Dienstag, 11. Januar 2011

Rolys Silberscheiben des Monats Januar 2011

Various: The Orb & Youth Pres. Impossible Odditiesyear zero

Ende der Achtziger Jahre gründeten Dr. Alex Paterson und Killing Joke Bassist Martin Clover aka Youth nicht nur das einflussreiche Ambientduo The Orb. Mit „WAU! Mr. Modo Recordings“ etablierten sie 1989 in Sheffield auch ihr eigenes Label, das in der UK Acid House Szene schnell ein Begriff wurde. In Zusammenarbeit mit Adam Morris, dem ehemaligen Tourmanager von Killing Joke, wurde elektronische Musik auf der Höhe der Zeit veröffentlicht. Hier plünderten sie ihre eigenen Plattensammlungen und machten Acidtracks komplett aus Samples. Die vorliegende 3xCD-Compilation „Impossible Oddities“ mit Freizeitpark-Covergestaltung ihres langjährigen Freundes Jimmy Cauty von The KLF sichtet inkl. einem Orb-DJ-Mix noch einmal das Archiv und illustriert mit raren Tracks die Geschichte des ikonischen Labels. Mit dem Ambient-Hit „Little Fluffy Clouds“ in der Demoversion, noch ohne Bleeps, startet die Zeitreise. Eternity produzierten Acid für die Warehouse-Party, während US-Produzent Desmond Fearon aka Uncle 22 monotonen Electro-House für die Clubs baute, Insync sich auf Chicago beriefen und Sound Iration elektronischen Dub proklamierten. Weitere erfrischende Sampledelia-Klassiker gibt’s u.a. von Discotec 2000, Paradise X, Delkom, Sun Electric, Indica All Stars, Mystic Knights, Blowfly, Readymade, STP Twentythree, Lyndsey Holloday und Georgette Della Rosa.
Mit dieser unbändigen Spielfreude und respektlosen Experimentierwut wurde einst britische Rave-Geschichte geschrieben. Und damals wie heute kann ich diesem willenlosen Sound viel abgewinnen.
www.myspace.com/orbisms
www.backsideoftheorb.com
www.youth.me.uk
www.futurenoisemusic.com


Schluck den Druck: Im Rausch mit Freunden
druckplatten records

„Mitte 2008 entdeckten die feiersüchtigen Eroberer als erste menschliche Wesen den massiven und steinigen Weg zur Bassquelle. Kompressor, Feier und der Signaladmiral machten sich in einer Nacht- und Nebel-Aktion auf und davon. Erst Anfang 2009 wurden sie in einem Bergdorf nahe Berlins völlig zerrüttet und abgemagert auf dem Parkplatz einer neueröffneten Minol-Tankstelle gefunden. Doch sie hatten ihr Ziel erreicht. Sie entführten den boxenförmigen Basskristall und die gewaltige Neonfeuerdruckwand breitete sich über die weltweite Clubszene aus.“ Ach so. Wenn man sich nach dem Lesen derartiger Pressetexte ein wenig die Beine vertreten will und Lust auf druckvolle elektronische Musik mit tiefen, verzerrten Bässen und harten Beats hat, dann ist man mit dem Debut-Album „Im Rausch mit Freunden“ der Neontanzschweine namens Schluck den Druck bestens bedient. Durchgedrehte Feiergranaten wie „Der Stockfisch tanzt“, „Es geht noch mehr“, „Schwiegerhund“, „Schokolade“, „Kommerzbaron“, „Erektion am Mittagstisch“, „Bereit“ und „Sektdusche“ zeichnen sich durch humoristische Texte sowie eine maximale Menge an Leidenschaft aus und peitschen dementsprechend nach vorne.
So möchte man die Feiergemeinde bei den Shows durch wilde Aktionen begeistern und sich von den Auftritten von Minimal-DJs und Live-Acts, die an ihren Rechnern während der Gigs ihre E-Mails abrufen, stark distanzieren. Habe die beiden Jungs bisher noch nicht live erlebt, aber dieses massiv alberne Werk macht grosse Lust drauf. Wie eine hyperaktive Dampfhammerwalze!
www.myspace.com/schluckdendruck
www.schluckdendruck.de


