Freitag, 1. Juli 2011

Epistel an die Oranier

Lieve mensen van Oranje,

verzeihen Sie vielmals, dass ich mich als Deutscher in Ihre inneren Angelegenheiten einmische, aber es ist nur noch zum Heulen, Ihnen dabei zuzuschauen, wie Sie im Rausch spätrömischer Dekadenz Ihr kleines Königreich zugrunde richten. Als damals der Jagdruf des Pim Fortuyn Tegen de islamisering van onze cultuur durchs Land schallte, dachte ich, das sei nur ein temporärer Missklang im Orchester einer toleranten und liberalen Gesellschaft, der schnell wieder verhallen wird. Doch seitdem der zwielichtige Geert Wilders das rechtslastige Minderheitenkabinett unter Ministerpräsident Mark Rutte dirigiert, höre ich die Nachtigall trapsen – und das in dem Land, das mir bislang auf Gottes schöner Erde das liebste war. Plötzlich zeigen auch Sie die hässliche Fratze des Ultranationalismus, gerade so als wollten Sie sich dafür entschuldigen, solange das deutsche Legalitätsprinzip mit Ihrem unseligen Opportunitätsdenken strapaziert zu haben.

Was ist mit Ihnen los, liebe Nachbarn? Keine Lust mehr auf Jointje und MultiKulti? Wohin soll die Reise gehen, wenn nunmehr auch die Bibelfanatiker der Staatkundig Gereformeerde Partij den Weg in die Zukunft weisen dürfen, obwohl die Hälfte der Bevölkerung konfessionslos ist? Wird es bald die Todesstrafe für Abtreibung und Sterbehilfe geben? Übernehmen jetzt die Jesus-Freaks die unappetitliche Aufgabe der Vertreibung der Muslime aus dem Garten Eden? Fordern bald die ultraorthodox-calvinistischen Chauvinisten die Burka-Pflicht für Blondinen und Schwule? Kommen die Cannabisfachhändler demnächst wie in Deutschland in Sicherungsverwahrung?

Fragen über Fragen, die man sich hier im fernen Preußen stellt, also dort, wo die Idealisten noch alte niederländische Werte hochhalten. Schon Friedrich der Große predigte die flämisch-wallonische Weisheit, dass jeder nach seiner Façon selig werden soll. Diese von Luise Henriette von Oranien vererbte Lebensmaxime ist es dann auch, die uns angeheiratete Ost-Oranier stutzen lässt. Ausgerechnet unsere vorbildlichen und genetisch unzuverlässigen Niederländer unterscheiden sich kaum noch von dem Gesindel, das Adolf Hitler einen feinen Kerl nennt und rechtsradikales Gedankengut gepaart mit offen gelebtem Rassismus für legitim hält. Nein, das gefällt mir nicht, meine lieben Anverwandten! Das gefällt mir ganz und gar nicht! Sie dürfen nicht so werden wie die, vor denen ich meine Kinder und Kindeskinder warne.

Sie werden sich jetzt verwundert am Kopf kratzen und fragen, was der olle Mof eigentlich will. Aus Ihrer Sicht hat das Großreinemachen in den Ghettos der Vorstädte und im bandenmäßig organisierten Cannabis-Milieu ja noch gar nicht begonnen, und die Deutschen sind doch sonst auch nicht so zimperlich, was die Verletzung der Menschenrechte betrifft. Viele Gesetze aus der guten alten Hippiezeit, die Ihre halbseidene Regierung abschaffen will, haben die Nachbarländer noch nicht mal als Entwurf in der Schublade. Doch genau hier setzt meine Kritik an, denn die politische Entwicklung in den Niederlanden beschert mir längst verloren geglaubte Alpträume – Alpträume, die die Rechtspopulisten und reaktionären Kräfte in Ihren Reihen Wirklichkeit werden lassen wollen. Ihre Freiheit war nämlich auch meine Freiheit! Ihre Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Anderslebenden war auch meine Leitkultur und stets das beste Argument gegen den Kleinmut und die ewige Jammerei meiner Landsleute, was ja mittlerweile als German Angst weltweit patentiert ist! Holland war für mich von Kindesbeinen an der Inbegriff von Freizügigkeit – dem wohl kostbarsten Gut, das es auf diesem unserem Erdball zu erstreben gilt! Und als Berliner Mauerkind weiß ich, wovon ich rede, liebe Niederländer! Während Sie nach 1945 das himmlische Glück hatten, sich kulturell weiterzuentwickeln und den hohen Wert der Freiheit auch wirklich zu leben, wuchs Ihr entfernter Vetter auf dem Trümmerfeld des Dritten Reichs auf, also auf braunverseuchtem Boden, der zugleich der unsicherste Platz der Welt war.

