Montag, 5. November 2012

Collateral Damage: Nichtkonsumenten sind (auch) Opfer

„Die Zeit ist schlecht? Wohlan. Du bist da, sie besser zu machen.“*

In unregelmäßigen Abständen werde ich von „Erst-Engagierten“ gefragt, was man den Duftes tun könne, um die Legalisierung von Cannabis (und anderen Drogen) zu fördern.
Nach den üblichen Hinweisen auf die Beteiligung an Demonstrationen wie der Hanfparade und den erwartbaren Gegenargumenten (Kein Geld featuring zu weit weg) führen zwei Drittel der einschlägigen Gespräche im Anschluss zu meiner Lieblingshausaufgabe „Sprich jeden Tag 5-10 Minuten mit einem Nichtkonsumenten über die Legalisierung“.
Meine Top-10-Antworten auf die dann unvermeidbare Frage: „Was sagt man denn da?“ habe ich in der folgenden Liste „Legalisierungsargumente für Nichtkonsumenten“ zusammengefasst.

Der Schwarzmarkt kennt keinen Jugendschutz
In beinahe jeder Diskussion über die Legalisierung fällt irgendwann das Stichwort: „Aber die Kinder“.
Die berechtigte Sorge, um das Wohl nachwachsender Generationen, wird oft fälschlich auf die Habenseite des Prohibitionskontos verbucht, dabei überlassen Drogenverbote gerade Kinder und Jugendliche schutzlos dem Schwarzmarkt.
Wer „Kinder vor Drogen schützen“ will, muss Erwachsenen den straflosen Zugang ermöglichen! Altersnachweise und Zugangsbeschränkungen, kurz Jugendschutz, gibt es nur auf einem legalen Drogenmarkt.

Drogenkriminalität fördert Unfreiheit
In den vier Jahrzehnten „War on Drugs“ haben viele Länder die Strafen für Drogendelikte weiter und weiter nach oben geschraubt. (Unerwünschter) Nebeneffekt – Weltweit haben sich Personenkreise in die Produktion und den Vertrieb illegalisierter Substanzen integriert, deren gesellschaftsfeindliches Gebaren mit der Formulierung „Organisierte Kriminalität“ nur sehr unzureichend beschrieben wird.
Der Handel mit berauschenden Substanzen, der vor 100 Jahren noch respektables Geschäft ehrbarer Kaufleute war, ist durch die Verbotspolitik zu einem Metier menschenverachtender Schwerstverbrecher geworden.
Schlimmer noch – Drogen wurden zu einem Werkzeug in der Hand skrupelloser Krimineller, die unzuverlässige Versorgungssituation, Angst vor Strafverfolgung und wirtschaftliche Probleme dazu nutzen, Menschen in Prostitution und Sklaverei zu pressen.

Illegalität verschärft Suchtprobleme
Das Wichtigste an Maßnahmen der Sucht- und Überlebenshilfe ist, dass sie möglichst früh in Anwendung kommen. Abhängigkeitserkrankungen können durch frühzeitige Intervention abgemildert oder vermieden werden. Leider verhindert das Drogenverbot durch Kriminalisierung und soziale Ausgrenzung der Konsumenten die frühzeitige Thematisierung von Konsumproblemen.
Dies betrifft eine Vielzahl nichtkonsumierender Menschen, da diese als Verwandte, Kollegen oder Freunde unter den so unnötig verschlimmerten Abhängigkeiten leiden.
Selbst dort wo, Suchthilfeeinrichtungen Angebote für sogenannte „Co-Abhängige“ bereitstellen, greift die Prohibition zu Ungunsten der Betroffenen ein und schafft unverzeihlich unnötige Zugangshürden.

Nichtkonsumenten als Opfer polizeilicher Maßnahmen
Wer den polizeilich betriebenen Aufwand bei der Jagd nach Drogenkriminalität kritisch hinterfragt, dem drängt sich der Eindruck auf, dass da „mit Kanonen auf Spatzen“ geschossen wird. Egal ob Schleier- oder Rasterfahndung, Komplexkontrolle, Vollsperrung der Autobahn oder verdachtsunabhängiges Schikanieren auf Bahnhöfen und Flughäfen, wo immer Bürgerrechte zugunsten vermeintlicher „Sicherheitsgefühle“ geopfert werden, findet sich der Kampf gegen Drogen in der Liste der „Gründe“.
Dass bei hunderttausenden Verfahren im Jahr hier und da auch mal „ne falsche Tür eingetreten“ wird, überrascht sicher niemanden. Schließlich sind auch Polizisten Menschen, die Fehler machen. Die Zahl der zu Unrecht als Drogentäter Beschuldigten (und damit der öffentliche Stigmatisierung Ausgesetzten) ist wenigstens ebenso hoch wie die der „Überführten“.

