Hartz IV, Wirtschaftskrise, Inflation, Elterngeld futsch, Löhne, die ohne staatlichen Zuschüsse nicht zum Leben reichen zwingen viele, sich aufs Wesentliche zu besinnen: „Wie komm ich durch, ohne dabei meine Würde oder gar die Wohnung zu verlieren?“
Ganz einfach, still und unauffällig mit ein paar Lampen. Ist zwar eigentlich immer noch kriminell, die Sache mit dem Gewissen und dem Unrechtsbewußtsein spielt dann mangels Opfer und einer von der Realität überholten Gesetzeslage meist eine eher untergeordnete Rolle. Menschen, die zuvor nie auf die Idee gekommen wären, Hanf zum Verkauf auf dem schwarzen Markt @home zu kultivieren, wissen mit einem Mal, was eine Natriumdampflampe, ein Hydrometer oder ein Rohrlüfter sind. Hinzu kommt, dass der so oft zitierte „Schwarzmarkt“ nicht die nächstbeste Strassenecke, sondern der eigene Freundes- oder Bekanntenkreis ist, in dem seit vielen Jahren gerne, aber nicht unbedingt exzessiv gekifft wird. Fast jeder Mensch unter 40 kennt heute jemanden, der gerne mal einen raucht und so kommt es, dass selbst Mitbürger, die noch nie im Leben mit Cannabis oder dessen Kultivierung zu tun hatten, plötzlich ihren grünen Daumen entdecken.
Jedoch ohne dabei gleich ganze Hallen zu mieten oder dadurch reich werden zu wollen, sondern einfach um die manchmal nicht mehr zu bewältigten finanziellen Belastungen auszugleichen, die ein immer weiter sinkendes Realeinkommen zur Folge hat.
Ingrid* hat zwei 400- und einen 160 Euro-Jobs, einen Sohn in der Ausbildung, ihr Arbeitspensum beträgt 48 Stunden / Woche, ohne Überstunden. Eine Festanstellung findet sie seit der Pleite ihres ehemaligen Betriebs vor acht Jahren nicht mehr und der Dispo-Kredit war trotz sparsamer Lebensführung vor zwei Jahren auf über 5000 Euro angeschwollen.
Eigentlich hatte die Kleingärtnerin in spe seit ihrer Ausbildung in den 1980er Jahren nur noch ab und zu gekifft. Eines Tages hat sie einen alten Freund getroffen, der auch heute noch regelmäßig und gerne raucht. Der hat sie dann mal bei einem Besuch in sein Kämmerlein geführt.
„Das will ich auch“ sei ihr erster Gedanke gewesen, hat mir die Mittvierzigerin im Laufe des Interviews erzählt, nicht aus Geldgründen, einfach weil es so schön ausgesehen habe und das Gras von Heinz* so lecker gewesen sei:
„Und dann bin ich mit Heinz in einen Growshop. War schon ein wenig seltsam, weil ich von keinem der Produkte, die da rumstanden, wusste, wozu es gut ist. Also habe ich mir erst einmal ein Buch gekauft und gelesen. Danach habe ich mich noch einmal mit Heinz getroffen und wir haben zusammen die Hardware für meinen kleinen Schrank zusammengestellt.
Ha Jo: Was war das genau?
Ingrid: Eine Homebox, Modular „Ulm“ (1,2 m² ), mit einer 400 Watt Lampe und dem entsprechenden Lüfter, Filter und so weiter. Ich habe anfangs knapp 600 Euro investiert, eigentlich hatte ich ja nur vor, ab und zu mit meinem erwachsenen Sohn einen Joint zu rauchen. Das Geld hat mir Heinz geliehen und ich habe es ihm dann nach der Ernte in Form von Naturalien zurück gegeben. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass ich beim ersten Mal so viel rausbekomme.
Auch die Stangen sind jetzt innenliegend
Vom Feinsten: Das Innenleben der Homebox-Modular
Ha Jo: Wieviel war es denn?
Ingrid (grinst): Über 320 Gramm. Eigentlich hatte ich so mit hundert gerechnet, von denen ich Heinz das meiste für das ausgelegte Equipment gegeben hätte und der Rest hätte mir dicke für die kommenden sechs Monate gereicht. Dachte ich so. Weil Heinz meinte, 200 g seien gut für den Anfang, aber ich solle nichts erwarten. Also habe ich mal mit 100g gerechnet. Aber dann hatte ich hatte ich fast ein halbes Pfund übrig. Davon habe ich mir ein wenig für mich selbst beiseite gelegt und den Rest …
Ha Jo: … über den Rest wollen wir gar nix wissen. Wie hast Du eine so ertragreiche Ernte schon beim ersten Durchgang hinbekommen?
Ingrid: Vielleicht weil ich ziemlich penibel darauf achte, dass alles genau so ist, wie es im Buch beschrieben wird. Vielleicht liegt es auch am tollen Brunnenwasser oder dem Bio-Dünger.
Ich habe auch bei meinen Gartenkräutern einen ziemlich grünen Daumen und verbringe gerne Zeit mit Pflanzen. Ich glaube am ehesten, dass es mit an dem guten und weichen Wasser liegt, was wir hier haben. Das gibt nicht nur bei Hanf gute Erträge. Die Samen waren beim ersten Durchgang natürlich auch prima.
Ha Jo: Samen?
Ingrid: Ja. Heinz und ich sind nach Österreich gefahren und haben Samen gekauft. Ich feminisierte für meine erste Homebox, der Heinz normale, weil er sich eine Mutterpflanze machen wollte. Ich rede da jetzt so einfach drüber, damals wusste ich gar nicht, was der Unterschied zwischen einer männlichen und einer weiblichen Pflanze ist. Dabei ist das gerade einmal ein Jahr her.
Ha Jo: Anscheinend hast du nicht nur mehr Ahnung, sondern auch mehr Platz als anfangs?
Ingrid. Ja, mittlerweile habe ich ausgebaut. Hatte ich eigentlich gar nicht vor, aber nachdem ich von der ersten Ernte neben meinem Eigenbedarf noch fast 800 Euro von meinem Dispo tilgen konnte, habe ich überlegt: Da plagst Du dich seit Jahren, trotz 25 jähriger Berufserfahrung gibt es für mich nur Zeitarbeit oder 400 Euro-Jobs. Ich habe seit Jahren am Monatsende keinen Cent übrig, arbeite sechs Tage die Woche und komme auf keinen grünen Zweig. Der Staat verschenkt Kohle, indem er Kiffer jagt und auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verzichtet, während sich die Jugend legal ins Koma säuft und die Mittelschicht ausstirbt.
Ich hole mir einfach wieder, was mir die vergangenen Jahre gestohlen wurde. Nach der ersten Ernte habe ich kapiert, dass ich so endlich aus dem Teufelskreis Schulden-Überstunden-Stress rauskomme. Da lag es mir nicht mehr sehr fern, das ganze einfach doppelt so groß zu machen.
Einfach ausgebaut……