Einem Kindersoldat gleich stand ich an vorderster Front des Kalten Krieges, lebendig eingemauert von Bolschewiken, indoktriniert von Alt-Nazis und von den Siegermächten degradiert zu einem Menschen mit behelfsmäßigem Personalausweis, weil wir Westberliner kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland waren. Und Sie, liebe NATO-Kombattanten? Sie haben den lieben langen Tag oude Gouda ohne Brot gefuttert, während ich auch Ihre Freiheit in der ostasiatischen Steppe verteidigt habe. Als ich 1961 per Kinderlandverschickung das erste Mal in die Niederlande reiste, um mich mal so richtig satt zu essen, kam es mir vor, als schwebte ich auf Wolke Sieben, so leicht war das Sein im Land der Tulpen. Plötzlich war die Welt nicht mehr schwarzweiß und grau in grau, sondern grün mit bunten Sprenkeln. Rundum gab es einen Horizont und von allen Seiten roch es nach Pannekoeken – und später nach Nederwiet. Seitdem habe ich in keinem anderen Land der Welt mehr Zeit verbracht, mehr Freunde gewonnen und schönere Momente des Friedens und der Muße erlebt. Jahr für Jahr haben wir uns an der Nordsee unter Sie gemischt, haben mit Ihnen geklönt, gelacht und gefeiert, und alles war gut. Doch damit wollen Sie nun Schluss machen. Sie wollen, dass wir wegbleiben, indem Sie Schilder mit der Aufschrift Geen wiet voor Duitse! an die Türen der Coffeeshops nageln. 35 Jahre lang waren wir Ihnen gleichgestellt, und der olle Berliner hatte so etwas wie eine zweite Heimat gefunden. Als die progressiv ausgerichtete Den-Uyl-Regierung 1976 das Coffeeshop-System einrichtete, um den Cannabis- vom Harddrughandel zu trennen, war das auch für uns germanische Kiffer ein Hoffnungsschimmer am dunklen Horizont des Anti-Drogen-Krieges, der bis heute weltweit mehr Opfer fordert als irgendein anderer Krieg mit Bleispritzen und Kanonen. Dass mein Glaube an den gesunden Menschenverstand nunmehr ausgerechnet von den Menschen zerstört wird, die ich bislang für leutselige Kosmopoliten und geniale Lebenskünstler hielt, ist deshalb auch die größte Enttäuschung, die mir je untergekommen ist. Ihr kultureller Paradigmenwechsel, nur noch die am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen, die in das Weltbild des stromlinienförmigen Kleinbürgertums passen, ist abstoßend und stinkt gen Himmel.

Deshalb klage ich Sie an, vor allem die, die als links-liberale Wohlstand- und Bildungsbürger zwar über das nötige Geschichtsbewusstsein verfügen, aber wider besseres Wissen und aus reiner Ignoranz tatenlos zuschauen, wie das Land der Freiheit völlig sinnbefreit die Reset-Taste drückt und sich als Kärnten des Nordens rebootet. Streben Sie wirklich ein fremdenfeindliches Königreich an, in dem die unanständige Geld-Elite und rückgratlosen Polit-Opportunisten, die Öko-Yuppies und spröden Linkskonservativen gemeinsame Sache machen, um sich hinter den Deichen vor dem Unbill des globalen Lebens zu schützen?

Ich kann, will und muss das nicht glauben! Das ist nur ein Fiebertraum! Sie glauben den Rattenfängern der Partij voor de Vrijheid doch nicht wirklich, die Lösung aller Probleme läge in der Vertreibung der Muslime und Kiffer? Ein Blick nach Deutschland müsste doch Abschreckung genug sein, um die Erkenntnis zu generieren, dass die Ausgrenzung von Menschen ein Irrweg ist, der nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit führt. Merken Sie denn nicht, dass Sie mit dem Feuer spielen, wenn Sie denen das politische Feld überlassen, die gerne kokeln. Gucken Sie doch mal über den Tellerrand nach Deutschland, wo die rechtsnationalen Brandstifter tagtäglich auf Ausländerjagd gehen, wie zuletzt der ehemalige Berliner Finanzsenator und Ex-Bundesbankchef Thilo Sarrazin, der nunmehr ungeniert als Rassenkundler und Bestsellerautor unterwegs ist und mit Scheißhausparolen die braune Seele der Deutschen kitzelt – auch die der Sozialdemokraten und Grünen.

Nun gut, dabei will ich es mal belassen mit meiner Empörung über den miserablen Zustand Ihrer Gesellschaft. Nachher befiehlt der Wilders dem Rutte noch, mir und meiner Familie ein generelles Einreiseverbot auszusprechen. Und das wäre gar nicht gut, denn im Sommer wollen wir ein letztes Mal nach Schiermonnikoog reisen und tüchtig Geld ausgeben. Natürlich werden wir in Groningen einen Shit-Stop einlegen und voraussichtlich das letzte Mal in unserem Leben einen Coffeeshop betreten, um die Cannabisfachverkäuferin wie immer um den Finger zu wickeln, uns doch statt der zulässigen Abgabemenge von lächerlichen fünf Gramm die doppelte Portion Killerkraut zu verkaufen. Ja und dann, dann werden wir, die kiffenden Opas und Omas aus Ost-Oranien, im Drogenrausch randalierend durch die Straßen ziehen, uns in die Gracht vor Ihrer Haustür erbrechen und eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Schließlich wollen wir ja dem Gruselbild entsprechen, das Sie von uns deutschen Kiffern haben. Und dann heißt es Abschied nehmen, voraussichtlich für immer, denn wir Kinder vom Bahnhof Zoo sind auch nicht mehr die Jüngsten. Und bevor wir uns dem Stress aussetzen, als Mensch zweiter Klasse in die Niederlande zu reisen, können wir gleich Heimaturlaub auf Sylt oder Hiddensee machen – es sei denn, Sie wenden den wirtschaftlichen Schaden ab, den Ihre Regierung mit dem Wietpasje anrichten will, und setzen das Coffeeshopverbot zumindest für Berliner 50+ aus. In diesem Falle entschuldige ich mich natürlich für die völlig aus der Luft gegriffene Polemik, meine lieben Oranier. Und mal ehrlich: Eigentlich finde ich den blondierten Geert ja auch ganz süß: Er hat so schöne blaue Augen.

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