Mittwoch, 27. Juli 2011

Psychoaktive Pflanzen unserer Heimat

Gemeiner Schneeball

Steckbrief:
Viburnum opulus LINNÉ
Familie:
Viburnaceae (Schneeballgewächse)

Synonyme:

Trivialnamen:
Für Viburnum-Arten: Arrow wood (indianisch), Bastardlorbeer, Hirschholder, Schneeball, Schneeballschlinge, Steinlorbeer, Wasserholder, Wasserschneeball und andere. Viburnum opulus wird u.a. Gemeiner Schneeball, Gewöhnlicher Schneeball, Water elder (engl.), Guelder rose (engl.), Viorne obier (frz.), Sambuco aquatico (it.) und Oppio (it.) genannt.

Vorkommen:
Es existieren etwa 120 bis 150 Arten der Gattung Viburnum, zwei davon sind in Deutschland heimisch: Viburnum opulus und Viburnum lantana. Viburnum lantana ist vermutlich nicht psychoaktiv (siehe unten). Viburnum opulus kommt vom Tiefland bis in die Alpen in ganz Europa bis nach Asien vor. An Fluss- und Bachufern, Waldrändern und Hecken. In Misch- und Auewäldern, Erlen- und Weidegebüschen. Sonniger bis halbschattiger Standort. Hitzeempfindlich.

Botanik
Aufrecht wachsender, breiter Großstrauch (bis zu 5 Metern Höhe) mit drei- bis fünflappigen, gegenständigen, Ahorn-ähnlichen, grünen Blättern. Weisse Blüten in tellerförmigen Trugdolden (2 Formen), Blütezeit: Mai bis Juni. Rote (zum Teil auch gelbe), glänzende, ungeniessbare Früchte. Sechs- bis achtkantige Zweige. Flache und weitstreichende Wurzel.
„Viburnum umfasst Arten mit einfachen, fingerig gelappten Blättern: Viburnum opulus, gemeiner Schneeball, mit sterilen, großen Randblüten des Blütenstandes, wächst an Wegrändern und in Hecken; der in Gärten vielkultivierte ‚Schneeball’ hat nur unfruchtbare, großkronige Blüten. Der nordamerikanische Schneeball, Viburnum prunifolium, besitzt blauschwarze Früchte.“ (KAISER 1955: 645)

viburnum opulus: Busch

Wirkstoffe
Arbutin, Cumarine, Esculetin, Glykoside, Hydrochinone, Methylarbutin, l-Methyl-2,3-dibutyl Hemimellitat, Resin, triterpenoide Saponine, Salicin, Salicoside, Scopoletin (Cumarin), Scopolin, Tannine (Catechine), Valeriansäure, Viburnin, Viopudial, Catechingerbstoffe und Spuren von Volatilöl in den unreifen Beeren, Blättern und Rinde (kommen nicht in allen Arten so vor).
Viburnum opulus enthält außerdem alpha-Amyrin und beta-Amyrin, Viburnum rhytidophyllum enthält ZZ Viburnin (ein makrozyklisches Spermidin-Alkaloid).

Geschichte
Viburnum wird homöopathisch gegen Menstruationsbeschwerden gegeben. Volksmedizinisch fand ein Schneeball-Dekokt aus Blättern des Viburnum lantana LINNÉ als Gurgellösung bei Mund und Rachen-Erkrankungen Verwendung. Viburnum-Beeren wurden als Abführmittel benutzt. Dies endete aber nicht selten in Intoxikationen. Medizinische Zubereitungen aus der Rinde des Viburnum opulus werden als Krampflöser, Sedativa (merke!), Astringienzien und Nerventonika verwendet. Ansonsten und außerhalb der medizinischen Verwendung diente der Schneeball früher als Flechtwerk, da sein Reisig sehr biegsam ist (COMPL. BOT.).

Verwendung
Zum psychoaktiven Gebrauch der Schneeball-Arten ist nur sehr wenig bekannt. Christian Rätsch macht einige Angaben: Viburnum wird von manchen Indianerstämmen geraucht und als Kinnickinnick-Additiv genutzt (RÄTSCH 1998: 759, 761-762). Christian schreibt, Viburnum trilobum MARSH. gehöre „zu den traditionellen Rauchkräutern der Waldlandindianer“ (RÄTSCH 1998: 762). Das könnte die Vermutung nahelegen, dass auch der einheimische Viburnum opulus derartig nutzbar ist. Immerhin ist Viburnum trilobum nur ein Synonym für Viburnum opulus var. americanum, also die amerikanische Varietät des Gewöhnlichen Schneeballs. Zu eben diesem habe ich noch ein weitere Angabe gefunden: Viburnum opulus wird für die Produktion von Wein genutzt.

