Mittwoch, 30. März 2011

In George Schlichtens Fußstapfen

Der Decorticator

Während der Diskussionen über die Verarbeitung von Hanffasern, wiederholte der Hanfbauer Petr Žáček aus Podviní nahe Litoměřice immer wieder: „Nur mit Decorticator, nur mit Decorticator“ Aber was ist dieser Decorticator? Hat ihn jemals jemand gesehen?
Denn selbst Menschen, die im Hanfbusiness involviert sind, können das Wort oft nicht einmal aussprechen. Ist dieser Decorticator nur ein Mythos oder eine echte Chance für eine neue technische Revolution? In dem Wort Decorticator steckt das Nomen Kern, was sich auf das Innerste der Pflanze bezieht. Das Präfix „de“ steht für die Zerlegung dessen.

Somit erklärt der Name eigentlich schon, was die Maschine leistet. Sie verarbeitet die Stängel von Hanf zu faserförmigem Pflanzenmaterial. Wann dieser Begriff erstmals Verwendung fand, weiß man nicht, doch in der Tschechischen Republik nennt man den Prozess zur Herstellung faserartigen Pflanzenmaterials „tírna“ – wie bei Flachsmühlen. In solchen werden Flachs oder Hanffaser jedoch abgerieben. Der Prozess produziert nur einen hölzernen Stiel – den Bullen. Flachsmühlen wurden während des zweiten Weltkrieges aber durch industrielle Fabriken ersetzt und später ganz verdrängt. Vor dieser Zeit wurden Hanf und Flachs meist von den Erntehelfern halb maschinell verarbeitet, und mit Zuhilfenahme von Tier und Menschenkraft produziert. Eine traditionelle Flachsbreche und ein Kamm, um Flachs und Hanf zu kämmen und zu brechen, waren stets wichtige Werkzeuge in einem jedem Haushalt. Nach Ende des 18. Jahrhunderts erblickten viele verschiedene Rollsysteme zur Brechung des Pflanzenmaterials das Licht der Welt, um den anstrengenden Prozess zu beschleunigen und zu erleichtern. Dennoch wurde die Verarbeitung von Flachs und Hanf von dem kometenhaften Aufstieg der industriellen Baumwollverarbeitung weit überholt. Die Verfügbarkeit und Effektivität der Maschinen für alternative Gewächse waren dafür zu gering.

Das Spitzenprodukt der Hanfverarbeitung, das bis heute unübertroffen bleibt, ist der Schlichten Decorticator. Glaubt man den Informationen des Autors Don Wirtchafter, hat Georg W. Schlichten erreicht, was vorher hundert andere Erfinder nicht zustande brachten. Er löste ein uraltes Problem und schuf eine Maschine, die es ermöglichte, nutzbare Bastfasern vom Rest der Pflanze zu trennen. Vor diesem Gerät war es eine ermüdende und aufwendige Arbeit, die Pflanzen zu brechen, zu hacken und die festen Stiele in die Form von gebrauchsfähigem Garn zu bringen. Diese aufwendige Verarbeitung erhöhte die Kosten für Angestellte um einen Faktor von 100% im Vergleich zur Verarbeitung mit Schlichtens Maschine. Auch wenn der Decorticator jedes Pflanzenmaterial verarbeiten konnte, war Hanf Schlichtens Favorit. Die sechs Meter lange Maschine streift die grüne Blättervegetation von den trockenen Stängeln und zerbricht sie anschließend durch eine Reihe genuteter Rollen und Schlegel, so dass Werg und hölzernes Mark ausgetrieben werden. Eine Reihe Kämme und Rollen bürstet die kurzen „Flachs“-Fasern aus, während die langen Fasern lang genug massiert werden, dass sie entgummiert werden. Die Pektinbeschichtung flockt ab und wird für weitere industrielle Zwecke aufbewahrt. Das Finalprodukt, das „Silber“ genannt wird, wird am anderen Ende der Maschine ausgegeben und ist bereit, in feinsten Schnürchen aufgerollt zu werden. Viele andere Erfindungen, die ebenfalls Decorticator getauft wurden, waren nicht mal ansatzweise so effizient wie der von Georg Schlichten. Die meisten warfen eher Matten aus, die jede Faser aufwendig ausgekämmt bekommen musste. Schlichtens Maschine hingegen war dazu in der Lage, die Feinheit der Fasern beizubehalten und ein feines „Silber“ aus Hanf bereitzustellen, das direkt nach dem Aufrollen zum Spinnen an gewöhnlichen Geräten genutzt werden konnte.