Faia Salamanda: Carinthia
south end music

Bei der letztjährigen Cultiva in Wien traf ich einen jungen Mann, der mit seiner Band auch live auf der Cultiva Party im Park Royal auftrat und mir tags darauf sein Album in die Hand drückte, das ich euch hier nun vorstellen möchte. Vor fast dreissig Jahren habe ich mit meiner Familie einen sehr schönen Urlaub in Kärnten verbracht, umso interessanter dieser unvergleichlich liebenswürdigen Mundart jetzt erst wieder zu begegnen, die hier der 24-jährige Solokünstler Faia Salamanda auf seinem Album „Carinthia“ mit positiven Reggae-Grooves vereint. Schliesslich passiert es auch nicht alle Tage, dass im beschaulichen Gurktal statt eines Kärntnerliedes gepflegter Reggae erklingt und dazu noch in reinem Kärntnerisch. Produziert wurde das Album im Studio „South End Music“ von Peter Prammerdorfer in Faia’s Heimatstadt St. Veit an der Glan. Gemeinsam mit ebenso talentierten Musiker-Freunden nimmt Faia Salamanda den Begriff Roots Music wörtlich und kleidet seine Kärntner Wurzeln in einen sehr eigenständigen Reggae. Gerade Songs wie „Du host die Faia in Dia“, „Unsa Faia brennt“, „Carinthia“, „Es geht nit imma leicht“, „Alpha und Omega“, „Jeda Tog“ und „Unsa Ego“ vermitteln mal kritisch, mal besinnlich ein Gefühl von Gleichheit und Zusammengehörigkeit, und am Ende wird mit dem Singkreis Glanegg noch das gemütliche „In da Mölltalleitn“ angestimmt.
Lieder und Texte stammen aus seiner eigenen Feder, und mit harmonischen „Carinthian Vibes” verbreitet Faia Salamanda seine Botschaft „One Love“. 100 Prozent Kärntner Reggae – authentisch und sehr sympathisch!
www.myspace.com/faiasalamanda
www.faiasalamanda.at
www.southendmusic.com


Götz Widmann: Balladen
götz widmann

Durch seine Songs mit Joint Venture (1993-2000) gilt er als stilbildender Einflussgeber der neueren Liedermaching-Generation. Spätestens nach „Extremliedermaching“ (1999) halten viele das Duo für strahlende Lichtgestalten in der Tradition von Konstantin Wecker und Hans Söllner. Ein Jahr später erleidet Martin Simon, längst unter dem Namen „Kleinti“ bekannt, völlig unerwartet einen tödlichen Herzinfarkt. Götz Widmann macht daraufhin solo weiter und setzt sich 2003 mit der Live-CD „Drogen“ sein eigenes Denkmal. Nach vier weiteren Alben und einer gefeierten DVD präsentiert er nun mit dem Doppel-Album „Balladen“ eine Liveauswahl der schönsten leisen Lieder von den Anfängen mit Joint Venture bis heute, inkl. vier neuer Titel – das amüsante „Kosewort“, die wunderschöne Fernweh-Hymne „Lavamärchenland“, das Mut machende „Struktur“ und das satirische Gedicht „MP7“. Die erste CD „Männer & Frauen“ enthält die klassischen Liebeslieder, das komplette Spektrum von frischverliebt bis frischverlassen. Die zweite CD unter dem Titel „Alles wieder gut“ bringt nachdenkliche, zerbrechliche, philosophische, ultralange oder tiefdepressive Lieder zum Zuhören.
Der freie Geist und Restidealist Götz Widmann ist ein gefühlvoller Textakrobat, der etwas zu sagen hat, seine Lieder subjektiv und doch allgemeingültig, und es ist ein Erlebnis, wie er einen im Laufe eines Abends durch das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle zu führen weiß. Voller Tiefgang und emotionaler Intensität zaubert er immer wieder ein ganz spezielles Leuchten auf die Gesichter der Zuschauer. Mit interessanten Modifikationen ein Muss für alle Freunde guter deutscher Texte.
www.myspace.com/goetzwidmann
www.goetzwidmann.de
www.liedermaching.de


[Hörspiel]
Faust-Rausch

edition fux / audiopool

„In der Schule war es eher eine Qual, ihn zu lesen“, gibt Felix Isenbügel zu. Doch dem Zauber des Wiener Burgtheaters konnte sich der Berliner Theater- und Fernsehschauspieler nicht entziehen. Auch wenn er in der letzten Reihe stehend kaum etwas sehen konnte, hat ihn die Kraft der Worte so mitgerissen, dass er die klassische Geschichte zwischen Gut und Böse unbedingt vertonen wollte. So ist „Faust-Rausch“ eine akustische Inszenierung von Goethes Tragödie „Faust“. Eine, die den ewig aktuellen Konflikt zwischen Faust und Mephisto modern und pointiert transportiert. Angetrieben von den wabernden Elektro-Beats, die der Berliner Pianist, Komponist und Produzent Christopher Noodt (Ohrbooten, Dendemann) dezent und passgenau unter die kraftvollen Dialoge legt, schraubt sich die Inszenierung zu einem intensiven Hörerlebnis hoch. Felix Isenbügel zeichnet sich verantwortlich für die Textbearbeitung und spricht den Mephisto. Schauspieler und Hörbuch-Experte Otto Strecker, der den Faust spricht und Regie führte, reduzierte Goethes Werk auf wenige zentrale Rollen und markante Textstellen. Jana Kozewa (Gretchen), Helmut Krauss (Gott) und Lara Eustermann (Hexe) ergänzen das Sprecherteam.
Das knapp einstündige Hörspiel verbindet die Kraft des Wortes mit dem Sog elektronischer Musik, überführt so den (!) deutschen Literaturmythos spielend leicht ins 21. Jahrhundert und macht ihn für junge Hörer zugänglich. Für 2011 sind übrigens Live-Aufführungen geplant. „Wenn das Gewölbe wiederschallt, fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt!“ Ambitioniert.
www.faust-rausch.com

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