Dienstag, 31. August 2010

Rolys Silberscheiben des Monats September

Kabuki: Warrior Soul
(v records)

Beeinflusst von Jazz, Reggae, Soul und HipHop absolvierte er zunächst eine klassische Musikausbildung und arbeitete als Musiklehrer. Seit 1996 zählte das Label Precision jahrelang zu den deutschen Aushängeschildern, im legendären Offenbacher Robert Johnson Klub gab’s die „Fuel“-Reihe und Megashira, Makai und MK2 dürften wohl auch allen noch ein Begriff sein. Mitte 2000 sagte Jan Henning aka Kabuki in einem ouk-Interview bzgl. der deutschen Drum’n’Bass-Szene: „Insgesamt nehmen sich viele Produzenten/DJs/MCs/etc. zu wichtig, denn am Ende geht es doch bloss darum, dass sich Leute amüsieren wollen. Wenn jemand mit seinem Ego-Film nicht klar kommt und mir zu verstehen gibt, dass sich ohne ihn die Welt nicht dreht, muss ich erst lachen und dann gähnen.“ Da ich diese Kritik leider auch zehn Jahre später noch als sehr angemessen empfinde, ist es mir ein Fest, sein aktuelles Album „Warrior Soul“ all denen nahezulegen, für die Drum’n’Bass mehr bedeutet als ihr eigenes Profilierungsgehabe. Ursprünglich für Combination Records geplant, lag es nach dem Aus des Vinyl-Vertriebs Neuton nahe, dass Kabuki sein zweites Album auf Bryan Gees Label V Records veröffentlicht, für dessen Tochterlabel Liquid V er ja bereits seit 2006 produziert. Gemeinsam mit Jeru The Damaja, Jenna G und Paul St. Hilaire (aka Tikiman) gibt’s hier auf zehn Tracks ein breites Spektrum zwischen rollend, deep, funky und experimentell zu hören, dass sicherlich auch neue Menschen für diese Musik begeistern wird (nicht nur dank zusätzlicher Remixes). Und genau das ist meines Erachtens der wichtigste Auftrag, den Drum’n’Bass haben sollte. Die spirituelle Warrior-Version ist spürbar, und das ist gut so. Denn Authentizität, Consciousness und Attitude ist echten Junglisten wichtiger als Ego, Fame und opportunistisches Anbiedern. Gesang und Tanz wie wir ihn lieben!
www.myspace.com/iamkabuki
www.myspace.com/vrecordsuk


Molecular Structures: Memories Long Lost
(basswerk)

Nachdem mir das aktuelle Album von Subz & Matik ja schon sehr viel Freude bereitet hat, geht Basswerk schon wieder in die nächste Runde, um konsequent Nachwuchsförderung zu betreiben. Der erst 19 Jahre alte Filip Dragovic aka Molecular Structures hat als junger gelernter Pianist und Jazzer sowohl Fähigkeiten, seine Tracks musikalisch ausgewogen klingen zu lassen als auch den Mut, neue Wege zu gehen. Mit 14 schloss er eine Klavierschule ab und als er nach England ging, um Philosophie zu studieren, hatte er zusätzlich auch Musikproduktions- und Jazz-Drumming-Kurse belegt. Mit seinem Debütalbum „Memories Long Lost“ setzt er Drum’n’Bass sehr gefühlvoll in einen Kontext mit IDM / Electronica und experimentellen Soul. Vom minimalen Opening-Titeltrack über die Melancholie von „Emo“ mit Unquote und „Lamb’s Theme“ bis zu den cineastischen Soundscapes von „Autumn Day“ und „Sonnenuntergang“ (mit The Green Man) ist das die perfekte LP für Soundtrack-Enthusiasten. In „Seeing Sounds“ (feat. Djix & MC Edge) und den beiden Tracks mit dem vom HipHop beeinflussten Künstler Prozoo als „PMS“ schimmern auch jazzige Einflüsse durch, während „Kersnost“ (feat. Kinetik) eher auf den Dancefloor schielt. Die Russen nennen es „Microfunk“, für mich ist es fein komponierter Drum’n’Bass mit deeper Grundstimmung, den man zuhause hören will. Doch in vielen Tracks gibt es Beats, Breaks und Bässe, die auch im Club die Drum’n’Bass-Euphorie der späten 90er in frischem Gewand wieder aufleben lassen.
www.myspace.com/molecularstructures
www.basswerk.net


Skream: Outside The Box
(tempa)