Wirkung
Wir wissen aus der Litertaur (abgesehen von den Vergiftungseffekten) nichts über die psychotropen Wirkungen der volkstümlichen Viburnum-Anwendung. Aus der Medizin ist allerdings bekannt, dass der Gewöhnliche Schneeball ein wirksames Sedativum ist (COMPL. BOT.) und außerdem Bewusstseinstrübungen und Erregung induzieren kann (ROTH et al. 1994: 728). Vermutlich ist das Cumarin Scopoletin für die psychoaktive Wirkung der Viburnum spp. verantwortlich. Die Verbindung kommt allerdings nicht in allen Spezies vor. Viburnum lantana und Viburnum rhytidophyllum zum Beispiel enthälen kein Scopoletin. Eine geistbewegende Wirkung ist daher bei diesen Arten zweifelhaft.

Früchte

Gefahren & Nebenwirkungen
Symptome einer leichten Intoxikation (z. B. wenn ein Kind ein bis zwei unreife Beeren gegessen hat) beschränken sich in aller Regel auf Durchfall und Erbrechen. Reife Beeren haben keine toxischen Eigenschaften. Die orale Applikation von Schneeballblättern und -rinde kann im schlimmsten Fall Magen- und Darmentzündungen, Hämaturie (blutigen Urin) und Diarrhoe induzieren. Heftige Überdosierungen verursachen unter Umständen Ateminsuffizienz, Herzrhythmusstörungen und schlimmstenfalls den Tod. Allerdings sind bisher keine Todesfälle dokumentiert:
„(…) Die roten Beeren von Viburnum opulus und die (…) schwarzen Früchte des Wolligen Schneeballs [Viburnum lantana] (…) [gelten] allgemein als giftverdächtig. Sie sollen alten Angaben zufolge Entzündungen in den Verdauungsorganen hervorrufen und sogar tödliche Vergiftungen bewirkt haben. Aus diesem Jahrhundert liegen jedoch keine Berichte über ernsthafte Intoxikationen mit Viburnum-Früchten vor, obwohl Kinder nicht gerade selten von diesen probieren (…). Dagegen gibt es mehrere Hinweise in der Literatur, daß reife Früchte verschiedener Schneeballarten (alnifolium, cassinoides, lentago, opulus [!], prunifolium) nicht nur gekocht zu Gelee und Marmelade verarbeitet, sondern auch roh gegessen werden (…). von den Beeren des Kanadischen Schneeballs (V. prunifolium), dessen Rinde in vielen Arzneibüchern aufgeführt und wegen ihrer spasmolytischen Wirkung auf den Uterus angewendet wurde [s. u.; Anm. M. B.], behauptet MEDSGER (…): „I do not recall any other wild fruit that I enjoy more.“ Unzweifelhaft enthalten gerade die Rinden und Blätter einiger Viburnum-Arten pharmakologisch wirksame Verbindungen (Cumarine, Iridoide, Diterpene) (…), ihre Früchte scheinen allerdings nur gesundheitliche Störungen (Erbrechen, Durchfall) hervorzurufen, wenn sie im unreifen Zustand oder in großer Menge gegessen werden“ (FROHNE et PFÄNDER 1987: 97).

Zu Viburnum opulus vermerken ROTH et al.: „Die Beeren sind nach neuren Angaben nicht giftig. In größeren Mengen oder unreif gegessen rufen sie Erbrechen und Durchfall hervor. Übelkeit, Bewußtseinstrübungen, Erbrechen, Durchfall, Erregung, Herzrhythmusstörungen, Krämpfe, Atemnot, Nierenschädigung, Blut im Urin, Entzündung der Verdauungsorgane“ (ROTH, DAUNDERER et al. 1994: 728).
Im Falle einer Überdosierung mit Viburnum wird zur Ersten Hilfe zehn Gramm medizinische Kohle verabreicht und warmer Tee oder Himbeersaft in größeren Mengen gegeben. Klinisch wird der Magen gespült, zehn Gramm Kohle und Natriumsulfat gegeben sowie ein Azidoseausgleich vermittels Natriumhydrogencarbonat und Elektrolytsubstitution durchgeführt (ROTH, DAUNDERER et al. 1994: 951).

Rechtslage
Viburnum-Arten unterliegen keinen Bestimmungen und Vorschriften.

Literatur:
Compleat Botanica, Crescent Bloom (COMPL. BOT.) http://www.crescentbloom.com/Plants/Specimen/VI/Viburnum%20opulus.html
Frohne, Dietrich; Pfänder, Hans Jürgen (1987), Giftpflanzen, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Kaiser, Hans (1955), Der Apothekerpraktikant, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft
Rätsch, Christian (1998), Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag
Roth, Lutz; Daunderer, Max; Kormann, Kurt (1994), Giftpflanzen – Pflanzengifte, Hamburg: Nikol

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