Donnerstag, 25. November 2010

Sicherheitsbedenken und akute Versorgungs-Unzuverlässigkeiten

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat in jüngster Zeit mehrere Patienten-Anträge auf Eigen(bedarfs)anbau von Cannabis abgelehnt. Einem Aktenvermerk in der Sache Michael Fischer zufolge kann davon ausgegangen werden, dass das Deutsche Bundesministerium für Gesundheit (BMG) als direkter Weisungsgeber diese Ablehnungen zu verantworten hat.

Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, FDP, warnt bekanntlich vehement vor jeglichem Eigen(bedarfs)anbau, ohne aber dabei schwer bedürftige Schmerzpatienten von zu schützenden Jugendlichen zu unterscheiden.
Es herrscht Gewissheit darüber, dass die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP nicht nur mit narzisstischer Ignoranz und beflissenem Pharma-Lobbying protzen, sondern auch mit offen zur Schau getragener Arroganz gegenüber schwerstkranken Mitbürgern – welchen sie die sichere Selbstversorgung mit Cannabis mit unsäglichen Hinhalte-Schikanen vereiteln, verlängern, verteuern oder gar unmöglich machen.
Während Frau Dyckmans nicht nur hier ihre negative Haltung in erster Linie damit begründet, dass im „Heim-Anbau“ keine Standardisierung gemäß Arzneimittel-Zulassungsrecht möglich sei (hier werden mögliche Nebenwirkungen als „gesundheitliche Gefahren“ hingestellt), argumentiert das BfArM/BMG auch mit Zweifeln an der Sicherung des Krautes gegen unbefugte Wegnahme:

Auszug aus einer Eigenanbau-Ablehnung

„Dieser Art des beantragten Betäubungsmittelverkehrs (Anbau in einer Privatwohnung zu medizinischen Zwecken) stehen im konkreten Einzelfall zwingende Versagungsgründe des § 5 Absatz 1 BtMG entgegen, die auch mittels Nebenbestimmungen nach § 9 Absatz 2 BtMG nicht überwunden werden können.
a.) Nach § 5 Absatz 1 Nummern 4 und 5 BtMG ist die Erlaubnis nach § 3 BtMG zu versagen, wenn die Sicherheit oder Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht gewährleistet ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn geeignete Räume, Einrichtungen und Sicherungen für die Teilnahme am Betäubungsmittelverkehr nicht vorhanden sind (§ 5 Absatz 1 Nummer 4 BtMG). Für die Sicherung einer Cannabispflanzung sind die gleichen Maßstäbe anzuwenden, die für die sichere Aufbewahrung anderer Betäubungsmittel der Anlage l des BtMG dienen. Dabei sind die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten zu berücksichtigen. Anderenfalls ist die Erlaubnis gemäß § 5 Absatz 1 Nummer 4 BtMG zu versagen.
Die Richtlinien des BfArM zur Sicherung von Betäubungsmittelvorräten (Anlage 1) finden auch im Fall des Eigenanbaus zu medizinischen Zwecken in Privatwohnungen Anwendung. Beim Anbau in einer Privatwohnung ist ein Zugang Dritter unvermeidbar; insbesondere der Anbau ist für jeden Besucher unmittelbar ersichtlich und ein direkter Zugriff auf die angebauten Pflanzen durch Nicht-Erlaubnisinhaber möglich.
Auch die Anordnung von Nebenbestimmungen zur beantragten Erlaubnis, insbesondere von Auflagen, zur Gewährleistung der Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs sind in einer Privatwohnung – zumindest in dem vorliegenden Fall – nicht möglich, um eine effektive Kontrolle über den Umfang des Anbaus und der Lagerbestände zu gewährleisten.“

Patienten, welche bereits eine Ausnahmegenehmigung besitzen, werden somit in der vom BMG und BfArM angeordneten Daumenschraube belassen, lediglich das indiskutabel überteuerte Cannabis aus niederländischem Import beziehen zu können. Für diese drei erhältlichen Bedrocan-Sorten gilt aber:
100 % und mehr Preisaufschlag zwischen diesseits und jenseits der Grenze.