Oliver Jones arbeitete im Big Apple Record Store in Croydon, der als Schlüsselpunkt für die Entwicklung von Dubstep angesehen wird. Dort gab er seine Lieder an DJ Hatcha, der sie auf diversen Parties spielte. Mit seinem Album „Skream!“ und seiner anschliessenden Auslands-Tournee verhalf er Dubstep zu steigender Bekanntheit. Nach etwa 30 Maxis stürmte er im letzten Jahr mit seinem Remix von „In For The Kill“ für La Roux die Charts und pustete damit den wohl meist verkauften Dubstep-Track in den Äther. In seinen Schubladen sollen noch Tracks für knapp 100 weitere Alben rumliegen, doch wir geben uns erstmal mit diesem einen hier zufrieden. Nachdem mich die erste Single „Listenin’ To The Records On My Wall” mit massivem Amen-Break-Einsatz sehr beglückte, präsentiert Skream nun mit „Outside The Box” sein zweites Album, mit dem er seinen Führungsanspruch im Genre nachhaltig untermauern könnte. Nach dem atmosphärischen Intro „Perferated“ rappt der kalifornische MC Murs über „8 Bit Baby“, bevor „CPU“ und „Where You Should Be“ (ft. Sam Frank) den Sound in das zu erwartende Schema überführen. Das poppige „How Real“ (ft. Freckles) ist super, weitere Lieblingstracks sind das stimmungsvolle „Fields Of Emotion“, das sinnlich-oldschoolige „I Love The Way“, die melancholische La Roux Revanche „Finally“ und die Jungle Vibes von „The Epic Last Song“. Skream hat die Zeichen der Zeit erkannt. Und wer Bock auf sechs brandneue, exklusive Skreamnizm Tracks hat, greift zur Limited Deluxe Edition. Im Herbst soll übrigens das Debüt-Album von Magnetic Man, Skream’s Live-Projekt mit Benga und Artwork, erscheinen.
www.myspace.com/skreamuk
www.tempa.co.uk


!!!: Strange Weather, Isn’t It?
(warp / roughtrade)

Nach Born Ruffians, Autechre und PVT sind auch !!! (sprich: chk chk chk) zurück mit einem neuen Album und der Hoffnung auf viele Konzerte einer der besten Livebands überhaupt. Seit ihrem letzten Werk „Myth Takes“ vor drei Jahren hat die Band einige (Schicksals-)Schläge verkraften müssen. 2009 starb ihr ehemaliger Drummer Jerry Fuchs beim Sturz in einen Fahrstuhlschacht, und wichtige Bandmitglieder wie Tyler Pope (LCD Soundsystem), John Pugh (inzwischen als Free Blood unterwegs) oder Justin van der Volgen haben die Band verlassen. Sänger Nic Offer, Gitarrist Mario Andreoni, Keyboarder Daniel Forman und Saxophonist/Perkussionist Allan Wilson bilden jetzt den Band-Kern, live wird die Combo durch Sängerin Shannon Funchess und Schlagzeuger Paul Quattrone ergänzt. Aufgenommen in New York, Sacramento und Berlin, ist „Strange Weather, Isn‘t It“ eine Platte, die einerseits nachdenklich stimmt und andererseits ziemlich poppig geworden ist. Ähnlich wie vor vielen Jahren Primal Scream in ihren Anfängen Indie- und Dance-Elemente gemischt haben, werden hier auf neun organischen Tracks Gitarrenriffs mit Hi-Hat dominierten Drums verwoben. Neben Saiten ist auch mal ein Saxophon zu hören wie in „Steady As The Sidewalk Cracks“, was mich etwas an die Stereo MCs erinnert. Weitere herausragende Hits sind „The Most Certain Sure“, „Jump Back“ und das finale „The Hammer“. Minimalismus, tiefe Grooves und mitreissender Funk. Zum Titel: Wer für die nächste unangenehme Gesprächspause eine Floskel braucht, hat nun eine besonders feine im Repertoire.
www.chkchkchk.net
www.warp.net


Casiokids: Topp Stemning På Lokal Bar
(moshi moshi records)

„Moshi Moshi“, sagt man wohl nicht nur in Japan, sondern auch im norwegischen Bergen, auf das ich durch Annie bereits aufmerksam wurde. Benannt nach dem gleichnamigen Keyboard, das das Quintett anfangs vornehmlich zur Konzeption ihres clubfertigen Sounds verwendet hat, haben die Casiokids für ihren ersten europäischen Longplayer-Release eine handverlesene Auswahl erstklassiger Tracks aus ihrem beeindruckenden Backkatalog zusammengetragen und mit neuem Material auf einen Tonträger gebannt – in Form von sechs grandiosen Remixes und zwei Cover-Versionen (darunter auch eine von James Yuills Song-Klassiker „Left-Handed Girl“). Liebhaber überkandidelten Electro-Pops kommen hier voll auf ihre Kosten, denn auf dieser ersten Pop-Platte in norwegischer Sprache, die jemals in UK veröffentlicht wurde, herrscht „Super Stimmung in der hiesigen Kneipe”, wenn man den Albumtitel „Topp Stemning På Lokal Bar” grob übersetzen möchte. Songs wie „Grønt Lys I Alle Ledd“, „Verdens Største Land“, „Fot I Hose“ und „En Vill Hest“ sorgen für absolut gute Laune. Live rocken die Casiokids inklusive Puppenspiel, Videoprojektionen und Auftritten im Tierkostüm die Bühne. Über Moshi Moshi Records gibt’s übrigens gerade auch die bittersüss-wehmütige „Sweetheart“ EP des Londoner Folk-Trios The Wave Pictures und die sehnsüchtig-glitzernde „Young“ EP von Summer Camp, die wie ein herzzerreissend schöner Dream-Pop-Soundtrack zu einem kitschigen 80er Streifen klingt. Musik für erste Küsse und pubertierende Schwärmereien. Ich glaub‘, ich hab’ ein neues Lieblingslabel.
www.casiokids.com
www.moshimoshimusic.com

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