Donnerstag, 26. Januar 2012

Unrecht muss Unrecht bleiben

Kinders, wie die Zeit vergeht! Eben jubelten wir noch über das Lübecker Haschischurteil, und schon sind zwanzig Jahre vergangen – also zwanzig Kriegsjahre.

Die Kifferhatz ist mehr denn je Staatsräson, und wer offen sein „Recht auf Rausch“ anmahnt, dem wird der Joint konfisziert und eine Einladung zum Idiotentest zugestellt. es geschah am helllichten Tag anno 1990, als eine von der Drogenszene deformierte Frau ihrem Ehemann beim Besuch in der JVA Lübeck einen 1,1 Gramm schweren Monsterhaschpickel zusteckte – und erwischt wurde. Das Amtsgericht verdonnerte die arme Seele wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten.

Danke und tschüß, könnte man nun denken, aber denkste! Der Rechtsbeistand der Delinquentin ging nämlich in Berufung – zur Vorfreude der Staatsanwaltschaft, denn wer um Senge bettelt, der soll sie auch bekommen.
Nun, wir wissen nicht, inwieweit der Gang ins Berufungsverfahren beidseitiges Kalkül der beteiligten Juristen war, doch offensichtlich wollte man sich mal etwas weiter aus dem Fenster lehnen und nachgucken, wie es im Drogensumpf der norddeutschen Tiefebene wirklich zugeht.

1992 trat dann die Berufungsstrafkammer des Landgerichts Lübeck zusammen, um mal ordentlich über die Landesgrenze hinweg zu lüften und in Sachen Cannabis nach Jahrzehnten der Willkürjustiz den Muff aus den Talaren zu bekommen. Der Vorsitzende Richter Wolfgang Neskovic lehnte sich dabei besonders weit heraus und sah sich nach längerem Hinsehen außerstande, die Angeklagte überhaupt noch zu verknacken, da dieser Akt der Ungnade seiner Meinung nach verfassungswidrig sei. Das Verfahren wurde ausgesetzt und kurzerhand dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Das war natürlich ein mächtig gewaltiger Justizskandal in diesem unseren Vaterland, das seinerzeit fest in rechtskonservativer Hand war, die jeden abwatschte, der nur den Anschein eines schrägen und/oder linken Vogels erweckte. Wie auf Knopfdruck machte sich dann auch das Kartell der Tendenzmedien in die Hose, zeterte und wetterte – und stellte das SPD-Mitglied Wolfgang Neskovic als Halbirren hin, der das Germanenvolk schwerstdrogenabhängig machen wolle. Die Hanffreunde tanzten derweil vor Freude auf Tischen und Bänken, denn nicht das Urteil allein war die Sensation in Dunkeldeutschland, sondern vielmehr die dreißigseitige Begründung. Und die hatte es in sich:
Zur rechtlichen Würdigung des Falles führte die Lübecker Kammer aus, dass nach ihrer Überzeugung das Betäubungsmittelgesetz nicht greift, da die Anwendung in diesem Verfahren schlichtweg verfassungswidrig sei.

Die Kammer war der Auffassung, dass das Aufführen von Cannabis im Betäubungsmittelgesetz und das Nichtaufführen von Alkohol und Nikotin gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 des Grundgesetzes verstößt. Danach ist es dem Gesetzgeber verboten, „wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich zu behandeln“. Rechtsgleichheit führe zudem nicht automatisch zu einer schematischen Gleichsetzung (z.B. von Heroin und Hanf). Im Umkehrschluss sieht die Kammer auch keinen einleuchtenden Grund, warum Hanf im BtmG gelistet wird und Alkoholika und Nikotin nicht – zumal die legalen Substanzen für die Konsumenten evident gefährlicher seien als das illegale Kraut. 40.000 Schnapsleichen jährlich sprächen für sich, ebenso die Tatsache, dass es seit Adams Zeiten keinem Lebewesen gelungen ist, sich mit Haschgift zu Tode zu kiffen.

Haarklein listet das Urteil auf, was gegen die legale Saufkultur und für den illegalen Hanfgenuss spricht. Demnach kann Alkoholmissbrauch dem Konsumenten und den Menschen in der Umgebung erheblichen Schaden zufügen. Säufer werden früher krank und arbeitslos, und dem sozialen Abstieg folgt Verelendung und Siechtum. Übrig bleibt ein Häufchen Asche in einer vom Sozialamt gesponserten Blechdose, die im Massengrab der anonymen Alkoholiker versenkt wird. Doch der Suff kann noch mehr: 36% der Gewaltdelikte wie Totschlag, Vergewaltigung und Sexualmord werden unter Alkoholeinfluss verübt.

Dies alles und viel mehr legte das Gericht in die Waagschale, und das unter dem Aspekt, dass das BtmG dazu da ist, das Rechtsgut der Volksgesundheit zu schützen. Kurze Rede, langer Sinn, das Gericht sah keine Gefahr für Volk und Gesundheit durch Hanfkonsum. Haschgift sei das Rauschmittel mit den geringsten individuellen und gesamtgesellschaftlichen Wirkungen. Ein bis zwei Gramm Marihuana pro Tag sei weniger schädlich als der tägliche Konsum von Alkohol oder 20 Zigaretten. Kurzum: sola dosis facit venemum.