Steuereinnahmen vs. Verfolgungskosten
Das von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht, Jugendgerichtshilfe, Bewährungshelfern, Justizvollzugsanstalten usw. im Namen der drogenfreien Gesellschaft betriebene Engagement ist nicht umsonst. Wir alle zahlen dafür mit unseren Steuern. Die laut DBDD 3,6 bis 4,5 Mrd. (Stand 2006) jährlich in Drogenrepression versenkten Euro fehlen dem Gemeinwesen an anderer Stelle.
Zusätzlich zu dieser selbst Zeiten billionenschwerer Bankenrettung nicht unerheblichen Summe, entgehen dem Staat, also uns allen, weitere Milliarden, die ein Markt legal produziert und gehandelter Drogen in Form von Genussmittel- und Umsatzsteuern; Renten-, Kranken-, Arbeitslosigkeits- und Pflegeversicherungsbeiträgen; Solidaritätszuschlag usw. in die stets klammen öffentlichen Kassen spülen würde.

Schwarzgeld unterminiert die Finanzwirtschaft
Als die US-Außenministerin Hillary Clinton der Legalisierung mit den Worten „There‘s just too much money in it.“ (deutsch etwa: „es steckt einfach zu viel Geld drin“) eine Absage erteilte, meinte sie nicht die Milliarden Euro, die jedes Jahr mit illegalisierten Drogen verdient werden. Ihre Angst bezog sich auf die Billionengewinne (1 Billion = 1.000.000.000.000 = 1.000 Milliarden), die in vier Jahrzehnten Drogenkrieg heimlich in die internationalen Finanzmärkte geflossen sind.
Dank des Verbots sind Drogen eines der Güter mit den höchsten Profitraten. Und das steuerfrei! Die auf dem Schwarzmarkt erwirtschafteten Narcobillionen werden in aller Welt genutzt, um Regierungen zu kaufen oder mit Rohstoffen, Währungen und Lebensmitteln zu spekulieren. Wer den Drogenkrieg befürwortet, riskiert die Stabilität und den Wohlstand unserer Gesellschaft und letztlich seine eigenen Ersparnisse.

Drogengeld finanziert Geheimdienste und Terror
Die Welt des 21 Jahrhunderts ist ein gefährlicher Ort. Dutzende Kriege toben derzeit auf unserem Planeten. In vielen dieser „offiziell“ um Religionszugehörigkeit oder im Namen „Freiheit und Demokratie“ geführten bewaffneten Konflikte geht es in Wirklichkeit um den Zugang zu Rohstoffen oder Handelswegen. Selbst wenn dabei nicht wie z.B. in Mexiko direkt um Drogenmärkte gekämpft wird, erweist sich die Prohibition als indirekter Motor des Tötens.
Spätestens mit der Iran-Contra-Affäre (1986) ist klar, dass Geheimdienste viel häufiger in Kriegen mitmischen, als uns dies lieb sein kann. Da solcherlei „Engagement“ nicht aus legalen Mitteln bestritten werden kann, immerhin muss die Rechtsstaatlichkeit zumindest nach Außen gewahrt werden, greifen CIA, BND & Co. zur Finanzierung ihrer „dunklen Geschäfte“ gern auf illegale Drogen zurück.
Auch die eigentlichen Konfliktparteien, seien es Rebellen, Freiheitskämpfer, Taliban oder Terroristen haben das Finanzpotenzials des Drogenmarktes erkannt. Afghanische Mohnbauern und syrisch-libanesische Hanfproduzenten sind nur die Spitze eines Milliardengeschäfts, das weltweit Menschenrechtsverletzungen, Folter und Mord finanziert. „Ohne die im Heroingeschäft verdienten CIA-Dollar kein 11. September“ ist eine der für westliche Demokratien unschönen Erkenntnisse aus vier Jahrzehnten Drogenkrieg.
Illegale Drogenproduktion verursacht (Umwelt-) Schäden
Wir trennen unseren Müll, verzichten auf Fleisch aus industrieller Herstellung und zahlen freiwillig mehr für Ökostrom – Über die ökologischen Konsequenzen des Drogenverbots wird indes nur selten nachgedacht. Dabei leidet die Umwelt massiv unter den Bedingungen illegaler Rauschmittelproduktion.
Dieses Wahrnehmungsdefizit liegt zu einem Gutteil daran, dass die am stärksten betroffenen Länder „weit weg“ sind. Am offensichtlichsten ist das ökologische Desaster Drogenprohibition in Südamerika und Asien. Dort werden bei der illegalen Herstellung von Kokain bzw. Heroin systematisch Flüsse vergiftet. Im Einflussbereich der US-Regierung wird das Problem durch Entlaubungskampagnen im Namen des Drogenkriegs sogar noch erheblich verschärft. Durch Legalisierung vermeidbare Schäden bei der Drogenproduktion entstehen aber auch vor unserer eigenen Haustür. Und das nicht erst, wenn Hanfplantagen in deutschen Naturschutzgebieten wachsen oder die Reste tschechischer Methküchen die Elbe bereichern. Wasserschäden, Feuer durch unfachmännisch verbaute Stromwandler, von Amateurchemikern ausgelöste Explosionen. Die Liste der Risiken, denen Dritte durch die illegalisierte Herstellung von Rauschmitteln ausgesetzt sind, ließe sich beinahe endlos verlängern.

