzahl derer, die auf Waldlichtungen, Brachflächen o.ä. anbauen, diejenige derer, die das zuhause auf dem Balkon oder im Garten bzw. Schrebergarten tun.

HaJo: Welche Voraussetzungen müssen potentielle Teilnehmende erfüllen?

Dr.Werse: Sie müssen volljährig sein, in Deutschland, Österreich oder der Schweiz wohnen und mindestens einmal im Leben Cannabis angebaut haben.

HaJo: Wie viel Zeit nimmt die Teilnahme in Anspruch?

Dr. Werse: So ungefähr 15-20 Minuten.

HaJo: Worldwideweed.net agiert als eine Art internationale Koordinationsstelle für die nationalen Umfrageergebnisse. Worum handelt es sich bei diesem internationalen Projekt?

Dr. Werse: Da hat sich vor einiger Zeit eine Gruppe von sozialwissenschaftlichen Drogenforschern zusammengetan, die sich über diverse internationale Konferenzen kennengelernt haben und beschlossen, den Hanfanbau auf internationaler Ebene zu erforschen. Wir kommunizieren über eine Mailingliste sowie ab und zu über Online-Konferenzen. Teilweise (z.B. in Belgien) wurden öffentliche Fördermittel für das Projekt aufgerissen, in den meisten Fällen (wie bei uns) aber nicht. Nächstes Jahr wird eine Sonderausgabe einer englischsprachigen Fachzeitschrift erscheinen, in der verschiedene Aspekte und Ergebnisse der Studie präsentiert werden.

HaJo: An welchen Projekten arbeitet das CDR zurzeit noch?

Dr. Werse: Aktuell läuft ein Projekt zum Thema Drogenkleinhandel, für das über 200 Einzelinterviews mit Konsumenten und Verteilern bzw. Dealern geführt wurden. Des Weiteren sind wir an einem EU-Projekt zu Verbreitung und Prävention von synthetischen Cannabinoiden bzw. „Spice-Produkten“ beteiligt und seit über zehn Jahren führen wir im Rahmen des lokalen „Monitoring-System Drogentrends“ in Frankfurt regelmäßige Befragungen unter Jugendlichen, in der Partyszene, von Experten sowie in der offenen Drogenszene durch.

HaJo: Sie gelten als ausgesprochener Experte beim Thema Legal Highs. Wie bewerten Sie die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung des Konsums von solchen Designer-Drogen?

Dr. Werse: Zum Teil sind diese Maßnahmen sicherlich in gewissem Maße erfolgreich gewesen: damit meine ich den Verkauf in Headshops, der unter Hinweis auf das AMG weitgehend von der Polizei unterbunden wurde. Da war die Schwelle für einige doch noch etwas geringer als beim Online-Handel. In Jahresabständen jeweils einen Schwung neuer psychoaktiver Substanzen zu verbieten, halte aber nicht nur ich für ein relativ aussichtsloses Unterfangen, und für Pauschalverbote fehlt einfach die juristische Grundlage. Bemerkenswert finde ich, dass die sogenannten Räuchermischungen (Cannabis-Ersatzprodukte mit z.T. unvorhersehbaren Wirkungen) anscheinend am ehesten dort konsumiert werden, wo Cannabis teuer und schwer verfügbar ist bzw. man mit besonders starker polizeilicher Verfolgung rechnen muss. Das sollte der Politik doch eigentlich zu denken geben.

HaJo: Wie kann man Konsumenten solcher Drogen am besten vor gesundheitlichen Schäden schützen? Wäre das neuseeländische Modell* ein besserer Ansatz als der zurzeit praktizierte?

Dr.Werse: Das müsste sich erst in der Praxis zeigen. Im Grunde kann bei all diesen neuen Substanzen keiner dafür garantieren, dass diese nur geringe Risiken haben, denn dafür müsste man ja eigentlich erst mal Langzeitstudien durchführen. Ich hoffe vielmehr, dass die Schwierigkeiten, die neuen psychoaktiven Substanzen unter rechtliche Kontrolle zu bringen, bei einigen Verantwortlichen zu einem generellen Umdenken bei der Drogengesetzgebung führen könnten.

Vielen Dank für das Gespräch. Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.

*In Neuseeland wurde jüngst ein Gesetz verabschiedet, das den Handel mit künstlich hergestellten Substanzen erlaubt, sofern sie, ähnlich wie Medikamente, eine Testreihe durchlaufen haben und der Hersteller im Rahmen der Tests beweisen kann, dass sie ein gering einzuschätzendes gesundheitliches Risiko bergen.

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