Schlichten wurde 1862 in Deutschland geboren. Er investierte 400,000 $ seines eigenen Vermögens in die Entwicklung des Decorticators und benötigte so einen Markt, auf dem er einen Teil der Investitionen wieder zurückholen konnte. 1916 nahm er seine erste Produktion von „Hanf Silber“ mit auf den New Yorker Markt, auf dem er es zu einem rekordverdächtigen Preis von 100 $ pro Tonne verkaufen konnte. Keine Faser bekam jemals zuvor solch einen hohen Preis. Experten betitelten es einer besseren Qualität als den italienischen Hanf.

Eine Spinnmühle, die J.D. Rockefeller gehörte, erwarb die gesamte Ernte Schlichtens und engagierte ihn, um den Prozess der Verarbeitung von den ungewöhnlichen Fasern zu Garn zu überwachen. Die Mühle war so beeindruckt von den Ergebnissen, dass sie die exklusiven Rechte der Erfindung für die Hälfte des Verlangten von Schlichten abkaufen wollten. Dieser war jedoch nicht bereit zu verkaufen, vor allem nicht an Rockefeller. Alles, was man über Georg Schlichten weiß, ist aus einer Serie von 24 Briefen, die Edward W. Scripps gehörten und an die Alden Bibliothek der Ohio Universität gestiftet wurden, entnommen. Scripps gründete das United Press Syndicate (später United Press International) als Gegenbewegung für die des rechten Flügels angehörigen Associated Press.

Aufgrund seiner wissenschaftlichen Interessen baute er einige Forschungsinstitutionen, darunter auch das Scripps Institute in San Diego, auf. Scripps erfuhr von dem Decorticator über Harry Timken, Präsident der Timken Roller Bearing Company und einer der führenden Maschinisten seiner Zeit. Nachdem er Georg Schlichten kennen gelernt hatte, war er so von ihm beeindruckt, dass er ihn mitsamt seiner Forschungseinrichtung auf die Timken Ranch in Imperial Valley in Kalifornien einlud.
Schlichten pflanzte daraufhin auf 100 Hektar Hanf und andere experimentelle Erntepflanzen an. Im August 1917, kurz vor der Ernte, standen die Pflanzen so groß, dass sie landesweite Aufmerksamkeit bekamen. Filmgesellschaften, darunter Hearst, zeigten Bilder der vier Meter hohen Pflanzen in ihren Wochenschauen. Als die USA in den ersten Weltkrieg einzogen, sahen sich die Zeitungen gestiegenen Papierpreisen und geringen Holzmengen gegenüber und waren verzweifelt auf der Suche nach Alternativen. Schlichten wusste, dass er die Antwort auf diese Probleme hatte, da seine Maschine Berge von Werg produzierte, und das zu einem weitaus geringeren Preis als die Zellstoffherstellung aus Holz. Er musste nur eine große Zeitungsinteressengemeinschaft davon überzeugen, einen vollständigen Produktionsablauf von Hanfwerg in gebräuchlichen Papierfabriken vorzufinanzieren. Im Scripps Building in San Diego präsentierte Schlichten am dritten August 1917 Milton McRae, einem Partner von Scripps und Edward Chase, Scripps rechter Hand, seine Idee. Was Schlichten nicht ahnen konnte, war, dass seine Präsentation von McRae´s Sekretärin aufgenommen und festgehalten wurde. McRae schickte das so entstandene elfseitige Dokument später an Scripps, der es gewissenhaft in seinen Archiven verwahrte.

Schlichten wusste, dass seine revolutionäre Erfindung möglicherweise als Ziel für Angriffe herhalten muss, da er seinen deutschen Namen vor den Begriff stellte. Schlichten war seiner Zeit voraus. Er erklärte die Wirrungen von Rodung und sagte eine Zeit vorher, in der weiteres Abholzen verboten und mit Geldstrafen versehen wird. Alle Beteiligten -McRae, Chase, sogar Timken und Scripps – waren alle sehr von dem Projekt überzeugt und wollten es schnellstens verwirklichen. Wie dem auch sei, zwei Wochen später änderten Chase und McRae ohne Begründung urplötzlich ihre Meinung. Die beiden überzeugten Timken „zweifellos“, dass Hanf nicht ökonomisch für die Zeitungsherstellung genutzt werden kann. McRae leitete Chase an, das Projekt fallen zu lassen und versprach Scripps einen vollständigen Bericht abzuliefern. Jedoch fehlt jeglicher Ansatz eines solchen Berichtes in den Archiven. Ohne einen finanzkräftigen Sponsor in der Hinterhand gerieten Schlichten und seine Maschine in Vergessenheit.

