Donnerstag, 31. Januar 2013

Im Interview: Ganjaman

„Wir sprechen uns seit Jahren für eine Legalisierung aus.“

Ganjaman steht wie kein anderer für deutschsprachigen Reggae. Anfangs noch von Kritikern belächelt, hat er heute einen festen Platz in der Szene. Mit seinen kritischen Texten, die gleichzeitig voller Hoffnung sind, gibt er seinen Fans Kraft und das Gefühl, nicht allein dazustehen. Er gilt als Vorreiter und ermutigt andere, ihm zu folgen, um Reggae in Deutschland weiter zu verbreiten. Im Dezember erschien sein neues Album ‘Jetzt’. Da war es höchste Zeit für ein Interview.

Am 14.12.2012 war die Record Release Party deines neuen Albums ‘Jetzt’. Wie lief es?

Gut. Ich habe sehr viel positives Feedback bekommen. Neben der Security haben sich auch die Leute an der Bar positiv geäußert und im Publikum war eine tolle Stimmung. Das einzige was bemerkt wurde war, dass sehr viel Weed in der Luft lag. Die Mitarbeiter haben sich wohl alle latent high gefühlt vom Passivrauchen. Es ist alles glatt gelaufen, obwohl wir im Vorfeld viele Probleme hatten. Das Presswerk hatte uns kurz vorher mitgeteilt, dass sie den Termin nicht einhalten können und ihn von 13.12 auf den 20.12 verschoben haben. So mussten wir noch mal eine kleine Auflage extra pressen lassen, um an dem Abend nicht mit leeren Händen dazustehen.

Was erwartet uns denn mit dem neuen Album?

Schwer zu sagen, wahrscheinlich ‘Das gleiche alte Lied Teil 2’. Es geht um Themen, die ich auch schon in anderen Liedern in ähnlicher Form verarbeitet habe. Seit dem letzten Album hat sich in der Welt nicht viel verändert. Wir kranken immer noch an den gleichen Problemen und so ist ‘Jetzt’ letztendlich einmal mehr die Erinnerung daran, zu erkennen wer wir selbst sind und damit auch die Möglichkeiten, die in jedem von uns stecken. Wir stecken nach wie vor in unserer kollektiven Angst und Unfähigkeit zu handeln. Wir denken immer gemeinsam bzw. ausschließlich gemeinsam sind wir stark und suggerieren damit, dass wir einzeln schwach sind. Das ist aber nicht wahr. In der Regel waren es immer einzelne Menschen die die Welt maßgebend verändert haben. Ich nenne hier gerne Nikola Tesler, Marie Curie oder Bell als Beispiel. Diese Menschen sind dafür verantwortlich, dass wir heute so leben wie wir leben. Sie zeigen, dass der Einzelne berufen ist, die Stärke und auch die Zuversicht in sich zu erkennen. Es geht mir heute nicht mehr nur darum, den Leuten zu sagen, was alles schlecht ist und was nicht funktioniert, sondern einander daran zu erinnern, dass es einen Weg gibt, wo ein Wille ist.

Du willst also die Leute zum Handeln motivieren?

Ja klar. In erster Linie geht es darum zu erkennen, dass man selbst derjenige ist, der aktiv was verändern kann. Wen man den Leuten sagen würde, sie sollen mehr handeln würde man wahrscheinlich zu viel verlangen, da wir alle schon handeln. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft ist zwangsläufig überfordert. Unsere gesamte Gesellschaft ist denaturiert und degeneriert. Wir geben auf die Schwächsten nicht mehr acht und drücken die Starken weiter nach oben.
Es geht nicht darum, mehr zu handeln, sondern vielmehr das Denken zu verändern, denn wenn sich dein Denken verändert, verändern sich deine Handlungen ganz automatisch. Es geht darum, jemandem auf geistiger Ebene Futter zu geben, was sonst zu kurz kommt. ‘Jetzt’ ist wohl mehr als alles andere, Nahrung für die Seele, die dir klarmachen soll, dass es wichtig ist auf deine Gedanken zu achten, denn sie werden zu deinen Taten…

Wie ist Reggae zum Teil deines Lebens geworden?

