Montag, 5. März 2012

Verkehrssicherheit und das Flensburger Punktesystem

Einfach ausgedrückt, wer sein persönliches Interesse durch sein wiederholtes Fehlverhalten über das Interesse der allgemeinen Verkehrssicherheit und dem der körperlichen Unversehrtheit seiner Mitmenschen stellt, der ist charakterlich nicht in der Lage den gestellten Anforderungen gerecht zu werden, die an einen Fahrzeugführer gestellt werden.
Diese Messlatte endet zur Zeit bei 18 Punkten. Wer diese erreicht hat, muss mit einem verwaltungsrechtlichen Entzug der Fahrerlaubnis rechnen.

Begründung dafür ist, dass der Betreffende durch seine wiederholten Fehlverhalten belegt hat, dass er nicht gewillt oder in der Lage ist, sich an entsprechende Vorschriften zu halten. Hinzu kommt, dass die vorgeschalteten Sanktionen von Geldbußen, Geldstrafen, Punkten und Fahrverboten offensichtlich nicht zu einer Verhaltensänderung geführt haben. Eine neue Fahrerlaubnis gibt es dann nur durch Vorlage einer positiven MPU-Bescheinigung. Laut Medienberichten hat der Bundesverkehrsminister Ramsauer nun vor, das Flensburger Punktesystem grundlegend zu verändern und zu vereinfachen. Für Ordnungswidrigkeiten drohen bisher bis zu 4 Punkte, für Straftaten zwischen 5 und 7 Punkten. Aus Sicht des amtierenden Bundesverkehrsministers ist das Punktesystem für den Laien kaum durchschaubar, da es je nach Deliktschwere unterschiedlich viele Punkte vorsieht und sich die Verjährungsfristen abhängig von Wiederholungstaten verlängern. Rein mathematisch gesehen ist der Vorschlag von Minister Ramsauer sicherlich eine Vereinfachung. Was das allerdings mit einer Steigerung der Verkehrssicherheit zu tun hat, bleibt schleierhaft.
Von 350.323 Unfällen mit Personenschäden, die auf ein Fehlverhalten der Fahrer zurückzuführen waren, waren laut Statistischem Bundesamt 2010, rund 330.000 „nur“ auf die Missachtung der allgemeinen Verkehrsregeln zurückzuführen. In rund 20.000 Fällen war eine fehlende Verkehrstüchtigkeit als Unfallursache festzustellen. Hierunter fällt neben Alkohol und Drogenbeeinflussung, auch Übermüdung und sonstige körperlichen / geistigen Mängel.

Als notorischer „Bleifuß“ kann man sich zur Zeit z.B. sechs (6) mal mit 80 km/h in der Stadt blitzen lassen, bevor man die 18 Punkte erreicht hat und der Lappen gänzlich entzogen wird. Nach Ramsauers Vorschlag soll die „Schallgrenze“ nun von 18 auf 8 Punkte schwinden. Da ein solches Delikt, dem Vorschlag zur Folge, aber nur noch mit einem Punkt bewertet werden soll, kann der „Bleifuß“ sich dann acht (!) solcher Vergehen auf Kosten der Verkehrssicherheit leisten, bevor er wegen charakterlichen Schwächen aussortiert wird.
Der „Bleifuß“ muss daher auch nach der angestrebten Reform des Punktesystems nicht befürchten, allzu schnell die Fahrerlaubnis zu verlieren, obwohl in 2010 bei 16% aller Verkehrsunfälle mit Personenschäden eine unangepasste Geschwindigkeit die Unfallursache war.
Als Alkoholkonsument könnte man sich heute, rein rechnerisch, 4,5 Alkoholfahrten zwischen 0,5 und 1,09 Promille leisten, um die heutige Schallgrenze von 18 Punkten zu erreichen. Nach dem neuen System würde diese Grenze rechnerisch schon bei vier Auffälligkeiten erreicht sein, da ein solcher Verstoß dann nur noch mit 2 Punkten bewertet werden würde.

Alkohol war im Jahre 2010 für rund 3,6 % der Unfälle mit Personenschäden verantwortlich. In der Praxis wird sich für den Alkoholkonsumenten aber nichts ändern, da die Fahreignung nach dem zweiten Alkoholverstoß wie gehabt angezweifelt wird und eine MPU fällig wird. Wer diese nicht schafft, ist dann auch schon bei 8 bzw. 4 Punkten den Lappen gänzlich los. Dies ist insofern auch nachvollziehbar, da die Missachtung des Nüchternheitsgebotes das allgemein bestehende Unfallrisiko deutlich ansteigen lässt.
Für den Cannabiskonsument ändert sich durch die Reform im Grunde ebenfalls nichts. Zwar kann man sich mathematisch gesehen ebenfalls 4,5 bzw. 4 „Drogenfahrten“ leisten, um den „Flensburger Maßstab“ der charakterlichen Nichteignung zu reißen. Aber nur mathematisch. Unabhängig der nach wie vor offenen Frage eines realistischen Grenzwertes für THC, gehen die Führerscheinbehörden schon nach dem ersten Verstoß (THC-Nachweis über 1 ng/ml) von einer charakterlichen Nichteignung aus („fehlendes Trennungsvermögen“). Die Unfallquote für den Bereich der „anderen berauschenden Substanzen“ zu denen neben Drogen auch Medikamente zählen, lag laut Statistischem Bundesamt im Jahre 2010 bei ca. 0,3 % aller Unfälle mit Personenschaden. Damit liegt diese Quote noch leicht unter der, die durch Übermüdung am Steuer in 2010 verursachten Verkehrsunfällen, und deutlich über denen, die durch andere körperliche und geistige Einschränkungen verursacht wurden.
Es ist zwar richtig, dass auch eine akute Cannabiswirkung das allgemeine Unfallrisiko signifikant erhöht, dies aber nur in einem engen zeitlichen Zusammenhang zur Verkehrsteilnahme. So haben laut Focusbericht, Forscher aus Halifax 50.000 Unfälle auf ihre Unfallursachen untersucht. Dabei wurde für cannabisbeeinflusste Fahrer ein doppelt so hohes Unfallrisiko ermittelt, wie bei substanzfreien Fahrern. Diese Risikobewertung bezieht sich allerdings nur auf diejenigen Konsumenten die innerhalb der letzten 3 Stunden vor dem Unfallgeschehen Cannabis konsumiert haben.

Das System der Fahreignungsfrage bedarf daher sicherlich einer grundlegenden Reform, insbesondere hinsichtlich tatsächlicher Verkehrsgefahren.
Aber ob wir von einem CSU-Minister, dessen Parteikollegen der Auffassung sind, dass man auch nach zwei Maß Bier noch sicher Auto fahren könnte, oder der Bierkonsum kein Suchtpotenzial hat, eine Regelung erwarten können, die sich an dem jeweiligen Gefahrenpotenzial orientieren, ist wohl zu bezweifeln.

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