Der Zugang zu Drogen rettet Leben
Millionen Menschen in diesem Land leiden unter Krankheiten, die mit heute illegalen Rauschmitteln behandel- oder linderbar wären. Die Beziehung zwischen Droge und Medikament ist so eng, dass in vielen Sprachen für beide Anwendungsgebiete das gleiche Wort verwendet wird z.B. das englische „Drug“.
Zwar gibt es für einige „pharmazeutische Drogen“ insbesondere aus der Familie der Opioide (Morphin etc.) legale medizinische Abgabewege, der Zugang zu diesen Präparaten ist jedoch streng reglementiert und ihr Einsatz sehr teuer. Die oftmals nebenwirkungsärmeren und billigeren natürlichen Drogen, aus denen die „Fertigarzneimittel“ hergestellt werden, gibt es indes in keiner Apotheke.
Jeder Mensch war schon einmal krank und wir alle können schon morgen unverschuldet in (medizinische) Not geraten. Wäre es nicht schön, dann zu wissen, dass die Wahl des richtigen Medikaments eine Sache ist, die nur von Arzt und Patient entschieden wird? Wegen drogenpolitischer Scheuklappen ist diese „Selbstverständlichkeit“ leider nur Zukunftsmusik. Heute entscheiden Politiker darüber, was helfen darf. Schlimmer noch:
Der inzwischen generationenlange Drogenkrieg hat dazu geführt, dass viele Ärzte nicht mehr um das therapeutische Potenzial von Hanf & Co wissen. Vieles von dem, was vor 100 Jahren noch medizinisches Volkswissen war, findet sich heute nicht einmal mehr in den Lehrbüchern. Auf dem Altar der „drogenfreien Gesellschaft“ werden so täglich Menschen geopfert. Die schwächsten der Gesellschaft sehen sich unnötigem Leiden ausgesetzt oder zu frühem Tod verurteilt. Wer denkt, bei der Legalisierung gehe es „nur ums Kiffen“, vergisst, dass das nächste Leben, dass Cannabismedizin rettet, sein eigenes sein könnte!

Last but not least…
So weit meine Top-10-Liste der Legalisierungsargumente für Nichtkonsumenten. „Moment!?“ – Höre ich den aufmerksamen Leser sagen. „Das waren doch nur neun!“ Richtig. „Da fehlt doch noch was…“ Nö. „Hä?“
Das wichtigste Argument für eine Legalisierung (und das wird leider viel zu oft vergessen) sind du und ich. Zu vermitteln, dass der Drogenkrieg ein Krieg gegen Menschen ist, gegen Menschen die (abgesehen von der Wahl der Genussmittel) wie alle anderen primär selbstbestimmt, in Frieden leben wollen, ist der in meinen Augen wichtigste „Trick“, um in Diskussionen mit Nichtkonsumenten zu bestehen.
Keiner der konsumierenden Menschen, die ich in meinem Leben kennengelernt habe, hatte es „verdient“ wegen seines Genussmittels kriminalisiert zu werden.

Ich bin mir sicher, dass jeder deiner nichtkonsumierenden Gesprächspartner dir zumindest dieses Quäntchen Sympathie entgegenbringt.

*(Thomas Carlyle, schottischer Essayist)

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