Es kommt sicherlich mit aus der Zeit, als ich 1981 mit sechs Jahren mit meiner Mutter und meiner Schwester in ein besetztes Haus in Berlin-Schöneberg gezogen bin. Dort lief viel Reggae, aber vor allem war dort der Aufschrei nach Widerstand groß und mein politisches Bewusstsein wurde geprägt. Viele dieser Aspekte habe ich dann im Reggae wiedergefunden. Linton Kwesi Johnson und Peter Tosh waren in ihren Texten sehr radikal. Sonst hörten wir viel Ton Steine Scherben. Der Schrei nach Gerechtigkeit und nach Anerkennung der Arbeiterklasse hat sich mir eingeprägt. Diese Themen habe ich übernommen und verarbeite sie in meiner Musik. Ich habe mir immer Themen gesucht mir denen ich mich identifizieren kann.
Angefangen Reggae Musik zu machen haben ich mit 13 Jahren, als ich wegen eines Knochentumors im Krankenhaus lag. Dort habe ich jemanden kennen gelernt, der damals ein Sound System betrieben hat. Als Kind habe ich Schlagzeug und Saxophon gespielt und mit 13/14 angefangen, mich mit der Stimme als Instrument und Sprachrohr auseinander zu setzten. So kam dann eins zum anderen.

Sich mit Reggae auseinander zu setzten bedeutet auch sich mir Rastafarianismus zu beschäftigen. Inwieweit spielt diese Art zu leben für dich eine Rolle?

Ich beschäftige mich schon relativ lange mit der gesamten Thematik und hatte Phasen in meinem Leben, in denen ich mich stärker zu bestimmten Glaubensansätzen hingezogen fühlte. Ich bin inzwischen davon weggekommen, mir eine Haube aufzusetzen und mich zu der einen oder anderen Religion zu bekennen, weil ich mich damit nicht wohl fühle. Dagegen finde ich in vielen verschiedenen Religionen Aspekte, mit denen ich mich identifizieren kann. Ich habe ein monotheistisches Weltbild und glaube an eine Quelle aller Dinge. Ich benutze den Namen Jah, weil es eine der ursprünglichen Bezeichnungen für Gott ist. Wenn ich von Gott rede, spreche ich nicht von einer Instanz über uns, sondern von etwas in uns. Gott ist für mich die Quelle allen Potenzials also auch von Gut und Böse. Gott hat die Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen, also sehe ich das Göttliche in jedem Menschen. Und damit liegt auch in jedem ein unendliches Potenzial.

Reggae kommt aus dem englischen Sprachraum, du hast dich dazu entschlossen, auf Deutsch zu singen, gibt es dafür einen bestimmten Grund?

Ich lebe in Deutschland und Deutsch ist meine Muttersprache. Ich habe mit Patois angefangen, aber schnell das Bedürfnis gehabt, das, was ich verstehe, in eine hier verständliche Sprache zu bringen. Ich hatte das Gefühl, dass hier viele Reggae hören, aber sich nicht oft mit den Inhalten auseinander setzen, einfach weil sie die Sprache nicht verstehen. Ich wollte die Botschaften in eine lokale Sprache bringen, die frei von Anglizismen ist. Ich wollte auch Begriffe wie Jah oder Babylon erklären. Im Booklet meines ersten Albums Resonanz werden diese Worte deswegen erklärt.

Trotzdem hat jamaikanischer Reggae in den Clubs und bei Shows eine starke Dominanz. Hast du das Gefühl, dass sich die Szene hier immer noch stark an der Insel orientiert?

Ich denke, Jamaika ist eher eine Ausgangsbasis als eine Dominanz. In den einzelnen europäischen Ländern gibt es wachsende lokale Szenen und die eigenen Produktionen nehmen zu. Wir haben eine gefestigte kleine Szene, die auch auf den Festivals einen wachsenden Platz einnimmt. Das war früher nicht denkbar. Ich würde mir nur wünschen, dass mehr neue Talente nachkommen und neue Künstler die Bühne betreten.

2004/2005 gab in Deutschland einen regelrechten Hype um Reggae und Dancehall. Hat Reggae heute etwa ein Nachwuchsproblem?

