Dienstag, 1. November 2011

Psychoaktive Pflanzen unserer Heimat

der Fingerhut

Steckbrief
Digitalis purpurea LINNÉ
Familie:
Scropulariaceae (Braunwurzgewächse)

Synonyme:
Digitalis amandia, Digitalis amandiana SAMP., Digitalis miniana SAMP., Unterformen: Digitalis purpurea f. albiflora, Digitalis purpurea ssp. heywoodii

Trivialnamen:
Fingerglöckchen, Fingerglöckerln, Fingerpiepen, Foxes glofa (walis.), Foxglove (engl.), Frauenhandschuh, Klaprause, Platzblume, Potschen, Purpurroter Fingerhut, Roter Fingerhut, Unserer lieben Frau Handschuh, Waldglocke, Waldglöckchen, Waldschellen u. a.

Vorkommen:
Digitalis purpurea ist in Deutschland, Frankreich, England, Spanien, Holland, Belgien und der Schweiz bis in sibirische Gefilde heimisch. Hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) auf humusreichem, kalkfreiem (Wald-)Boden, sonnig bis halbschattig.

Der Fingerhut ist, zusammen mit dem Sturmhut und dem Maiglöckchen, eine der giftigsten Pflanzen unserer Gefilde. Das liegt an den hoch potenten und herzwirksamen Inhaltsstoffen des Gewächses, den Digitalis-Glykosiden. Mit diesen werden in der modernen Schulmedizin herzkraftgeschwächte Patienten behandelt. Vor jeglichen Selbstversuchen mit dem Fingerhut sei hier eindringlich gewarnt – ein solcher Versuch kann durchaus und schneller als gedacht auf dem Friedhof enden. Also keinesfalls anwenden!

Botanik
Die Blüten der zweijährigen Pflanze ähneln einem Fingerhut, daher auch sein Name (von lat. digitale = Fingerhut). Die diversen Arten unterscheiden sich in Größe und Farbe. Sie können bis zu zwei Metern hoch werden. Blätter eiförmig, ganzrandig, fiedernervig, flaumig behaart.
Die verschiedenfarbigen Blüten wachsen in einer Traube von unten nach oben auf. Im Schlund des Kelchs dunkle Flecken mit heller Umrandung, welche wie Staubbeutel aussehen und Insekten anlocken sollen. Blütezeit ist von Juni bis August.

Tipp für die Heimkultur: Die Pflanzen wachsen länger, wenn die Triebe nach der Blüte gestutzt werden. Aussaat im März und April. Die Pflanze bildet ihre Blüten erst im zweiten Jahr aus.

Andere Digitalis-Arten aus Europa
(Auswahl)
Digitalis dubia RODR.
Südwest-Europa
Digitalis ferruginea LINNÉ
Rostfarbener Fingerhut, Süd(ost)europa, Türkei
Digitalis lanata EHRH.
Wolliger Fingerhut, Südosteuropa
Digitalis lutea
Gelber Fingerhut, Europa

Wirkstoffe
Der Fingerhut enthält, je nach chemischer Rasse, in allen Pflanzenteilen die Purpureaglykoside A und B, Digitoxin, Gitoxin (Digitalin), Gitaloxin, die Saponine Gitonin, Digitonin, Natigin und Tigonin und außerdem Flavone, Schleimstoffe, organische Säuren, Acetylcholin und Cholin.

Geschichte
Die Geschichte des Fingerhuts ist zweifelsfrei die Geschichte der medizinischen Anwendung dieser offizinellen Pflanze. Der britische Arzt William Withering (1741 bis 1799) erforschte die Digitalis im Allgemeinen Krankenhaus zu Birmingham zehn Jahre lang und veröffentlichte seine Ergebnisse im Jahr 1786. Von da an war der Einzug der Giftpflanze in die Schulmedizin nicht mehr aufzuhalten. Dabei sind die Arten Digitalis purpurea und aus dem Balkan stammende Digitalis lanata die wichtigste und hauptsächlich genutzten Spezies der Gattung.
Innerhalb der gesamten Pallette der Phytotherapeutika (pflanzlichen Arzneimittel) ist der Fingerhut eines der wichtigsten Gewächse, da seine Inhaltsstoffe, die Digitoxine oder Digitalis-Glykoside, bis zum heutigen Tage nicht im Labor hergestellt werden können.

Verwendung
Die medizinische Verwendbarkeit begründet sich in der Wirksamkeit der verschiedenen Glykoside, welche bei gleichzeitiger Verlangsamung der Herzfrequenz die Herzkraft zu erhöhen vermögen. Früher wurden anstatt des pharmazeutisch isolierten Digitalis-Präparats (z.B. Digimerck®) getrocknete und gepulverte Fingerhutblätter (Folia Digitalis) medizinisch verwendet. Es wurde außerdem eine Tinktur (Tinctura Digitalis) aus den Blättern bereitet. Homöopathisch wird Digitalis purpurea gegen krankhaft verlangsamte Herzfrequenz, gegen Brust- und Bauchwassersucht, schwarzen Star, Bluthusten, Blausucht und gegen weißen Stuhlgang angewendet.
Digitalis-Arten können in der Tat auch für psychoaktive Zwecke genutzt werden, wenn auch die Anwendung extrem gefährlich ist. Leichte Fingerhut-Vergiftungen verursachen oftmals farbige Halluzinationen angenehmer Art, welche allerdings nicht durch Neurotransmitter, also geistige Effekte, sondern durch eine nervliche Verwirrung des Auges (der Retina) ausgelöst werden. In modernen magischen Kreisen werden die Blätter des Fingerhut verwendet, um leidenschaftliche Liebe in einem Menschen zu erwecken oder um Haus und Hof mit Schutz zu versehen. Zu diesem Zweck wird das Blattwerk in einer kleinen Schachtel aufbewahrt und soll aufgrund seiner Giftigkeit nicht eingeatmet werden.

Wirkung
Geringfügige Dosierungen wirken beruhigend oder narkotisierend bis halluzinogen, höhere Herzkraftsteigernd bis letal (tödlich). In neuerer Zeit wurde auch die Wirkung des Fingerhuts gegen Krebszellen entdeckt.

Gefahren, Nebenwirkungen
Die enorme Potenz der Digitalis macht diese zu einer gefährlichen Giftpflanze.
Schon 0,3 Gramm getrockneter Blätter können beim Erwachsenen einen Herzstillstand verursachen. Auch kann das intensive Einatmen der Blütendüfte gerade bei Kindern zu (im Glücksfalle leichten) Vergiftungserscheinungen führen.
Gegengift bei einer Digitalisvergiftung ist der (ebenfalls herzwirksame) Tollkirsche-Wirkstoff Atropin.

Rechtslage
Für die wild wachsende Pflanze existieren keine Bestimmungen.
Pharmazeutische Zubereitungen unterliegen der Arzneimittelverordnung und sind verschreibungspflichtig.

Literatur:
Rätsch, Christian (1998), Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag
Roth, Lutz; Daunderer, Max; Kormann, Kurt (1994), Giftpflanzen – Pflanzengifte. Sonderausg., Hamburg: Nikol Verlagsgesellschaft
Schimpfky, Richard (1893), Unsere Heilpflanzen in Bild und Wort, Gera-Untermhaus: Köhler

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