Damit aber nicht genug: Auch die Bestrafung der Abgabe von Cannabisprodukten, die dem Eigenkonsum dienen, ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, und zwar mit Artikel 2 Absatz 1, der jedem Bürger die freie Entfaltung der Persönlichkeit gewährt. Diese Stelle in der Urteilsbegründung liest sich wie ein schönes Märchen, und die poetische Formulierung, dass jeder Mensch ein „Recht auf Rausch“ hat, ist längst ein ‚geflügeltes Wort’. Neskovic stellt fest, dass es auch zur Selbstbestimmung des Bürgers gehört, eigenverantwortlich zu entscheiden, welche Nahrungs-, Genuss- und Rauschmittel er zu sich nimmt. Vor allem aber gehöre der Rausch wie Essen, Trinken und Sex zu den fundamentalen Bedürfnissen des Menschen. Ein verfassungsrechtlicher Eingriff in dieses Recht sei nur zulässig, wenn dadurch die Rechte anderer, die verfassungsrechtliche Ordnung oder das Sittengesetz verletzt werden.

Der gemeine Hanf erfülle jedoch keines dieser Kriterien und sei in diesem Sinne nur eine harmlose Alternative, um sich zu berauschen. Daher stehe nach Ansicht der Lübecker Kammer das Abgabeverbot von Gras und Hasch zum Eigenkonsum mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht im Einklang.
Zu guter Letzt musste Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 dran glauben, der das geschützte Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit garantiert. Ja, auch erwachsene Menschen wollen vor Maßlosigkeit in Sachen Rausch geschützt werden, z.B. in und vor den Fußballstadien. Das Hanfverbot bewirke jedoch das ganze Gegenteil, wenn der, der sich berauschen will, vor die folgenschwere Wahl gestellt wird, ob er sich legal mit gesundheitsgefährdendem Alkohol oder illegal minderschädlichem Hanf berauscht.

Nun, das war’s, der kühle norddeutsche Amtsschimmel hatte gewiehert! Das medienverstärkte Echo des Haschischurteils hallte über Wochen und Monate von den tiefschwarzen Alpen zurück, und das mit einer Lautstärke, die die braven Bürgersleute um den Schlaf brachte. Denn wie man sich denken kann, stimmten die Kiffer der Nation in den Chorus ein. 1992 war das Jahr des Aufbruchs, und es schien nur noch eine Frage der Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht dem Unrecht des Hanfverbots ein Ende bereiten würde.
Am 9. März 1994 kam es dann zur Urteilverkündung des BVerfGe im süddeutschen Karlsruhe – und vorbei war’s mit Jubel, Trubel, Heiterkeit.

Die acht Verfassungsrichter stellten nüchtern fest, dass es auch oberhalb der Main-Donau-Linie kein „Recht auf Rausch“ gibt. Zudem verlange der Gleichheitssatz nicht, alle potentiell gleich schädlichen (?) Drogen gleichermaßen zu verbieten oder zuzulassen. In der Verwendung von Alkohol dominiere der Konsum, der „nicht zu Rauschzuständen“ führt. Und wenn doch, z.B. bei seltenen Anlässen wie das Münchener Oktoberfest und Plenarsitzungen in der Kantine des Deutschen Bundestag, dann sei ja die berauschende Wirkung des Alks bekannt und würde durch soziale Kontrolle überwiegend vermieden.

Zuletzt blieb der Hinweis, dass der Gesetzgeber bei gelegentlichem Hanfkonsum geringer Mengen von der Strafe absehen bzw. die Strafverfolgung wegen geringer Schuld einstellen kann. Einzig die Aufforderung des Gerichts an den Gesetzgeber, eine straffreie Mindestmenge festzuschreiben, blieb vom Lübecker Haschischurteil übrig – also die vermaledeite Rechtspraxis, die es jedem Schnüffler nach wie vor erlaubt, dem Kiffer die Tüte abzuziehen und eine Alibi-Strafanzeige zu schreiben. Das Recht auf Rausch für Kiffer blieb eine Illusion, dank unserer braven Verfassungsrichter, die der sorgfältig erarbeiteten Rechtsethik der Lübecker Kammer nicht folgten und damit der Legislative und Exekutive der BRD den Persilschein ausstellten, nur tüchtig weiter mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Zuletzt bleibt die Frage, was aus dem mutigen Richter und Nestbeschmutzer aus Lübeck geworden ist. Nicht viel! Der gute Neskovic blieb seiner Linie treu. Er trat aus der SPD aus und den Grünen bei. Als dann die „Öko- und Gesundheitsfaschisten“ an die Macht kamen, war Neskovic zur Stelle und verkündete lauthals: Wer grüne Ideen wählen wolle, dürfe nicht grün wählen. Vor allem aber sei Joschka Fischer als Außenminister vor dem Hintergrund der deutschen Kriegsbeteiligung im Kosovo nicht tragbar. Die Folge war ein Parteiausschlussverfahren und die Erkenntnis, dass die kriegslüsterne Grünenpartei wohl doch nicht der richtige Platz für einen mutigen und entschlossenen Mann ist, der dem Frieden an allen Kriegsfronten das Wort redet. 2005 kam der heute Dreiundsechzigjährige auf seiner Odyssee durch die deutsche Parteienlandschaft dort an, wohin ein Arbeiterkind nun einmal gehört – bei den LINKEN.

Und da sitzt er nun unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes, eckt überall und nirgends an, selbst bei den Genossen in seinem brandenburgischen Wahlkreis, denen er vorhält, sie würden von der SPD links überholt werden.

Und das ist gut so, lieber Wolfgang! Sie sind das schlechte Gewissen der verlogenen Politikerbrut, also jenen böswilligen Menschen, die die vom Grundgesetz garantierte freie Entfaltung der Persönlichkeit den Genusskiffern und Hanfpatienten vorenthalten.

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