Montag, 8. November 2010

Rolys Silberscheiben des Monats November 2010

Squarepusher presents Shobaleader One: D’Demonstrator
(warp records)

Neben Aphex Twin gehört er zu den kreativen Wahnsinnigen vom Kultlabel Warp, das wohl die (!) Kreativzelle der englischen Musiklandschaft sein dürfte. Seine Klangexperimente zwischen Drill’n’Bass, Electronica und Freejazz sind für mich immer wieder eine grosse Freude. Nachdem die Warp-Ikone Tom Jenkinson aka Squarepusher bereits auf seinem letzten Album „Just A Souvenir“ in der Kraftwerk-Hommage „A Real Woman“ selbst zum Vocoder-Mikro griff, debütierte er mit seinem neuen Projekt Shobaleader One inzwischen auf Ed Banger und überzuckert nun auch sein neues Album „D’Demonstrator“ mit diesem spezifisch frankophonen Flair, das manch einen schnell an Daft Punk oder auch Air erinnern mag.
Gemeinsam mit vier scheinbar bekannten R&B-affinen Metal-Musikern, die allerdings unerkannt bleiben wollen, arbeitete er erstmals songstrukturiert, spielt Bass und singt per Vocoder im aufgesetzten Roboterhelm. Brillante Tracks wie „Plug Me In“, „Into The Blue“, „Frisco Wave“, „Abstract Lover” und „Endless Night” laden zum Kuscheln oder Abdriften ein, während „Laser Rock“ psychedelisch durch den Raum wabert, „Megazine“ und „Cryptic Motion“ mit kräftigen Bassläufen funky grooven und sich das finale „Maximum Planck“ in einer ziemlich abgedrehten Metal-Collagierung verliert. Der feine Herr fasziniert mit verträumtem Space Pop der extraterrestrischen Art, der wie Zuckerwatte auf schicken Beats klebt. Und wer Warp liebt, wird aktuell auch wieder von Flying Lotus und seiner 7-Track starken EP „Pattern + Grid World“ glücklich gemacht. Bezaubernd!
www.myspace.com/doyouknowsquarepusher
www.squarepusher.net/shobaleader-one


Danny Byrd: Rave Digger
(hospital)

Aus dem kleinen Örtchen Bath im Südwesten Englands kommt der gute Mann, der bereits seit vielen Jahren mit grandiosen Produktionen und seinem selbst titulierten „Original Fast Soul“ für verdammt gute Stimmung auf den Dancefloors der Welt sorgt. 1993 entdeckte er seine Liebe zum gebrochenen Beat. Nach einigen Jahren der Stilsuche und einer klassischen musikalischen Ausbildung war 1998 die Zeit reif für sein erstes Release auf Picasso Records. Das Label gibt es mittlerweile nicht mehr, aber Danny Byrd hat sich mit seinem vocallastigen, treibenden Drum’n’Bass durchgesetzt. Seit dem Jahre 2000 hält er dem britischen Label Hospital Records die Treue, auf seinem Debüt-Album „Supersized“ begeisterte mich vor allem sein erstklassiger Jungle Smasher „Shock Out“ – ein zeitloser Tune, der für mich Drum’n’Bass in all seinen Facetten definiert. Sein Trademark-Sound ist gekennzeichnet durch funky Riffs & Samples, positive Vibes, verspielte Vocals, pushende Drums und natürlich drückende Subbässe.
Nun erscheint sein zweiter Longplayer mit dem vielversprechenden Titel „Rave Digger“. Die Single „Ill Behaviour“ feat. I-Kay gab schon mal die Richtung vor, und die feine Oldschool Reminiszenz des Liquid-Klassikers „Sweet Harmony“ ist sicherlich der Höhepunkt. Neben zwei amüsanten „Rave TV Skits“ gibt’s euphorische Unterstützung von Cyantific, Netsky, Tomahawk, London Elektricity, Terri Pace und Zarif. Für die gepflegte Abfahrt eignen sich vor allem Tracks wie „Hot Fuzz“, „We Can Have It All“, „Planet Earth“ und „Amen Alley“, die den Spirit Anfang der 90er vermitteln. Und so bringt Danny Byrd mit „Rave Digger“ den Spass im Drum’n’Bass zurück. High Quality!
www.myspace.com/dannybyrduk
www.byrdfeed.co.uk


Saalschutz: Entweder Saalschutz
(audiolith)