Patienten mit hohem Tagesbedarf berichten inzwischen – nach nur relativ kurzer Dauer dieses aufwändigen Prozederes (ärztlich begleiteter Cannabis-Selbsttherapie) – von finanziellem Ausbluten an den Wucherpreisen und von zunehmender Zermürbung aufgrund wiederholt auftretender Lieferengpässe seitens der deutschen Niederlassung von FAGRON der bislang einzigen Import-Institution für deutsche Apotheken. Auf deren Homepage wird vollmundig versprochen:
„FAGRON steht für TOP-Qualität, TOP-Vielfalt und TOP-Service.“, „FAGRON ist nicht einfach ein Rohstofflieferant, sondern orientiert sich am Patienten, als Partner für persönliche und individuelle Fürsorge, um die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.“

Das Vertrauen in die persönliche und individuelle Fürsorge und Verbesserung der Lebensqualität der Patienten hat indes durch den neuerlichen Lieferstopp extremen Schaden genommen, wenngleich dieses Vertrauen bereits bei der Um-Etikettierung nahezu abgelaufener Bedrocan-Chargen einen üblen Schlag hinnehmen musste. Dass nun aber im November 2010 die Patienten zum zweiten Mal innerhalb nur weniger Wochen hilflos vor achselzuckenden Apothekern stehen, welche das Ausnahme-Medikament wiederholt nicht liefern können, setzt der Willkür im Umgang mit Schwerstkranken die Krone auf.
Das BfArM kommentiert die auftretenden Lieferschwierigkeiten lediglich mit einem lapidaren Statement: „Was die Sicherstellung der Versorgung mit Flos Cannabis sowie anderen Betäubungsmitteln anbelangt, kann ich Ihnen versichern, dass die Bundesopiumstelle alle erforderlichen Genehmigungen unverzüglich erteilt hat und weiterhin erteilen wird.“
Wie zu erfahren war, hat das BfARM inzwischen derart auf die jüngsten Lieferproblematiken reagiert, indem es nun alle drei Sorten – Bedrocan, Bediol und Bedrobinol – als genehmigt ansieht und dem Patienten auf diese Weise erlaubt, Cannabis mit wahlweise 11% und/oder 18% THC-Gehalt zu verwenden – oder gar „auszuprobieren“, ob die Sorte mit höherem CBD-Anteil bessere Wirkung zeigt. 
Diese Haltung erscheint auf den ersten Blick entgegenkommend, dürfte sich aber bei näherem Hinsehen als rein taktische Ablenkung von der Tatsache erweisen, dass ein deutscher Patient das gleiche Menschenrecht besitzt, 11- 18 %iges Medizinal-Cannabis, bzw. wahlweise speziell für Spastiken geeignetes Gras anzubauen, wie ein spanischer, belgischer, kanadischer oder US-amerikanischer Patient und dass BfArM und Fagron sich bis dato gegenseitig die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass die eine oder andere Cannabis-Varietät derzeit nicht lieferbar ist.
Der Vorwand eines Internationalen Schutzabkommens dürfte hier als schlicht inhumanes Instrument unserer (deutschen) Entscheidungsträger verstanden werden.

Erstaunlich

Das BfArM bestätigt neuerdings zur Überraschung aller Patienten in seinen Eigenanbau-Ablehnungsbegründungen, dass es sich bei dem aus NL importierten Cannabis um standardisierte Ware handelt. Zitat: „Damit sind die Arzneimittel- und auch die Therapiesicherheit beim Eigenanbau, anders als bei dem bereits erlaubten Erwerb niederländischen Medizinalhanfs, der in standardisierter Form bezogen wird, nicht gewährleistet…“
Frau Dyckmans hingegen geht davon aus, dass das natürliche Bedrocan-Cannabis nicht standardisiert sein kann, folglich nicht dem Arzneimittel-Gesetz unterliegt und daher auch nicht erstattungsfähig ist.
Wer immer es als Verantwortliche/r im BMG, beim BfArM, oder als Drogenbeauftragte wirklich ernst meinen würde mit chronisch Kranken, Sterbenden und sonstigen gesundheitlich Schutzbefohlenen, der hätte schon längst den Aufbau einer Cannabis-Agentur innerhalb der Bundesopiumstelle ins Auge gefasst. Eine Agentur, die – ähnlich wie in Kanada oder Spanien – dem Patienten letztendlich die Entscheidung überlässt, ob er für sich selbst und ggf. für andere Mitpatienten Cannabis anbaut, wenn schon von staatlicher Seite nicht für bezahlbare Preise, für Kostenerstattung und für Zuverlässigkeit in der Belieferung gesorgt werden kann.
Es bleibt die bange Frage, wie lange kann ein Cannabis-Patient in solch einem System überleben, ohne letztlich zum eigenverantwortlichen Rechtsbruch mit allen brutalen Konsequenzen regelrecht „verdammt“ zu sein???
Fazit
Wie auch immer es für deutsche Cannabis-Patienten weitergehen mag – auf eine schnelle, humane, oder gar nahe liegende Lösung braucht hier nicht gehofft zu werden. Zu stark befinden sich Entscheidungsträger und System in den Klauen blanken Wirtschaftskalküls und kryptischer Profit-Interessen, um den Schwächsten dieser Gesellschaft Humanität oder Entgegenkommen angedeihen zu lassen. 
Es bleibt also dabei:

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