Fast ein gesamtes Jahr an Nachforschungen hat es Don Wirtchafter nicht ermöglicht, die Details des Falles, um Georg Schlichten, zu schließen. Schlichtens Name erscheint in keiner nennenswerten historischen Aufzeichnung über Hanf. Keiner der folgenden Erfinder auf diesem Gebiet erwähnte Schlichten auch nur mit einem Wort oder lobte ihn für seine frühen Erfolge. Er und seine Maschine verschwanden mysteriöser Weise aus historischen Aufzeichnungen ohne jegliche Spur zu hinterlassen. In den späten 1930er Jahren, als Schlichtens Patentrechte ausliefen, wurden plötzlich einige andere Decorticator Maschinen von Herstellern wie Anton F. Burkardt, Robert B. Cochrane, Karl Wessel und anderen vorgestellt. Diese Erfindungen bildeten den Grundstein für die Fabriken die für die „Hemp for Victory“ Kampagnen in 1943 aufgebaut wurden. Keine der entwickelten Nachfolger, erreichte jedoch die Effektivität des Schlichten Decorticators. Die „Hemp for Victory“ Kampagnen wurden aber sowieso direkt nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges eingestellt.

Glaubt man Jack Herer, lag die Verantwortung der Entwicklung des Decorticators in der Verantwortung der Industriellen dieser Zeit. Unter den richtigen Umständen hätte es die Industrie revolutionieren und einen wirtschaftlichen Schub generieren können, der vergleichbar mit der Perfektionierung der Baumwollindustrie gewesen wäre. Die mächtigen Barone fürchteten aber, dass die rasche Entwicklung der Hanfverarbeitungstechnologien ihre Investitionen in die Petrochemische und die auf Waldökonomie basierender Industrien destabilisieren könnten. Herer liegt aber mit seiner Marihuana Tax Theorie nicht ganz richtig. Die sogenannte Marihuana Verschwörung hat, wie hiermit offensichtlich wird, in den frühen 1920er Jahren begonnen. Mit der Entdeckung der Papiere über Georg Schlichten wird klar, dass die Repression dieser möglichen industriellen Revolution für die potentiellen Geldgeber schon zu diesem Zeitpunkt sinnvoll zu sein schien. Das wirft ein neues Licht auf die Geschichte des Hanfverbots, denn vor der Entdeckung der Schlichten Papiere galten die Patente von Anton Burkardt und Robert Cochrane von 1936 als die ersten, die einen Decorticator beschrieben.

Der ökonomische Aspekt dieser praktischen Erfindungen zur Verarbeitung von Faserhanf alleine können jedoch nicht die Yellow Press Kampagne von Hearst und Harry Anslinger’s gegen Marihuana erklären. Es scheint logischer, dass Hearst´s Hass gegen Migranten aus Mexiko den Hanf als negatives populistisches Mittel missbrauchen ließ (siehe dazu „Geschichte des Hanf von 1920 und 1930“). Georg Schlichten starb am dritten Februar 1923 als mittelloser Mann in Solona, Kalifornien.
Auch wenn sich heutzutage Millionen von Menschen weltweit an der Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf beteiligen, würde es wenig nützen, wenn sich nicht jemand dafür aufopfert, eine Technologie zu entwickeln, die den Prozess der Ernte und der Verarbeitung übernimmt. Schlichten hinterließ acht Seiten mit Zeichnungen seines ersten Patents und eine andere mit seinem zweiten. Er wollte seine nicht geheim halten.

In einer Einleitung eines Artikels einer veröffentlichten Ausgabe des High Times Magazines von 1994 konnte man von einer Gruppe von Technikern lesen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, Schlichtens Maschine nachzubauen. Hill und seine Firma Agra Machinery konnten bisher gute Erfolge aufweisen. Mit der Hilfe von Don Wirtchafter haben sie es geschafft, den original Decorticator von Schlichten zu rekonstruieren und in moderne Form zu packen. Das entwickelte Produkt ist der mobile Fiber X, der circa 150.000 € kostet.
Es bleibt weiterhin fraglich, warum diese praktische Maschine nicht auf dem internationalen Markt gehandelt wird.

Text:
www.innvista.com/health/foods/hemp/schlich.htm

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