Nach der french touchigen „Byterockin’ EP“ von ULTRNX und dem wundervollen Split-Release „Tote Tiere“ von Supershirt & Captain Capa erteilt uns nun Hamburg’s finest Audiolith „Entweder Saalschutz“ oder das dritte Album des Zürcher Ravepunk-Duos, das seit 2001 für einen Umsturz der Verhältnisse sorgt. Im Kopf, im Bauch und in den Beinen. Auf ihrem Debüt-Longplayer „Das ist nicht mein Problem“ liessen M T Dancefloor und DJ Flumroc reflektiert und popbewusst Stile und Vorbilder wie Kraftwerk und Prince verschmelzen und proklamierten in Songs wie „Leerer, inhaltsloser Ausdruck“ und „Diedrich Diederichsen“ Antiintellektualismus wie auch ihr fröhliches Bekenntnis zum hemmungslosen Verkopfen. Ihr Tonträger „Saalschutz macht’s möglich“ lieferte ironisches Sloganizing und Synthie-Tech-Punk mit catchy 90s Attitude.
Nach der aktuellen Single „Ravepunk für eine bessere Welt“ pumpen sie auch auf ihrem neuen Album jede Menge Energie in so tolle Songs wie „Ihr wollt ja doch nur pogen“, „Laserboy erwacht“, „Der Widerspruch“, „In Deiner Nähe sein“, „The Anthem“ und „Headliner der Herzen“, während für’s Outro extra ein Flügel gemietet wurde. „Die Texte sind uns sehr wichtig, gerade weil das heutzutage keine Sau mehr zu interessieren scheint.“ Und so zielen ihre Hooklines, Melodien und Beats voll auf Herz und Bauch – aus letzterem wurde übrigens gerade auch entschieden, dass man in Zukunft eventuell unter dem Namen „The Stravinskys“ weitermacht, weil die Nazivorwürfe zu sehr genervt haben. Den jüdischen Naturwissenschaftler und Mathematiker Louis Saalschütz kennt halt nicht jeder. Im Nirgendwo zwischen Punkrocktal, Tranceheim und Elektro-Funkenhausen ist das aber egal – wir tanzen und denken weiter. Eigensinnig, groovy und herzlich!
www.myspace.com/saalschutz
www.audiolith.net


Pony Pony Run Run: You Need
(3ème bureau / wagram music)

Diese drei Jungs, die sich im Jahre 2005 während ihres Studiums der Kunstwissenschaften an der École supérieure des beaux arts de Nantes Métropole kennenlernten, verfügen über einen ziemlich breiten musikalischen Background. Die zwei Brüder Gaëtan (Gitarre/Gesang) und Amaël Réchin Lê Ky-Huong (Bass) bilden gemeinsam mit ihrem Freund Antonin Pierre (Piano) das Trio Pony Pony Run Run und gehen an Musik ohne festgefahrene Haltung und stilistische Werturteile heran. Anfang des Jahres 2009 erschien ihr Debüt-Album „You Need Pony Pony Run Run“, das wie ihre erste Single „Hey You“ die französischen Charts eroberte. Nach ihrer zweiten Single „Walking On A Line“ und Konzerten auf mehr als 120 Bühnen europaweit wurden sie in diesem Jahr mit dem wichtigsten französischen Radio Award „Victoire de la Musique“ ausgezeichnet.
Nun erscheint ihr Album auch bei uns und begeistert mich sehr. Traumhafte 80er Synthie-Pop-Melodien mischen sich auf elf echten Hits mit verspielten Bass- und Gitarrenklängen und einer sympathischen Dosis Ironie und Schlitzohrigkeit. Denn das Trio ist brillant und schmutzig zugleich und verbindet synthetische Klarheit mit einem charmanten Quäntchen Lo-Fi-Attitüde. Songs wie „Out Of Control”, „Hey You“, „Cherry Love Brazil“, „First Date Mullet“, „What I Feel”, „Love Veritable” und „Girl I Know” traben bzw. galoppieren sofort ins Ohr. Vom Pop berauscht übermalen die Künstler aus Nantes die Musikwelt mit ihrem ureigenen Verständnis von knalligen Regenbogenfarben.
www.myspace.com/ponyponyrunrun
www.ponyponyrunrun.net


Anoraak: Wherever The Sun Sets
(naïve)

Frankreich, das Mekka elektronischer Tanzmucke, feiert einen neuen Synthie-Helden. Frédéric Rivière war früher Drummer bei der bereits erwähnten Band Pony Pony Run Run. Wie Russ Chimes und Moulinex ist auch er ein absolutes Liebkind des französischen Valerie-Labels. Als Solo-Künstler unter dem Namen Anoraak habe ich ihn Mitte letzten Jahres erstmals mit seinem 80s angehauchten Track „Make It Better“ auf dem Because Music Label-Sampler „A New French Electronic Generation“ gehört.
Nach dem Mini-Album „Nightdrive With You“ aus dem Jahre 2008 veröffentlicht er nun auf Naïve sein Album „Wherever The Sun Sets“, bei dessen Titel und Cover man wohl erstmal eine Chill-Lounge-CD vermutet. Doch der Franzose sucht mehr die Nähe zu Italo-Disco und etwas Motown Funk und frischt seine 11 Tracks mit einer guten Portion sehnsuchtsvollem Pop auf. In dem Panorama-Video „Above Your Head“ luden uns Milosh Lucynnski und Anoraak in die französischen Alpen ein, die verträumten und zugleich pushenden Synthie-Linien sowie sein hypnotischer Gesang ziehen sich durch alle Stücke. Freue mich besonders über „Don’t Be Afraid“, wenn sich die schwedische Disco Diva Sally Shapiro mit ihrer supersüssen Stimme dazu gesellt. Aber auch Songs wie „Long Hot Summer Night”, „You Taste Like Cherry“, „Cloud / Rain / Love“, „Midnight Sunset“, „Here You Go“ und „Dolphins & Highways“ mit der Folk-Sängerin Siobhan Wilson sind wie Sonnenuntergänge in feinstem Clubpop-Gewand. Für die einen vielleicht kitschige Mädchenmusik, für mich ein sepiafarbener Mondschein-Soundtrack!
www.myspace.com/anoraak
www.anoraakmusic.com

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