Der Hype hat abgenommen, weil vielen bestimmte politische Kontroversen nicht schmecken. Ich bin hingegen für eine Auseinandersetzung, weil ich für Veränderungen bin. Ich glaube es gibt in jeder Szene Auf und Abs und im Großen und Ganzen hat sich vieles zum Guten verändert. Ich komme noch aus einer Zeit, als es undenkbar war, Reggae auf Deutsch zu machen und wir von der Szene belächelt wurden. Während sich zu unserer Zeit Reggae auf Deutsch beweisen musste, sind die Kids nach uns damit aufgewachsen und stellen die Musik nicht in Frage. Genauso stellt ja heute niemand mehr deutschen Hip Hop in Frage. Ob es den Leuten nun gefällt oder nicht, wir sind aus der Szene nicht mehr wegzudenken. Wir versuchen, neue Talente zu fördern, damit sich die Szene weiter verändert. Dabei ist es wichtig einen unverkrampfteren Umgang mit der Musik zu finden und den Leuten Gelegenheit zu geben, sich auszuprobieren.

Welche Rolle spielt Marihuana in deinem Leben?

Es ist schwierig, die Frage klar zu beantworten. Ich rauche seit gut 20 Jahren und habe in der Zeit verschiedene Phasen durch gemacht, die wohl jeder kennt der kontinuierlich Substanzen konsumiert. Ich will es nicht verherrlichen, aber auch nicht verteufeln. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Ich habe einen so ausgeprägten Konsum, dass ich nicht unbedingt stolz darauf bin und ich bin mir bewusst, dass dies eine Form des Missbrauchs ist. Ich denke, dass die Art wie ich rauche für andere nicht unbedingt vorteilhaft sein mag, aber mich erdet es und hält mich am Boden. Wenn ich später geboren worden, hätte man bei mir sicherlich ADHS festgestellt und mir Ritalin gegeben. Wenn ich rauche, bin ich extrem belastbar und stressresistent. Das könnte man auch mit Ritalin erreichen, aber so ist es mir lieber.

Findest du das Marihuana unter Einhaltung strenger Jugendschutzgesetze legalisiert werden sollte?

Wir sprechen uns seit Jahren ausdrücklich für eine Legalisierung aus. Wobei ich auch dabei differenzieren muss. Ich bin der Meinung, dass wir Grundsätzliches ändern müssen und nicht nur eine Spielregel verändern sollten, sondern das gesamte Spiel. Es geht um die Art wie wir denken, wie wir handeln und wie wir miteinander leben. Wenn wir das tun und wir soweit kommen, dass alle für sich das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben, dann stellt sich die Frage nach der Legalisierung gar nicht mehr. Das Recht würde das beinhalten, was man wo, wie viel und in welcher Form zu sich nimmt. Deswegen thematisiere ich die Legalisierung auch nicht mehr auf meinen Alben. Ich glaube an Mündigkeit und ich glaube, dass jeder selbst entscheiden kann und entscheiden sollte.
Die Würde des Menschen ist unantastbar und die Würde bedeutet selbst entscheiden zu können. Ich kann mich an jeder Ecke so stark alkoholisieren, dass ich Menschen töten kann, indem ich mich betrunken ans Steuer setzte, um mal ein radikales Beispiel zu bringen. Freiheit bedeutet nicht, dass man alles machen muss was man machen kann. Selbstbestimmt zu leben bedeutet, verantwortungsvoll zu handeln. Dazu ist ein höheres Bewusstsein nötig.

Du bist mit deiner Musik hauptsächlich im deutschsprachigen Raum unterwegs, was sicherlich auch an deinen deutschen Lyriks liegt. Hast du vor, irgendwann auch international aktiver zu werden?

Ich hatte das Glück, mittlerweile drei Mal in Moskau zu spielen, ich war schon in der Ukraine und in Slowenien, aber auch in anderen europäischen Ländern und in Afrika. Mir ist es wichtig, mich verständlich zu machen. Wenn ich im Ausland spiele spreche ich Englisch mit dem Publikum und erkläre worum es in meinen Liedern geht. Viele meiner Inhalte lassen sich gut auf Englisch vermitteln. Es ist nicht mein Wunsch, meine Musik dahin zu tragen, wo sie nicht verstanden werden kann. Marley hat gesagt „Wer es fühlt, der weiß es und er es weiß, der fühlt es“. Musik kann auch auf rein emotionaler Ebene alles bewirken, was sie bewirken soll.

Vielen Dank für das Interview.

Ganjaman Website

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